Protocol of the Session on July 4, 2013

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Ich will Ihnen sagen, warum ich ein Stück weit von dem enttäuscht bin, was Sie hier vorgetragen haben und was darin steht, Frau Anklam-Trapp.

Ich fange bei den 125.000 neuen Pflegeplätzen an. Ich muss sagen, es sind jetzt 5 Minuten und nachher noch einmal 2 Minuten Redezeit.

Ich würde gerne tiefer einsteigen, aber ich konzentriere mich auf diese simple Antwort, die Sie für die Pflegemisere geben. Wissen Sie, Sie hätten auch 250.000 Stellen reinschreiben können. Das hätte Sie keinen Euro mehr gekostet.

(Zuruf des Abg. Pörksen, SPD)

Wir haben nämlich heute schon mehrere Tausend Stellen in der Pflege, bei denen man händeringend die Pflegekräfte sucht, um sie besetzen zu können.

(Beifall der CDU)

Das ist das Hauptproblem, was wir in der Pflege haben. Ich sage Ihnen, zu diesem Hauptproblem sagen Sie so gut wie nichts.

(Zuruf des Abg. Pörksen, SPD)

Wenn Sie gesagt hätten, wir wollen die Träger in die Lage versetzen, Pflege besser zu organisieren, dann hätten wir darüber reden können. Aber einfach 125.000 Stellen reinzusetzen und sich nicht anzuschauen, wo die Probleme liegen, ist, denke ich, zu oberflächlich, um den Menschen wirklich Sicherheit zu geben, die darauf hoffen, dass sie im Alter gut versorgt und gepflegt werden.

(Beifall der CDU – Pörksen, SPD: Das sagt gerade die Richtige!)

Ich sage Ihnen, ich habe großen Respekt vor den Menschen, die Pflege im ambulanten und im stationären

Bereich erbringen. Sie erbringen tagtäglich einen hoch anerkennenswerten Job, nein, das will ich nicht sagen, das klingt ja fast abwertend, sondern eine wirklich hoch emotional und physisch belastende Arbeit, die unser aller Respekt verdient.

Aber diese Menschen suchen sich auch aufgrund der schwierigen Bedingungen in diesen Arbeitsplätzen Möglichkeiten, einer anderen Arbeit nachzugehen. Wir erleben heute Rückmeldungen aus der Praxis, die darauf hinweisen, dass die Verweildauer einer neu ausgebildeten Fachpflegekraft von 9,5 Jahren auf 6,9 Jahre vor drei oder vier Jahren heruntergerutscht ist. Mittlerweile sagen mir Kräfte aus der Pflege, dass die Verweildauer im stationären Bereich dieser zum Teil auch mit viel Geld und mit viel persönlichem Aufwand ausgebildeten Menschen tatsächlich nur noch 3,9 Jahre in der stationären Pflege ist. Das ist wirklich ein Drama. Ich denke, da kommen wir jetzt wieder ein Stück weit zusammen, Frau Anklam-Trapp.

Wir müssen uns wirklich die Arbeitsbedingungen in der Pflege ansehen, vor allen Dingen in der stationären Pflege. Auch wir wollen da keine Minutenpflege mehr. Die war und ist unmenschlich. Dies müssen wir verändern. Auch wir, die CDU/CSU, fordern mehr Geld für die Pflegeversicherung, um genau diese Dinge zu verbessern.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Auch wir gehen davon aus, dass wir eine moderate Steigerung des Pflegebeitrages brauchen, weil in das System mehr Geld hineinkommen muss. Da müssen wir aber auch hinschauen. Frau Ministerin Dreyer, da ist meine zweite große Enttäuschung, dass auch das Land durchaus hohe Verantwortung hat, wenn es darum geht, hinreichend Pflegekräfte für die Pflege auszubilden und bereitzustellen und dann diese Rahmenbedingungen, die Pflegestruktur, zu schaffen.

(Pörksen, SPD: Sie ist inzwischen Ministerpräsidentin, falls Sie das nicht gemerkt haben!)

Da schaue ich einmal hier in dieses Papier. Da ist ganz viel von der Bundesverantwortung die Rede. Sie sprechen auch die Kommunen an. Wir finden auch das Thema „Gesundheitsförderung“. Rehabilitation muss vor Pflege gehen. Da können wir ganz Vieles unterstreichen. Da steht auch Vieles drin, worüber es schon sehr lange einen breiten Konsens gibt. Schauen Sie sich aber die Ausbildung an. Auch hier haben wir letztens noch Zahlen von Herrn Sozialminister Schweitzer bekommen. Hier hält die Besetzung der Ausbildungsstellen nicht mit dem Bedarf mit. Ausbildungsstellen bleiben unbesetzt.

(Beifall der CDU)

Das haben wir schwarz auf weiß vom Minister bekommen. Lassen Sie uns wirklich zusammen nach den Ursachen schauen. Lassen Sie uns analysieren, woran es liegt, dass Menschen, die gerne pflegen würden, die gern in den Beruf möchten – das ist ein Pfund –, es nicht tun. Diese Menschen müssen wir gewinnen, und wir

müssen sie auch in der Pflege halten. Das ist die Herausforderung, die wir haben.

(Glocke des Präsidenten)

Dazu müssen die Arbeitsbedingungen besser werden, und dazu muss auch die Ausbildung besser auf die Praxis abgestimmt werden. Dazu würde ich gern gleich in der zweiten Runde noch etwas sagen.

Danke schön.

(Beifall der CDU)

Herr Kollege Konrad, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sind auch bei der Pflege in dem Moment im Wahlkampf angekommen, in dem wir uns an parteipolitischen Papieren abarbeiten, Frau Thelen. Wir müssen aber doch einmal sehen, die Rahmenbedingungen der Pflege sind jetzt seit sieben Jahren auch in der Mitverantwortung Ihrer Partei auf Bundesebene. Sie hatten zwar beide Male die direkte Verantwortung an Ihren jeweiligen Koalitionspartner abgegeben, das entbindet Sie aber nicht davon zu begründen, wieso Sie nach sieben Jahren Forderungen aufstellen, die nur in der Verantwortung der Bundesregierung hätten umgesetzt werden können.

Sie haben richtig analysiert, grundlegend ist zunächst einmal, dass sich Menschen für den Pflegeberuf interessieren, sie diesen Beruf ergreifen und auch weiterführen wollen. Dafür wiederum ist es wichtig, dass das Umfeld, in dem die Pflege stattfindet, so ist, dass die Menschen auch über längere Zeit in diesem Beruf tätig sein wollen. Dazu gehört ein ausreichendes Einkommen. Dazu gehören anständige und gute Arbeitsbedingungen. Das Letztere ist wahrscheinlich noch wichtiger. Auch an dieser Stelle hat die Bundesregierung nichts dazu beigetragen, die Pflege aufzuwerten.

Vielmehr ist es so, dass es zu einer Verbrüderung zwischen den konservativsten Ärzteverbänden und dem Bundesgesundheitsministerium dahin gehend gekommen ist, dass man die Bürgerversicherung verhindern will und man den privaten Versicherungsanbietern Marktchancen einräumen will, man aber andererseits alles im Gesundheitswesen von der Verantwortungsstruktur her so lässt, wie es ist. Dann dürfen zwar einige Pflegekräfte akademische Abschlüsse anstreben und erwerben, aber die Letztverantwortung des Arztes im Gesundheitswesen wird nicht angetastet. So werden Sie weder die Versorgung auf dem Land noch die Aufwertung der Pflege in irgendeiner Weise erreichen können.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Da liegt ein Grundproblem unseres Gesundheitswesens. Man hat es auch bei dem Gesundheitsstrukturgesetz

nicht geschafft, wirklich dafür zu sorgen, die Verantwortung bis auf einige Projekte stärker in die Hände der Pflegenden und anderer Gesundheitsberufe zu legen. Wenn Sie als junger Mensch diesen Beruf ergreifen wollen und nicht die entsprechenden Berufsaussichten haben, was die Karriere und auch die Eigenverantwortung angeht – Sie wissen, dass da in den Krankenhäusern etwas passieren muss –, dann werden Sie es nicht schaffen, dass die Menschen, die in ihrem Leben etwas erreichen wollen, sich für diesen Beruf entscheiden.

Hier spielen Zeitbelastung, Bürokratie und die Frage eine Rolle, ob man die Rente mit 67 in diesem Beruf überhaupt erreichen kann, die Frage, ob das Einkommen ausreichend ist, eine Familie damit zu ernähren, und die Frage, ob man Entscheidungen so eigenverantwortlich treffen kann, dass man die Pflege auch so durchführt, wie man es gelernt hat, oder ob man davon abhängig ist, dass ein Arzt, der seinen ersten Arbeitstag hat, glaubt, dass man das, was man in 20 Jahren Pflege erlernt und als richtig erlernt hat, ändern muss, weil der junge Arzt meint, das hat er von der Universität anders mitgebracht. Da brauchen wir doch eine andere Zusammenarbeitsstruktur. Das ist uns doch allen klar. Und wir brauchen weniger Belastung.

Sie haben jetzt die Landesregierung angesprochen. Unter der Verantwortung der früheren Sozialministerin und jetzigen Ministerpräsidentin wurde das Branchenmonitoring – ich glaube, das haben Sie auch erwähnt – auf den Weg gebracht. Es ist klar geworden, dass wir einen erheblichen Mangel vor allem in der Erwachsenenkrankenpflege und in der Altenpflege bis 2020 zu erwarten haben. Jetzt ist die Initiative auf den Weg gebracht worden, dass die Zahl der Ausbildungsplätze erhöht wird. Das ist auch erfolgreich. Sie waren gestern bei dem Dachverband der Pflegeorganisationen dabei, die das bestätigt haben. Gut läuft, dass die Klassengrößen vergrößert werden können.

Schwierigkeiten bestehen noch dort, wo die Praxisanleitung umgesetzt werden muss, Das alles ist bekannt. Da sind wir auf einem guten Weg. Sie wissen auch, dass es nicht nur die Verantwortung der Landesregierung ist, sondern auch der Träger, die sich über eine längere Zeit davon verabschiedet haben, ihren eigenen Nachwuchs ausreichend auszubilden, weil man gedacht hat, man kann das entweder von außen nachfüllen oder dass nicht ein so hoher Bedarf entstehen wird.

Conclusio wäre an dieser Stelle: Auf der Landesebene ist mit einer wissenschaftlichen Analyse, einer verlässlichen Prognose und den entsprechenden Maßnahmen zur verstärkten Ausbildung das Notwendige auf den Weg gebracht. Im Bund brauchen wir die entsprechenden Rahmenbedingungen. Da werden wir sehen, wer dafür in den nächsten vier Jahren die Verantwortung trägt.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das Wort hat der Herr Sozialminister Schweitzer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen des Landtags! Es ist gut, wenn wir über die Pflege sprechen. Das ist immerhin schon einmal etwas, worauf wir einigermaßen stolz sein sollten, weil das sozusagen, wenn wir das in Form einer Aktuellen Stunde tun, deutlich macht, dass wir diese Zukunftsherausforderung, die auf unsere Gesellschaft zukommt, gemeinsam als solche verstanden haben und wir auch daran interessiert sind, dass wir insbesondere bei den Menschen, die selbst von Pflege betroffen sind oder die Angehörige haben, die in der Pflege als Betroffene sind, oder selbst in den Gesundheitsfachberufen mit Pflege professionell zu tun haben, ihnen gegenüber deutlich machen, dass sie im Fokus der Politik stehen.

Die Zahlen, die wir gemeinsam über die statistischen Erhebungen aufnehmen können, machen uns deutlich, dass diese Notwendigkeit, uns mit Pflege zu beschäftigen, nicht nachlassen wird. Wir haben zurzeit in Deutschland 2,5 Millionen Menschen, die in den unterschiedlichen Stufen pflegebedürftig sind. Wir werden bis 2030 erleben, dass es mehr als 3 Millionen Menschen in Deutschland sein werden. 2050 werden es schon 4 Millionen Menschen sein.

