Hier ist der Bund gefordert, aber auch die Länder, die Kommunen und die Träger. Bitte leisten Sie dazu Ihren Beitrag!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Ende der Aussprache über die Mündlichen Anfragen angelangt. Wortmeldungen liegen mir dazu nicht mehr vor.
Die Fraktionen haben vereinbart, dass wir jetzt die Mittagspause einlegen. Es ist 12:00 Uhr. Um 13:00 Uhr treffen wir uns wieder in diesem Saal zur Fortsetzung der Plenarsitzung. Guten Appetit!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf Sie nach der Mittagspause begrüßen und die Sitzung mit Punkt 7 der Tagesordnung mit dem ersten Thema fortsetzen:
„Haltung der Landesregierung zur Diskussion über die Zukunft der Pflege“ auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Drucksache 16/323 –
Die Aktuelle Stunde ist dreigeteilt, insofern wird die erste Runde jeweils 5 Minuten Grundredezeit und die zweite 2 Minuten Grundredezeit haben.
(Frau Klöckner, CDU: Ich weiß auch nicht, wo meine Kolleginnen und Kollegen sind! Vielleicht haben sie es noch nicht vom Mittagessen zurück geschafft!)
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es macht nichts, dass wir uns unmittelbar nach dem Mittagessen treffen. Ich habe eine schlafmedizinische Doktorarbeit erstellt, kenne deshalb den Zustand großer Müdigkeit sehr gut und kann damit auch
umgehen. Ich hoffe, es wird nicht so langweilig für Sie alle, dass Sie in dieser nachmittäglichen Frühe dann einschlafen müssen.
Die Bundesregierung hat das Jahr 2011 zum Jahr der Pflege erklärt. Wir sind alle davon ausgegangen, zumindest diejenigen, die sich mit dem Thema „Pflege“ beschäftigen, dass die Bundesregierung jetzt den großen Wurf macht, die Pflege nachhaltig finanziert und vor allem besondere Gruppen, wie Demenzkranke und andere Betroffene, bessergestellt oder diese zumindest besser berücksichtigt werden können.
Jetzt sind fast neun Monate vorbei, also drei Viertel dieses Jahres, und tatsächlich gibt es keine Einigung auf Eckpunkte, sondern – deshalb haben wir das zum Thema einer Aktuellen Stunde gemacht – für die Pflegebedürftigen in der Bundesrepublik und besonders auch für die Maßnahmen der Landesregierung zur Sicherstellung der Pflege hier in Rheinland-Pfalz sind die entsprechenden Vorgaben nicht in Sicht. Nein, die CSU hat sogar jetzt noch einmal ein ganz anderes Modell in den Ring geworfen. Wir wissen noch nicht, wie sich die Koalition einigen wird.
Alle fordern – das ist auch weitgehender Konsens – eine Weiterentwicklung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes, damit auch Betreuungsleistungen entsprechend berücksichtigt werden können, eine bessere Berücksichtigung von Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz, vor allem sind hier ältere Demenzkranke zu nennen, eine angemessene Berücksichtigung von jüngeren Menschen, die wegen Behinderungen auch pflegebedürftig sein können, und eine wissenschaftsfundierte Begutachtungspraxis, von der wir nach wie vor weit entfernt sind, was auch die Begutachtung in der tagtäglichen Realität nicht menschenwürdig gestalten lässt.
Ein kurzer Exkurs: Als Mitglied einer Pflegearbeitsgruppe des MDK und später auch des Bundesgesundheitsministeriums muss ich darauf hinweisen, dass immer noch nur die Zeitanteile der Pflege berücksichtigt werden und dies wissenschaftlich immer noch nicht haltbar ist.
In München und Berlin ist man jetzt dem Eindruck entgegengetreten, man wolle das verzögern. Das Bundesgesundheitsministerium hat gesagt, man wolle die versprochene Pflegereform nicht weiter verzögern. Herr Daniel Bahr werde, wie angekündigt, noch im Sommer – im Sommer, darauf legen wir Wert – Eckpunkte vorlegen, sagte ein Sprecher in Berlin. Ziel sei – da darf ich aus der „Süddeutschen Zeitung“ zitieren –, Verbesserungen etwa für Demenzkranke umzusetzen. –
Am 23. September werde ein Eckpunktepapier vorgelegt. Dann ist aber tatsächlich nicht mehr unbedingt Sommer, weder kalendarisch noch meteorologisch. Wir müssen uns dann überlegen, ob es wirklich so weit ist, nachdem die CSU ganz andere Vorgaben gemacht hat; denn Herr Bahr hat ja seit mehreren Monaten immer wieder darauf hingewiesen, dass er ein Kapitaldeckungsverfahren für die Pflegeversicherung einführen will, also ein Rücklageverfahren anstelle des derzeitigen Umlageverfahrens, während die CSU jetzt mit einem ganz anderen Modell an die Presse herangetreten ist.
