Protocol of the Session on September 17, 2020

(Abg. Martin Haller, SPD: Wenn man keine Gelegenheit auslassen kann, Kritik an dieser Landesregierung zu üben! Das ist doch peinlich! Anders kann man es doch nicht sagen! – Abg. Uwe Junge, AfD: Das ist Aufgabe der Opposition! – Abg. Joachim Paul, AfD: Die SPD war doch gegen die Deutsche Einheit! – Weiterer Zuruf des Abg. Uwe Junge, AfD – Weitere Zurufe von der SPD – Glocke der Präsidentin)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Wort hat jetzt die Abgeordnete Klinkel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe CDU, ich würde sagen, ihr habt gut angefangen und dann auch richtig nachgelassen.

(Beifall bei der SPD – Zurufe der Abg. Uwe Junge, AfD, Alexander Schweitzer, SPD, und weitere Zurufe von der SPD – Glocke der Präsidentin)

Moment, Frau Kollegin Klinkel. Ich bitte Sie endgültig, die Zwischenrufe einzustellen. Setzen Sie bitte Ihre Rede fort.

Danke, Frau Präsidentin.

Sie haben gut angefangen; denn auf die wichtige Bedeutung dieses Ereignisses haben Sie hingewiesen, es dann – das muss ich Ihnen schon vorhalten, weil wir heute Abend über das Thema diskutieren werden – aber in AfD-Manier abdriften lassen und instrumentalisiert. Das finde ich für das Thema unangemessen und ziemlich schade.

(Beifall bei der SPD – Abg. Martin Brandl, CDU: Fängt das schon wieder an! – Zuruf des Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD – Zurufe von der SPD)

Herr Brandl, Sie waren diejenigen, die angefangen haben.

Ich rede jetzt zum Thema, wenn es Ihnen recht ist.

Sie haben Helmut Kohl zitiert. Ich möchte Willy Brandt zitieren, „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört.“ So hat er ganz ruhig, einfach und doch so beruhigend in diesem emotionalen deutschen Herbst 1989 den Mauerfall kommentiert. Die Mauer hatte damals nur Risse, und die Zukunft des kleineren der beiden deutschen Staaten war völlig offen.

Einige philosophierten über eine Konföderation, andere erwogen die Konstruktion eines deutschen Bundes. Aber Brandt – das ist vielleicht der Unterschied – sprach vom großen Ganzen ohne dabei zu drängen. Die Einheit sollte organisch wachsen. Jetzt blicken wir auf 30 Jahre Wiedervereinigung.

Viel zu oft übersehen wir, dieses Deutschland, in dem wir jetzt leben, ist das beste Deutschland , das wir jemals hatten. Das war nicht selbstverständlich. Die Staaten waren grundverschieden, auf der einen Seite ein föderales demokratisches System, auf der anderen Seite ein diktatorischer Zentralstaat; auf der einen Seite demokratische Parteien und freie Wahlen, auf der anderen Seite ein System von sogenannten Blockparteien unter der Führung der SED.

Das alltägliche Leben in Ost und West war völlig unterschiedlich organisiert. Es brauchte die Grundlage eines Vertrages, um zwei so gegensätzliche Systeme zusammenzuführen. Die Deutsche Einheit ist das Ergebnis von Verhandlungen miteinander seit der ersten freien Volkskammerwahl zwischen zwei demokratisch legitimierten Regierungen und den ehemaligen Siegermächten.

Der Prozess der Einheit, bei dem vor 30 Jahren niemand die praktische Erfahrung der Gestaltung hatte, wurde und wird auch in der Retrospektive unterschiedlich wahrgenommen. Es gehört dazu, dass wir anerkennen, dass der Transformationsprozess noch nicht abgeschlossen ist.

Auch wenn die Problematiken in Ost und West heute vordergründig gleich erscheinen, so ist die Geschichte der Menschen eben eine andere. Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in Deutschland sind nach wie vor sehr unterschiedlich, wenn auch deutlich besser als wir es vor einigen Jahren noch gedacht hätten.

Es sollte aber dennoch keine grundsätzliche Differenzierung mehr in Ostdeutsche und Westdeutsche geben. Wollen wir die Herausforderungen aus der Vergangenheit und Gegenwart meistern, brauchen wir eine neue deutsche Gemeinsamkeit.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der FDP)

Entscheidend ist es, heute den verschiedenen Perspektiven und Erfahrungen Raum zu geben und diese miteinander ins Gespräch zu bringen. So sind Begegnungen der Bürger das Herzstück der diesjährigen Feierlichkeiten zur Wiedervereinigung, die wir wie jedes Jahr gemeinsam einend als Republik begehen, ausgerichtet von dem Bundesland, das den Vorsitz im Bundesrat innehat.

Wir erinnern uns alle an die Feierlichkeiten im Jahr 2017 in Mainz. Dass es dieses Jahr nicht so sein kann, liegt auch daran, dass der Tag der Deutschen Einheit fest in CoronaHand ist.

Das, was die Kollegin, finde ich, ein wenig despektierlich gezeichnet hat, das ist in Wahrheit in Potsdam stattfindend die Bemühung, in 30 Tagen 30-mal Deutschland zu präsentieren. Rheinland-Pfalz wird sich in einem sogenannten CityCube unter dem Motto „Die Welt steht Kopf. In RheinlandPfalz stellen wir sie wieder auf die Füße!“ präsentieren. Wir werden 30 Tage lang in Potsdam durch Deutschland gehen können. Man wird Bürger treffen können. Darum geht es. Es geht um den Dialog. Der steht auch in Rheinland-Pfalz im Vordergrund.

