Protocol of the Session on September 17, 2020

Ich beginne mit einer regionalen Feststellung. In dem Bericht wird festgestellt, dass es insgesamt keine grundsätz

lichen Trendveränderungen gibt, aber es gibt wenige, zum Teil auch sehr besorgniserregende Trendveränderungen. Zu diesen gehört, dass seit dem Jahr 2012 bei der Armutsgefährdungsquote die Unterschiede zwischen den beiden nördlichen und den drei eher südlichen Raumordnungsregionen deutlich zugenommen haben. Im Norden sieht es deutlich besser aus als im Süden. Insbesondere zeigt sich ein starker Anstieg der Armutsgefährdungsquoten in der Westpfalz und der Rheinpfalz. In der Rheinpfalz ist eine Trendwende eingetreten; da ist es gekippt. Wir wüssten gerne, was genau die Ursachen für diese Entwicklung sind und wo man ansetzen muss, um das wieder ein Stück ins Positive zurückzudrehen, weil dieser Bericht dient nicht dazu, Seiten zu füllen, sondern er soll Hinweise geben, wo es hingehen soll.

Ich will auf weitere Befunde kurz eingehen. Zu den zentralen Befunden gehört, dass die Gruppe der Alleinerziehenden mit erheblichem Abstand das höchste Armutsrisiko von allen Haushaltstypen aufweist. Ihr Anteil an den armutsgefährdeten Haushalten hat sich seit dem Jahr 2012 weiter leicht erhöht, wobei das „leicht erhöht“ relativ ist. Er liegt jetzt bei fast 50 %. Man kann also sagen, im Prinzip ist jede zweite Alleinerziehende armutsgefährdet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin nicht erst seit gestern in diesem Landtag. Diese Landesregierung hat seit vielen Jahren Hilfspakete der unterschiedlichsten Art und Weise mit vielen Millionenbeträgen finanziert, konzipiert, mit Partnerinnen und Partnern abgestimmt, zielgruppengerecht ausgerichtet und, und, und. Wir haben die Betreuungssituation verbessert. Wir bieten Nachqualifizierungen in Ausbildungsfragen an, Ausbildung in Teilzeit und was auch alles an. Sehr geehrte Frau Ministerin – da frage ich nicht nur die Sozialministerin, sondern ich frage auch die Bildungsministerin, die für die Kitas zuständig ist –: Warum funktioniert das nicht? Warum hilft das nicht? Warum wachsen immer mehr Alleinerziehende in die Armutsgefährdung hinein? Hier scheint Politik an der Zielgruppe vorbeizugehen. Das ist das, was ich hier im Moment wahrnehmen muss.

(Beifall der CDU)

Das ist ein schlechtes Zeugnis für die bisherige Politik.

(Zurufe von der SPD)

Ich will auf die Qualifikation, die Bildung eingehen. Im Vergleich wird im Bericht insbesondere als auffällig festgestellt, dass die Armutsgefährdungsquote von Menschen mit niedriger Qualifikation weiter zugenommen hat. Ja, das ist sicherlich richtig. Unsere Arbeitswelt wird auch anspruchsvoller, aber es ist natürlich schwierig, wenn man nach wie vor viele Menschen mit einer niedrigen Formalqualifikation hat. Auch zu diesem Ergebnis kommt der Bericht. Der Bevölkerungsanteil mit geringer Formalqualifikation, also mit schlechteren Schulabschlüssen, welcher einem besonders überdurchschnittlichen Armutsgefährdungsrisiko unterliegt,

(Zuruf von der AfD)

hat in Rheinland-Pfalz entgegen dem Bundestrend weiter zugenommen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch da müssen wir uns fragen, woran es liegt, dass die jungen Menschen immer früher die Schule mit immer schlechteren Ausbildungsabschlüssen verlassen, womit sie im Prinzip die Armutsgefährdung mit in ihr Leben nehmen. Das ist die nächste Generation, die dieses Land möglichst in einen guten Wohlstand weitertragen soll.

Dann bitte ich, sich noch einmal an die Fakten zu erinnern, die meine Kollegin Beilstein eben in der Diskussion über die zusätzliche Deutschstunde vorgebracht hat. Wir haben immer mehr Kinder, die mit sehr schlechten Voraussetzungen von der Grundschule in die weiterführenden Schulen gehen. Auch damit ist doch schon wieder der Weg vorgezeichnet, dass sie zu früh mit zu geringer Formalqualifikation die Schule verlassen und das Armutsgefährdungsrisiko wieder steigt. Wir reden doch nicht nur über einen kleinen abgeschlossenen Bereich, sondern es geht dabei auch um die Zukunft des Landes Rheinland-Pfalz. Das dürfen wir doch nicht aus dem Auge verlieren.

