Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Anfang März dieses Jahres starb Leonid Skolnitzky. Ich bin ihm nur einmal begegnet. Vor zwei Jahren, als ich zum orthodoxen Weihnachtsfest bei Freunden in Kiew eingeladen war, wurde er mir vorgestellt. Er konnte leider keine der drei Sprachen, die ich spreche, und ich kann weder Ukrainisch noch Russisch. So spielten wir schweigend drei Partien Schach miteinander. Sein Gesicht war schwer entstellt, voller Geschwüre, und er hatte nur noch ein Auge.
Leonid war einer der geschätzt 800.000 Liquidatoren, die mehr oder minder freiwillig im und um den Reaktor Tschernobyl aufräumen mussten. Anstelle von Schutzkleidung – so hat mir seine Familie berichtet – gab es reichlich Rotwein und Wodka.
Einige Liquidatoren starben schon nach wenigen Wochen, andere – wie Leonid – litten jahrelang unter den Folgen. Nur wenige leben noch. Für seinen Einsatz in der Strahlenhölle erhielt Leonid nicht einmal eine Rente. Dafür hätte er 14 Tage lang Liquidator sein müssen. Er wurde aber schon nach 13 Tagen abkommandiert.
Sein entstelltes Gesicht, aber auch seine Freude darüber, dass ich mir die Zeit nahm, einen Abend lang mit ihm Schach zu spielen, werde ich nicht vergessen. Wenn morgen der Jahrestag von Tschernobyl begangen wird, sollten wir uns an Menschen wie Leonid erinnern. Und wir sollten alles tun, um den Ausstieg aus der Atomenergie so sicher wie möglich zu gestalten.
Meine Damen und Herren, der Atommüll muss so sicher verwahrt werden, dass er generationenlang zu keiner Gefahr werden kann. Warum ist diese Frage noch immer nicht gelöst? Als damals in der Regierungszeit von Kiesinger die ersten Atomkraftwerke geplant wurden und in der Regierungszeit von Willy Brandt die ersten deutschen Atomkraftwerke in Betrieb gingen, war man von der neuen Technik derart begeistert, dass man die Frage, wo eines Tages der Müll hinkommt, vernachlässigt hat. Keine Bundesregierung hat das Endlagerproblem konsequent angepackt – weder die Regierungen von Helmut Schmidt noch die von Helmut Kohl und auch nicht die Regierung von Schröder mit Umweltminister Trittin.
Später wurde Gorleben an der Zonengrenze, im dünn besiedelten Wendland ausgeguckt. Diese Entscheidung wurde damals nicht nach wissenschaftlichen, sondern nach geopolitischen Gesichtspunkten getroffen. Natürlich waren die Menschen dort dagegen.
So richtig angefeuert wurde der Protest aber erst, als Gorleben von der Partei der GRÜNEN als Kulminationspunkt des Protests gegen die Atomkraft auch ein Stück weit instrumentalisiert wurde. Denn irgendwo musste der Müll ja gelagert werden.
Vor drei Jahren wurde es fast ein bisschen grotesk, als die GRÜNEN-Vorsitzende Roth gegen Castortransporte vorneweg marschierte – Castoren, mit denen der Atommüll aus der Regierungszeit von Schröder und Trittin nach Deutschland zurücktransportiert wurde.
Meine Damen und Herren, aber die Zeit der Konflikte sollte so langsam der Vergangenheit angehören. Schauen wir also gemeinsam nach vorn. Es ist eine positive Nebenwirkung der Energiewende, dass mit dem beschlossenen Ende der Atomkraftwerke jetzt bei allen politischen Kräften die Einsicht vorhanden ist, dass man Castoren nicht wegdemonstrieren kann, sondern man gemeinsam Lösungen suchen muss, wo diese hinkommen und wo sie – sicher verwahrt – bleiben können.
Weil die bestehenden Atomkraftwerke in den kommenden Jahrzehnten abgebaut werden und die Genehmigungen der ersten bei diesen Atomkraftwerken befindlichen Zwischenlager 2040 enden, muss bis 2040 ein Endlager fertig und bereit sein. Natürlich haben jene Landesregierungen mit Atomkraftwerken in ihrem Land ein besonderes Interesse daran, eine Lösung zu finden. Das trifft auf schwarz-grüne Regierungen
Bemerkenswert ist aber auch, dass nicht nur die unmittelbar betroffenen Länder ein Interesse daran signalisiert haben, sondern auch die anderen mitziehen.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Morgen ist der Jahrestag des Unglücks von Tschernobyl, mit all dem Gedenken, mit vielen Veranstaltungen – das ist der aktuelle Anlass. Was hat das mit Rheinland-Pfalz zu tun? Diesen Bogen dürfen wir hier im Landtag, wie ich finde, ruhig noch einmal deutlich schlagen. Die vorherige Debatte darüber, wie wir die Energiewende Rheinland-Pfalz gestalten, zählt natürlich mit dazu.
