Protocol of the Session on March 26, 2009

Meine Damen und Herren, jetzt kommen wir zum Kompromiss und zu der angeblichen Verunsicherung. Fakt ist doch, dass wir im Moment eine gesicherte Aufgabenwahrnehmung in ARGEn haben. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Frist bis zum 31.12.2010 gesetzt. So lange können sie ohne Probleme weiterarbeiten.

(Zurufe von der SPD)

Sehr geehrte Frau Grosse, gerade in der heutigen Zeit, in der wir eine Finanzkrise, explosionsartig ansteigende Kurzarbeiterzahlen und eine Zunahme der Arbeitslosenzahlen haben, wollen Sie ganz nebenbei einen riesengroßen Behördenumbau in Gang setzen und aus unseren ARGEn eigenständige Anstalten des öffentlichen Rechts konzipieren. Man könnte sagen, das wird ein Bundessozialamt mit 370 Nebenstellen. Sie sagen, die Arbeitslosenhilfeempfänger seien davon nicht betroffen.

(Vizepräsident Schnabel übernimmt den Vorsitz)

Das ist ein Witz. Das wäre im Moment absolut kontraproduktiv.

(Beifall der CDU)

Wir können froh sein, dass die ARGEn in dieser schwierigen Zeit in Ruhe arbeiten können. Wir sind der Auffassung, wir sind mit der Ablehnung dieses Kompromisses sehr wohl auf dem richtigen Weg. Man muss sich die Zeit nehmen, um mit einem sauberen, transparenten Gesetzesverfahren unter Beteiligung der Kommunen eine wirklich verfassungskonforme Lösung zu finden. Wie wir uns so etwas vorstellen, dazu werden Sie gleich etwas hören.

(Beifall der CDU)

Für die FDP-Fraktion hat Herr Dr. Schmitz das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erinnern uns heute gemeinsam an den 19.12.2004, an den Tag, an dem auf Bundesebene der Kompromiss geschlossen wurde, der bis heute für Ärger, Streit und Verwaltungsprobleme sorgt. Die FDP hatte damals als die Partei, die über Jahre hinweg die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für Erwerbsfähige gefordert hatte, darauf aufmerksam gemacht, dass der gefundene Kompromiss zwei große Konstruktionsfehler hat.

Erstens ist die mangelnde Subsidiarität, die mangelnde Berücksichtigung der Erstkompetenz der Kommunen in dieser schwierigen Frage festzustellen.

(Beifall der FDP)

Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die gefundene Regelung aller Voraussicht nach nicht verfassungskonform sein wird.

Wir haben leider Gottes mit beiden Positionen recht behalten, und die Ergebnisse eines fünfjährigen großkoalitionären Würgens – seinerzeit noch unter Rot-Grün, jetzt in der Großen Koalition – thematisiert die SPD heute gegenüber der CDU.

Meine Damen und Herren, wir haben den Prozess vonseiten der FDP immer konstruktiv begleitet. Wir haben alles geschluckt: das Chaos am Anfang, Softwareprobleme über Jahre hinweg und die Unfähigkeit, eine BAReform hinzubekommen, die den Namen auch verdient. – Damals gab es auch eine rheinland-pfälzische großkopferte Beteiligung. Wir haben alles akzeptiert, weil wir wissen, es geht um Menschen, die staatliche Hilfe und ein geordnetes Verfahren brauchen und die auf die Politik hoffen müssen, weil sie wirtschaftlich und arbeitstechnisch in einer ganz schwierigen Situation sind. Eine Personengruppe steht ganz besonders dafür: die Langzeitarbeitslosen. –

Wenn ich jetzt aber erlebe, dass, wiederum nach zweijährigem Gewürge, erst ein Kompromiss gefunden, von der Frau Ministerin im Ausschuss stolz verkündet und nun wieder kassiert wird, verstehe ich, warum es immer mehr Mitbürgerinnen und Mitbürger gibt, die sagen, sie suchen politische Alternativen.

