Protocol of the Session on August 17, 2011

Ich erteile Frau Kollegin Anklam-Trapp das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Zu Anfang möchte ich mich bei den Kollegen vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ganz herzlich bedanken, dass sie das wichtige Thema der aktuellen Versorgungssituation der Menschen im ländlichen Raum heute auf die Tagesordnung genommen haben. Wir haben uns im rheinland-pfälzischen Landtag im Plenum mit diesem Thema immer wieder beschäftigt. Bei diesem Entwurf der Koalition, der Bundesregierung sehen wir Diskussionsbedarf. Weiterhin sehen wir Verbesserungsbedarf.

Wir haben in Deutschland und natürlich auch in Rheinland-Pfalz das Problem, dass es im ländlichen Raum – gerade an den Stellen, an denen die Infrastruktur nicht gut ausgebaut ist – Probleme mit der Versorgung unserer Menschen gibt.

Wenn Herr Dr. Schmidt die Pflege und die ärztliche Versorgung der Menschen in einem Atemzug nennt, dann wissen wir sicher, dass wir heute über die ärztliche Versorgung sprechen. Wir wissen wir, dass der Pflegesommer von der Bundesregierung angekündigt worden ist. Beide Themen werden Kosten verursachen und sind reformbedürftig. Es ist völlig legitim, beides in einem Atemzug zu nennen. Ich mache das auch bei jeder meiner Reden in diesem Haus.

Wir haben in Deutschland nicht zu wenig Ärzte. Wir haben in Rheinland-Pfalz immer noch eine gute Versorgung, wissend, wie die demografische Lage unserer Ärztinnen und Ärzte ist. Weiterhin wissend, welcher Bedarf bei der Versorgung unserer Menschen auf uns zukommt.

Wir haben viele Anstrengungen unternommen. Unter anderem haben wir 2007 in diesem Haus den Masterplan für die ländliche Versorgung und 2011 die Fortschreibung des Planes auf den Weg gebracht. Nur mit der ständigen Fortschreibung kann das funktionieren.

Wir haben etwa 30 % mehr praktizierende Ärzte in unserem Land als vor 20 Jahren. Dazu muss man einiges ganz klar sagen. Die Gesetzesvorlage des Bundes beinhaltet einige Punkte, bei denen Nachbesserungsbedarf bzw. Diskussionsbedarf besteht.

Um diese Ärzte besser zu verteilen, brauchen wir eine neue Fassung der Zulassungsordnung. Wir müssen eine Modifizierung machen. Wir brauchen die regionale Mitsprache der Landesregierung in irgendeiner Form. Ich vermute, dafür werden alle Länder plädieren. Wir müssen zwischen städtischen und ländlichen Bereichen trennen. Zukünftig wird es noch schwieriger werden, es einfach gießkannenartig zu verteilen. Wir plädieren deswegen für eine engere Fassung.

Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es ist dringend angebracht, dass wir eine Aufteilung zwischen vollen und halben Zuteilungen vornehmen. Gerade im psychotherapeutischen

Bereich sind viele Praxen nur halb belegt, aber die Kassenstelle ist damit voll ausgeschöpft.

(Zuruf des Abg. Dr. Rosenbauer, CDU)

Wir brauchen ein gebührenfreies Studium. Dabei ist die rheinland-pfälzische Landesregierung unter Ministerpräsident Kurt Beck bzw. deren Politik wirklich vorbildlich. Ein entsprechendes Medizinstudium gibt es mittlerweile in einigen Ländern. Wir brauchen eine Ausbildung, die bezahlbar ist. Das gilt für die Studierenden, die dieses Fach studieren möchten. Wir brauchen eine Zugangsveränderung zum Studium. Wir müssen in einem Auswahlverfahren die Studierenden zu dem Medizinstudium bewegen, die nachher kurativ tätig sein wollen. Etwas mehr als die Hälfte, 60 %, werden kurativ tätig, arbeiten also am Patienten, am Menschen. Viele gehen in die Forschung oder in die Pharmaindustrie. Das ist ihr gutes Recht. Das ist aber ein Problem, das wir bei der Versorgung im ländlichen Bereich und in den Krankenhäusern merken.

