Protocol of the Session on December 13, 2012

Des Weiteren begrüße ich Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse aus der Schule im Erlich in Speyer. Seien auch Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall im Hause)

Wir kommen zu Punkt 21 der Tagesordnung:

Aufarbeitung der strafrechtlichen Verfolgung und Rehabilitierung homosexueller Menschen Antrag der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 16/1849 –

Für die antragstellende Fraktion erteile ich Frau Abgeordneter Schellhammer das Wort. Es steht eine Grundredezeit von fünf Minuten zur Verfügung.

Sehr geehrter Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, verehrte Gäste! In diese Woche fällt nicht nur unsere Plenarsitzung, sondern auch der Internationale Tag der Menschenrechte. Umso notwendiger ist es, dass wir uns mit dem vorliegenden Antrag mit der Verletzung der Menschenwürde von homosexuellen Männern aufgrund der strafrechtlichen Verfolgung beschäftigen und das erlittene Unrecht anerkennen und unser Bedauern darüber ausdrücken.

Bereits seit 1872 existierte im Reichsstrafgesetzbuch der § 175. Einvernehmliche sexuelle Handlungen standen unter Strafe. Im Zuge der nationalsozialistischen Strafrechtsnovelle 1935 wurde bereits nur die Anmutung einer erotischen Annährung unter Strafe gestellt.

Bis 1969 bestand diese verschärfte Regelung fort, in veränderter Form sogar noch bis vor 18 Jahren. Damit wurde empfindlich in das Recht auf Privatleben eingegriffen und die betreffenden Männer in ihrer Ehre beeinträchtigt.

Dieser Paragraph verdeutlicht, die Geschichte homosexueller Menschen in Deutschland ist eine Geschichte der gesellschaftlichen Verachtung und Verfolgung. Es ist daher an der Zeit, dass wir uns als Landtag für diese Verletzung der Menschenwürde entschuldigen.

Rund 100.000 Strafverfahren gegen Männer wurden in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen. Rund 50.000 Personen wurden verurteilt. Auch wenn nur die Hälfte der Verfahren zu einer Bestrafung führte, hatte damals allein die Aufnahme eines Verfahrens verheerende Auswirkungen für das Leben der betroffenen Personen. Sie wurden von ihrem Umfeld gemieden, haben ihren Arbeitsplatz verloren oder sich aufgrund dieser gesellschaftlichen Ausgrenzung das Leben genommen.

Allein das Bestehen dieses Paragraphen hat ein gesellschaftliches Klima der Diskriminierung erzeugt, das für homosexuelle Menschen bedeutete, sich zu verstecken, ihre Liebe zu verheimlichen oder zu unterdrücken.

An dieser Stelle sollte jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass lesbische Frauen nicht durch den § 175 verfolgt wurden. Aber auch sie mussten eine leidvolle Geschichte von Diskriminierung, Missachtung und Marginalisierung über sich ergehen lassen.

Liest man in den Erfahrungsberichten homosexueller Männer und Frauen, bin ich jedes Mal wieder entsetzt, dass diese massive Diskriminierung auf dem Boden des Grundgesetzes möglich war.

Männer, die im Nationalsozialismus nach § 175 verurteilt wurden, wurden im Jahr 2002 rehabilitiert. Ihnen wurde ein Recht auf Entschädigung zugestanden. Für mich ist es jedoch unverständlich und nicht nachvollziehbar, dass die Männer, die unter dem gleichen und identischen Paragraphen nach 1945 verurteilt wurden, noch immer mit diesen Urteilen durchs Leben gehen müssen. Es ist daher geboten, dass wir uns mit diesem dunklen Fleck unserer Geschichte beschäftigen und das Unrecht anerkennen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Bei den Recherchen zu diesem Antrag haben wir versucht, Zahlen von Betroffenen in Rheinland-Pfalz herauszufinden und konnten keine ermitteln. Diese Lücke in der Aufarbeitung ist nicht nur für mich als Historikerin bedauerlich, sie ist auch vor dem Hintergrund dieser himmelschreienden Diskriminierung nicht länger hinzunehmen. Daher begrüßen wir es sehr, dass die Landesregierung in dem vorliegenden Antrag aufgefordert wird, die historische Aufarbeitung zu unterstützen.

Mit der Dokumentation der Schicksale der betroffenen Menschen wollen wir sie wieder zurück in unsere Mitte holen und ihre Ehre wiederherstellen.

Insbesondere dieser Blick in die Vergangenheit sollte uns alle gemeinsam dazu anmahnen, den Einsatz gegen jede Form von Homophobie zu stärken. Auch heute noch ist leider ein diskriminierungsfreies Leben für Lesben, Schwulen, Bisexuelle, Transgender und intersexuelle Menschen keine Selbstverständlichkeit. Daher müssen wir uns gemeinsam dieser Art der Diskriminierungsarbeit annehmen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, betrachtet man dieses erlittene Unrecht, ist es unabdingbar, dass der Landtag handeln muss. Wir müssen uns bei den Betroffenen entschuldigen. Die Verurteilten verdienen eine Rehabilitierung. Wir müssen uns der historischen Aufarbeitung widmen. Das ist dringend geboten.

In Anbetracht dieser historischen Bedeutung würde ich mich sehr freuen, wenn der Antrag eine breite Unterstüt

zung finden würde als gemeinsames Zeichen gegen Ungerechtigkeit und gegen Homophobie.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Für die Fraktion der CDU spricht der Abgeordnete Klein.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste! Bis 1969 wurden in Deutschland viele Tausend Männer nach § 175 des Strafgesetzbuches bestraft. Sie wurden dafür bestraft, dass sie ihre Homosexualität gelebt haben. Sie wurden in unserem Land nach der zu Zeiten der Nazi-Diktatur geschärften Fassung des § 175 bestraft.