Die CSU hat vor, alle Leistungsgesetze steuerfinanziert für besonders schwer Pflegebedürftige, für Demenzkranke und Ähnliche zusammenzufassen. Das ist alles nicht sehr hilfreich; denn um vernünftige Pflegepolitik zu machen, müssen sowohl die Verbände, die Träger, die Angehörigen, die Betroffenen und nicht zuletzt auch wir als politisch Verantwortliche hier in Rheinland-Pfalz eine Richtschnur haben, in welchem Bereich sich Änderungen ergeben werden und worauf wir uns einstellen können.
Immerhin muss das Land sicherstellen, dass die stationäre Pflege gesichert ist. Die Pflegeversicherung zahlt keinen unerheblichen Teil der Kosten dieser stationären Pflegeeinrichtungen.
Zur Rücklagefinanzierung folgende Anmerkungen: Die Generation, zu der ich gehöre, die in den 90er-Jahren gearbeitet hat und hoffentlich noch eine Zeit vor sich hat, bevor sie pflegebedürftig wird, hat von Beginn der Pflegeversicherung an eingezahlt. Die Generation, die jetzt Leistungen erhalten hat, hat diese Pflegeversicherung als Beitragszahler gar nicht mehr erlebt gehabt, das heißt keine Beiträge bezahlt. Eine solche Umstellung an diesem Punkt würde bedeuten, dass eine Generation keine Beiträge bezahlt hat, aber Leistungen erhält, eine andere Generation Beiträge bezahlt hat, aber keine Leistungen erhält, weil sie diese Leistungen noch einmal über eine Rücklagefinanzierung vorfinanzieren soll. Das halte ich zumindest für sehr bedenklich, wenn nicht gar für einen glatten Verfassungsbruch.
Nachdem jetzt die beiden Gesundheitsminister – das Amt hat ja gewechselt – in den letzten Monaten über eine Reform gesprochen haben, kommt jetzt vor gerade einmal drei Tagen die CSU mit ihrem Bundesleistungsgesetz. Das war für uns Anlass, die Zukunft der Pflege hier zum Thema zu machen, oder hätten wir besser gefragt: Hat die Pflege Zukunft? Müssen wir uns jetzt auf die Diskussion einlassen, es ist kein Geld da, also können Menschen nicht gepflegt werden? – Das darf nicht die Konsequenz dieser Verzögerung sein.
Wichtig für Rheinland-Pfalz wird es sein, die Pflege auf sichere Füße zu stellen, einen vernünftigen Pflegebedürftigkeitsbegriff vorgegeben zu bekommen und eine nachhaltige Finanzierung auch für die Einrichtungen hier vor Ort sicherzustellen.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir waren erst etwas überrascht über diese Bezeich
nung der Aktuellen Stunde, weil sie anregt, dass wir über eine Diskussion diskutieren. Das halte ich immer für ein bisschen schwierig. Ich glaube, der Beitrag von Herrn Dr. Konrad hat auch gezeigt, dass Sie auf viele Mutmaßungen bauen, weil das Eckpunktepapier – das haben Sie richtig gesagt – am 23. September vorgelegt werden soll.
Ich denke, wenn wir das einmal vorliegen haben und daraus ein Gesetzentwurf erarbeitet wird, dann haben wir eine wirkliche Grundlage, über die es sich dann sicherlich zu diskutieren lohnt. Ich finde und wir von der CDU finden, es wäre wichtiger, auch über die Zukunft der Pflege hier im Land Rheinland-Pfalz zu diskutieren, weil es bei der Pflege sehr wohl brennt.
Herr Dr. Konrad, wenn Sie so ein bisschen den Eindruck vermitteln, als gäbe es morgen kein Geld mehr, weil man mit der Reform noch nicht zu Ergebnissen kommt, wie man sich das selbst einmal gedacht hat, dann ist das ein Irreführen des Publikums. Sie wissen genau, wir haben eine Pflegeversicherung. Diese Pflegeversicherung funktioniert, aber sie muss sicher angepasst werden. Über den Reformbedarf wird überhaupt nicht gestritten.