Ich habe die folgende Zahl aus der großen deutschen Sonntagszeitung entnommen. Ich möchte die Quelle aus dem Statistischen Bundesamt zitieren: 95 % der Medizinstudenten mit einem Studienbeginn 2000 haben ihr Studium erfolgreich abgeschlossen. In den Fächergruppen Mathematik/Naturwissenschaften waren es nur 66 %. – Wie schön wäre es, wenn die 95 %, die Medizin studiert haben, danach als Arzt, in welcher Form auch immer, praktisch tätig werden würden.

Aber ich möchte nicht wie Herr Dr. Rosenbauer nur Probleme aufzeigen, sondern ich möchte nach Lösungsvorschlägen suchen. Das ist das, was wir als Länder einbringen sollten, wenn ein Referentenentwurf auf dem Tisch liegt. Das sollte der Ansatz sein.

Meine Damen und Herren, die Kosten sind eine wichtige Frage. Hier wird eine Finanzierungsgrundlage aufgebracht, die einseitig von den Versicherten, nämlich zu 90 %, zu tragen ist. Die Presse schätzt die Kosten zwischen 300 Millionen Euro bis in die Milliarden hinein.

(Glocke des Präsidenten)

Darüber müssen wir uns in der zweiten Runde noch einmal unterhalten. Ich plädiere dafür, über die Frage nachzudenken, wie wir solidarisch die gesundheitliche Versorgung der Menschen sicherstellen können.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Frau Staatsministerin Dreyer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Herr Dr. Rosenbauer,

Sie und alle anderen Kolleginnen und Kollegen aus dem früheren Parlament wissen ganz genau, dass das Thema pflegerische und gesundheitliche Versorgung vor allem auf dem Land eines der großen prioritären Themen der Landesregierung war und jetzt noch ist. Deshalb bin ich der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN außerordentlich dankbar, dass wir heute in dieser Aktuellen Stunde darüber diskutieren dürfen.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Rosenbauer, CDU: Das habe ich Ihnen nie zum Vorwurf gemacht!)

Ich habe ein gutes Verhältnis zu meinen Kollegen in Sachsen. Dass Sie uns in Konkurrenz zu Sachsen stellen, nehme ich Ihnen persönlich übel. Die Sachsen haben lange nicht so schnell wie wir einen Masterplan aufgestellt bzw. entwickelt. Ich will diese Geschichte nicht immer wieder aufrollen. Natürlich waren wir das erste westdeutsche Bundesland, das einen Masterplan entwickelt hat. Natürlich stimmt das, was Herr Abgeordneter Dr. Schmidt gesagt hat, dass viele dieser Einzelmaßnahmen, die heute im Versorgungsgesetz stehen, schon lange in unserem Masterplan zu finden waren. Dabei ist zum Beispiel die Abstaffelung im ländlichen Raum zu nennen. Weiter sind die Themen „Vertretungsmöglichkeit“ und die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ zu nennen.

(Dr. Rosenbauer, CDU: Habe ich gar nicht in Abrede gestellt!)

All das, was im Bundesgesetz jetzt steht, ist Praxis in Rheinland-Pfalz. Wir finden es richtig, dass es bundesweit so kommt und möglich wird. Man kann nicht behaupten, dass das der große Wurf ist.

Ich möchte nicht auf die Masterpläne von 2007 und 2011 eingehen und auch nicht auf das, was wir in Zukunft in Rheinland-Pfalz planen, zum Beispiel die stationäre Krankenhausversorgung.

Ich möchte natürlich auf das Versorgungsstrukturgesetz eingehen, weil Sie genauso gut wissen wie ich, dass wir in unserem Land viel bewegen können, aber vernünftige Rahmenbedingungen sind im Gesundheitswesen unabdingbar. Diese werden beim Bund gemacht. Es ist von ganz besonderer Bedeutung, wie der Bundesgesetzgeber mit diesem Thema umgeht.

