Protocol of the Session on May 15, 2014

Ich will einige Worte dazu sagen. Sie versuchen hier mit rechtspopulistischen Platituden im Europawahlkampf zu punkten. Schauen Sie sich Ihren Antrag einmal an.

(Seekatz, CDU: Das ist jetzt unterste Schublade!)

Selbstverständlich steht da auch einiges Richtige drin. Selbstverständlich unterstützen wir gemeinsam die Demokratiebewegung, die es in der Türkei gibt. Es ist vollkommen richtig, dass sich in der Türkei eine Bürgergesellschaft entwickelt hat.

(Glocke des Präsidenten)

Wir können doch nicht so tun, als ob das, was Sie hier festschreiben,

(Glocke des Präsidenten – Zuruf des Abg. Seekatz, CDU)

nämlich ein Nein zur Türkei in Europa, der wegweisende Schritt ist.

Herrn Wiechmann, kommen Sie zum Ende.

Das werde ich tun, Herr Präsident.

Ich sage Ihnen, wir müssen der Türkei genauso wie anderen Beitrittskandidaten eine Perspektive geben.

(Dr. Weiland, CDU: Das mit dem Rechtspopulismus nehmen Sie zurück! – Zuruf der Abg. Frau Klöckner, CDU)

Herr Wiechmann, kommen Sie bald zum Ende.

Ja, vielen Dank. Lassen Sie uns lieber gemeinsam Europa gestalten.

(Frau Klöckner, CDU: Das geht eindeutig zu weit!)

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich erteile Frau Ministerpräsidentin Dreyer das Wort.

Sehr verehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Herren und Damen Abgeordnete, liebe Kollegen und Kolleginnen! Es ist eigentlich ein wunderbares Zeichen, dass in dem rheinland-pfälzischen Parlament mit sehr viel Empathie über Europa diskutiert wird. Ich danke sehr herzlich den Kollegen der Regierungskoalition, dass wir die Chance haben, über die Europastrategie von Rheinland-Pfalz hier an diesem Ort zu diskutieren.

(Zurufe der Abg. Bracht und Frau Klöckner, CDU)

Warum? Das ist doch selbstverständlich. Es ist selbstverständlich, dass wir in Rheinland-Pfalz mit unseren Nachbarn Frankreich, Luxemburg und Belgien das europäischste Bundesland mitten im Herzen Europas sind. Wir in Rheinland-Pfalz leben wie fast kein anderes Land Europa sehr intensiv.

Es ist vieles gesagt worden, an das ich anknüpfen kann. Ich will vorher einige Sätze zu Herrn Seekatz und dazu sagen, das Papier sei ohne Vision und ohne Blick nach vorne.

Die Europastrategie des Landes Rheinland-Pfalz ist eine Grundsatzaussage: Wo stehen wir als Landregierung, wo steht unser Land bei diesem Thema Europa? – Natürlich nennt es Handlungsfelder, die aktueller sind denn je. Herr Wiechmann hat darauf hingewiesen. Man kann sich allein das erste Kapitel anschauen mit der Friedensunion, die eine Daueraufgabe ist. Man kann sich auch anschauen, was uns allen Sorgen macht, das ist die Entwicklung in der Ukraine. Man weiß, was wir in unserer Generation in Europa erlebt haben, nämlich immer in Frieden zu leben. Das kann von heute auf morgen anders sein. Deshalb sehen wir uns als Landesregierung absolut dazu verpflichtet, immer wieder einen Beitrag dazu zu leisten, dass wir friedlich mit unseren Nachbarn zusammenleben können.

Das können wir ganz gut, weil wir in unseren Grenzregionen intensivsten Kontakt zu unseren europäischen Nachbarinnen und Nachbarn haben und mit ihnen in einem engen Dialog sind. Ich glaube, ein besseres Ziel kann man sich als Landesregierung für dieses wichtige Ziel nicht vornehmen, um in Zukunft dafür zu kämpfen und alles daran zu setzen, dass der Frieden in Europa erhalten bleibt.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir profitieren in unserem Land sehr stark von Europa. Dies in vielerlei Hinsicht: von der Öffnung der Grenzen,

selbstverständlich von der Freizügigkeit, aber natürlich auch von dem gemeinsamen Markt Europa. RheinlandPfalz hat eine stark exportorientierte Wirtschaft. Sie profitiert unglaublich von Europa. Der Wohlstand in unserem Land hat ganz, ganz viel mit Europa zu tun. Natürlich nutzen wir die Chancen zum Wohle der Menschen, unserer Unternehmen und der grenzüberschreitenden Kooperationen.