Ich will noch einmal eingangs die Fakten benennen, um noch einmal deutlich zu machen, wie drängend das Problem ist. Es drängt nicht nur die Bundesregierung zum Handeln, es drängt sicherlich auch das Land selbst zum Handeln, um das, was auf uns zukommt, ein Stück weit wenigstens abzumildern.
Wir hatten 2009 rund 2,3 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland. Davon wurden 69 %, also mehr als zwei Drittel, zu Hause versorgt. Das ist schon eine hervorragende und beachtliche Zahl.
1,1 Millionen wurden durch ihre Angehörigen betreut. Davon wurden 555.000 durch oder zusammen mit ambulanten Pflegediensten betreut. Man konnte auch eine neue Solidarität feststellen, weil wir wissen, die Familienstrukturen sind auch nicht mehr so, wie sie einmal waren.
Es gibt neue Solidarität, zum Beispiel unter Freunden, unter Bekannten oder unter Nachbarn, aber es gibt auch viele Einsame, bei denen die Vertreter des Mittagstisches, der von ihnen nach Hause gebracht wird, die einzigen Ansprechpartner sind, neben denen, die von der Pflegestation morgens und vielleicht noch abends kommen.
Die Pflegeversicherung hat es sicherlich in den letzten 16 Jahren geschafft, flächendeckende Strukturen aufzubauen, aber der demografische Wandel birgt erhebliche Herausforderungen für alle politische Verantwortung Tragenden. Die Modellrechnungen gehen davon aus, dass es im Jahr 2050 voraussichtlich 3,8 bis 4,5 Millionen pflegebedürftige Menschen geben wird. Das ist dann fast die doppelte Anzahl von heute.
Es ist noch völlig unklar, in welcher Größenordnung auch Menschen mit Demenz oder Alzheimer darunter sein werden. Wir erleben in diesem Bereich eine deutliche Steigerung von Jahr zu Jahr.
Dies alles wirkt sich auf den Leistungsbedarf der Pflegeversicherung, aber auch auf das Maß erforderlicher Fachkräfte aus, und das ist meines Erachtens mindestens genauso dramatisch wie die Frage der Finanzierung. Im Jahr 2009 betrugen die Kosten der Pflegeversicherung noch 19,3 Milliarden Euro, und 2010 stiegen sie bis auf 20,4 Milliarden Euro an. Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Das ist ein Zuwachs in einem Jahr von 1,1 Millionen Euro. Das sind wahnsinnige Beträge. Wenn wir dies im Hinblick auf die Zahlen, die ich soeben genannt habe, einmal hochrechnen, kann es einem schon schummrig werden.
Von den rund 20,4 Milliarden Euro entfielen etwa 10,2 Milliarden Euro auf die ambulante Hilfe und circa 10,3 Milliarden Euro auf die stationäre Versorgung. Darin liegt auch ein großes Risiko. Wenn wir nämlich erleben, dass in unseren stationären Einrichtungen immer mehr Schwerstpflegebedürftige aufgenommen werden, und wenn wir wissen, dass deren Betreuung zu Hause, ambulant durch die Familie, durch Bekannte und Nachbarn natürlich erheblich schwerer zu regeln ist als die Betreuung von weniger Pflegebedürftigen, wird auch der Druck auf die Einrichtungen deutlich zunehmen.
Wir haben es gerade gesehen, auch dort sind die Kosten in der Regel höher. Aber es ist noch völlig unklar, wie sich im ambulanten Bereich die Kosten weiter entwickeln werden. Erste Fälle insbesondere im Bereich der Eingliederungshilfe machen deutlich, dass sie in Einzelfällen zum Teil dramatisch über den monatlichen Kosten von stationären Hilfen liegen können, wenn in einem Einzelfall 12.000 Euro und mehr pro Monat zu zahlen sind, um eine 24-Stunden-Betreuung sicherzustellen.
Sie sehen also, es kommt eine dramatische Entwicklung auf uns zu, und zwar sowohl, was die Leistungsbedürfnisse angeht, als auch, was die Bedürfnisse an Fachkräften angeht. Ich denke, wenn es ein so schwerwiegendes Problem gibt, kann man auch verstehen, wenn eine Bundesregierung, die sich an eine Reform in diesem Bereich heranwagen möchte, sie nicht übers Knie brechen möchte, zumal auch ein Ministerwechsel stattgefunden hat. Man kann verstehen, dass sie sich sehr sorgfältig mit Experten und Fachleuten damit auseinandersetzt