(Beifall der FDP)

Wir könnten dafür dankbar sein. Wir sind es nicht, weil es im Sinne der Problemlösung in diesem wichtigen Bereich in der Krise eines Handelns bedarf, das gerade den Leuten am unteren Ende der sozialen Skala Vertrauen gibt. Dass sie es gemeinsam nicht hinbekommen, dass es die Große Koalition nicht hinbekommt, ist ein politischer Skandal.

(Beifall der FDP)

Um zum Ende zu kommen: Ich habe im ersten Teil der Formulierung unseres Generalsekretärs Niebel wenig hinzuzufügen. Er hat die Überschrift gewählt „Arbeitsminister Scholz wieder gescheitert“ und den ersten Satz seiner Pressemitteilung wie folgt formuliert: Wenn eine Regelung verfassungswidrig ist, muss man die Regelung ändern, nicht die Verfassung.

Ich danke Ihnen.

(Beifall der FDP)

Für die Landesregierung spricht Frau Staatsministerin Malu Dreyer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Damen! Ich empfehle Herrn Dr. Schmitz uns als Alternative; denn wir sind in diesem ganzen Prozess

verlässlich, und unseretwegen wäre er auch nicht gescheitert.

(Beifall der SPD)

Sehr geehrte Frau Abgeordnete Thelen, ich verstehe, warum Sie die Flucht nach vorne suchen. Auch ich hätte mir als CDU-Abgeordnete die Frage gestellt: „Was sage ich eigentlich als CDU-Abgeordnete in diesem Parlament?“, wenn die Bundestagsfraktion nach zwei Jahren Verhandlung gegen die Meinung des CDU-Präsidiums, gegen die Meinung aller CDU-Ministerpräsidenten, gegen die Meinung aller Minister in diesem Bereich und gegen die Meinung, die die Kanzlerin viele Wochen und Monate bis zum Tag der Entscheidung in der Fraktion vertreten hat, das alles plötzlich sozusagen in den Mülleimer tritt. Dann würde ich mich auch fragen, wie ich mich als Abgeordnete eigentlich verhalte. Dann würde auch ich vielleicht die Flucht nach vorne suchen.

Aber es stimmt natürlich nicht, was Sie hier vorbringen.

(Licht, CDU: Wieso stimmt das nicht?)

Herr Licht, das sage ich Ihnen ganz genau.

(Licht, CDU: Was Sie sagen, trifft nicht den Punkt! Sie können eine andere Meinung haben, aber Sie können nicht sagen, das stimmt nicht!)

Das Erste ist, das mit dem übereilten Verfahren stimmt nicht. Herr Licht, Sie können sich jetzt da hineinsteigern.

Ich habe im Ausschuss regelmäßig darüber berichtet, wie auf allen Ebenen verhandelt worden ist. Es wurden zwei Sonderarbeitsministerkonferenzen und eine Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin durchgeführt. Das Verfahren war absolut transparent.

Seit vielen Monaten wird über die Neuorganisation der ARGEn diskutiert. Es gab einen ganz großen Konsens, und zwar auch zwischen den großen Fraktionen, dass man diesen Weg gemeinsam gehen will. Deshalb kann man nicht sagen, dass dies ein Verfahren war, das im Dunkeln stattgefunden hat. Es hat sich auch nicht um ein schnelles Verfahren gehandelt. Das kann man in dieser Sache wirklich nicht behaupten.

(Licht, CDU: Das habe ich auch nicht gesagt!)

Es geht nicht darum, dass ein Kompromiss ein Bundessozialamt mit 370 Außenstellen vorgesehen hätte. Konsens in Rheinland-Pfalz war immer, dass wir eine Hilfe aus einer Hand haben und den ARGEn eine Organisation geben wollen, die trägt und bei der mehr Selbstständigkeit vor Ort vorhanden ist.

Letztendlich haben die Länder beim Bund durchgesetzt, dass die öffentlich-rechtlichen Anstalten hätten eingerichtet werden sollen, weil sie dadurch einen eigenen Haushalt, eine eigene Personalhoheit und Personalräte gehabt hätten. Das alles hatte in der Vergangenheit nicht funktioniert. Deshalb war die Konstruktion, wie sie erarbeitet wurde, am Ende auch gut.

