Protocol of the Session on August 30, 2012

Das Wort hat Frau Staatsministerin Dreyer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Herren und Damen! Wenn wir über Alter und Inklusion sprechen, gibt es immer das gleiche Problem mit der CDU-Fraktion. Es klingt erst einmal irgendwie ganz vernünftig. Wenn man jedoch genauer hinschaut – das ist bei diesem Antrag auch wieder so –, dann erkennt man, dass wir doch nicht dasselbe denken.

Natürlich treten Sie für Selbstbestimmung ein. Das spreche ich Ihnen überhaupt nicht ab. Und natürlich treten Sie dafür ein, dass sich Gesellschaft verändert und wir dafür Lösungen finden müssen. Auch das spreche ich Ihnen nicht ab. Aber Ihnen fehlt am Ende der Mut zur Klarheit.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wenn wir nicht zur Kenntnis nehmen, dass wir aus unserer Generation, die wir mehrheitlich hier sitzen, irgendwann ziemlich viele sind und wir nicht wollen, dass die Altersfrage am Ende eine Einrichtungsfrage ist, dann müssen wir einen Paradigmenwechsel angehen, der sich gewaschen hat. Deshalb bin ich auch über die zugespitzte Debatte froh – das sage ich ganz klar –, weil wir in Zeitungen und durch Leserbriefe erlebt haben, dass die Bevölkerung in großem Umfang dazu Stellung genommen hat. Natürlich fragen wir uns auch selbst.

Die meisten von uns möchten nicht in einer Einrichtung leben; die meisten von uns möchten, dass sich ihr Umfeld so entwickelt, dass man zu Hause oder gemeindenah in kleineren Wohngruppen oder Ähnlichem leben kann, sodass man im Gemeinwesen lebt und nicht irgendwo – ich sage es einmal überspitzt – in Einrichtungen mit 80 bis 100 Plätzen.

Wichtig ist dabei Herrn Hering zitierend: Kein Mensch hat die Pflegeheime verunglimpft.

(Frau Thelen, CDU: Das war das Zitat! – Baldauf, CDU: Dann muss er das noch einmal wiederholen!)

Ich bitte darum, das explizit zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich möchte ausdrücklich sagen, Herr Hering hat dafür plädiert, was einem Antrag und dem rot-grünen Koalitionsvertrag entspricht, dass wir keine weiteren großen stationären Einrichtungen bauen. Dafür sollten wir das Bewusstsein in unseren Kommunen weiter wecken. Natürlich erscheint es vielen Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen heute immer noch der einfachere Weg zu sagen, ich löse das Thema „Alter und Betreuung“ damit, in dem ich einem Investor die Möglichkeit gebe, ein 100-Betten-Haus zu bauen. Das ist eine komfortable Lösung. Das ist eine einfache Lösung. Wenn man sich die Konsequenz für die Zukunft vorstellt, dann kann man das aber nicht gutheißen.

Wir brauchen stationäre Einrichtungen. Es sagt kein Mensch, dass wir diese nicht brauchen. Das sage ich auch immer den Pflegeeinrichtungen, die meinen, dass ich etwas gegen sie hätte. Ich habe nichts gegen die Pflegeeinrichtungen.

Im LWTG steht nicht, wir schaffen stationäre Einrichtungen ab. Im LWTG steht drin, wir entwickeln stationäre Einrichtungen weiter, weil sich die Welt, die Gesellschaft und die Bedürfnisse der Menschen weiterentwickeln. Davor kann keine Großeinrichtung haltmachen.

Wenn wir darüber nachdenken, wie wir insgesamt unsere Gesellschaft in der Zukunft gestalten wollen, dann kann die Lösung nicht sein, dass wir es zulassen, dass in jeder zweiten Kommune neue Altersheime gebaut werden. In Rheinhessen haben wir die Situation, dass diese zum Teil leer stehen. Wir haben keine Alternativen, das ist das Hauptproblem.

Wir plädieren ganz klar dafür, deutlich, mutig und klar zu sagen, wir brauchen wirklich einen weiteren Ausbau von alternativen Wohnformen. Erst wenn wir irgendwann einmal im Parlament feststellen können, jeder der Menschen, die in das Alter kommen, in dem sie sagen, sie können nicht mehr alleine leben, hat die Wahl in Rheinland-Pfalz, so oder so zu leben, dann können wir darüber debattieren und streiten, ob man einen stationären Ausbau weiter fördern sollte.

