Protocol of the Session on September 16, 2020

Haben Sie vielen Dank.

(Beifall der FDP und bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abgeordnete Binz.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Den Namen „Moria“ hörte ich das erste Mal ungefähr Ende 2015. Damals war der Fotograf und heutige Europa-Abgeordnete Erik Marquardt auf Einladung der Mainzer Grünen in Mainz und berichtete von seiner Reise über die Balkanroute. Seine Schilderung von Moria ist mir besonders in Erinnerung geblieben, da die Bilder, mit denen Erik Marquardt über die Zustände in diesem Lager berichtete, so heftig waren und einem sehr drastisch vor Augen führten, was man sich unter einem EU-Hotspot vorzustellen hatte.

Die Lage in Moria war immer wieder Thema politischer Diskussionen und auch von medialer Berichterstattung. Auch dieser Landtag hat sich mit den Zuständen dort befasst,

nicht zuletzt nach der Reise des Integrationsausschusses nach Griechenland.

Ich habe noch einmal in der Vorbereitung auf diese Debatte nachgeschaut. 2018 sprach ich in einer Rede im Plenum über Moria. Ich sprach damals davon, dass das Lager mit 6.500 Bewohnern um das Doppelte überbelegt sei. Letzte Woche ist Moria abgebrannt. Die nunmehr geschätzten 12.000 bis 13.000 Menschen, die dort lebten, sind nun obdachlos.

Was ich damit sagen will, ist, dass lange bekannt ist, dass die Zustände dort untragbar sind und waren – es war auch nicht der erste Brand, der in diesem Lager wütete –, und die Frage, wie es überhaupt so weit kommen konnte und wer dafür eigentlich die Verantwortung trägt, schon sehr relevant für die Beantwortung der Frage ist, ob wir heute Menschen von Lesbos nach Deutschland evakuieren sollten.

Ich sage, das sollten wir; denn auch deutsche Politik trägt eine Mitverantwortung dafür, dass die Lage vor Ort so unerträglich wurde, wie sie jetzt ist und wie sie im Übrigen schon vor dem Brand war, weil es ein EU-Hotspot und das Lager Teil des EU-Türkei-Deals ist, den die Bundeskanzlerin Merkel federführend ausgehandelt hat.

Deshalb reicht es nicht, jetzt mit dem Finger nach Griechenland zu zeigen und auf ein neues Behelfslager zu verweisen, das in den letzten Tagen dort erbaut wurde; denn auch dies bietet wieder nur Platz für einen Bruchteil der Menschen und besteht lediglich aus dünnen Zelten ohne festen Boden. Da fragt man sich: Soll die Geschichte gerade wieder von vorne losgehen?

Nein, es reicht nicht, die Verantwortung dorthin abzuschieben, sondern wir müssen selbst handeln. Es ist jetzt die Organisation von Nothilfe gefragt, wie sie zum Beispiel die Landesregierung angeboten hat, aber es ist auch angebracht, die Menschen von dort zu evakuieren; denn viel zu lange ist nichts konkret unternommen worden, um die katastrophalen Bedingungen, unter denen die Menschen dort leben mussten, zu verbessern. Durch dieses jahrelange Ignorieren, Wegschauen und Nichtstun drängt sich leider der Gedanke auf, dass dies System hat und so akzeptiert war und ist.

PRO ASYL hat bereits Anfang 2017, nachdem über den Winter mindestens fünf Menschen in dem Lager ums Leben gekommen waren, festgestellt, dass der Schutz in den EUHotspots in Griechenland aufgrund der Verantwortungsunklarheit zwischen Griechenland und der EU nicht gegeben ist. Die Aussage damals war: In den EU-Hotspots gehört die organisierte Verantwortungslosigkeit zum Konzept. – Warum aber sollte man es eigentlich akzeptieren, dass die Menschen dort in den Lagern unter solch katastrophalen Bedingungen leben müssen? Weil man sich erhofft, dass dies zur Abschreckung beiträgt.

Nur, damit öffnet man eine ganz gefährliche Flanke; denn diese Bilder mögen vielleicht Europas Außengrenzen nach

außen verstärken, indem sie abschrecken, aber sie höhlen gleichzeitig das, wofür Europa steht, von innen aus. Wenn die Europäische Union eine Zukunft haben will, dann dürfen ihre Werte nicht immer nur in Sonntagsreden mit Verweis auf die Vergangenheit beschworen werden. Nein, dann müssen sich diese Werte auch konkret im Handeln der Gegenwart zeigen.