Meine sehr geehrten Herren und Damen, da kann ich leider nur feststellen, dass das, was die schwarz-gelbe Koalition auf Bundesebene bislang geleistet hat, nicht nur deprimierend wenig ist, sondern alarmierend in die total falsche Richtung geht.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An dieser Stelle fühle ich mich im Übrigen von der Mehrheit der Bevölkerung bestätigt.

(Dr. Rosenbauer, CDU: Sie haben doch eben gesagt, da steht – – –)

Sicher haben Sie wie auch ich das Politbarometer der letzten Woche verfolgt. Beim Thema „Gesundheitspolitik“ wurde der bisherigen Arbeit der Bundesregierung von 74 % der Befragten ein miserables Zeugnis ausgestellt. Das kommt nicht von ungefähr.

Meine sehr geehrten Herren und Damen, ich möchte zwei bis drei Punkte nennen, die aus meiner Sicht wesentlich sind. Die Koalition hat den ersten Aufschlag mit der sogenannten „Rösler-Reform“ gemacht. Ich nenne sie so, da sie so im Volksmund bezeichnet wird. Diese Reform hat für die Versorgung der Bürger und Bürgerinnen nichts gebracht. Wir haben durch diese Reform keinen einzigen Schritt nach vorne gemacht. Wir haben aber schlimme Schritte rückwärts gemacht. Mit der „Rösler-Reform“ ist die Kopfpauschale eingeführt worden. Damit ist der Weg in die Privatisierung des Gesundheitswesens eröffnet worden.

Das heißt, ein Konsens, der über viele Jahrzehnte in Deutschland Standard war, dass nämlich die größten Gesundheitsrisiken in Deutschland solidarisch abgesichert werden und nicht auf die Kappe und zulasten der Versicherten und vor allem derjenigen, die wenig verdienen, geht, ist aufgegeben worden. Sie haben das auch noch für gut befunden hier in diesem Parlament.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Leider ist die Fraktionsvorsitzende der CDU jetzt gerade nicht hier.

(Bracht, CDU: Der von der SPD auch nicht!)

Es hätte mich aber schon einmal interessiert, wie sie zu dieser Frage steht.

(Bracht, CDU: Und von den GRÜNEN auch nicht!)

Als die Rösler-Reform verabschiedet worden ist, war Julia Klöckner noch Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Sie war bei der Abstimmung nicht dabei. Das kann persönliche Gründe haben. Das will ich überhaupt nicht bewerten. Aber interessant wäre schon, wie sie eigentlich zu dieser Frage steht. Ich kenne nur Äußerungen, die etwa aus dem Jahr 2003 stammen, als sie noch der jungen Gruppe der CDU angehört hat, in denen formuliert worden ist, dass die Krankenversicherung nach der altbekannten Kopfpauschale der CDU in Zukunft finanziert werden soll und die großen Lebensrisiken nur noch die großen Themen in der Krankenversicherung abdecken sollen, aber nicht alle anderen Lebensrisiken.

(Frau Ebli, SPD: Unglaublich!)

Natürlich gehört es dazu, wenn eine CDU im Landesparlament zu Gesundheitsthemen auftritt, dass wir von ihr erfahren, wie Sie zu dieser sehr, sehr grundsätzlichen Frage stehen, ob sie nämlich zum solidarischen Gesundheitssystem stehen oder den Weg der Privatisierung, wie er auf Bundesebene eingeschlagen wird, unterstützt, ob das also auch Ihre Meinung hier im rheinland-pfälzischen Landtag ist.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass dieser neue Gesetzentwurf so schnell einen Bezug zur „RöslerReform“ hat, aber der Kollege Schmidt hat es schon angesprochen. Am 3. August wurde dieser Gesetzentwurf im Bundeskabinett verabschiedet. Dazu gab es eine Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums, die in die Richtung geht – ich könnte es auch zitieren, ich will es aber nicht, weil es zu lang ist –, dass völlig unklar wäre, wie hoch eigentlich die Mehrkosten bei diesem Gesetz ausfallen werden.