Dass die Atomtechnologie unsicher ist, hat nicht nur Tschernobyl gezeigt. Das hat sich mehrfach wiederholt. Ich nenne Three Mile Island 1979, Tschernobyl 1986, Fukushima 2011 – jeweils mit unterschiedlichen Auswirkungen. Aber auch da muss man genau hinschauen. Die Technologie ist unsicher und eben auch nicht von Menschenhand zu kontrollieren. Das hat den öffentlichen Druck ausgemacht, der die Kanzlerin dann eben doch dazu bewegt hat, diesen Sinneswandel, von dem wir eben gehört haben, zu vollziehen.
Nun stellt sich aber die Frage, wie weit es mit dem Sinneswandel im Land her ist. Die Debatte vorhin über die Frage der Ausgestaltung der Energiewende und der Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger hat mich wirklich zweifeln lassen, ob die CDU es da mit ihrer eigenen Partei und mit sich selbst so ernst nimmt, wie man das angesichts des zurückliegenden Vortrags vermuten müsste. Das stimmt mich nachdenklich.
Deshalb bin ich vielleicht in besonderer Weise davon überzeugt, dass es notwendig war, 15 Monate lang mit den anderen Bundesländern darüber zu verhandeln, wie wir die Frage der Endlagerung des atomaren Mülls in dieser Republik ausgestalten. Bei den Verhandlungen gab es mehrere schwierige Punkte. Sei es das Ausscheiden von Umweltminister Röttgen, dazwischen liegende Wahlen auch in Niedersachsen und die Frage, wie man nach dem Vertrauensverlust, der mit Gorleben zusammenhängt, wieder zu einem Gestaltungsprozess kommen kann, der es uns ermöglicht, erneut auf die Suche zu gehen und damit ergebnisoffen und völlig neu mit einem neuen Vertrauen und nicht mit der Frage, ob das alles so ernst gemeint ist und ob auch die Energiewende ernst gemeint ist, weil wir alle etwas anderes erleben, von vorne zu beginnen.
Deswegen hat das Gesetz einige besondere Spezifika, die wir in anderen Gesetzen überhaupt nicht finden und
die noch über viele Jahre hinweg, nämlich bis zu den Jahren 2040, 2045 und vielleicht sogar 2050, all unsere Aufmerksamkeit im demokratischen Raum brauchen werden, um das nachhaltig zu lösen. Das ist in verschiedenen Stufen abgefasst und geschieht nicht nur in einer Kommission, die darüber berät, nach welchen Kriterien auf die Suche gegangen werden soll, sondern in zwei weiteren Phasen soll auch bestimmt werden, welche Lagerstätten, welche Wirtsgesteine in die engere Auswahl kommen, um dann in der dritten Phase festzulegen, wo tatsächlich ein Lager entstehen kann. Das soll immer so geschehen, dass es eine breite Bürgerbeteiligung am Anfang und einen Beschluss aller parlamentarischen Gremien gibt eingedenk der Tatsache, dass wir die Bürgerbeteiligung ernst nehmen, die Bürger hören wollen, das in den Prozess und auch die Beteiligung der Öffentlichkeit einbinden wollen.
Ich bin also froh für jede Unterstützung, die es gibt, um dieses Verfahren auf den Weg zu bringen, bei dem wir davon ausgehen, dass verschiedene Gruppierungen und auch regionale Widerstände dazu führen können, dass jeder Weg, den wir demokratisch festgelegt haben, ausgeschöpft wird. Dabei können natürlich auch gerichtliche Wege ausgeschöpft werden.
Sie sind auf das Zwischenlager und die Tatsache eingegangen, dass die Zwischenlagerstandorte 2040 auslaufen werden. Das wird zu einer neuen Debatte führen und wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt auch zu einer neuen Debatte in der Gesellschaft führen müssen, um wieder Druck in die Lösungsprozesse des Gesetzes hineinzubringen. Davon bin ich fest überzeugt. Warum? Wenn 2022 – so sieht es der Plan vor – die letzten Atomkraftwerke in dieser Republik vom Netz gehen sollen, ist damit noch nicht der Müll weg.
Sie haben selbst über die Castoren gesprochen, die aus internationalen Vertragsverpflichtungen heraus zum Beispiel von Sellafield wieder in die Republik zurückkommen. Dafür müssen wir dann natürlich auf einem kurzen, sicheren Weg einen möglichen Zwischenlagerstandort finden. Dieser Standort muss gefunden werden. Dafür müssen sich noch Bundesländer anbieten.
