Herr Billen, die 8,50 Euro habe ich Ihnen in der letzten Debatte schon erklärt. Ich habe es vorhin wieder versucht, ich werde es noch einmal probieren.
8,50 Euro leiten sich von dem einfachen Satz ab, den der Herr Ministerpräsident auch zitiert hat: Wer Vollzeit arbeitet, der muss von seinem Lohn auch einigermaßen anständig leben können. – 8,50 Euro bedeuten einen
Bruttolohn im Monat von 1.350 Euro. Die Pfändungsfreigrenze, die ein Existenzminimum vielleicht objektiveren kann, beträgt netto 1.030 Euro.
Dann können Sie doch nicht sagen, dass ein Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde zu hoch sei. Ganz im Gegenteil, es kann nur die absolute Untergrenze sein. Wir wünschen uns natürlich Tarifverträge und Stundenlöhne, die weit darüber liegen, weil es nicht nur um die Existenzsicherung geht, sondern wir wollen den Menschen auch ein gutes Leben für ihre gute Arbeit ermöglichen, meine Damen und Herren.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Billen, CDU – Zuruf der Abg. Frau Klöckner, CDU)
Wenn immer noch Teile der CDU meinen, das wäre der real existierende Sozialismus, wenn man einen flächendeckenden Mindestlohn fordert, dann rate ich zu einem Blick auf unsere Nachbarn: Belgien 8,58 Euro; die Niederlande 8,74 Euro;
Frankreich 9,00 Euro. Ich glaube, wir können uns in Europa einmal Vorbilder nehmen. Hier ist Deutschland leider nicht die Zugmaschine, hier hinken wir weit hinterher. Ich glaube, es wird Zeit für einen gesetzlichen Mindestlohn.
Ich bin froh, dass in dieser Debatte wieder deutlich geworden ist, dass das, was die CDU beschlossen hat, nicht mehr ist als Augenwischerei und diejenigen, die für sozial gerechte Entlohnung am Arbeitsplatz sorgen wollen, 2013 eine andere Bundesregierung wählen müssen.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will nur noch zwei Anmerkungen machen: Herr Ministerpräsident, ich verwahre mich noch einmal ausdrücklich dagegen, dass Sie hier behaupten, wir hätten nicht das Ziel, dass jemand, der Vollzeit arbeitet, auskömmlich verdienen soll. Das stimmt nicht, und es ist eine Unverschämtheit, so etwas zu behaupten.
Herr Köbler, die Grundsatzdebatte, dass wir nur 65.000 Aufstocker haben, in Spanien 40 % Arbeitslose und in den Niederlanden kein Kündigungsschutzgesetz haben, müssen wir doch heute hier nicht führen. Darum geht es doch nicht. Es geht um die Frage des Weges.
Dazu unabhängig vielen Dank für Ihr arbeitsrechtliches Seminar, das mich wirklich wieder enorm nach vorne gebracht hat.
Herr Ministerpräsident, eines wollte ich Ihnen dazu sagen: Mit einem haben Sie recht, und bei diesen Grundsätzen sollten Sie auch bleiben: Sie haben am Anfang ausgeführt, dass nach dem Krieg in einer Zeit, als es nicht sehr viele Tarifbindungen und relativ wenige Tarifverträge gab, schon gar keine allgemeinverbindlich erklärten – unter Adenauer hatten Sie gesagt; mithilfe vieler anderer von Röpke bis Erhard, füge ich hinzu –, das Mindestarbeitsbedingungengesetz geschaffen wurde.
Herr Ministerpräsident, wenn das damals so hervorragend funktioniert hat und wir heute eine Situation haben, in der wir so viele Arbeitsplätze haben wie bisher noch nie in unserer Geschichte, und ich weiß, dass diese minderen Löhne vor allem bei den Nichtgelernten, Ungelernten oder Geringqualifizierten gezahlt werden, dann sage ich Ihnen, was Sie hier machen können: Sie können dafür Sorge tragen – diese Diskussion haben wir heute Morgen geführt –, dass im Bildungsbereich von frühester Kindheit an dafür Sorge getragen wird, dass diese jungen Menschen eine solche Ausbildung bekommen, dass sie solche Jobs gar nicht annehmen müssen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Nur, wenn so viel Unterricht ausfällt, wenn so wenig dafür getan wird, brauchen Sie sich dabei nicht zu wundern.
Diese Verantwortung haben Sie. Die sollten Sie einmal wahrnehmen. Kümmern Sie sich einmal um die Geringqualifizierten und die Nichtqualifizierten, und tun Sie nicht immer so, als ob alle anderen das einfach so mit zahlen sollten. Das stört mich wirklich.