Dazu gehört es, dass nicht zugelassen wird, dass Menschen in der EU in einem abgebrannten EU-Hotspot unter diesen unwürdigen Umständen leben müssen. Es gibt eine große Aufnahmebereitschaft für diese Menschen. Es gibt die Aufnahmebereitschaft von Bundesländern. Das Land Rheinland-Pfalz hat sich bereit erklärt, aber auch viele weitere.

Ich sehe es wie die Kollegin Rauschkolb. Seehofer sollte nicht mehr im Weg stehen, wenn Länder wie Berlin oder Thüringen eigene Landesaufnahmeprogramme organisieren wollen. 175 Kommunen bundesweit haben erklärt, dass sie aufnehmen wollen. Dass jetzt 1.553 Menschen, 400 Familien mit Kindern, durch die Bundesregierung aufgenommen werden, ist dem tagelangen massiven Druck durch die Zivilgesellschaft geschuldet.

Ja, es sind deutlich mehr als die angekündigten 100 bis 150 Kinder, aber nein, es ist immer noch nicht genug, obwohl ich klar sagen will, ich will das Engagement derer insbesondere in der SPD, die in den letzten Tagen erreicht haben, dass es jetzt 1.500 sind, nicht kleinreden. Es ist eine effektive Hilfe für 1.553 Menschen.

(Glocke des Präsidenten)

Es ist aber eben noch nicht genug. Wenn man sich anschaut, wie viele Kommunen helfen wollen, wäre es gut, wenn Deutschland zusätzlich Menschen aufnehmen würde, deren Asylverfahren noch aussteht, um auch hier ein deutliches Signal an die anderen europäischen Länder zu senden; denn die Menschen in Moria brauchen jetzt Hilfe.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und vereinzelt bei der FDP)

Damit das noch einmal klar ist, da ich jetzt die zweite Meldung zu einer Kurzintervention aus den Reihen der AfDFraktion gesehen habe. Eine solche ist bei Aktuellen Debatten und bei Aussprachen zu Mündlichen Anfragen nicht zulässig.

(Abg. Martin Haller, SPD: Das ist bekannt seit fünf Jahren! – Zuruf der Abg. Kathrin Anklam-Trapp, SPD)

Nicht, dass einer den Eindruck hat, wir würden nicht jeden hier gleich behandeln.

Jetzt spricht die fraktionslose Abgeordnete Bublies-Leifert.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute diskutieren wir zur Abwechslung einmal über einen Schaufensterantrag der AfD.

(Vereinzelt Heiterkeit bei der SPD)

Während sich viele Menschen um ihre Arbeitsplätze sorgen, ihre Freiheitsrechte bedroht sehen, Artikel 2, 5, 7, 8, 11, 12 und 13 des Grundgesetzes bereits teilweise oder in Gänze ausgehebelt sind, die Landesregierung seit Monaten mithilfe von – ich nenne es einmal salopp – Notstandsverordnungen regiert – so etwas hatten wir bereits vor 90 Jahren, als die Unfähigkeit der Parteien die Endphase der Weimarer Republik einläutete – –

Frau Bublies-Leifert, ich bitte Sie, vorsichtig zu sein, wenn Sie Vergleiche ziehen zu anderen Rechtssystemen in Deutschland. Wir haben uns darauf verständigt, lassen Sie das bitte sein.

in Ordnung.

fasst die AfD nun die Gelegenheit beim Schopfe und kommt wieder mit der Schelllackplatte von anno tuck bezüglich Flüchtlingen um die Ecke, um ihre sinkenden Umfragewerte in Bezug auf die anstehenden Wahlen aufzupolieren.

Aussagen wie „Wir haben Platz“ bieten natürlich entsprechende Steilvorlagen, obwohl nahezu täglich Horrormeldungen über Abzocke und desaströsen Mangel auf dem Wohnungsmarkt deutlich zu vernehmen sind.

Dass man den Menschen in Moria und in vielen anderen Krisengebieten helfen muss, steht vollkommen außer Frage. Wir müssen helfen, das ist keine Diskussion. Nur beim Wie muss wieder eine offene und ehrliche Diskussion überhaupt einmal möglich sein. Es dürfen nicht nur die feine Auslese der Ergriffenheitsmafia, die Hautevolee der Betroffenheitsschickeria und des ewig ritualisierten Gedenktheaters Gehör finden.

(Abg. Marlies Kohnle-Gros, CDU: Ei, ei, ei! – Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Was meinen Sie? Meinen Sie den Auschwitz-Gedenktag damit?)