Wir haben keine planerischen Mittel gegen stationäre Einrichtungen. Wenn eine Kommune sagt, hier ist ein Grundstück und ein Investor kommt und baut, dann ist das so und es wird ein Altersheim gebaut. Ich finde es wichtig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass man in der Kommune sagt: Wir stehen für etwas anderes und wir wollen Investoren, die andere Modelle schaffen. – Dafür bin ich der Regierungskoalition dankbar.

Ich denke, wir dürfen zu Recht in Rheinland-Pfalz sagen, wir haben inzwischen viele Hilfen entwickelt. Wir sehen es nicht so, wie es im Antrag angedeutet ist, dass die Kommunen nicht dazu in der Lage sind. Wir haben Ihnen im LWTG und schon vorher in dem Gesetz die Planungshoheit und die Pflegestrukturplanung ans Herz gelegt. Wir haben sie gesetzlich verankert. Wir haben Instrumentarien geschaffen, um die Kommunen zu unterstützen, dass sie Alternativen entsprechend der Bedürfnisse der älteren Menschen entwickeln.

Ich sage einen letzten Satz. Zahlen des Statistischen Landesamtes dienen eigentlich nicht dazu, dass man

sagt, in 20 Jahren haben wir eine bestimmte Anzahl von alten Leuten, und dementsprechend brauchen wir eine bestimmte Anzahl an Altersheimen. Wir wissen, wie viel alte Leute wir in 20 Jahren haben werden. Dafür sind wir dem Statistischen Landesamt dankbar. Wir als Politiker und Politikerinnen müssen den Anspruch haben, dass wir die Ist-Situation nicht einfach hochrechnen. Vielmehr müssen wir sagen, wenn wir heute wissen, dass wir zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Anzahl von alten Menschen, zum Teil mit Unterstützungsbedarf haben, dann wollen wir die Landschaft so weiterentwickeln, dass es nicht zu der Prophezeiung des Statistischen Landesamts kommt, dass wir eine bestimmte Anzahl zusätzlicher stationärer Plätze brauchen. Das ist der politische Auftrag. Das ist der Unterschied zwischen dem Statistischen Landesamt und den Menschen, die sagen, sie wollen politisch und gesellschaftlich gestalten.

Liebe Kollegen und Kolleginnen von der CDU, ich spreche Sie bewusst an. Sie wissen, ich habe persönlich mit der Initiative „Menschen pflegen“ seit 2002 eine ganz hohe Wertschätzung der Pflege gegenübergebracht. Ich habe viel getan, um die Pflege zu unterstützen und weiterzuentwickeln. Es liegt mir völlig fern – ich denke, das kann ich auch für die Fraktionen sagen –, jemanden im pflegerischen Bereich nicht wertzuschätzen. Trotzdem appelliere ich dafür, dass man ein Stück Klarheit in der Frage entwickelt, wie es mit dem Umbau unserer Gesellschaft aussehen soll, wenn wir darüber nachdenken, wie die vielen älteren Menschen, die Unterstützung und Pflege brauchen, in Zukunft leben und wohnen wollen. Die Leitlinien von uns sind dabei ganz klar.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Zu einer Kurzintervention erteile ich Frau Kollegin Thelen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, es gibt einen grundsätzlichen Unterschied zwischen uns beiden, wenn es darum geht, uns Gedanken über das zukünftige Angebot für eine alternde Gesellschaft, für alte, pflege- und hilfebedürftige Menschen vorzustellen und darauf hinzuarbeiten. Der Unterschied liegt darin, dass Sie eine Einrichtungsform, nämlich die der Altenheime, am liebsten aus diesem Konzept herausholen würden und sie nicht mehr mit einplanen würden.

(Pörksen, SPD: So ein dummer Quatsch! – Weitere Zurufe von der SPD)

Sie sagen ganz klar, keine neuen – jetzt haben wir heute die Differenzierung gehört – großen Einrichtungen mehr.

(Pörksen, SPD: Das ist typisch für Sie, mit falschen Behauptungen!)

Das, was Sie heute an Wiedergutmachung geleistet haben, ist meines Erachtens ein nicht wirklich gelungener Versuch, den Heimen wieder ein bisschen Wertschätzung zu vermitteln.