Wir vergessen immer, es gibt eine breite Mehrheit in unserer Bevölkerung, die dafür Sorge trägt, dass überhaupt Geld in unseren Kassen ist. Die vernachlässigen wir dabei und vergessen völlig, dass wir dafür zuständig sind, dass im Bildungsbereich etwas getan wird. Ich würde mich freuen, wenn Sie in diesem Bereich etwas tun würden. Dann sind wir an Ihrer Seite.
Es wurde beantragt, den Antrag – Drucksache 16/646 – an den Sozialpolitischen Ausschuss – federführend – sowie an den Wirtschaftsausschuss zu überweisen. Findet das Zustimmung? – Jawohl, das ist sehr schön.
Einführung einer stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung Antrag der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 16/648 –
Die Fraktionen haben eine Grundredezeit von fünf Minuten vereinbart. Frau Kollegin Spiegel wird den Antrag begründen, bitte schön.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Besucherinnen und Besucher! Ich freue mich, heute den Antrag zur Einführung einer stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung einzubringen; denn dieser Antrag hat für die Menschen in Rheinland-Pfalz, die hier seit vielen Jahren leben, aber dennoch nur eine Duldung bzw. eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe besitzen, eine sehr große Bedeutung.
Derzeit besitzen etwa 3.000 Menschen in RheinlandPfalz eine Duldung, über die Hälfte von ihnen schon seit mehr als sechs Jahren.
Bevor ich auf die Forderungen eingehe, die wir mit diesem Antrag verbinden, möchte ich Ihnen ein kleines Beispiel aus der Praxis berichten, das deutlich macht, wieso dieser Antrag so wichtig ist: Vor neun Jahren flüchtete Dschangir Faradschevs Familie aus Aserbaidschan nach Deutschland. Trotz jahrelanger Duldung spricht er exzellent Deutsch,
hat eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann absolviert und arbeitet hier. Er zahlt seit fünf Jahren Steuern und ist aktiv im Fußballverein als Trainer.
Von den bisherigen Bleiberechtsregelungen aber blieb er ausgeschlossen. Die Familie ist 2002, wenige Monate nach dem für ein Bleiberecht gesetzten gültigen Einreisestichtag, nach Deutschland gekommen.
Auch das 2011 beschlossene Bleiberecht für integrierte junge Menschen hilft ihm nichts. Dafür ist Dschangir mit 26 Jahren bereits zu alt.
Dschangir drückt es folgendermaßen aus: „Einerseits hab ich mich komplett in die deutsche Gesellschaft integriert und zähle dazu, auf der anderen Seite bin ich niemand.“ Das stammt von der Website Pro Asyl.
Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, dass wir eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung hinbekommen; denn die Festlegung auf einen bestimmten Einreisetag kann aus unserer Sicht nicht richtig sein. Sie ist schlicht und ergreifend ungerecht.
Die Kettenduldungsproblematik entsteht immer wieder aufs Neue, solange wir keine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung schaffen. Von den letzten Bleiberechtsregelungen können nur diejenigen Geduldeten profitieren, die bis zum Stichtag 1. Juli 1999 bzw. 1. Juli 2001 eingereist sind. Alle anderen Betroffenen bleiben ausgeschlossen.
Meine Damen und Herren, um es deutlich zu sagen, das heißt, dass diese Menschen Pech gehabt haben, weil sie nicht zum richtigen Termin eingereist sind, und das kann aus unserer Sicht nicht richtig sein. Dieses Thema ist viel zu wichtig, um sich auf eine Stichtagsregelung zurückzuziehen und den Menschen damit ohne Berücksichtigung ihrer Situation im wahrsten Sinne des Wortes die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Solange wir keine Bleiberechtsregelung schaffen, die unabhängig von einem Stichtag ist, werden wir die Betroffenen auch weiterhin in eine Negativspirale der Kettenduldungen zwingen. Das ist aus unserer Sicht nicht menschenwürdig.
Weiterhin müssen wir die Bleiberechtsregelung dahin gehend reformieren, dass wir realistische Anforderungen an die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen stellen. Dies betrifft einerseits die notwendigen Vorlaufzeiten – wir wünschen uns eine Absenkung dieser Vorlaufzeiten –, andererseits aber betrifft es die unzumutbar hohen Anforderungen, die an die Betroffenen bezüglich der eigenständigen Lebens- und Unterhaltssicherung gestellt werden. Gerade Familien mit Kindern sind trotz Erwerbsarbeit teilweise auf Sozialleistungen angewiesen, um die Existenz der Familie zu sichern. Auch für kranke, behinderte und alte Menschen benötigen wir eine humanitäre Lösung; denn an diese Gruppe können nicht die gleichen Anforderungen gestellt werden wie an alle anderen Betroffenen. Wir fordern die Landesregierung auf, auf Bundesebene in den Verhandlungen dafür einzutreten, dass realistische Anforderungen an die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gestellt werden.