Natürlich braucht man eine Verfassungsänderung.

Herr Licht, auch hier sage ich noch einmal, dass der Kabinettsentwurf mit allen Ressorts der Bundesregierung inklusive dem für die Verfassung zuständigen Innenminister Schäuble abgestimmt war. Es ist klar dezidiert worden, dass diese Änderung der Verfassung rechtmäßig und in Ordnung wäre.

Kein Mensch hätte einen Weg beschritten – erst recht nicht in dieser Mehrheit –, der verfassungsrechtlich zweifelhaft gewesen wäre. Das war ein klarer Beschluss des Kabinetts, der durch die Verfassungsressorts abgeprüft wurde. Auf dieser Grundlage wollten wir in dieser Legislaturperiode die Verfassungsänderung erwirken.

(Beifall der SPD)

Frau Thelen hatte einen Zwischenruf zu den Optionen gemacht. Auf Wunsch von Nordrhein-Westfalen – hier ist es um den letzten Entwurf gegangen – war die Absicherung der Optionen in der Verfassung vorgesehen. Das war ein langer Streit. Die Verfassungsrechtler vom Land haben immer gesagt, dass man eine Absicherung vornehmen muss, weil die Optionen durch das Gesetz nicht abgesichert sind.

Am Ende hat man sich darauf verständigt, auch die Optionen in der Verfassung abzusichern. Ich bin ganz fest der Auffassung – ich teile die Meinung vieler Verfassungsrechtler –, dass nicht nur die ARGen nicht mehr abgesichert sind, sondern auch die Optionen im Jahr 2010 auslaufen.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Das ist für mich in den vergangenen zwei Jahren der Politik im Bereich der Arbeitsmarktpolitik eine der bittersten Entscheidungen gewesen, weil es eigentlich um fachliche Fragen geht. Es geht um Organisationsfragen. Eigentlich ist es gar kein wirklich politischer Punkt.

Es geht um die Frage, wie man die Organisation in der Zukunft so gestalten kann, dass sie funktioniert und die Menschen, die die Unterstützung der ARGEn brauchen, gut behandelt werden. Das betrifft auch 60.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und 6,6 Millionen Menschen, die zurzeit SGB-II-Empfänger sind. Diese können das Chaos nicht gebrauchen, in das wir hineinschlittern.

(Beifall der SPD – Zuruf des Abg. Licht, CDU)

Wer heute behauptet, das wäre kein Chaos, der hat nicht recht; denn schon nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts haben wir im Plenum darüber debattiert, wie verunsichert die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gewesen sind, und dass sie keine Lust mehr haben, in einer ARGE zu arbeiten, von der sie nicht wissen, ob sie morgen noch existiert. Was glauben Sie, was diese Entscheidung für Effekte vor Ort auslösen wird?

Ich sage Ihnen noch etwas, was uns immer als Panikmache unterstellt wird. Ich bin schon lange in diesem Geschäft und weiß, was es bedeutet. Im September ist Bundestagswahl. Danach wird die Regierung gebildet.

Dann haben wir schon fast Ende 2009. Ende 2010 soll klar sein, wie diese Neuorganisation aussieht. Sie wissen ganz genau, dass die Bundesländer zu diesem Thema alle eine unterschiedliche Meinung haben. Diese ist aus meiner Sicht nicht zu packen, außer es gibt Mehrheiten, dass man Dinge, die man jetzt in die Schublade packt, wieder auspackt und auf den Weg gibt.

Ansonsten ist der Weg vorgezeichnet, dass wir in eine getrennte Aufgabenwahrnehmung marschieren werden; denn es ist aus meiner Sicht nicht vorstellbar, in einer solch kurzen Zeit noch einmal etwas ganz anderes zu entwickeln, nämlich eine Lösung, über die in den letzten Jahren genauso diskutiert wurde und für die es auf Bundestags- und Bundesratsebene keine Mehrheiten gab.