Protocol of the Session on December 8, 2011

Weiterhin müssen wir die Bleiberechtsregelung dahin gehend reformieren, dass wir realistische Anforderungen an die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen stellen. Dies betrifft einerseits die notwendigen Vorlaufzeiten – wir wünschen uns eine Absenkung dieser Vorlaufzeiten –, andererseits aber betrifft es die unzumutbar hohen Anforderungen, die an die Betroffenen bezüglich der eigenständigen Lebens- und Unterhaltssicherung gestellt werden. Gerade Familien mit Kindern sind trotz Erwerbsarbeit teilweise auf Sozialleistungen angewiesen, um die Existenz der Familie zu sichern. Auch für kranke, behinderte und alte Menschen benötigen wir eine humanitäre Lösung; denn an diese Gruppe können nicht die gleichen Anforderungen gestellt werden wie an alle anderen Betroffenen. Wir fordern die Landesregierung auf, auf Bundesebene in den Verhandlungen dafür einzutreten, dass realistische Anforderungen an die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gestellt werden.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Die Initiative der Landesregierung für eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung im Rahmen der Innenministerkonferenz am 9. Dezember begrüßen wir sehr. Außerdem soll die Landesregierung den Aus

länderbehörden für die Menschen, die eine sogenannte Aufenthaltserlaubnis auf Probe bis zum 31. Dezember dieses Jahres haben, nach der aktuellen Bleiberechtsregelung rechtzeitig entsprechende Hinweise für eine Verlängerung geben; denn es darf nicht passieren, dass diese Menschen wieder in eine Duldung kommen. In diesem Bereich benötigen wir wirklich ein Handeln, und wir müssen den Menschen und den Betroffenen schnell helfen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat Frau Kollegin Kohnle-Gros das Wort.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man Frau Kollegin Anne Spiegel so zuhört und nicht weiß, worum es rechtlich und auch tatsächlich geht, könnte man sich fragen, warum wir nicht einfach das umsetzen, was hier vorgeschlagen wird.

(Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genauso ist es!)

Meine Damen und Herren, aber so ganz einfach ist das nicht. Ich glaube, man muss schon wissen, was eine Duldung eigentlich bedeutet. Die Duldung ist ein Rechtsinstrument, das in den Gesetzen festgeschrieben ist. Die Duldung ist nach der Definition des deutschen Aufenthaltsrechts eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung von ausreisepflichtigen Ausländern und stellt damit keinen Aufenthaltstitel dar und begründet auch keinen rechtmäßigen Aufenthalt. Die Duldung dient ausschließlich dazu, dem Ausländer zu bescheinigen, dass er ausländerbehördlich registriert ist und von einer Durchsetzung der bestehenden Ausreisepflicht für den genannten Zeitraum, in der die Duldung gilt, abgesehen wird. Ich glaube, das muss man zunächst einmal zur Kenntnis nehmen.

Meine Damen und Herren, die Praxis sieht so aus, dass es in Deutschland viele Menschen gibt, die sich tatsächlich durch eigenes Verschulden und durch eigenes Zutun vor einer Ausreise gedrückt haben und alles dazu getan haben, dass sie nicht ausreisen müssen, indem sie keine Papiere besitzen, sodass man sie nicht in die Heimatländer abschieben kann, in die sie gehören. – Es gibt auch noch andere Möglichkeiten dazu.

Da es auch einmal Bürgerkriegsflüchtlinge gab und Menschen, die aufgrund einer bestimmten humanitären Lage nicht mehr in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden konnten, hat sich im Laufe der Jahrzehnte die Rechtslage verändert. Es gab eine Bleiberechtsregelung, die im Jahr 2007 mit einem Stichtag in Kraft getreten ist. Wer bis zum Stichtag 1. Juli 2007 länger als acht

Jahre – und wenn er eine Familie mit kleinen Kindern hatte, länger als sechs Jahre – in Deutschland war – wir sprechen von den sogenannten „Altfällen“ –, und wer gleichzeitig auch seinen Lebensunterhalt selbst verdienen konnte, durfte mit dieser Stichtagsregelung in Deutschland bleiben, meine Damen und Herren.

Man hat sich darüber hinaus auf eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe verständigt für diejenigen, die zu diesem Zeitpunkt ihren Lebensunterhalt zwar noch nicht selbst verdienen konnten, denen man aber zugetraut hat, dass sie es schaffen. Diese Regelung wiederum – die Aufenthaltserlaubnis auf Probe – wurde von der Innenministerkonferenz, die in einem Zwei-Jahres-Rhythmus immer im Dezember stattfindet, noch einmal bis zum 31. Dezember dieses Jahres verlängert.

