Es darf in diesem Zusammenhang nicht unterschlagen werden, dass Vollzugslockerungen sowohl nach derzeitiger Rechtslage als auch nach dem Musterentwurf für ein Vollzugsgesetz überhaupt nur dann möglich sind, wenn dies nach einer gründlichen Prüfung im Einzelfall verantwortet werden kann.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es stellt sich bei dieser Aussprache die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, hier und heute im Detail auf einzelne Fragen der anstehenden Gesetzgebung einzugehen. Bei der Beratung der angekündigten Gesetzesvorlage werden wir alle parlamentarischen Möglichkeiten haben, darüber in einer Gesamtschau zu reden, einzelne Fragen vertieft zu erörtern und dabei auch Sachverstand von Expertinnen und Experten einzubeziehen.
Dabei sollten wir nicht aus den Augen verlieren, dass ein Verwahrvollzug keine verfassungskonforme Alternative zu einem auf Wiedereingliederung ausgerichteten Vollzug sein kann, auch wenn eine auflagenstarke Tageszeitung in der nachrichtenarmen Zeit der Ostertage erkennbar bemüht war, Gegenteiliges herbeizuschreiben.
Es wäre ein gutes Ergebnis, wenn die Gesetzgebungskompetenz der Länder nicht zu einer negativen Konkurrenz auf dem Rücken der Gefangenen führen würde, wie es diesbezüglich von vielen Expertinnen und Experten als Befürchtung geäußert wurde.
In diesem Zusammenhang ist sicherlich ein Blick in die europäischen Strafvollzugsgrundsätze sinnvoll. Darin ist die Aufgabe formuliert, das Leben im Strafvollzug den positiven Aspekten des Lebens in der Gesellschaft so weit wie möglich anzugleichen. Nach den Grundsätzen des Europarats ist jede Freiheitsentziehung so auszugestalten, dass sie den betroffenen Personen die Wiedereingliederung in die Gesellschaft erleichtert. Dazu gehört auch bei Gefangenen mit längeren Freiheitsstraften die Sorge dafür, ihnen eine schrittweise Rückkehr in die Gesellschaft zu ermöglichen.
Herr Kollege Baldauf, ich will Ihnen deutlich sagen, die Befassung in der Art und Weise, wie Sie es vorgeführt haben, wissend, dass Sie eigentlich von Hause aus Rechtsanwalt sind, enttäuscht mich.
(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Pörksen, SPD: Was für einer! – Frau Brede-Hoffmann, SPD: Angeblich!)
Diese Art enttäuscht mich, weil es für die billige Münze vermeintlicher Zustimmung ein polemisches Zuspitzen gibt, auf der einen Seite Täterarbeit und auf der anderen Seite Opfer, die vernachlässigt würden.
Herr Kollege Baldauf, das entspricht überhaupt nicht den Tatsachen. Es entspricht auch nicht dem, was in diesem Modellentwurf tatsächlich drinsteht und was der Akzent des Entwurfes ist. An dem Entwurf hat im Übrigen der vormalige Justizminister des Saarlandes, Herr Ministerpräsident Müller, der inzwischen Verfassungsrichter in unserem Land ist, mitgearbeitet.
Lassen Sie sich das durch den Kopf gehen. Ich glaube, dass es nicht sinnvoll ist, den Opferschutz gegen die Arbeit mit den Tätern auszuspielen. Wir als Staat sind gefordert, vernünftigen Strafvollzug mit den Interessen zu betreiben, die Bevölkerung zu schützen und im Rahmen der Resozialisierung die Grundlagen dafür zu legen, dass sich Menschen in Zukunft straffrei verhalten. Das ist ein schwieriges Ziel, das nicht immer gelingt. In Rheinland-Pfalz geschieht hier eine vorbildliche Arbeit mit einer exzellenten Personalausstattung, wenn ich mir das im Ländervergleich anschaue.
Das geschieht mit viel Arbeit, die die Menschen da hineinstecken, damit sie ihre Aufgabe erfüllen können. Das geschieht mit der Unterstützung von Ehrenamtlichen, die sich dort engagieren, damit diese Arbeit gelingt.
Bei der Beantwortung der Mündlichen Anfrage habe ich Ihnen vorhin gesagt, dass erstmalig in diesem Musterentwurf auch Opferbelange zur Prüfung bei Vollzugslockerungen aufgenommen worden sind. Das ist also ein erheblicher Fortschritt gegenüber der jetzigen Gesetzeslage.
Reden Sie nicht davon und machen Sie den Menschen nicht Angst mit Schlagzeilen der „BILD“-Zeitung, die suggerieren, dass nach fünf Jahren alle, die zu lebenslänglich verurteilt wurden, auf der Straße herumlaufen würden. Das ist überhaupt nicht die Intention des Entwurfes. Das ist überhaupt nicht die Gefahr, die im Raum steht, wenn man so etwas machen würde. Es ist ein verantwortlicher Umgang mit Vollzugslockerungen mit dem Ziel der Resozialisierung. Es ist ein noch geschärfterer Blick darauf als nach der jetzigen Gesetzeslage.