Die Feierlichkeiten der Landeszentrale für politische Bildung und der Stiftung Hambacher Schloss sind ein Beispiel einer Bürger- und Familienveranstaltung mit Diskussionen zum Thema aus europäischer Perspektive, Konzerten, einer Ausstellung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

167.233 Menschen kamen zwischen 1950 und 1989 aus der DDR nach Rheinland-Pfalz. Ihre Erfahrungen bringen sie bei Zeitzeugengesprächen in den rheinland-pfälzischen Schulen ein. Sie befördern das ganze Jahr über diesen angesprochenen Dialog und das Verständnis der nachfolgenden Generationen für die Leistung derer, die die Einheit ermöglichten und den Grundstein zu diesem besten Deutschland legten, friedlich und mutig, nicht voller Hass, nicht mit Hetze, nicht mit Agitation und ohne Polemik.

Wir lernen von diesen Menschen gerade in PandemieZeiten. Reisefreiheit ist ein in Lockdown-Zeiten neu erlebtes Gut. Dazu gehört das Schätzen der Presse- und Meinungsfreiheit, dass sie hier alle sagen dürfen, was sie möchten, es aber nicht unwidersprochen bleiben muss.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Dr. Silvia Groß, AfD: Ach ja! – Glocke der Präsidentin)

Ich sage einen letzten Satz und Weiteres in der zweiten

Runde. Freie Wahlen, Versammlungsfreiheit, all das ist das Fundament unserer Demokratie, die uns seit 1990 eint. Der Gewinn von Freiheit und Demokratie ist jede gemeinsame Anstrengung wert.

(Beifall der SPD und bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die AfD-Fraktion spricht der Abgeordnete Schmidt.

Frau Präsidentin, werte Kollegen! Mit dieser Aktuellen Debatte erinnern wir an die wichtigsten Ereignisse der jüngsten deutschen Geschichte, die friedliche Revolution im Deutschen Herbst 1989 mit dem Fall der Mauer am 9. November sowie die offizielle Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990.

In diesen denkwürdigen Wochen und Monaten ging es um Einigkeit und Recht und Freiheit. Für diese Werte hat sich nicht nur der 1848er und Dichter unserer Nationalhymne Hoffmann von Fallersleben mit aller Kraft eingesetzt. Für sie gingen auch jene Hundertausende mutiger Demonstranten auf die Straße und bewirkten entscheidend das Ende der kommunistischen Zwangsherrschaft. Ihnen müssen wir dankbar sein; denn sie überwanden nicht nur die realen Mauern im Osten unseres Landes, sondern auch die gedanklichen Mauern in Westdeutschland, was das Thema Wiedervereinigung betraf;

(Beifall der AfD)

denn – das gilt es gerade heute entgegen allen anderslautenden Legendenbildungen klarzustellen – zumindest alle linken westdeutschen Parteien hatten sich vom im Grundgesetz verankerten Wiedervereinigungsgebot schon lange vor 1989 verabschiedet.

(Zuruf des Abg. Uwe Junge, AfD)

Ausnahmen wie Willy Brandt kann man erwähnen, aber sie sind nicht typisch.

(Beifall der AfD – Heiterkeit bei der SPD)

Das gilt natürlich verstärkt für die Grünen, die mit der Vereinigung erst recht wenig zu tun haben.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Willy Brandt, ein unbedeutender Ortsvereinsvorsitzender!)

Umso mehr sind wir auch den Menschen in Polen dankbar, die mit der Gründung der Gewerkschaft Solidarność den Anstoß für die Wende in Ostmittel- und Osteuropa gaben. Dankbar sind wir der Regierung in Ungarn, die für

den ersten Riss in der Mauer sorgte. Mitten im Geschehen befand sich damals übrigens Viktor Orbán. Er war einer der Politiker, die das paneuropäische Picknick im August 1989 ermöglicht haben.

(Beifall der AfD)

Deshalb stört uns die mangelnde Wertschätzung für Polen, Ungarn und die Menschen im Osten unseres Landes sehr. Gerade in den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten wird diese Wertschätzung gelegentlich mit Füßen getreten, zum Beispiel wenn Jan Böhmermann im ZDF die Landtagswahl in Sachsen so kommentiert – ich zitiere –: „Das einzige, was dieses Bundesland noch retten kann, ist eine Koalition aus RAF und Royal Air Force.“

(Zurufe von der AfD: Pfui!)

Große Defizite in Sachen Patriotismus und mangelnde Wertschätzung gegenüber unseren Nationalfarben gibt es aber auch innerhalb der CDU. Unvergessen bleibt Merkels unsäglicher Auftritt bei der CDU-Wahlparty am Abend der Bundestagswahl 2013, als sie mit sichtlicher Verachtung und Kopfschütteln eine schwarz-rot-goldene Fahne rasch in der Ecke entsorgte.

(Beifall der AfD – Zurufe von der CDU)

Frau Kollegin Demuth, dennoch möchte ich Ihnen an dieser Stelle Respekt und Anerkennung für Ihre Rede aussprechen; denn darin war sehr viel enthalten, dem wir von Herzen zustimmen können.

(Zuruf von der CDU)

Für uns als AfD-Politiker ist die Wende von 1989 ein Herzensanliegen. Das gilt ebenso für die innere Einheit unserer westlichen und östlichen Landesteile. Vor diesem Hintergrund haben wir bereits im vergangenen Jahr ganz bewusst am 17. Juni eine Große Anfrage zu 30 Jahre Mauerfall eingereicht.

(Zuruf der Abg. Giorgina Kazungu-Haß, SPD)

Diese haben wir dann rund um den 9. November im Plenum besprochen. Heute, am Schluss dieses Plenartags, kommt unsere Große Anfrage zum 30. Jahrestag der Wiedervereinigung zur Aussprache.