Protocol of the Session on January 27, 2014

................................................................................................................ 4256 Herr Hesdörfer............................................................................................................................................. 4247 Präsident Mertes:......................................................................................................................................... 4245

65. Plenarsitzung am 27. Januar 2014 aus Anlass

des Gedenktages für die Opfer

des Nationalsozialismus

B e g i n n d e r S i t z u n g: 10:03 Uhr.

Musik

„Fryling“

(Jiddischer Tango, Musik: Abraham Brudno, Text: Shmerke Kaczerginski)

Ensemble Dreydele

(Beifall im Hause)

Begrüßungsansprache

des Landtagspräsidenten Joachim Mertes

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste, vor allen Dingen, lieber Herr Hesdörffer. Wir haben Sie als Gast, als Zeitzeugen zu dieser Plenarsitzung heute an diesem 27. Januar eingeladen, der uns so viel bedeutet im Nachdenken über die Opfer und die Täter.

Sie, Herr Hesdörffer, haben die Verfolgungsgeschichte erlebt, die vor 75 Jahren für Sie begann. Sie waren 16 Jahre alt. Erst sechs Jahre später wurden Sie befreit.

Damals, so haben Sie es erzählt, haben kanadische Kriegsgefangene Sie auf einen Lastwagen gezogen, einen jungen ausgemergelten Mann, erschöpft, der durch fünf Konzentrationslager in Europa getrieben worden war, der Auschwitz – was für ein furchterregender Name – überlebt hatte. Dieses Lager wurde genau an diesem Tag, am 27. Januar 1945 von der Roten Armee befreit. Ihr Bruder ist dort durch die Nazis ermordet worden. Ihre Mutter und Ihr Onkel wurden ermordet.

Sie haben dann Deutschland verlassen, sind nach Südafrika ausgewandert und haben Ihre Geschichte 1947 aufgeschrieben, aber nicht veröffentlicht. Es war sicher ein schwieriger Schritt. Vor einigen Jahren sind Sie nach Deutschland zurückgekommen. Das war nicht selbstverständlich.

Sie haben in Ihrer Heimatstadt Bad Kreuznach das Bildungswerk Heinz Hesdörffer ins Leben gerufen. Es waren einige junge Leute um Sie herum, mit denen Sie zusammen einen Film aufgenommen haben. Sie sind dabei in Europa 14.000 Kilometer mit einem „Bulli“, also einem VW-Bus, an die Stätten gefahren, an denen Sie vorher gelitten haben. Sie haben den jungen Leuten vor laufender Kamera erzählt, was geschehen ist, und haben die Orte erklärt.

Wir begrüßen diese jungen Leute, von denen einige heute anwesend sind.

Schön, dass Sie heute hier sind und dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit Herrn Hesdörffer dieses

Projekt durchzuziehen und die beeindruckende Dokumentation zu erstellen. Herzlichen Dank dafür!

(Beifall im Hause)

Herr Hesdörffer, Sie sind der Zeitzeuge, der uns etwas erzählen kann, der es erlebt hat – nicht wie wir, die es lesen und erzählt bekommen haben.

Es ist ein Zeichen ganz besonderer Versöhnung, wenn ein Zeitzeuge, der so gelitten hat, zu uns kommt, mit uns reden und uns deutlich machen will, dass wir dazu beitragen können, dass es sich nicht wiederholt. Herzlichen Dank dafür!

Nun sind Sie – ich darf dies sagen – inzwischen eher ein älterer Herr, und – ich muss es sagen – es ist unglaublich, mit wie viel Kraft Sie beim ersten Mal hier aufgetreten sind, als wir uns umgeschaut, die Technik ausprobiert haben und mit wie viel Kraft Sie immer wieder in Schulen gehen.

Meine Damen und Herren, das ist kein einzelner Auftritt. Dafür kann man Ihnen nur danken; denn das ist das Zeugnis, das notwendig ist, jungen Leuten das Geschehene noch einmal klarzumachen.

Heute Morgen um 08:00 Uhr, das ist die übliche Zeit, ging ich als Dorfbürgermeister von Buch in das Rathaus. Da traf ich eine Schulklasse, die die Stolpersteine, die vor dem Rathaus sind, von einem Lehrer erläutert bekommen hat. Das heißt, Gedenken und Erinnern findet heute vielfältig statt, und man informiert die jungen Leute.

Meine Damen und Herren, wir sind zusammengekommen, um an diejenigen zu denken, die in den furchtbaren Jahren Opfer des Rassenwahns und der Tötungsmaschine geworden sind.

Ich begrüße die Vertreter der Opfer: Für die jüdischen Gemeinden in Rheinland-Pfalz begrüße ich den Vorsitzenden des Landesverbandes, Herrn Avadislav Avadiev. Ich darf auch Herrn Jacques Delfeld für den Landesverband der Sinti und Roma begrüßen.