(Beifall der CDU)

Deshalb bitte ich, sich diese Fakten genau anzusehen, gut zu analysieren und die Programme tatsächlich zielgerichtet auszulegen,

(Glocke der Präsidentin)

sodass der nächste Armutsbericht eine Verbesserung der Situation aufzeigt, weil sonst war all das Geld, das wir in die Dinge gesteckt haben, verlorenes Geld.

Vielen Dank.

(Beifall der CDU)

Für die AfD-Fraktion spricht der Abgeordnete Dr. Böhme.

Wertes Präsidium, meine Damen und Herren! Die AfDFraktion dankt der Landesregierung und den Mitarbeitern des federführenden Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie für den ausführlichen und informativen Armuts- und Reichtumsbericht 2020.

Wollte man den Inhalt des Berichts in aller Kürze zusammenfassen, böte sich der Titel eines Literaturklassikers an: Im Westen nichts Neues. Leider muss man statuieren, dass die generelle Lage trotz enormen wirtschaftlichen Wachstums und sinkender Arbeitslosenrate im Betrachtungszeitraum nicht wirklich besser geworden ist. Die Armutsgefährdungsquote stieg um 0,9 % auf 16,7 %.

Zu den Personengruppen, welche in besonderem Maße von Armut betroffen sind, zählen nach wie vor insbesondere Erwerbslose, Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, Alleinerziehende, Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Migrationshintergrund und ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Neben den Kindern weisen aktuell junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren sowie über 65-Jährige die im Durchschnitt höchste Armutsgefährdungsquote auf.

Die Gründe für die Armut sind seit Langem bekannt. Armut ist assoziiert mit Bildungsarmut, fehlenden Berufsabschlüssen, Migrationshintergrund, Fluchtbiografien, sie wird zum Teil auch vererbt, hat also einen familiären Hintergrund, und geht natürlich auch auf mangelnde Altersvorsorge und mangelnden Vermögensaufbau zurück, welchen Menschen mit geringem Einkommen nicht leisten können.

Ihre Ursachen liegen aber auch in einer zu hohen Steuerund Abgabenlast, nicht ausreichender Anerkennung und Honorierung von Erziehungsarbeit, einer verfehlten preistreibenden Energie- und Umweltpolitik, im Mangel an bezahlbarem Wohnraum und in einer Gesellschaftspolitik, welche eher gesinnungsethisch als rational nach der Devise „Koste es, was es wolle“ agiert.

Auffällig ist auch, dass das hohe Niveau an Armut vor allem durch Armutseinwanderung aufrechterhalten wird. Ob Kinderarmut, Erwerbslosigkeit oder geringfügige Beschäftigung, die Zuwachsraten bei Ausländern sind enorm. Das Gleiche gilt für die Belastung der Sozialsysteme.

Es ist schon bezeichnend, wenn die Ministerin im Ausschuss darauf hinweist, dass nicht in erster Linie Arbeitsmarktintegration, sondern zuerst der Erwerb einer prinzipiellen Integrationsfähigkeit im Vordergrund stehe. Unsere Gesellschaft wird damit vor enorme Herausforderungen gestellt, welche uns gerade bei der Armutsbekämpfung über Jahrzehnte begleiten werden.

Die Behauptung aber, dass es gerade bei der Bekämpfung von Kinderarmut keine Fortschritte gegeben hätte – aufgestellt in einer Anhörung zur Kinderarmut im Sozialpolitischen Ausschuss –, erweist sich damit als falsch. Im Hinblick auf deutsche Staatsbürger ist die Anzahl der Kinder in Bedarfsgemeinschaften in Rheinland-Pfalz im Betrachtungszeitraum um 13 % gesunken, aber bei Ausländern um 172 % gestiegen. Frau Thelen, das ist die Antwort auf Ihre Frage nach dem Warum.

Wenn also hier und heute wieder die erwartbare Forderung nach einer Kindergrundsicherung erhoben wird, sollte man diesen Fakt im Hinterkopf behalten. Wir als AfD stellen dem das Konzept des Staatsbürgergelds entgegen, welches auch für Kinder ausgezahlt bzw. angerechnet würde, aber keine weiteren Migrationsanreize schafft.

Des Weiteren fordern wir ein steuerliches Familiensplitting, um vor allem erwerbstätige Menschen im Hinblick auf die Erziehungsarbeit und Kinderbetreuung zu unterstützen.

(Beifall der AfD)

Übergangsweise könnte natürlich auch ein Landeserziehungsgeld die Erziehungsarbeit honorieren und Familien mit Kindern besserstellen.

Zudem begrüßen wir den landesweiten Beteiligungsprozess „Armut begegnen – gemeinsam handeln“ mit dem Ziel verbesserter Strukturen und Beratungsangebote in den Kommunen. Wir werden die Landesregierung aber auch um Berichterstattung zu konkreten Ergebnissen bitten.