Man muss sehen, dass viele Menschen, denen man eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe zugesprochen hatte, es in diesen vier Jahren nicht geschafft haben, ihren Lebensunterhalt selbst zu sichern. Dies ist ein Grund, der in unseren Ausländergesetzen und Aufenthaltsgesetzen als Voraussetzung steht.

Die Diskussion geht derzeit um zwei Dinge. Es geht zum einen – Frau Spiegel, Sie haben es bereits angeführt – um eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung. Das heißt, wir würden nicht mehr von Altfällen sprechen, sondern all diejenigen, die auch nach dem Stichtag 1. Juli 2007 eingereist sind und lange genug in Deutschland leben – acht Jahre bzw. sechs Jahre; nach dem Wunsch der GRÜNEN und der SPD fünf Jahre bzw. sieben Jahre – – –

Das heißt, jeder, der sich lange genug in Deutschland aufhalten konnte – auch wenn er keinen Aufenthaltsstatus hat, weil er illegal eingereist ist oder sich illegal in Deutschland aufhält –, würde sich das Bleiberecht ersitzen. Das wäre meines Erachtens ungerecht gegenüber denjenigen, die sich darum bemüht haben, sich in der Gesellschaft zu integrieren, und die ihren Lebensunterhalt für sich und für ihre Kinder verdienen.

(Beifall der CDU)

Es wäre nach der derzeitigen Gesetzeslage ein falsches Signal, wenn wir ein Daueraufenthaltsrecht in Deutschland schaffen würden, ohne dass es auf die Frage ankäme, ob jemand wirtschaftlich integriert ist und für seinen eigenen Lebensunterhalt sorgen kann.

Meine Damen und Herren, es gab in der jüngsten Vergangenheit eine Veränderung im Aufenthaltsgesetz, die zum 1. Juli 2011 in Kraft getreten ist. Geändert wurde § 25 a dahin gehend, dass besonders gut integrierte Kinder und Jugendliche, die eine deutsche Schulbildung durchlaufen haben und eine Chance auf eine Ausbildung haben, mit ihren Eltern in Deutschland bleiben können. Ich denke, der Gesetzgeber hat auf alle Fragen, die in der letzten Zeit aufgetreten sind, reagiert. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit auch gegenüber denjenigen, die sich gesetzeskonform und integrationswillig zeigen. Es wäre ungerecht ihnen gegenüber, wenn man die Regelungen aufweichen würde.

(Beifall der CDU – Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Geduldete sind gesetzeswidrig in Deutschland? Das ist doch Unsinn!)

Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Kollege Dr. Konrad gemeldet.

Entschuldigen Sie bitte, dass ich zu der blauen Karte greifen musste. Ich habe eine Zwischenfrage an Frau Kohnle-Gros. Sie haben von illegalem Aufenthalt gesprochen. Unter illegalem Aufenthalt verstehe ich, dass sich jemand illegal, das heißt, für die Behörden nicht zugreifbar, in Deutschland aufhält. Das ist mein Begriff von illegal, dass Menschen eingereist sind, ohne dass die Behörden es mitbekommen haben. – Die Polizei weiß nicht, wo sie sind, und die Ausländerbehörde weiß nicht, wo sie sind.

Ich verstehe unter dieser Bleiberechtsregelung aber, dass es Menschen sein müssen, von denen die Behörden doch wissen, dass sie in Deutschland sind,

(Frau Spiegel, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, klar!)

sonst könnten sie doch überhaupt kein Bleiberecht erhalten. Sind Sie bereit, das zu differenzieren? – Ich finde es sehr wichtig zu differenzieren, dass wir eben nicht von Menschen sprechen, die sozusagen irgendwo im Dunkeln leben, sondern dass wir von Menschen sprechen, über deren Aufenthalt die Ausländerbehörden Bescheid wissen. Es geht nur darum, dass diese Menschen sich über Jahre in Deutschland aufhalten und sie keinen Aufenthaltstitel haben.

Ich kenne einige dieser Menschen. Ich habe Familien, die ich betreue, deren Kinder unheilbar krank sind und die deswegen nicht zurückkehren können. Sie haben aber keinen Aufenthaltstitel, sondern sie haben ein Abschiebungshindernis, und deshalb dürfen sie hierbleiben.

Ich hoffe, wir verstehen uns da. Wir dürfen das hier nicht durcheinanderschmeißen. Da tun wir den Leuten unrecht. Ich bitte Sie, das richtigzustellen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich erteile Frau Kollegin Kohnle-Gros das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte nur noch einmal sagen, die Duldung schützt den, der die

Duldungsvollmacht hat, vor Strafverfolgung, weil er sich sonst wegen illegalen Aufenthaltes – – –

(Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein! – Zuruf aus dem Hause: Er ist legal hier! – Weitere Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Das ist ein Missverständnis. Er ist ausreisepflichtig.

(Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist nicht illegal!)

Er hat keinen Aufenthaltsstatus. Das ist eben der Unterschied. Das ist so.

(Pörksen, SPD: Sie nutzen diffamierende Begriffe, nichts anderes!)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Kollegin SahlerFesel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Frau Kohnle-Gros, ich habe schon öfter bedauert, dass Sie leider nicht in der Enquete-Kommission „Integration und Migration“ waren. Frau Thelen hätte den Unterschied erkannt.

Sie haben eben aber auch bei der Diskussion nicht zugehört. Ich finde es schon fast dreist, sich hier hinzustellen und zu sagen: Wer 2007 in die Regelung kam, dass er einen Aufenthaltstitel auf Zeit bekam und es in vier Jahren nicht geschafft hat, eine eigenständige Sicherung des Lebensunterhaltes sicherzustellen, wo wir uns eben über eine Stunde über prekäre Lebensumstände und Arbeitsverhältnisse unterhalten haben oder wie immer man es nennen mag, und wer weiß, dass die Geduldeten – das muss man wissen – eben nicht in Arbeitsfördermaßnahmen kommen, dass Geduldete keinen Anspruch auf Integrationskurse haben – dass eben genau diese Integration gar nicht gewünscht wird – und sie damit keine wirklich qualifizierten Arbeitsstellen bekommen, sondern genau im Niedriglohnsektor bleiben, der ist wirklich dreist, wenn er den Leuten dann vorwirft, dass sie noch Transferleistungen und ergänzende Sozialleistungen oder ähnliche Leistungen brauchen. Genau das ist der Knackpunkt, um den es geht.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Kern geht es uns bei diesem Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN darum, eine faktisch vollzogene Integration aufenthaltsrechtlich zu würdigen. Es geht nicht um das, was Sie hier darstellen. Sie schaffen es wieder, Einzelfälle, die es natürlich gibt, in den Mittelpunkt zu stellen. Das sind natürlich alles Menschen. Das sind nicht nur freundliche und nette Menschen. Es gibt schon das, was Sie sagen. Aber diese Einzelfälle verallgemeinern Sie wieder und malen wieder das Bild des illegal hier lebenden Ausländers, der nichts anderes

macht, als zu versuchen, sich hier einzuschleichen und endlich auf unsere Kosten leben zu können. Das müssen wir doch langsam einmal überwunden haben.

Langjährig geduldete Flüchtlinge haben ein Recht auf die Chance eines dauerhaften Bleiberechtes. Die entscheidende Hürde, liebe CDU-Kolleginnen und -Kollegen, liegt in dem Begriff der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhaltes.

Die neue Regelung, die Sie ansprechen, die wir in der Richtung gut finden, bezieht sich nur auf die Altersgruppe der 15- bis 21-Jährigen mit der Bedingung, dass die Eltern genau das erfüllen, nämlich diese eigenständige Sicherung des Lebensunterhaltes. Hier beißt sich einmal wieder die Katze in den Schwanz. Das ist doch genau der Teufelskreis.

Wir erwarten ganz einfach, dass demjenigen, der das Abschiebehindernis nicht zu vertreten hat und sich rechtstreu verhält, sein Bemühen um Arbeit anerkannt wird. Ihm sollten seine Integrationsleistungen anerkannt werden. Hier besteht die dringende Bitte – meine Kollegin Frau Spiegel hat es schon gesagt –, dass auch die humanitäre Ausnahmeregelung für ältere, kranke und erwerbsunfähige Menschen gilt und es nicht so kommt, dass sie immer wieder nur Kettenduldungen bekommen, sodass die Menschen hier bleiben und faktisch keine Chancen haben. Das wollen wir mit dem Antrag erreichen.

Wir wollen nicht Illegalität legalisieren und was Sie da alles eben versucht haben darzustellen. Ich finde es schlimm, dass wir hier immer wieder in die Richtung dieselbe Leier hören, als ob wir nie etwas erklärt und richtiggestellt hätten.

Das ist der Diskussion und dieser Menschen nicht würdig. Ich fordere Sie einfach noch einmal auf, dass Sie mit uns nicht nur nachdenken, sondern auch einmal den Bericht der Enquete-Kommission lesen, dass Sie einmal die Teile lesen, die nicht als Sondervotum eingebracht wurden, sondern die andere Geschichte lesen und uns und die Landesregierung darin unterstützen, eine solche Regelung auf Bundesebene herbeizuführen.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)