(Beifall der CDU)

Das, was ihr Fraktionsvorsitzender gesagt hat, dass die Menschen dort ein weitgehend entmündigtes Leben führen würden, ist ein Schlag ins Gesicht für die Familien, die froh und dankbar sind, dass sie Angehörige, die schwer pflegebedürftig sind, in Altenheimen gut versorgt wissen, und auch für die Menschen, die sich in Altenheimen mühen, mit den ihnen anvertrauten Menschen eine sinnvolle Tagesgestaltung, soziale Kontakte und vieles mehr zu organisieren. So kann man mit den Menschen, die in diesen Einrichtungen arbeiten, nicht umgehen. (Beifall der CDU)

Ich will noch einmal zu ihren Vorstellungen kommen. Sie gestehen uns zu, dass unsere Punkte in dem Leitantrag nicht alle falsch sind. Natürlich wollen auch wir, dass wir flexibel werden, wir nach neuen Wohnformen schauen, eine Senioren-WG möglich wird und vieles mehr. Als Sie das Landeswohn- und Teilhabegesetz nicht mit unseren Stimmen verabschiedet haben, haben wir Ihnen schon gesagt, dass die Regelungen in diesem Gesetz genau die von Ihnen gewollte Entwicklung eher behindern als befördern werden. Ich bin auf die Evaluation gespannt. Ich befürchte, dass wir recht behalten.

(Beifall der CDU)

Ich komme zu dem, was aus Ihrer Sicht notwendig ist. Sie sagen, keine großen Einrichtungen. Ich frage mich, wie Sie beispielsweise das geplante, noch nicht bestehende neue Demenzdorf in Alzey mit etwa 150 Plätzen berücksichtigen.

(Frau Brede-Hoffmann, SPD: Keine weiteren großen!)

Wo steht, ob das groß oder klein ist? Ich denke, das sind Einrichtungen, die wir in Zukunft brauchen. Ich möchte gerne wissen, wo bei Ihnen die großen Einrichtungen anfangen. Ich möchte, dass auch die Menschen in Plaidt, die alt, pflegebedürftig und heimbetreuungsbedürftig werden, weil es keine WG schafft, sie über Nacht zu betreuen, weil es keine WG schafft, die stark ausgeprägte Demenz zu bewältigen, die Chance haben, bei uns im Dorf in ein gut und ordentlich geführtes Altenheim zu gehen,

(Glocke des Präsidenten)

das eine gute Anbindung an die dörfliche Infrastruktur mit Kindergarten und Schulen hat. Die Menschen leben dort mehr mittendrin, als wenn sie in der eigenen Wohnung verwahrlosen würden.

Vielen Dank.

(Beifall der CDU – Frau Brede-Hoffmann, SPD: Diese Häuser haben wir!)

Zur Erwiderung erteile ich Frau Staatsministerin Dreyer das Wort.

Es tut mir leid, dass ich noch einmal zum Mikrofon gehe, das kann ich so nicht stehen lassen, Frau Thelen. Aus meiner Sicht blasen Sie die Diskussion richtig hoch. Sie machen es bewusst.

(Frau Ebli, SPD: Das ist Methode!)

Ich sage Ihnen auch, warum. Die Pflegelandschaft steht Kopf aufgrund dieser Aussage. Auch die Einrichtungsträger stehen Kopf. Ich bin fest davon überzeugt, dass Sie diese Diskussion nutzen.

(Frau Brede-Hoffman, SPD: Richtig!)

Sie entscheiden sich nicht dafür, welchen Weg Sie wirklich gehen wollen, sondern Sie nutzen die Situation, um die Debatte aufzublasen und zu polarisieren.

(Frau Thelen, CDU: Das ist doch nicht Ihr Ernst!)

Ich habe es mir extra mitgenommen. Ich zitiere aus der „Rhein-Zeitung“ Herrn Hering: „Wir treten dafür ein, dass keine großen stationären Pflegeeinrichtungen mehr gebaut werden“.

(Frau Brede-Hoffmann, SPD: Mehr!)

Wir haben das mit den großen Einrichtungen nicht heute erfunden. Er hat das damals wortwörtlich gesagt. Ich sehe, Herr Hering ist da, ich habe ihn vorhin nicht gesehen. Ich habe den Zeitungsartikel mitgenommen, um das deutlich zu sagen.

Ich möchte noch einmal sagen, in dem Artikel steht: „Zudem werden die künftigen Alten kaum ein weitgehend entmündigtes Leben im Heim akzeptieren“. Das haben Sie auch akzeptiert.

Ich frage Sie, was man unter entmündigt verstehen kann. Ich persönlich verstehe darunter, dass ich mir heute mit 50 Jahren nicht vorstellen kann, mit 70 Jahren irgendwo zu wohnen, wo die Essenszeiten vorbestimmt sind, wo die Struktur so vorgeben ist, dass ich nicht frei für mich entscheiden kann, frühstücke ich hier oder dort oder esse ich zu Mittag hier oder dort.