Protocol of the Session on September 27, 2012

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Bevor ich eine weitere Mündliche Anfrage aufrufe, möchte ich Gäste begrüßen, meine Damen und Herren.

(Licht, CDU: So setzt ihr die Dinge in den Sand!)

Herr Licht, ich möchte gerne Gäste begrüßen.

(Unruhe im Hause)

Meine Damen und Herren, es ist für unsere Gäste sehr unangenehm, wenn ich sie begrüßen will, aber hier unten Unruhe entsteht. Liebe Gäste, Sie waren nicht der Grund dafür.

Ich begrüße zunächst einmal die Senioren-Union aus Mainz. Herzlich willkommen!

(Beifall im Hause)

Ich freue mich, die Bürgerinnen und Bürger des ElsaStadtteiltreffs Mainz-Gonsenheim begrüßen zu können. Willkommen!

(Beifall im Hause)

Darüber hinaus begrüße ich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am 130. Mainzer Landtagsseminar. Herzlich willkommen! Schön, dass Sie da sind!

(Beifall im Hause)

Ich rufe nun die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Daniel Köbler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Entwicklung der prekären Beschäftigungsverhältnisse in Rheinland-Pfalz – Nummer 3 der Drucksache 16/1644 – betreffend, auf.

Da Sie der einzige Antragsteller sind, müssen Sie die Fragen auch vortragen.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie stellt sich die aktuelle und prognostizierte Entwicklung der Anzahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse in Rheinland-Pfalz dar?

2. Wie beurteilt die Landesregierung die Entwicklung prekärer Beschäftigung?

3. Welche Maßnahmen hält die Landesregierung für geeignet, dem Phänomen zunehmender prekärer Beschäftigungsverhältnisse zu begegnen?

4. Welche Maßnahmen zur Reduzierung prekärer Beschäftigung und zur Förderung von guter Arbeit gibt es in Rheinland-Pfalz?

Es antwortet Frau Staatsministerin Dreyer.

Guten Morgen, Herr Präsident, meine sehr geehrten Herren und Damen Abgeordnete! Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Daniel Köbler beantworte ich namens der Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1: Die Arbeitswelt hat sich in den vergangenen 20 Jahren erheblich verändert. Von den Unternehmen, aber auch von deren Beschäftigten wird heute in einem deutlich stärkeren Maße als früher zeitliche und räumliche Flexibilität erwartet. Damit einher geht auch ein Wandel der Erwerbsformen.

Während die sozialversicherungspflichtige unbefristete Vollzeitbeschäftigung an Bedeutung verliert, haben sogenannte atypische Beschäftigungsverhältnisse, wie etwa Minijobs, Teilzeitarbeit, befristete Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit, Werkverträge oder Praktika, erheblich zugenommen. So waren im vergangenen Jahr in Rheinland-Pfalz rund 386.000 Erwerbstätige geringfügig beschäftigt, und rund 263.000 Menschen waren in Teilzeit angestellt. Hiervon waren 224.000 Frauen. Weitere 33.000 Personen waren als Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer beschäftigt.

Zu bedenken ist, dass es sich nicht bei jedem atypischen Arbeitsverhältnis zwingend um eine prekäre Beschäftigung handelt. Umgekehrt ist aber auch nicht jedes normale Arbeitsverhältnis frei von Prekaritätsrisiken.

Von prekärer Beschäftigung lässt sich aber sprechen, wenn eine Beschäftigung nicht zu der jeweiligen Lebenssituation passt. Wenn sich also beispielsweise ein Student mit einem Minijob neben seinem Studium etwas dazuverdient, dürfte dies ebenso problemlos sein, als wenn sich eine Mutter oder ein Vater bewusst für Teilzeit entscheidet. Es gibt aber viele Menschen, die beispielsweise gerne Vollzeit arbeiten würden, aber keinen entsprechenden Vertrag bekommen, oder die sich von einer Befristung zur nächsten hangeln. Prekär sind außerdem Beschäftigungsverhältnisse, die häufig sogar trotz Vollzeitarbeit kein Einkommen oberhalb der Armutsgrenze erlauben.

