Protocol of the Session on September 15, 2016

Wo Freiheit auf Freiheit trifft, gibt es Regeln in einer offenen Gesellschaft. Es gibt auch Menschen, die jeden Tag genau das Gegenteil anziehen möchten und nackt durch die Fußgängerzone laufen möchten. Auch das ist nicht erlaubt in Deutschland. Sie werden dann aufgegriffen von der Polizei, und zwar aus einem Grund:

(Beifall bei CDU und AfD – Zuruf der Abg. Helga Lerch, FDP)

Weil auch das Gegenüber eine Rolle spielt. – Frau Lerch, deshalb gibt es drei Ebenen: Es ist die Trägerin, es ist das Integrationshemmnis, und es ist das Gegenüber. Dazu sind mir Ihre Argumente weder stichhaltig noch folgerichtig.

(Beifall der CDU und der AfD)

Zu einer Erwiderung erteile ich Frau Kollegin Lerch das Wort.

Liebe Frau Klöckner, auf Ihr Nackt-Argument möchte ich an dieser Stelle weniger eingehen; denn dazu gibt es doch eine Menge ethischer Gründe zu sagen, und das lassen wir lieber.

(Zuruf von der AfD: Ja, sagen Sie sie doch! – Zurufe von der CDU – Abg. Julia Klöckner, CDU: Was sind denn diese ethischen Gründe?)

Aber im Hinblick auf die Frage, was richtig ist und was falsch ist, und im Hinblick auf die Frage, was gut ist und was schlecht ist, werten Sie ganz definitiv.

(Abg. Julia Klöckner, CDU: Ja, natürlich, wir werten mit jedem Gesetz! – Abg. Dr. Adolf Weiland, CDU: Ja, das ist klar!)

Sie haben für sich entschieden, dass das Tragen einer Burka definitiv schlecht ist, und Sie verlassen damit eindeutig das Neutralitätsgebot, das der Staat in dieser Frage hat.

(Zurufe von der CDU: Quatsch! Das ist Quatsch! Das ist Schwachsinn! – Weitere Zurufe von der AfD: Was für eine Vorstellung! Quatsch!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Lerch hat das Wort, also bitte.

Ich bin Freie Demokratin, und ich weiß sehr genau, dass die Freiheit des Einzelnen dort endet, wo die Freiheit des anderen berührt wird. Das ist bekannt.

Auch die FDGO wird durch das Tragen einer Burka in keiner Weise verletzt. Ich kann Ihren Argumenten nicht folgen, und ich empfehle Ihnen, setzen Sie sich auch einmal mit Frau Merkel in Verbindung und diskutieren mit ihr die Frage der Religionsfreiheit.

Vielen Dank.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun Frau Kollegin Schellhammer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Die weibliche Bekleidung war schon immer Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, Kulturkampf zwischen Moderne und Tradition. Für mich gilt dabei ein Grundsatz: Frauen sollen selbstbestimmt entscheiden, welche Kleidung sie tragen wollen, ob sie kurze Röcke tragen oder nicht, und sie sollen deswegen auch keine Konsequenzen zu fürchten haben.

Als Teil der Frauenbewegung haben wir Grüne uns immer gegen Sexismus, patriarchale Strukturen und davon abgeleitete Unterdrückung von Frauen eingesetzt.

(Abg. Joachim Paul, AfD: Nur in diesem Fall nicht!)

Daher lehnen auch wir den Zwang zur Vollverschleierung ab und die damit verbundene radikale Interpretation einer Religion.

Aber den Zwang zur Vollverschleierung einer Frau abzulehnen, führt nicht automatisch zu der Erforderlichkeit eines Verbots, und genau diese beiden Punkte müssen wir in der Debatte trennen. Man kann die Burka und den Zwang zur Vollverschleierung kritisieren; aber dies führt nicht automatisch zu der politischen Erforderlichkeit eines Verbots. Diese beiden Punkte muss man in der Debatte trennen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP – Ministerpräsidentin Frau Dreyer: Genau!)

Zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung gehört eben gerade auch, dass nicht alles, was einem nicht passt, verboten wird. Das hat auch diese Woche unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel gegenüber der Presse betont,

(Zuruf von der AfD: Ihre Bundeskanzlerin, das stimmt! – Abg. Martin Haller, SPD: Es ist auch Ihre Bundeskanzlerin, ob es Ihnen passt oder nicht!)

und ich darf zitieren:

Freiheitsrechte schützen auch die Freiheit, anders zu sein, als die Mehrheit es sich wünscht oder sich vorstellt.

Dieses Zitat hat mir sehr gut gefallen; denn es gibt einem das Recht, auch anders zu sein.

Bei der Forderung nach einem Burkaverbot muss man meiner Meinung nach zwei Fragen stellen. Dies ist zum einen: Ist ein Verbot der Burka verfassungsrechtlich möglich? Und es ist zum anderen: Hilft ein Verbot der Burka den betroffenen Frauen?

Es liegt ein wissenschaftliches Gutachten des Deutschen Bundestages zum Thema eines generellen Verbotes der Burka vor, und dieses Gutachten sagt sehr klar, es stellt einen Eingriff in die Religionsfreiheit nach Artikel 4 des Grundgesetzes dar. Die Religionsfreiheit ist eben ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht.