Da schaue ich ganz speziell in Ihre Richtung, weil ich weiß, dass ausgerechnet rot-grüne Bundesländer, zum Beispiel Herr Kretschmann, Herr Weil oder SchleswigHolstein, ihre Kapazitäten angeboten und gesagt haben, wir stehen mit den Kapazitäten, die wir noch in Lagerstätten haben, zur Verfügung. Das haben aber nicht die Bundesländer gesagt, die schwarz-gelb regiert werden.
Da lautet an dieser Stelle meine Aufforderung an Sie für diesen Prozess, weil das notwendig ist – Sie haben das selbst hervorgehoben –: Reden Sie bitte noch einmal mit Ihren Kolleginnen und Kollegen. – Ich meine, das ist kein Thema, das man im Wahlkampf behandeln kann, sondern es ist eine nationale Verantwortung bei der Übernahme der letzten sechs Castoren erforderlich, die sozusagen rechnerisch noch nicht untergebracht worden sind, für die aber noch Platz in bestehenden Zwischenlagerstätten vorhanden ist. Das gilt nicht für RheinlandPfalz, da Rheinland-Pfalz kein Zwischenlager hat – Gott sei Dank, sage ich einfach einmal –, aber wir stehen mit in der Verantwortung, zu der wir auch stehen.
Wenn es um sichere Transportwege beim Umgang mit den letzten noch zu verbringenden Castoren geht, müssen wir auch mit Verantwortung übernehmen. Darüber wird bereits im Bund debattiert. Helfen Sie also mit, und reden Sie mit Ihren Kollegen in den schwarz-gelben Ländern, von da aus noch ein Angebot zur Gestaltung der Unterbringung der letzten Handvoll Castoren zu machen.
An dieser Stelle möchte ich ganz besonders Frau Ministerin Lemke danken. Sie hat zusammen mit Vertretern der Antiatombewegung und anderen Parteien über eineinhalb Jahre hinweg den Diskussionsprozess zur bundesweiten Endlagersuche gegen den Widerstand der alten Atomlobby innerhalb und außerhalb der Bundesregierung und gegen die Lethargie von zwei Bundesumweltministern am Leben gehalten.
27 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und nach über 30 Jahren der Endlagersuche haben wir in Deutschland eine Einigung und damit einen nationalen Konsens erzielt. Am Ende des Wegs sind wir aber noch lange nicht. Dennoch ist das Endlagersuchgesetz ein guter Kompromiss für die Demokratie und ein guter Kompromiss für Gorleben.
Schärfstens kritisieren möchte ich in diesem Zusammenhang, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung vor Kurzem einen Antrag der GRÜNEN im Bundestag ablehnte, Gespräche mit der französischen Regierung zur Laufzeit von Cattenom zu führen, damit diese Region, damit diesem Land nicht das gleiche Schicksal widerfährt wie der Bevölkerung in Tschernobyl.
Es fand eine namentliche Abstimmung statt. Wer hat dagegen gestimmt? Kaster, Schnieder und sogar Altmaier. Nach dieser Abstimmung wollte die Abgeordnete Simone Peter eine Aktuelle Stunde im Landtag des Saarlandes ausrufen. Das hat die dortige CDU verhindert.
Wir haben im November von Rheinland-Pfalz aus eine Bundesratsinitiative zum Stresstest eingereicht. Das Saarland hat sich dort der Stimme enthalten.
Meine Damen und Herren! Ich meine, wer einmal erkannt hat, dass man ohne Atomenergie und nur mit der Energiewende hin zu den erneuerbaren Energien wirklich gewinnen kann, hat für sich schon einen entscheidenden Schritt in die richtige Richtung gemacht. Mir ist es aber heute Morgen beim Zuhören wie der Ministerin ergangen. Die Diskussion lässt mich doch an der Glaubwürdigkeit der Aussagen der CDU zweifeln.
Herr Weiner, das bezieht sich nicht auf Sie, da ich Ihre Ausführungen nachvollziehen konnte, aber wenn man sich die Diskussion um die Fortschreibung des LEP IV von heute Morgen noch einmal vor Augen hält, die sich auf die Windkraft bezog, hat sich für mich wieder einmal gezeigt, wie die CDU die Energiewende versteht. Windkraft ja, aber bitte nicht vor meiner Haustür und nicht in meiner Region. Windkraft ja, aber bitte nicht so, dass man von ihr etwas sieht und schon gar nicht etwas hört. Sie verhält sich also nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Wie soll da die Energiewende, wenn man sie wirklich will, funktionieren?