Da der Anteil prekärer Arbeitsverhältnisse unter den atypischen Beschäftigungsformen besonders hoch ist, muss deren Zunahme insgesamt kritisch gesehen werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass atypische Beschäftigungsverhältnisse weniger krisenfest sind und in Zeiten des konjunkturellen Abschwungs mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit beendet werden.

Eine solide Prognose hinsichtlich der künftigen Entwicklung prekärer Beschäftigung ist leider nicht möglich, da dies von einer Vielzahl von Faktoren abhängt. Hierzu gehören zum Beispiel die wirtschaftliche Entwicklung, aber auch politisch gesetzte Rahmenbedingungen etwa zum Mindestlohn.

Zu Frage 2: Erwerbsarbeit ist für die meisten Menschen nicht nur ein wichtiger Teil ihres Lebens, sondern sichert ihnen zudem materielle Unabhängigkeit, garantiert soziale Sicherung und eröffnet individuelle Entwicklungschancen. Für den Einzelnen ist Erwerbsarbeit damit eine wesentliche Voraussetzung für eine gesellschaftliche Anerkennung und bestimmend für sein Selbstwertgefühl.

Eine prekäre Beschäftigung ist in aller Regel nicht in der Lage, diese Funktion zu erfüllen. Mit ihrer Zunahme wird daher auch ein immer größerer Teil der Beschäftigten materiell und sozial ausgegrenzt. Dies hat zugleich eine fehlende finanzielle Absicherung im Alter zur Folge.

Wer eine von Unterbrechungen und Niedriglöhnen geprägte Erwerbsbiografie aufweist, hat aufgrund geringer Anwartschaften auch keine ausreichend hohen Rentenansprüche. Altersarmut ist damit vorprogrammiert. Um mit einem 400-Euro-Job beispielsweise eine monatliche Bruttoaltersrente von 850 Euro zu erzielen, müsste eine solche Beschäftigung rein rechnerisch 195 Jahre lang ausgeübt werden.

Neben den Auswirkungen für die einzelnen Betroffenen gibt es zudem erhebliche Auswirkungen auf unser Sozialversicherungssystem. So ist die Zahl der Menschen, die zur Existenzsicherung aufstockende Grundsicherungsleistungen in Anspruch nehmen müssen, konstant hoch. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit erhielten im Jahresdurchschnitt 2011 bundesweit über 1,3 Millionen erwerbstätige Menschen ergänzende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II.

Schließlich führen prekäre Arbeitsverhältnisse zu einer Schieflage in der Einkommensverteilung. So ist den ersten Informationen zum Entwurf des neuen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, den wir gestern umfangreich diskutiert haben, zu entnehmen, dass das Einkommensgefälle zwischen Haushalten mit niedrigem und hohem Einkommen immer größer wird. Inflationsbereinigt ist demnach das Einkommen der unteren 40 % der Vollzeitbeschäftigten in den vergangenen Jahren sogar gesunken. Damit einher geht ein wachsendes Risiko einer Spaltung der Gesellschaft und einer Gefährdung des sozialen Friedens. Zu Recht heißt es daher in dem Entwurf des Berichts – ich zitiere –: „Eine solche Einkommensentwicklung verletzt das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung“.

Zu Frage 3: Bei der Zunahme prekärer Beschäftigung handelt es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem, das wir alle gemeinsam angehen müssen. Notwendig ist ein Konsens über die Wertigkeit von Arbeit und welche Maßnahmen erforderlich sind, um dieser gerecht zu werden.

Wichtigstes Ziel ist aus der Sicht der Landesregierung die soziale Absicherung atypischer Beschäftigung sowie die Eindämmung prekärer Beschäftigungen. Einen ent

scheidenden Beitrag bei der Erreichung dieses Ziels können die Leitlinien „Gute Arbeit“ leisten. „Gute Arbeit“ steht für Erwerbstätigkeit, die fair entlohnt wird, die eine soziale Absicherung ermöglicht, die Anerkennung bietet und nicht krank macht. „Gute Arbeit“ steht für weiterbildungsfreundliche Rahmenbedingungen und ermöglicht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. „Gute Arbeit“ baut darüber hinaus auf gesicherten Arbeitnehmerrechten, Mitbestimmung und starker Sozialpartnerschaft auf.