Wir sind davon überzeugt, dass den Kommunen bei der Umsetzung sozialer Ambitionen die entscheidende Rolle zufällt. Eine ausreichende Ausstattung mit kommunalen Finanzmitteln ist dabei eine unentbehrliche Voraussetzung.

(Beifall des Abg. Uwe Junge, AfD)

Gerade aber im Hinblick auf eine verbesserte und effizientere Sozialberatung könnte die Landesregierung die Kommunen auch mit dem Aufbau einer digitalen Beratungsplattform, also eines digitalen Sozialnavigators, entlasten und unterstützen. Eine digitale Vorberatung kann sicherstellen, dass die Betroffenen wissen, an wen sie sich wenden können bzw. müssen und welche Antragsunterlagen und Belege einzureichen sind. Frustrierendes Suchen, Doppelarbeit oder mehrfache Wege könnten somit für alle Beteiligten vermieden werden.

Meine Damen und Herren, in der Einleitung zum Bericht wird von Armut als soziale Realität und gesellschaftliche Konstruktion gesprochen. In der Tat ist die Sozialpolitik lediglich das Auffangbecken für die Probleme, welche durch eine verfehlte Gesellschaftspolitik geschaffen werden.

(Beifall der AfD)

So bestimmen zum Beispiel die Politikfelder Bildung, Infrastruktur, Wirtschaft, aber auch Finanz-, Zins- und Währungspolitik unter anderem darüber, wie und an wen Wissen, Arbeit und gesellschaftlicher Mehrwert verteilt werden. Eine verfehlte Gesellschaftspolitik, welche den gesellschaftlichen Mehrwert ins Ausland abfließen lässt, Ideologien finanziert und Armut importiert, bestimmt damit aber die Größe und die Anforderungen an den Sozialstaat. Deswegen ist er auch so groß.

In Teilen ist das ein Teufelskreis. Je mehr Sozialstaat, umso mehr Abgaben und letztlich Armut. Vieles auch zulasten künftiger Generationen. Die Verteilung des gesellschaftlichen Mehrwerts muss neu gedacht werden. Dazu gehört auch unsere Forderung nach einer Wertschöpfungsabgabe und Digitalsteuer.

Die armen Menschen haben üblicherweise wenig Lobby und gehen daher auch wenig wählen. Die Politik muss deshalb hier aus einer intrinsischen Motivation heraus handeln.

Vielen Dank.

(Beifall der AfD)

Für die FDP-Fraktion spricht der Abgeordnete Steven Wink.

Verehrte Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Fünf Jahre sind seit dem letzten Armuts- und Reichtumsbericht der Landesregierung vergangen. Leider gibt es immer noch verschiedene Personengruppen, die überdurchschnittlich häufig einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt sind. Besonders betroffen davon sind Alleinerziehende und Familien mit mehr als zwei oder drei Kindern.

Ich darf die Aussage des Kollegen Teuber von vorhin in Bezug auf die Kinder aufgreifen und noch etwas verschärfen: Es darf nicht sein, dass man sich in der heutigen Zeit zwischen Arbeit und Kindern entscheiden und darauf dann sein Leben ausrichten muss.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ebenfalls weisen weiter ältere Menschen höhere Gefährdungsquoten auf. Darüber hinaus unterscheiden sich die Armutsgefährdungsquoten natürlich auch regional.

Jedoch möchte ich auch positive Erkenntnisse aus dem Bericht ziehen. Die Quote des Bezugs von Leistungen zur Grundsicherung im Alter liegt unterhalb des Bundesdurchschnitts. Bei den wichtigen Armutsindikatoren, wie Arbeitslosenquote, Mindestsicherungsquote oder SGB-II-Quote, weist Rheinland-Pfalz die drittniedrigsten Quoten auf.

Somit können wir feststellen, dass sich die positive Entwicklung in den letzten fünf Jahren fortgesetzt hat und die Arbeit der Landesregierung in der Ampelkoalition erste Früchte zeigt.

So fördert sie Sprach- und Orientierungskurse für Flüchtlinge sowie Projekte zur Integration in den Ausbildungsund Arbeitsmarkt.

Zur Prävention und Überwindung von Armut in RheinlandPfalz hat die Landesregierung zwölf Handlungsfelder festgelegt. Ein Handlungsfeld davon ist die Einkommensarmut. Die Reduzierung von Einkommensarmut ist Dreh- und Angelpunkt der Armutsbekämpfung. Mit jährlich deutlich über 300 arbeitsmarktpolitischen Initiativen und Projekten bekämpft die Landesregierung die Arbeitslosigkeit und stärkt das Potenzial von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.