Ganz besonders begrüße ich und freue mich, weil er schon so oft bei uns war, dass Monsignore Klaus Mayer, Ehrenbürger der Stadt Mainz, wieder bei uns ist. Sie haben uns auch schon an diesem Pult über Ihre Verfolgung berichtet.

Ich freue mich, dass von der Evangelischen Kirche Herr Dr. Thomas Posern und von der Katholischen Kirche Herr Ordinariatsdirektor Dieter Skala anwesend sind.

Ich begrüße die Vertreterinnen und Vertreter der Gedenkstätten, von Vereinen, Arbeitsgemeinschaften und Initiativen im Land, die sich der Gedenkarbeit widmen. Sie tragen in vorbildlicher Weise dazu bei, dass die Erinnerung nicht verblasst.

Meine Damen und Herren, vor Ihnen steht jemand, der noch weiß, dass in seiner Jugend das Thema absolut tabu war. Die Regierungen und Parlamente haben sich nicht darum gekümmert. Es brauchte Initiativen, Men

schen, die bereit waren, es zu tun. Gerade jemand, der wie ich aus dem Trierer Raum kommt, wusste immer, was Hinzert war. Wenn Sie einen Luxemburger fragen, der weiß es auch. Wir müssen es weitergeben, damit die anderen es auch wissen.

Ich freue mich, dass Frau Oberbürgermeisterin Dr. Heike Kaster-Meurer und Herr Landrat Franz-Josef Diel aus Bad Kreuznach zu uns gekommen sind, die das Bildungswerk von Heinz Hesdörffer ganz besonders unterstützen.

Ich freue mich, dass ich vom Diplomatischen Corps unsere geschätzte Botschafterin der Republik Ruanda, Madame Christine – ich wage nicht, den Nachnamen auszuprobieren, obwohl ich es versucht habe –, und den stellvertretenden Generalkonsul der Russischen Föderation, Herrn Pyatin, begrüßen kann. Seien Sie uns herzlich willkommen!

Ich freue mich, dass Sie, Frau Ministerpräsidentin, mit den Mitgliedern des Kabinetts bei uns sind, auch dass der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Herr Dr. Brocker, sowie der Bürgerbeauftragte Dieter Burgard, der auch eine kleine Geschichte über Gedenkarbeit erzählen kann, bei uns sind. Herr Burgard hat sich dabei jahrelang ehrenamtlich engagiert und tut es noch immer.

Dann begrüße ich natürlich Sie, meine Damen und Herren, die Damen und Herren Abgeordnete, die bei dieser besonderen Sitzung immer sehr vollzählig anwesend sind.

Wir haben auch noch Gäste, die wir gar nicht sehen können, die uns aber sehen können, Schülerinnen und Schüler der Sophie-Scholl-Schule aus Mainz und des Sebastian-Münster-Gymnasiums aus Ingelheim. Sie sind im Wappensaal und schauen uns sozusagen per Kamera zu. So viel Platz haben wir hier nicht.

Die Musik, die wir eben hörten, kam vom Ensemble Dreydele aus Bad Kreuznach. Meine Damen und Herren, wir haben uns verabredet, Ihnen Beifall zu spenden. Obwohl dies eigentlich eine Gedenksitzung ist, bei der es vielleicht nicht üblich ist – dieses ungute Gefühl, das viele haben, soll ich oder soll ich nicht –, haben wir dies hier vorne schnell gelöst. Ich habe mich mit meinen Kollegen von der CDU rückgekoppelt, und wir waren uns einig, wir machen das für die Arbeit, die Sie gemacht haben, für das, was Sie uns vorgespielt haben, für das, was Sie eingeübt haben.

Herzlichen Dank für Ihre Musik. Es sind Melodien von Menschen, von mindestens sechs Millionen Menschen, die es heute nicht mehr gibt.

Meine Damen und Herren, im Gedenken an die Opfer bitte ich Sie, sich von den Plätzen zu erheben:

(Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen)

Wir denken an Frauen und Männer, an Mädchen und Jungen, an Großmütter und Großväter.

Sie waren Juden, Sinti und Roma, Angehörige slawischer Völker und anderer Minderheiten.

Sie waren Zwangsarbeiter und politische Gefangene, Sozialdemokraten, Zentrumsmitglieder, Kommunisten und Gewerkschafter.

Sie waren überzeugte Christen oder Zeugen Jehovas.

Sie waren Behinderte, geistig Behinderte oder psychisch Kranke.

Sie waren Homosexuelle oder Vertreterinnen der Frauenbewegung.

Wir denken an die Kriegsgefangenen und an die vielen anderen Menschen, die nicht mehr leben durften, weil sie in den Augen ihrer Mörder als „minderwertig“ galten.

Ganz besonders denken wollen wir an die verfolgten Kinder und Jugendlichen. Ihr Leben war schon zu Ende, ehe es richtig begonnen hatte. Die, die überlebten, waren herausgerissen aus ihren Familien, ihre Kindheit wurde jäh beendet.

Wir gedenken und erinnern uns an das, was nie mehr kommen darf.