Die Aktion mit den 13.000 Stühlen vor dem Reichstag war geradezu ein Paradebeispiel hierfür. Das Geld wäre sicherlich woanders wesentlich besser aufgehoben gewesen, aber die NGOs scheinen sehr gut finanziert zu werden. Fragt sich nur: Woher?

Aktuell sollten erst 150, jetzt 1.500 Familien mit Kindern nach Deutschland geholt werden. Die Grünen fordern sogar

die Aufnahme von mindestens 5.000 Menschen. Schlichtweg fahrlässig ist hierbei, dass dies alles ohne genauere Prüfung der Hintergründe zu den Brandursachen passieren soll; denn letztlich kann daraus wegen des Familiennachzugs noch ein X-faches mehr an aufzunehmenden Menschen resultieren, die der deutsche Steuerzahler unter anderem wieder auf Dauer wird alimentieren müssen. Das ist man dem Souverän, dem Bürger, dem Steuerzahler als Finanzier schlichtweg schuldig, gerade in Zeiten der CoronaKrise.

Weitere pikante Fragen stellen sich ferner dazu, wie die Gesundheit unserer Bürger in Bezug auf Corona gewährleistet werden soll, waren doch gerade aktuell die Unruhen in Moria ausgebrochen, weil Ausgangsbeschränkungen wegen Corona verhängt worden waren. In der Hermeskeiler Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende hat die regionale Polizei seit Wochen wieder Überstunden stemmen müssen, um die Quarantäneauflagen bei den ausländischen Bewohnern überhaupt durchsetzen zu können. Soll die Polizei jetzt deutschlandweit mit solchen Zusatzaufgaben inklusive unzähliger Überstunden noch weiter belastet werden? Die Polizei, der Prügelknabe für verfehlte Politik?

Dies alles ist ein erneuter Beleg dafür, dass CDU, SPD, FDP und die Grünen aus den Fehlern von 2015 nichts gelernt haben.

(Glocke des Präsidenten)

Mit ihrem erneuten „Wir schaffen das!“ servieren sie nach 2015 einer in den Umfragewerten schwächelnden AfD – –

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist zu Ende.

das zweite Konjunkturpaket auf dem Silbertablett.

Ich danke Ihnen.

Für die Landesregierung spricht Staatsministerin Spiegel.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Moria, das war eine Katastrophe mit Ansage, eine Katastrophe, die sich seit Jahren angedeutet und sich immer weiter dramatisiert hat, und eine Katastrophe, von der ich behaupte, dass man sie vielleicht hätte verhindern können, wenn die europäische Staatengemeinschaft früher gehandelt und Menschen aus dem völlig überfüllten Lager in Moria herausgenommen hätte.

Eine Katastrophe, die meines Erachtens in zwei Ebenen einzuteilen ist. Ich fange an mit der ersten Ebene, das ist das, was wir jetzt sofort tun sollten. Hier möchte ich die Zahlen richtigstellen zum Mitschreiben für diejenigen, die anscheinend Probleme hatten. Ich habe mehrfach – ich erneuere das somit gern noch einmal – Herrn Bundesinnenminister Seehofer aufgefordert, dass sich Deutschland im europäischen Kanon engagiert, seiner internationalen Verantwortung gerecht wird und 5.000 Menschen aus Moria in die Bundesrepublik Deutschland holt.

Ich habe nach dem verheerenden Brand der vergangenen Woche gefordert, dass von diesen 5.000 Menschen sofort 1.000 Menschen in die Bundesrepublik geholt werden, weil die Zustände völlig unüberschaubar waren und es jetzt darum ging, vor allem vulnerable Gruppen, Schwangere, kleine Kinder, hilfsbedürftige Menschen, Menschen mit Behinderungen, aus den Lagern zu holen.

Es ist eine Forderung, die auch breit von einer Zivilgesellschaft getragen wird, von Kommunen, beispielsweise auch in Rheinland-Pfalz, Kommunen, die sich für Flüchtlinge aus Griechenland engagieren wollen, die hier ihren Teil dazu beitragen wollen.

Es sind auch die Kirchen, es sind auch Menschen wie eine Gruppe junger Menschen, die bei mir vor dem Ministerium waren und einen Protestmarsch aus der Pfalz bis nach Mainz zu Fuß hingelegt hatten, um auf das Elend der Menschen in den griechischen Lagern hinzuweisen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist wichtig, dass die Bundesregierung jetzt endlich handelt und 1.553 Personen aufgenommen werden. Das sind 1.553 Personen, die in der Bundesrepublik Deutschland von den Bundesländern gut versorgt und aufgenommen werden können, und das ist ein wichtiger Schritt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP – Zuruf des Abg. Uwe Junge, AfD)