Protocol of the Session on August 29, 2012

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, unverzüglich für den Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes eine Neuregelung zur Sicherung des Existenzminimums zu treffen.

Während die Bundesregierung wohl noch ihrer Sommerpause frönte – Frau Klöckner, Urlaub muss sein, den gönne ich doch jedem –,

(Zuruf der Abg. Frau Klöckner, CDU)

haben sich alle 16 Bundesländer auf Initiative des Landes Rheinland-Pfalz geeinigt, die Leistungssätze unverzüglich anzuheben, und haben so für einheitliche Leistungen für Asylbewerber in ganz Deutschland gesorgt.

Mein Kompliment, Frau Ministerin Alt. Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen aus den Bundesländern haben

sich über Parteigrenzen hinweg so schnell geeinigt, dass bereits in diesem Monat die neuen Leistungen bundeseinheitlich bezahlt werden können.

Meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, Frau Klöckner, diese Konsensfähigkeit sollten Sie Ihrer Partei in Berlin als Best Practice anempfehlen; denn bei Ihnen können sich noch nicht einmal die beiden Schwesterparteien einigen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte gerne ein weiteres Beispiel zur Nachahmung empfehlen. Die Anhebung der Leistungssätze geht in Rheinland-Pfalz nicht zulasten der Kommunen.

(Frau Klöckner, CDU: Es geht auch nichts mehr zulasten der Kommunen!)

Das Land erhöht die Landeszuweisung je Person und Monat von 312 Euro auf 480 Euro und hat dies auch umgehend den Kommunen mitgeteilt, um den Kommunen Planungssicherheit zu geben. Ganz nebenbei geht die Erhöhung dieser pauschalen Zuwendungen sogar noch über die Erhöhung der Pauschalen für Asylbewerber hinaus. Also im Endeffekt stehen die Kommunen, die einen Teil der Kosten schultern müssen, etwas besser da als vorher.

Ich möchte noch einige Fakten zur Entstehung des Gesetzes sagen. Frau Kohnle-Gros hatte schon darauf hingewiesen, ich bewerte es ein klein bisschen anders. Es ist richtig, das Asylbewerberleistungsgesetz ist ein Bestandteil des zwischen CDU, CSU, FDP und SPD vereinbarten Asylkompromisses im Jahr 1993, um den drei Jahre gerungen wurde. Es war ein erklärtes Ziel – die Situation war damals anders –, den Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland zu begrenzen und den Missbrauch des Asylrechts auch einzuschränken, da Deutschland damals europaweit die Hauptlast der Flüchtlingsströme zu tragen hatte.

Mit diesem Gesetz wurden aber gleichzeitig die Asylbewerber aus dem Bundessozialhilfegesetz ausgegliedert. Es wurde ein eigenes Gesetz für sie geschaffen. Dem Grunde nach muss man dieses Asylbewerberleistungsgesetz aus dem Jahre 1993 als ein Asylbewerberverhinderungsgesetz ansehen; denn so war es angelegt.

Das Gesetz regelt aber auch, dass jeweils zum 1. Januar eines Jahres das zuständige Bundesministerium die Beträge neu festsetzen muss, soweit es unter Berücksichtigung der tatsächlichen Lebenshaltungskosten erforderlich ist.

Hier ist es richtig, keine der Bundesregierungen seit 1993 hat diese Sätze angehoben und hat auch nicht einmal versucht, die tatsächlichen Lebenshaltungskosten zu berechnen. Das ist richtig. Aber das macht die Sache nicht besser.

Wie auch in dem Bericht in der Enquete-Kommission „Integration und Migration in Rheinland-Pfalz“ auf der Seite 84 festgehalten, wurde eben davon kein Gebrauch gemacht, und deshalb stehen wir jetzt so da, dass die Schere zwischen dem, was die Leute bekommen, und

der tatsächlichen Lebenshaltung immer weiter gewachsen ist.

Übrigens bezweifelte auch die Enquete-Kommission in ihrem Abschlussbericht bereits die Verfassungsmäßigkeit der Bedarfssätze und stellte fest – ich zitiere aus diesem Bericht –: Allein der Wegfall des Sachleistungsprinzips bei gleichzeitiger Erhöhung der Geldleistungen kann dem sozialstaatlichen Anspruch auf Sicherung des Lebensunterhalts gerecht werden. – Die Mitglieder und Sachverständigen der Enquete-Kommission waren im Recht, was der Vorsitzende, mein Kollege Dieter Klöckner, sicherlich mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis nehmen kann.

Es ist schade, dass sich die CDU-Fraktion dieser Einschätzung in der letzten Wahlperiode nicht anschließen konnte.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich erteile Frau Ministerin Alt das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Fast 20 Jahre lang sind die Leistungssätze des Asylbewerberleistungsgesetzes kein einziges Mal angehoben und dementsprechend nicht an die steigenden Lebenshaltungskosten angepasst worden.

Das Bundesverfassungsgericht hat am 18. Juli dieses Jahres klar Position bezogen. Die Höhe der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist nicht verfassungsgemäß, da sie das Existenzminimum nicht sichern.