Dabei zeigt sich mehr, dass die Ziele von „Guter Arbeit“ und Fachkräftesicherung in die gleiche Richtung weisen. Unternehmen können künftig nicht mehr ohne Weiteres darauf setzen, dass sie für – aus welchen Gründen auch immer – ausscheidende Beschäftigte einen raschen Ersatz finden. Betriebe, aber auch öffentliche Arbeitgeber, die keine guten und attraktiven Arbeitsbedingungen bieten, werden größere Schwierigkeiten haben, ihre Beschäftigten zu halten und neue anzuwerben. Es liegt daher im ureigenen Interesse auch der Unternehmen, motivierte Beschäftigte zu haben, deren Arbeitsfähigkeit sowohl in körperlicher Hinsicht als auch mit Blick auf ihren Wissensstand über das gesamte Erwerbsleben hinweg erhalten bleibt und ausgebaut wird.

Zu Frage 4: Die Landesregierung setzt sich für die Umsetzung des Prinzips von guter Arbeit ein. Hierzu gehört die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnes, mit dem ein Mindestmaß an Bezahlung und Sozialstandards sichergestellt werden kann.

Dazu gab es zahlreiche Bundesratsinitiativen, die aber an der Mehrheit der CDU/CSU-geführten Länder im Bundesrat gescheitert sind. Zudem steht die Landesregierung Rheinland-Pfalz für sichere, nach Tarifvertrag bezahlte Arbeitsverhältnisse. In der jüngsten Vergangenheit haben wir dort kontinuierlich Bundesratsinitiativen über die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von atypisch Beschäftigten eingebracht, um Anstöße für die Veränderung der bundesgesetzlichen Rahmenbedingungen zu geben.

Ich zähle jetzt all diese Initiativen nicht mehr auf. Sie sind hinlänglich bekannt.

Aktuell ist vielleicht noch zu sagen, dass die Landesregierung der Empfehlung der Mindestentgeltkommission gefolgt ist und die Anpassung eines Mindestentgelts von 8,50 Euro auf 8,70 Euro ab dem kommenden Jahr beschlossen hat. Damit ist der Weg frei, den Vorschlag der Kommission im Wege einer Rechtsverordnung umzusetzen.

So weit die Antwort der Landesregierung.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Zusatzfragen? – Frau Abgeordnete Thelen, bitte schön.

Sehr geehrte Frau Ministerin, ich bitte, noch einmal die Zahl der Leiharbeiter zu benennen. Ich habe gehört,

dass Sie gesagt hätten, wir hätten rund 333.000 Leiharbeiter in Rheinland-Pfalz. Das erscheint mir sehr unrealistisch.

Ich bitte noch um eine weitere Information: Ist Ihnen bekannt, wie sich die Zahl der Leiharbeiter nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz bundesweit und im Vergleich dazu in Rheinland-Pfalz entwickelt hat?

Wenn ich 330.000 gesagt habe, war das ein Versprecher, es sind natürlich 33.000 Leiharbeiter in RheinlandPfalz. Das ist klar.

Bundesweit hat die Zahl der Leiharbeiter im Dezember 2011 bei rund 872.000 Leiharbeitnehmern und Leiharbeitnehmerinnen gelegen, im Juni 2011 waren es noch über 900.000. Da hat ein minimaler Rückgang stattgefunden.

Sie wissen, dass das Thema „Leiharbeit“ in RheinlandPfalz nicht diese überdimensionale Rolle spielt. Das habe ich auch immer wieder betont.

(Zuruf der Frau Abg. Thelen, CDU)

Das habe ich leider nicht parat. Das muss ich Ihnen nachreichen.