Im Übrigen sprechen wir immer von lebenslänglich Verurteilten. Schon früher, bevor die Fragen geregelt worden sind, wann nach 15 Jahren von der Strafvollstre
ckungskammer geprüft werden kann, ob eine Entlassung ansteht, gab es schon Fälle mit Gnadenerweis, dass man vorzeitig jemand entlassen hat, unter Umständen schon unter den 15 Jahren. Das war beispielsweise dann der Fall, wenn er nicht mehr lange zu leben hatte. Ich spreche von „er“, weil wir in Rheinland-Pfalz etwa 107 männliche lebenslänglich Inhaftierte und sieben weibliche haben. Davon sind drei aus dem Saarland. Über diese Personengruppe sprechen wir.
Es gibt sehr unterschiedliche Arten von Gefangenen. Es gibt enorm gefährliche, mit denen so etwas auch nicht nach zehn, zwölf oder 15 Jahren zu erproben wäre. Es gibt andere, die vielleicht erfolgreich eine Therapie hinter sich haben, die an solchen Maßnahmen mitarbeiten. Dies steht im Mittelpunkt des neuen Modellentwurfs. Sie können dann sagen, es kann erfolgreich sein, wenn man das mit einem sogenannten Hafturlaub erprobt.
Es ist sicher hilfreich, wenn man dann nicht über jede Skandalisierungswelle bei verantwortlicher Politik mit rüberspringt. Ein Artikel von Herrn Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 12. April 2012, den ich Ihrer Lektüre empfehle, endet damit, es ist freilich notwendig, wie sein Kollege Professor Dr. Frieder Dünkel aus Greifswald sagt, auch ein entsprechender Wissenschaftler, den Vollzug aus dem Skandalisierungskreislauf der Medien herauszubringen. Hier wäre Ihre Mithilfe gefordert und nicht das Reiten auf solchen Wellen.
Vielen Dank, Herr Justizminister. Herr Kollege Baldauf hat noch einmal das Wort. Sie haben zwei Minuten.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich fand das ganz interessant, was die anderen Redner ausgeführt haben. Herr Kollege Sippel, Rheinland-Pfalz ist ein sicheres Land. Schön. Im Strafvollzug gibt es bisher keine Probleme. Schön. Herr Minister, ich frage aber, warum wir eine Reform brauchen. Richtig ist, wir haben in der Föderalismusdebatte jetzt die Aufgabe, ein solches Gesetz zu machen.
Scheinbar gibt es aber überhaupt keinen Anlass, an irgendeiner Stelle darüber nachzudenken, den Urlaub für die Schwerverbrecher nicht erst nach zehn Jahren zu akzeptieren, sondern bereits nach fünf Jahren möglich zu machen.
Das ändert nichts daran, dass es überhaupt keinen Reformbedarf gibt. Das haben Sie gerade selbst ausgeführt.
Wenn Sie das in die Diskussion bringen, dann passiert genau das, was Sie vermeiden wollten. Sie bekennen sich dazu, dass Sie beim Täter eine Erleichterung vornehmen wollen, und zwar bei Tätern, die schwerste Verbrechen begangen haben, und vergessen dabei, dass es Opfer gibt, die vielleicht genau darauf Wert legen, dass es eine Sühne gibt und eine Strafe vollstreckt wird. Eine Strafe bei Schwerverbrechern ist – das werden Sie sicherlich nicht anders sehen – zunächst im Gefängnis zu vollstrecken und nicht im Urlaub in der freien Natur, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Warum wollen Sie sich darüber hinwegsetzen? Ich kann Ihnen dazu nur sagen – bevor ich zum Schluss komme, Frau Präsidentin –, wenn Sie wirklich die Opfer im Blick haben, dann können Sie einen solchen Schritt nicht gehen. Die Opfer werden das nicht akzeptieren. Die Opfer werden es nicht verstehen. Die Opfer werden in dieser Form nicht ausreichend berücksichtigt.
(Beifall bei der CDU – Frau Brede-Hoffmann, SPD: Noch mehr Banalitäten fallen Ihnen nicht ein? – Ministerpräsident Beck: Das ist unglaublich! Man erkennt die Absicht und kann sich nur schütteln!)
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Baldauf, das war jetzt nichts Neues. Sie haben bereits in der ersten Runde Ihr Pulver verschossen.
Ich will noch einmal deutlich machen, dass es nicht zuletzt auch wegen der aktuellen Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte immer die Frage ist, wie ich Resozialisierung in den Haftanstalten verbessern kann. Das ist eine Daueraufgabe. Die ist nie abgeschlossen. Ich will nicht verhehlen, dass wir im Zusammenhang mit dem Landesstrafvollzugsgesetz natürlich auch noch Klärungsbedarf sehen. Es ist nicht so, dass wir jetzt auf alle Regelungen mit wehenden Fahnen springen. Wir nehmen auch die Sorgen aus der Bevölkerung, der Justizvollzugsbeamten und der Polizei ernst. Es ist gerade Aufgabe eines Gesetzgebungsverfahrens, diese Meinungen einzuholen und das Für und Wider abzuwägen. Das ist aus meiner Sicht Aufgabe der Politik, sehr verantwortungsvoll mit dem Für und Wider, mit dem Pro und Kontra umzugehen, um dann zu einer guten Entscheidung zu kommen.