Im Jahr 1957 hat das Bundesverfassungsgericht diese Strafbarkeit und die daraus resultierende Rechtsprechungspraxis sogar für verfassungskonform erklärt. Meine Damen und Herren, das ist aus unserer Sicht heute unfassbar.

Es ist keine Frage, diese Entscheidung aus Karlsruhe wie auch die Verurteilungen widersprechen klar unserem heutigen Rechtsverständnis. Sie sind mit unserem Rechtsverständnis der freiheitlichen Grundordnung des Grundgesetzes, der Grundrechte, mit unserem freiheitlichen Menschenbild und mit der Menschenwürde nicht vereinbar.

(Beifall der CDU, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, sie stoßen daher ganz zu Recht auf absolutes Unverständnis. Viele blicken wie ich auch beschämt auf diese Urteile und diese Kriminalisierung zurück.

Ich halte es daher für richtig und geboten, dies auch so offen anzusprechen und so zu benennen. Ich bin deshalb auch dankbar, dass wir das heute diskutieren.

Der Antrag ist daher, wie ich finde, auch gesellschaftspolitisch richtig. Das Anliegen der Entschuldigung und Rehabilitation ist auch nachvollziehbar und ebenso richtig.

Natürlich sage ich, sagen wir das heute mit unserem, mit meinem Wissen und aus unserem gesellschaftspolitischen Verständnis heraus. Natürlich ist zum Beispiel die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1957 auch in diesem Kontext einer anderen gesellschaftlichen Sichtweise, einer anderen Zeit zu lesen. Das gilt genauso für das Kuppeleiverbot, die Strafbarkeit des Ehebruchs oder den Genehmigungsvorbehalt eines Arbeitsvertrags der Ehefrau durch den Ehemann.

Deshalb ist es richtig, dass 1969 zu Zeit der Großen Koalition auch vieles von dem aufgehoben wurde, eben auch die Strafbarkeit der Homosexualität abgeschafft

wurde, Teile leider erst im Jahre 1994 im Zuge der großen Strafrechtsreform.

2002 wiederum hat der Bundestag die in der Zeit des Nazi-Terrors ergangenen Unrechtsurteile pauschal aufgehoben. Frau Schellhammer hat das eben schon gesagt. Das ist später als bei anderen Unrechtsurteilen erfolgt, weshalb auch die in diesem Hause noch sehr bekannte CDU-Politikerin Hanna-Renate Laurin auch mahnte – ich zitiere –:

(Zurufe im Hause: Oh!)

Ja, die Älteren unter uns erinnern sich noch: „Wir dürfen die Opfer des Terrors nicht in Güteklassen einteilen“.

(Zuruf des Abg. Pörksen, SPD)

Ach Sie waren es, Herr Pörksen. Sie habe ich nicht gemeint, Herr Pörksen.

Hanna-Renate Laurien sagte: „Wir dürfen die Opfer des Terrors nicht in Güteklassen einteilen. Gott hat jedem Menschen die gleiche Würde gegeben.“

Das ist zweifellos völlig richtig.

(Beifall der CDU, der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, und doch gibt es derzeit auch eine Ungleichbehandlung, nämlich derjenigen Urteile, die vor 1945 gefällt wurden, und der Urteile, die danach ergangen sind. Das ist aus dem eben Gesagten und aus der gegebenen Begründung nur sehr schwer erträglich, wenngleich es nach dem Prinzip der Gewaltenteilung richtig ist, dass eine nachträgliche Aufhebung der Urteile durch den Gesetzgeber, also uns oder den Bundestag, nicht möglich ist. Das hat das Bundesverfassungsgericht 2006 nochmals herausgearbeitet; denn es handelt sich bei den Urteilen nach 1945 nicht um solche, die von Scheingerichten oder in einem Unrechtstaat oder zu Zeiten des Terrors gefällt wurden, mögen sie heute noch so falsch und diese Debatte geboten sein – ich will das ausdrücklich dazu sagen.

Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund hätte ich es persönlich besser gefunden, wenn der Antrag etwas weniger mit anderen Dingen überfrachtet wäre. Dazu zähle ich die theoretischen Ausführungen zur Haftentschädigung und die Passagen zur Polizeiausbildung oder zum Landesaktionsplan „Regenbogen“.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Ich sage hier nicht, dass das falsch ist, aber es steht für mich nicht im Mittelpunkt dieser Debatte.

Im Mittelpunkt des Antrags steht für mich die Feststellung, dass die strafrechtliche Verfolgung homosexueller Männer falsch war. Die Opfer dieser Behandlung stehen im Mittelpunkt und die Entschuldigung dafür, dass sie Leid erfahren mussten und in ihrer Menschenwürde verletzt wurden. Das sind die wichtigen Punkte. Darum geht es für mich. Darum geht es für die CDU-Fraktion. Deswegen werden wir dem Antrag zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall der CDU, der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich erteile Frau Abgeordneter Brede-Hoffmann das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als ich begonnen habe, mich mit den Problemen zu beschäftigen, die wir heute in dem Antrag vorliegen haben, hat sich alles in mir gesträubt zu glauben, dass dieses staatlich begangene Unrecht und die Größenordnung dieser Unrechtstatbestände so geschehen sind. Mehr als 100.000 schwule Männer sind seit 1945 meist durch Bespitzelung aus ihrer Umwelt, durch Denunziation nach § 175 angeklagt worden. Mehr als 50.000 dieser Männer wurden zu Gefängnis- und Zuchthausstrafen verurteilt.