Auch dazu noch einmal ein Wort: Deshalb wollen wir die Zukunft auch mitgestalten, in dem Rahmen, in dem wir sie als Bundesland mitgestalten können. Wir wollen deshalb auch ganz bewusst sagen: Wir wollen Europa nicht Rechtspopulisten überlassen. – Es ist nicht so, als wären wir im Moment nicht in der schwierigen Situation, gerade weil die 3 %-Hürde bei Europawahlen gefallen ist, als hätten kleinere rechtspopulistische Parteien nicht eine Chance, in dieser Wahl deutlich zu punkten. Deshalb auch ein klares Wort an dieser Stelle: Wir wollen als demokratische Parteien, als Landesregierung Europa gestalten. Wir werden auch alles tun, um dem Rechtspopulismus etwas entgegenzusetzen.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Herr Seekatz, in der Strategie wird natürlich auch beschrieben, auf welchen Ebenen wir uns einbringen. Herr Klöckner hat das auch schon gesagt. Das geschieht natürlich ganz oft auf der Bundesratsebene. Das geschieht ganz oft im Ausschuss der Regionen, bei dem wir uns bedanken, dass wir so engagierte Parlamentarier haben, aber das geschieht natürlich auch im ViererNetzwerk, beim Thema Großregion und am Oberrhein sowie durch persönliche bilaterale Begegnungen unserer Regierungen und mit den Partnerinnen und Partnern vor allem in unseren Grenzregionen.

Ich kann es Ihnen als Opposition nicht verwehren, dass Sie immer wieder auf diesen alten Punkt im Parlament zu sprechen kommen. Dennoch sage ich es noch einmal als Ministerpräsidentin: Schon früher haben natürlich viele Kollegen und Kollegen aus dem Kabinett Kontakte mit unseren europäischen Nachbarn und auch mit Brüssel gehabt. Als Ministerpräsidentin habe ich es mir als einen meiner allerersten Schwerpunkte vorgenommen, den Kontakt zu Brüssel und zu unseren Nachbarn zu intensivieren.

Wenn Sie heute nach Brüssel gehen, werden Sie an jeder Ecke bestätigt bekommen, dass wir sehr, sehr präsent sind und die Interessen von Rheinland-Pfalz dort sehr offensiv vertreten. Das ist unser Selbstverständnis. Das werden wir auch in der Zukunft tun. Wir profitieren von Europa, und wir wollen auch gute Interessenvertreter und -vertreterinnen für Rheinland-Pfalz in Brüssel und in allen anderen Städten und Regionen sein, in denen das relevant ist.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Es gibt viele Beispiele, die ich jetzt gar nicht nennen möchte, sondern ich möchte mit Blick auf die Redezeit nur zwei Aspekte kurz anführen. Der eine Aspekt ist, dass wir uns natürlich vorstellen und wünschen, dass

sich Europa weiterentwickelt. Auch daran möchten wir gerne mitwirken. Es gab in der letzten Zeit ein paar Dinge, zum Beispiel die erfolgreiche Bürgerinitiative „Right to Water“, auch die neueste Rechtsprechung des EuGH oder auch die gestärkten Befugnisse des Europäischen Parlaments, die ganz und gar im Sinne von uns sind und anhand derer deutlich wird, dass sich Europa sehr stark für die Rechte, für die Persönlichkeitsrechte von Bürgern und Bürgerinnen macht. Das ist ein Europa, wie wir es uns wünschen und wie wir es uns vorstellen.

Es wird auch klar, allein wenn man die Entscheidung zum „Recht auf Vergessen“ gegen das – ich sage einmal – globale Datenmonster betrachtet. Der EuGH hat deutliche Worte gesagt und festgestellt: Wir wollen die Persönlichkeitsrechte der Europäer und Europäerinnen in diesem globalen Markt schützen.

An dieser Stelle wird deutlich, dass wir nicht als Einzelkämpfer in dieser globalen Welt unterwegs sein dürfen, sondern wir wirklich den europäischen Zusammenhalt brauchen und uns gemeinsam auf den Weg machen müssen, um das, was wir als Persönlichkeitsrechte in Deutschland und Europa verstehen, gemeinsam verteidigen zu können und zu wollen. In diesem Sinne wünschen wir uns, dass das Europäische Parlament, der EuGH und alle anderen Organe noch mehr Strukturen erhalten, damit tatsächlich klar wird, sie stehen für die Bürger und Bürgerinnen in Europa und sie entwickeln sich in diesem Sinne weiter.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Noch ein letzter Punkt: Herr Seekatz spricht von Visionen und legt einen Entschließungsantrag zum Thema Türkei vor. Das ist Ihr gutes Recht. Ehrlich gesagt würde ich mir aber unter Visionen ein bisschen was anderes vorstellen.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Pörksen, SPD: Ich auch!)