(Abg. Joachim Paul, AfD: Nein, das stimmt nicht! Das ist falsch!)

Als Grenzen der Religionsfreiheit kommen nur Grundrechte Dritter und andere, mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter in Betracht. Eine Rechtfertigung eines gegen diese Form der Religionsausübung gerichteten Gesetzes scheitert auch am Grundsatz der staatlichen Neutralität. Das hat meine Vorrednerin auch schon sehr deutlich klargemacht. Also, verfassungsrechtlich ist ein Burkaverbot nach diesem Gutachten nicht zulässig.

Nun kann man das Grundgesetz und diese Auslegung des Grundgesetzes auch ignorieren, so wie es CDU und AfD soeben getan haben. Aber dann kann man die nächste Frage stellen: Hilft es tatsächlich den betroffenen Frauen?

Es liegen keine belastbaren Erkenntnisse zur Vollverschleierung in Deutschland vor. Es gibt keinerlei Erkenntnisse darüber, wie hoch der Anteil der Frauen ist, die eine Vollverschleierung aus eigener religiöser Überzeugung tragen, und wie viele dazu gezwungen werden. Auch in Rheinland-Pfalz liegen keine genauen Erkenntnisse vor. Die Zahlen, die im Ausschuss vorgestellt wurden, waren Schätzungen. Diese Schätzungen gingen von 20 bis 30 Burkaträgerinnen aus. Wenn man dies hochrechnet – ausgehend von 160.000 Muslimen in Rheinland-Pfalz insgesamt, wobei die Hälfte davon Frauen sind –, so ergibt dies nach Schätzungen eine Zahl von 0,05 % der muslimischen Frauen in Rheinland-Pfalz.

Ein Verbot der Vollverschleierung hilft aber keiner dieser Frauen. Es würde sie nur aus dem öffentlichen Raum weiter verbannen. Frauenpolitisch ist meiner Meinung nach ein Burkaverbot eben nicht zielführend. Man wird den gesellschaftlichen Fortschritt nicht erzwingen, indem ein Symbol verboten wird. Mit einem Burkaverbot kann man weder den Fundamentalismus bekämpfen noch die muslimische Frau befreien.

Auch aus sicherheitspolitischen Erwägungen ist ein Burkaverbot nicht erforderlich. Religionsfreiheit ließe zu, dass beispielsweise in Gerichtssälen, in Schulen, Banken, Kindergärten und dergleichen über das Hausrecht ein Ver

mummungsverbot erlassen werden kann. Ein generelles Burkaverbot ist also auch aus sicherheitspolitischen Gründen nicht notwendig.

Mich besorgt aber die Art und Weise, wie die Debatte heute geführt wurde. Angst wird hierbei zu einer relevanten handlungsleitenden Kategorie von Politik.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Gefühlte Realitäten und nicht Fakten bestimmen inzwischen politische Forderungen. Angst darf aber kein Ratgeber von Politik sein.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Zu einer Kurzintervention erteile ich Herrn Kollegen Dr. Bollinger das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kollegen, liebe Gäste! Frau Kollegin Schellhammer, Sie haben soeben gesagt, frauenpolitisch – und ich glaube, auch integrationspolitisch – sei ein Burkaverbot nicht sinnvoll. Also, Fakt ist doch, dass fundamentale Auslegungen des Islam auf dem Vormarsch sind. Es gibt Brennpunktstädte wie Bonn oder, sehr aktuell, Bad Godesberg, wo sich eine absolute Parallelgesellschaft gebildet hat, und allein in Bad Godesberg werden Sie wahrscheinlich 20 bis 30 Trägerinnen von Vollverschleierung finden.

Wir wollen verhindern, dass es in Rheinland-Pfalz so weit kommt. Das Problem ist, wenn sich diese Strukturen gebildet haben, könnte wiederum ein Druck auf andere entstehen, und sie könnten als Vorbild dienen für andere muslimische Frauen oder für muslimische Männer, die dann ihrerseits Druck auf ihre Frauen ausüben, dass sie sich entsprechend gewanden, und genau das wollen wir verhindern, dass es so weit kommt.

Allein schon aus integrationspolitischer und auch aus frauenpolitischer Sicht ist es deshalb geradezu zwingend geboten, ein Burkaverbot einzuführen, wenn Ihnen das, was Sie hier im Munde führen, so ernst ist, die Rechte der Frau, die als Mensch ebenfalls ein Recht auf Menschenwürde nach Artikel 1 des Grundgesetzes hat.

Danke sehr.

(Beifall der AfD – Zuruf des Abg. Martin Haller, SPD – Abg. Joachim Paul, AfD: Ihre Wähler wohnen in den besseren Vierteln, wo es diese Probleme nicht gibt!)

Für die Landesregierung spricht nun Herr Staatsminister Mertin.

(Unruhe im Hause)

Gleich besteht jede Menge Gelegenheit zu Zwiegesprächen, aber jetzt hat Herr Justizminister Mertin das Wort, und ich bitte Sie um Aufmerksamkeit.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Zu den Anträgen darf ich namens der Landesregierung zunächst Folgendes anmerken: