Protocol of the Session on June 5, 2013

Ich sehe allerdings nicht, auf welche Handlungen Sie sich beziehen, wenn Sie sagen, dass wir solchen Dingen Vorschub geleistet hätten. Es war in den 80er-Jahren – ich spreche heute deshalb, weil ich einerseits Kinderarzt bin und andererseits schon in den 80er-Jahren bei den GRÜNEN aktiv war – genau die Tabuisierung und das Unter-den-Teppich-kehren, das im katholischen Umfeld und in anderen Umfeldern üblich war, wodurch ermöglicht wurde, dass Täter über Jahre weder erkannt noch verfolgt wurden. Es bestand damals nicht das Problem der Nichtverfolgbarkeit oder der Diskussion über die Sexualrechtsstraftaten.

Noch eine Erinnerung: Es waren die Sexualrechtsstraftaten, die gleichzeitig mit dem Kindesmissbrauch beispielsweise auch homosexuelle Handlungen unter Strafe stellten. – Das ist mittlerweile abgeschafft worden, aber Sie haben eine Aktuelle Stunde zu den 80er-Jahren beantragt. Dann müssen Sie sich auch das vorhalten lassen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN steht die körperliche und seelische Integrität jedes Menschen, insbesondere von Menschen, die unseres Schutzes bedürfen, nämlich vor allem von kleinen Kindern und auch von Jugendlichen, in keiner irgendwie erdenklichen Weise zur Disposition.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir stellen uns – das sage ich ganz bewusst vor dem Hintergrund, dass wir mit einer offenen Aufarbeitung schon begonnen haben, die Sie uns vorschlagen – auch der Verantwortung für die Diskussionen in den 80erJahren, als über eine Landes- und Bundesarbeitsgemeinschaft ein Parteitagsbeschluss zu einem Wahlprogramm herbeigeführt wurde, der die einvernehmlichen sexuellen Kontakte zwischen Erwachsenen und Kindern straffrei stellen wollte. Dies war nie – zu keinem Zeitpunkt – Programm der Bundespartei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Dies wurde damals schon öffentlich diskutiert.

Sagen Sie mir, wo dieser Bereich Mitte der 80er-Jahren anders als bei den GRÜNEN öffentlich diskutiert wurde. Wir haben uns der Problematik von Sexualstraftaten und der Strafbarkeit von heute für uns ganz normalem Verhalten angenommen. Wir haben das diskutiert, und wir haben in diesen Diskussionen Federn zu diesem Punkt gelassen.

Das den GRÜNEN und damit auch den GRÜNEN in Rheinland-Pfalz sowie der Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heute sozusagen moralisierend anzukreiden, halte ich schlichtweg für eine Unverschämtheit. Ich muss das sagen, wie es ist.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

In dem Ausschuss, in dem ich Vorsitzender bin, unterhalten wir uns sachlich und in aller Regel einvernehmlich über Kindesschutz und über die Zukunft und Absicherung von Familien. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass unsere Fraktion, die dort konstruktiv auch mit Ihnen zusammenarbeitet, für Dinge sozusagen verhaftet wird, die vor 30 Jahren, als ein Teil unserer Fraktion übrigens noch gar nicht geboren war, schiefgelaufen sind.

(Zuruf der Abg. Frau Kohnle-Gros, CDU)

Nun zu dem Thema „Heimkinder“. Es kann sein, dass Sie das Plenarprotokoll nachgelesen haben – – –

(Zuruf der Abg. Frau Kohnle-Gros, CDU)

Bitte, ich höre Ihnen gerne zu.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Diese Haltung gilt nur für euch?)

Nein, die gilt nicht nur für uns. Wenn Sie die Presseberichte nicht nur gelesen haben, um heute zu polemisieren, sondern auch, um sich zu informieren,

(Frau Thelen, CDU: Es hat keiner polemisiert!)

wissen Sie ganz genau, dass wir dies öffentlich und nachvollziehbar aufarbeiten wollen. Das hat mit Selbstüberhöhung überhaupt nichts zu tun, sondern das ist Selbstkritik, die Sie gerne teilen können.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich sage es noch einmal. Das war eine Zeit, in der Ihre Partei noch jedes abweichende sexuelle Verhalten in jeder nur erdenklichen Form abgelehnt und kriminalisiert hat. So war das damals.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das war mit ein Grund für diese Tendenz einer teilweise überzogenen sexuellen Befreiung. Jedes Opfer eines solchen Missbrauchs ist ein Opfer zu viel.

(Glocke des Präsidenten)

Sollte die Diskussion bei den GRÜNEN in irgendeiner Weise dazu beigetragen haben, woran ich höchsten Zweifel habe, was Sie aber unterstellen, findet dies unser Mitgefühl.

(Glocke des Präsidenten)

Dann haben wir das – das muss ich sagen – durch die Diskussionen über den Kindesschutz, die wir in den letzten Jahren unterstützt haben, seit Langem wieder wettgemacht.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das Wort hat Herr Kollege Pörksen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich hätte mir gewünscht, dass ich die Rede, die ich jetzt halten werde, heute nicht hätte halten müssen. Nach den Ausführungen der Frau Kollegin Kohnle-Gros sehe ich mich dazu gezwungen.

Als ich die beantragte Aktuelle Stunde der CDU-Fraktion zu dem Thema „Haltung der Landesregierung zur Aufklärungsnotwendigkeit im Zusammenhang mit Pädokriminalität“ gelesen habe, habe ich mich nach dem aktuellen Anlass gefragt.

(Zurufe von der CDU)

Ich habe keinen gefunden, der diese Aktuelle Stunde ansatzweise rechtfertigt.

(Zurufe von der CDU)

Warten Sie es ab. Es wird noch schön für Sie. Natürlich habe ich die Diskussion über die unseligen Ausführungen in einem Buch von Cohn-Bendit vor über 30 Jahren wahrgenommen, in dem sich offensichtlich Pädophile in einer Art und Weise geäußert haben – Herr Cohn-Bendit hat dies nicht getan; auch darauf muss man hinweisen –, die wir damals nicht akzeptiert haben und heute nicht akzeptieren.

Worin liegt die Begründung für diese Diskussion, die offensichtlich – das ist für mich ziemlich klar – als Vorbote einer auf uns zukommenden Wahlschlacht, die wir in wenigen Monaten erleben werden, bereits aufgenommen werden soll?

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Der erste Satz ist richtig. Wir waren und sind uns einig, dass sich Pädophile strafbar machen, weil sie Kindern in unverantwortlicher Art und Weise Schaden zufügen, sie missbrauchen und damit oftmals lebenslang schwer traumatisieren.

Hier gibt es überhaupt nichts zu beschönigen. Es gibt aber auch keinen Anlass, an dieser Einstellung aller im Landtag vertretenen Parteien zu zweifeln. Genau das tun Sie hier. Das gilt natürlich auch für die Landesregierung.

Wie schwer die eigene Glaubwürdigkeit bei unklarem Verhalten gegenüber dem Kindesmissbrauch leiden kann, hat die katholische Kirche – darauf wurde bereits hingewiesen – sehr bitter erfahren müssen. Weshalb wurde dieser Antrag gestellt? Es gibt nur eine einzige Antwort auf die Motivation der CDU für diese Aktuelle Stunde. Sie wollen die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch in RheinlandPfalz diffamieren. Herr Dobrindt lässt grüßen.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich kann Ihnen als älterer und ältester Kollege in diesem Hause nur sagen, dass ich das für ein abscheuliches Manöver halte.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wer die Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN durch eine Aktuelle Stunde in die Nähe von

Straftätern, von Kinderschändern, zu rücken versucht, ist eigentlich an Niedertracht nicht zu überbieten.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Frau Mohr, SPD)

Ich habe mir lange überlegt, ob ich diesen Satz sagen soll.

(Zuruf der Abg. Frau Klöckner, CDU)

Frau Kollegin Klöckner, hören Sie gut zu. Ich habe mich dazu entschlossen, dass ich Sie von der CDU wachrütteln möchte, so nicht weiterzumachen. Ich fordere insbesondere Sie, Frau Klöckner, auf, da Sie nicht müde werden, Ihre christliche Gesinnung zu betonen – das akzeptiere ich auch –, dieser unsäglichen Entwicklung Einhalt zu gebieten.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)