Es ist dann von Herrn Minister Schäuble sozusagen eine Anmerkung gemacht worden, die nach meiner Meinung nichts anderes als eine Ohrfeige dem Bundesgesundheitsminister gegenüber ist, nämlich in dem Sinn, dass es eine Evaluierung unterschiedlicher Maßnahmen geben soll bezogen auf die Kostensteigung bis zum Jahr 2014. Der Bundesfinanzminister hat bei diesem Gesetzentwurf auch angefügt – ich zitiere –: „Sollte sich ein Kostenanstieg zeigen, der Mehrausgaben des Bundes für den Sozialausgleich bewirkt, soll dies bei den Zahlungen des Bundes für den Sozialausgleich mindernd berücksichtigt werden.“ Was heißt das bitte im Klartext? Es heißt im Klartext, dass die Bundesregierung davon ausgeht, dass dieser Gesetzentwurf zu erheblichen Mehrkosten führen wird. Es heißt darüber hinaus im Klartext, dass diese Mehrkosten ausschließlich von den Versicherten zu bezahlen sind, weil es inzwischen die Kopfpauschale gibt.

Aber noch schlimmer: Als die Kopfpauschale eingeführt worden ist, habe ich mir hier angehört, dass sie sozial ausgeglichen wird und alles nicht so schlimm ist. Der Bundesfinanzminister hebelt dieses Instrument aber aus, bevor es überhaupt in Kraft getreten ist. Das heißt, der Sozialausgleich wird in dieser Form überhaupt nicht kommen. Der Sozialausgleich ist abhängig von Steuereinnahmen. Der Finanzminister hat dem Bundesgesundheitsminister ganz klar ins Stammbuch geschrieben, wenn es zu Mehrausgaben kommt, wird weniger Geld für den Sozialausgleich zur Verfügung stehen. Meine sehr geehrten Herren und Damen, ich sage sehr deutlich, die Zeche zahlen hier volle Pulle die Versicherten. Es ist absolut unsozial, was in diesem Gesetz steht.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich kritisiere den Gesetzentwurf auch inhaltlich – das sage ich an dieser Stelle hier auch noch einmal sehr ehrlich – nicht, weil ich die Maßnahmen, die ich genannt habe – Vereinbarkeit von Familie und Beruf, flexiblere Bedarfsplanung, stärkere Mitwirkung der Länder usw. – als einzelne Maßnahmen nicht für richtig und wichtig halte, sondern weil ich die Erwartung an den Bundesgesundheitsminister und an eine Bundesregierung habe, dass sie über Einzelmaßnahmen hinaus auch konzeptionelle Vorstellungen davon hat, wie man die Versorgungsfrage in der Zukunft eigentlich löst. Das wird man mit diesen Einzelmaßnahmen nicht können.

Es sind viele Sachen angesprochen worden, aber wenn wir uns nicht trauen, wenn wir so mutlos sind wie diese Bundesregierung in Sachen Gesundheit und nicht deutlich sagen, dass wir über eine neue Aufgabenverteilung in der Medizin und in der Pflege diskutieren, wenn wir

nicht deutlich sagen, dass wir eine Angleichung der Honorare zwischen der PKV und der GKV brauchen, weil es ansonsten natürlich keinem Arzt zu verübeln ist, dass er in die Ballungsräume zieht, wo viele PKVVersicherte sind, schlicht und ergreifend, weil er dort auch erheblich mehr Honorare bezahlt bekommt, dann ist das doch nicht die Schuld des Arztes. Das ist ein Systemfehler. Wenn wir nicht den Mut haben, diesen Systemfehler zu korrigieren, werden wir es auch nicht verhindern können, dass Ärzte tendenziell stärker in Ballungsräume ziehen als in den ländlichen Bereich.