Ich will auch sagen, seit 2005 gibt es die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei mit offenem Ende. Die Verhandlungen sind mehr als schleppend verlaufen. Ich glaube, das bestreitet niemand in diesem Raum. Ich teile auch die Ansicht, dass sich die Türkei derzeit mehr von Europa entfernt, als dass sie sich Europa nähert. Auch das, was unser Bundespräsident in der Türkei gesagt hat, war mehr als berechtigt. Es gibt aber auch in der Türkei viele Türken und Türkinnen, die sehr europäisch denken und sich eigentlich eine andere Entwicklung in der Türkei wünschen. Es gibt 60.000 Türken und Türkinnen, die in Rheinland-Pfalz leben, die sich auch etwas anderes vorstellen.

Obwohl es schwierig ist, finde ich es letztendlich nicht richtig, dass bei jedem europäischen Thema – lieber Herr Seekatz, wir diskutieren über die rheinlandpfälzische Europastrategie – das Thema Türkei von der CDU mit dem Tenor aufgerufen wird – das ist heute nicht zum ersten Mal, sondern immer wieder so geschehen –, dass jetzt mit den Verhandlungen und einer Vollmitgliedschaft der Türkei Schluss sein soll.

Ich war auf einem großen Europaforum, an dem auch Kommissar Oettinger teilgenommen hat. Er ist schon einmal zitiert worden, aber ich will ihn trotzdem erneut zitieren. Hunderte Menschen waren anwesend, die interessiert hat, was wir alle über Europa denken. Er hat vorausgeschickt, dass er sich in einer krassen Minderheit in seiner eigenen Partei befindet, aber er hat ganz klar gesagt – ich zitiere Herrn Oettinger –: Die Mehrzahl der Kapitel sind noch ungeöffnet in diesem Beitrittsverhandlungsprozess. Entweder ist das Beitrittsangebot für einen Kandidaten glaubwürdig, dann muss man ihn prüfen, testen, ihm eine Chance geben oder das Thema beenden. Was wir machen, ist im Grunde genommen, wir lassen die Türkei im Wartezimmer sitzen. Derzeit sind wir in Wahrheit nicht glaubwürdig, und ich plädiere für die Öffnung der Kapitel, um zu sehen, wie weit die Türkei ist, um dann eine Entscheidung herbeizuführen. –

In diesem Sinne würde ich mir wünschen, dass sich auch die CDU im rheinland-pfälzischen Landtag diesem Votum von Herrn Oettinger anschließt. Er ist ein wohl gelittener Parteifreund. Ich denke, er hat einen sehr guten Eindruck von dem, was in Europa, in der Europäischen Kommission abläuft. Ich glaube, es ist eine mehr als vernünftige Haltung, die Herr Oettinger an den Tag legt.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich glaube, angesichts des Grubenunglücks in der Türkei ist es angemessen, dass ich im Parlament sage, dass natürlich unser Mitgefühl den Opfern, den Angehörigen, Freunden und Freundinnen gilt. Es gibt wahrscheinlich auch viele Rheinland-Pfälzer und Rheinland-Pfälzerinnen mit türkischen Wurzeln oder türkischer Staatsangehörigkeit, die möglicherweise dort Freunde und Angehörige haben. Ich glaube, ich spreche für das ganze Parlament, dass wir sehr betroffen sind und ihnen gegenüber unser Mitgefühl sehr deutlich äußern wollen.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Als Ministerpräsidentin bin ich sehr stolz darauf, dass Europa in Rheinland-Pfalz ganz konkret durch die Zivilgesellschaft gelebt wird, und zwar durch kommunale Partnerschaften, Schulpartnerschaften, Studierendenaustausche usw. Wir haben viele, viele Begegnungen miteinander. Mir ist auch sehr daran gelegen, dass unsere Menschen in Rheinland-Pfalz immer wieder die Chancen, die Europa bietet, wahrnehmen können. Sie haben die Chance, Sprachen zu lernen und an Austauschen teilzunehmen. Ich glaube, es gibt kein besseres Zusammenwachsen in Europa, als dass man permanent in persönlicher Begegnung mit den anderen Kulturen, mit den Menschen zu tun hat. In diesem Sinne wünsche ich mir, dass wir weiter in Europa wachsen. Ich denke, dass wir als Landesregierung da genau die richtigen Impulse setzen.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich weise darauf hin, dass den Fraktionen jetzt noch 6 Minuten Redezeit zusätzlich zustehen. Der CDU stehen, weil noch 30 Sekunden übrig waren, weitere 30 Sekunden zu. – Frau Klöckner hat eine Kurzintervention auf den Beitrag von Frau Dreyer beantragt. Dafür steht Ihnen eine Redezeit von 3 Minuten zur Verfügung.

Frau Ministerpräsidentin, ich bin ganz offen gesagt entsetzt darüber, dass Sie Ihre Rede nicht dazu genutzt haben, um sich ganz klar von dem Vorwurf abzugrenzen, den Ihr Koalitionspartner eben meinem Kollegen, Herrn Ralf Seekatz, an den Kopf geworfen hat, er sei Rechtspopulist, weil er auf die Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei Wert gelegt hat.