Mit dem Karlsruher Urteil haben wir einen ersten sehr wichtigen Etappensieg errungen. Die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz wurden angehoben, und zwar auf das Existenzminimum analog SGB II; denn die Menschenwürde gilt in Deutschland für alle Menschen. Die Menschenwürde ist nicht relativierbar, sie ist unabhängig von der Herkunft oder vom Aufenthaltsstatus. Das sind die Kernaussagen des Bundesverfassungsgerichtsurteils.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Das Bundesverfassungsgericht hat eine Übergangsregelung festgeschrieben. Jetzt ist der Bund am Zuge, diese umzusetzen. Der Bund hat heute zu einem ersten Treffen nach Berlin eingeladen. Das Land Rheinland-Pfalz hat den Vorsitz in der Länderarbeitsgruppe „Migration und Flüchtlingsfragen“. Wir haben Anfang August alle 16 Bundesländer zu uns nach Rheinland-Pfalz eingeladen und haben besprochen, wie die Leistungssätze ausse

hen könnten. Es wurde gerechnet, und wir haben es erreicht, dass einvernehmlich mit allen 16 Bundesländern eine Lösung gefunden worden ist. Ehrlich gesagt, sind wir darauf auch ein bisschen stolz.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vielleicht kann ich Ihnen eine kurze Zwischeninformation zu den Gesprächen heute in Berlin geben. Der Bund hat heute gesagt, er wird mit Hochdruck an einem Gesetzentwurf arbeiten. Außerdem hat sich der Bund – das fand ich jetzt auch ganz nett – bei Rheinland-Pfalz für die gute Vorarbeit in diesen Dingen bedankt.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Doch wie hoch sind die Sätze nun eigentlich? Unter dem Strich liegen die neuen Sätze etwa um 50 % höher als bisher.

Ein alleinstehender Erwachsener bekommt jetzt zum Beispiel 346 Euro anstatt bislang knapp 125 Euro.

Zu der praktischen Umsetzung will ich sagen – das wurde schon angesprochen –: Das Land erstattet den Kommunen auch in Zukunft einen monatlichen Pauschalbetrag pro Kopf in Höhe von neu 480 Euro gegenüber bisher 312 Euro. Damit beteiligt sich das Land im gleichen prozentualen Verhältnis wie bisher an den anfallenden Kosten.

Natürlich kostet es auch Geld, und erste Schätzungen gehen von Mehrausausgaben in Höhe von ca. 4 Millionen Euro für das Land Rheinland-Pfalz aus. Wenn wir wissen, was hiervon kassenwirksam wird, werden wir an dieser Stelle einen entsprechenden Antrag zur Leistung von überplanmäßigen Ausgaben stellen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die neuen Sätze orientieren sich an den aktuellen Hartz-IV-Sätzen; denn Hartz IV markiert hierzulande das Existenzminium. Eingangs sagte ich schon, das Karlsruher Urteil ist nur ein erster Etappensieg für mich. Die zweite Etappe ist die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Wir brauchen dieses Gesetz nicht mehr.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das Bundesverfassungsgericht hat klipp und klar gesagt, dass Asylbewerberinnen und Asylbewerber eine das Existenzminimum sichernde Leistung erhalten müssen. Wir können diese Menschen also in die bestehenden Regelleistungssysteme von SGB II und SGB XII übernehmen. Damit würden Länder und Kommunen für Flüchtlinge die gleichen Erstattungsleistungen vom Bund bekommen wie für alle anderen Personen auch, wenn sie Leistungen nach SGB II und SGB XII erhalten.

Somit ist aus meiner Sicht das Asylbewerberleistungsgesetz verzichtbar, und ich bin der Meinung, dass wir dieses Gesetz ersatzlos streichen können und dies auch tun sollten. Als Integrationsministerin von Rheinland

Pfalz werde ich mich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass wir dieses Gesetz abschaffen. Ich würde mich freuen, wenn Sie mich unterstützen würden.

Danke schön.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, als Gäste auf der Zuschauertribüne begrüße ich Kinderdorfmütter und Erzieherinnen sowie weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des SOSKinderdorfs Pfalz sowie Mitglieder des DRK-Ortsvereins Himmighofen. Seien Sie herzlich willkommen im Landtag! (Beifall im Hause)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Spiegel.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Frau Kohnle-Gros, ich möchte die Gelegenheit nutzen, ein paar Dinge, die Sie gesagt haben, nicht unwidersprochen im Raum stehen zu lassen. Es freut mich natürlich, wenn Sie sagen, dass Sie genau aufpassen. Ich hoffe, dass trifft für die gesamte CDU-Fraktion und für die gesamte Plenarsitzung zu.

(Frau Huth-Haage, CDU: Lächerlich!)

Ich persönlich finde, dass Zuhören eine wertvolle Tugend ist.

(Frau Klöckner, CDU: Das geben wir gern zurück!)

Frau Kohnle-Gros, Sie hatten von dem Begriff des klassischen Asylbewerbers, der klassischen Asylbewerberin gesprochen. Ich muss diesen Begriff jedoch hinterfragen. Sie hatten vom Jahr 1993 gesprochen, in dem wir eine höhere Anzahl von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern hatten, als es heute der Fall ist. Es klingt mit, dass die Menschen, die heutzutage zu uns kommen und Zuflucht suchen, weniger Probleme hätten als die Menschen damals.

(Frau Klöckner, CDU: Das ist eine Unterstellung!)

Wenn ich nach Syrien schaue, wenn ich mir die dramatische Situation in Nordafrika vor Augen halte, dann muss ich sagen: Auch heutzutage gibt es noch viele Menschen, die auf der Flucht sind und Zuflucht suchen, um vor Krieg und Gewalt geschützt zu werden.