Hinzu kommt, dass wir bis 2060 eine Verdoppelung der Menschen in der Pflege haben werden, die in irgendeiner Form demenziell erkrankt sind. Das sind zurzeit 1,2 Millionen Menschen. Das heißt, wir werden in den nächsten wenigen Jahren 2,4 Millionen Menschen haben, die in der Pflege als Bewohnerinnen und Bewohner von Einrichtungen, in ambulanten Einrichtungen oder zu Hause gepflegt werden und von dieser besonderen Herausforderung der Demenz betroffen sind.

Wir haben in Rheinland-Pfalz schon vor vielen Jahren – 2002 mit neuen Schritten, 2005 mit dem Landesgesetz zur Sicherung und Weiterentwicklung der pflegerischen Angebotsstruktur – auf diesen Trend, der damals noch nicht so prominent besetzt war und noch nicht so sehr im Fokus aller Debatten stand, reagiert. Es war Malu Dreyer, die dazu beigetragen hat, dass dieses Thema noch häufiger auf die Tagesordnung auch unserer Debatten kam. Wir haben damals mit diesem Gesetz die Voraussetzung dafür geschaffen, dass es eine Unterstützung bei der kommunalen Pflegestrukturplanung gibt und die Pflegestrukturplanung auch Sache der Kreise und der kreisfreien Städte ist.

Wir haben darüber hinaus auch landespolitisch die ersten Weichenstellungen dafür vorgenommen, dass die ambulanten Angebotsformen gestärkt werden und der Bedarf befriedigt wird, der damals schon bei vielen Menschen vorhanden war. Sie sagen, wenn sie sich in der Altenhilfe umschauen: Ich möchte nicht unbedingt in eine stationäre Einrichtung, egal welcher Größe, sondern ich möchte da bleiben, wo ich bin; ich möchte zu Hause gepflegt werden oder in einer kleineren Wohn

form. – Wir haben schon damals die ersten Voraussetzungen dafür geschaffen und das begleitet, auch durch eine Servicestelle für kommunale Pflegestrukturplanung bei der LZG.

Wir haben inzwischen 135 Pflegestützpunkte in Rheinland-Pfalz: eine engmaschige, wohnortnahe und niedrigschwellige Angebotsstruktur, die Sie, liebe Frau Thelen – das wissen Sie, weil Sie bei diesem Thema wirklich gut unterwegs sind –, in keinem anderen Land finden werden. Darauf gilt es aufzubauen. Es ist gut, dass sich jetzt die SPD und Malu Dreyer in einem Papier mit der Pflege beschäftigen.

Frau Thelen, das muss ich Ihnen schon sagen: Das wissen Sie doch sehr viel besser. Natürlich muss man in einer Debatte, wenn man für die Opposition spricht, manches verkürzen. Aber ich finde, als Abgeordneter muss man immer aufpassen, dass man das nicht so verkürzt, dass es einem am Ende auf die Füße fällt. Wider besseres Wissen sollte man auch als Oppositionsabgeordnete nicht sprechen, zumal in einem solchen Bereich, auf den viele Menschen schauen und sich überlegen: Wie geht die Politik mit diesem Thema um?

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich möchte hinzufügen, dass wir es über die Pflegestützpunkte schaffen, Menschen auch zu Hause zu beraten, nicht nur vom Schreibtisch aus. Wir beraten sie über Pflegeformen und -angebote bis zu den technischen Voraussetzungen, die geschaffen werden müssen, damit man sich zu Hause das Bad und das Wohnzimmer – den Lebensraum allgemein – so einrichtet, dass man möglichst lange da leben kann. Sie wissen, dass uns dieses Angebot auf der Landesebene und auf der kommunalen Ebene ein hübsches Sümmchen kostet. Aber wir wissen, es ist unverzichtbar, und wir wollen es erhalten.

Insofern ist es gut, wenn wir in Rheinland-Pfalz das mit all den Erfahrungen, die wir machen, und all den Möglichkeiten, die wir haben, als Vorreiter bundesweit aufzutreten, in die bundespolitische Debatte einbringen. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Malu Dreyer und Peer Steinbrück gemeinsam ein Papier in diese wichtige Debatte – ganz bewusst in die Auseinandersetzung vor der Bundestagswahl – eingebracht haben; denn sie haben damit dieses Thema auf die bundespolitische Agenda gesetzt.