Wie erkennt die aufnehmende Schule am Zeugnis, ob es sich um eine individuelle Note handelt? Immerhin sind die weiterführenden Schulen gehalten, bei der Klassenbildung auf eine breite Leistungsverteilung in den Klassen zu achten.
Frau Ministerin, Ihnen mögen die Antworten auf diese Fragen klar sein, den Lehrerinnen und Lehrern vor Ort leider nicht. Das sind Fragen, die uns von Schul-, Seminarleitern und Berufsverbänden gestellt wurden.
Sie haben von heute auf morgen eine neue Ordnung eingeführt, ohne vor Ort rechtzeitig zu informieren. Rechtzeitig heißt hier, bevor man eine neue Grundschulordnung einführt.
Die Schulmoderatoren reisen gerade durch das Land und erklären. Aber auch sie haben nicht alles verstanden; denn sie erklären an verschiedenen Schulen ganz unterschiedlich. Das haben uns die Verbände bestätigt.
Wir haben mit Lehrern, Eltern und Verbänden gesprochen. Wir haben unzählige Briefe erhalten. Das Bedürfnis zum Gespräch war groß, die Verzweiflung auch.
Auf die Grundschulen ist in den letzten Jahren viel an Mehrarbeit zugekommen. Der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass schließlich zum Überlaufen gebracht hat, waren die Zeugnisse.
Grundschullehrer machen vieles mit, sie sind so stark emotional mit ihren Kindern verbunden, dass sie über ihre eigenen Grenzen hinausgehen. Aber an diesem Anspruch muss man irgendwann scheitern, weil die Kräfte nicht mehr reichen.
Das ist Raubbau an Lehrern. Immer mehr Grundschullehrer sehen den einzigen Ausweg in einer Teilzeitstelle.
Wir wollen, dass sie Zeit für Kinder haben. Wir wollen, dass nicht am Ende die Kinder die Verlierer der neuen Grundschulordnung sind.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eine Aktuelle Stunde trägt das Thema „Aktuell“ im Titel,
weil man über aktuelle Themen spricht. Bei der heutigen Aktuellen Stunde hatte ich aber doch zunächst den Eindruck, Sie hätten aktuell kein neues Thema zum Skandalisieren gefunden, verehrte Frau Kollegin Dickes.
Ich habe aber nach Ihrem Beitrag festgestellt, dass Sie aktuell ganz viele Fragen haben, obwohl wir das Thema bereits zweimal im Ausschuss und einmal im Plenum diskutiert haben. Deshalb ist es gut so, dass wir heute wieder reden, damit Ihre offenen Fragen heute endlich beantwortet werden können.
Die Landesregierung hat nach zahlreichen Gesprächen mit Fachleuten, Elternvertretern und Pädagogen eine Grundschulordnung vorgelegt und diskutiert, die vielfach in ihren großen Zügen schon angewendet worden ist, bevor sie – das ist zugegebenermaßen ein Kritikpunkt – spät dort veröffentlicht worden ist. Das ist aber auch der einzige Kritikpunkt; denn man muss einfach sagen, dass viele von den Dingen, die Sie angesprochen haben, die Dokumentation, die Elterngespräche und viele andere Dinge, dankenswerterweise in unseren guten Grundschulen schon umgesetzt worden sind.
Deshalb möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich die große Wertschätzung der Arbeit in unseren 988 Grundschulen in Rheinland-Pfalz zum Ausdruck bringen. Ich zitiere gern den GEW-Vorsitzenden Herrn Hammer, der – ebenfalls in seiner neuen Pressemitteilung, die Sie sehr selektiv zitiert haben – gesagt hat:
Die Grundschule ist seit vielen Jahren die innovativste und integrativste Schulform, die wir haben. – Und das dank dieser engagierten Lehrerinnen und Lehrer!
Dass dies so ist, erfahren wir auch in Gesprächen mit den Gewerkschaften oder auch mit Lehrerinnen und Lehrern und mit Eltern. Wir können es auch im IGLUTest nachlesen, dem Grundschultest, der unseren rheinland-pfälzischen Grundschulen bescheinigt hat, dass sie eine hervorragende Arbeit leisten.
Sie fördern die kleinen Klassen, und dies hat auch die Umfrage des VBE ergeben. Wir haben eine durchschnittliche Klassengröße von 21,3 Kindern. Ja, die Klassen sind sicherlich in den städtischen Ballungsgebieten manchmal größer, aber wir haben auch in den ländlichen Räumen bei uns Kombi-Klassen. Wir haben manchmal neun bis zehn Kinder in einer Klasse, und das Motto „Kurze Beine, kurze Wege“ gilt bei uns in Rheinland-Pfalz. Ein Dank an die Bildungsministerin, ein Dank an alle, die das umsetzen!
Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als ich in Rheinland-Pfalz in die Grundschule ging – damals hieß unsere Bildungsministerin Hanna Renata Laurien – und wir 45 Kinder von der ersten bis zur vierten Klasse waren. Dazu können wir einfach nur sagen, insbesondere seit 1991 hat sich auf diesem Weg enorm viel getan.
Die neue Grundschulordnung ist gerade für Eltern von besonderem Interesse; denn dadurch wird die individuelle Förderung ihrer Kinder zum Maß aller pädagogischen Bemühungen. Dies steht in der VBE-Pressemitteilung.
Kritikpunkte, die angeführt werden, müssen wir sorgfältig prüfen. Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dafür ist es nach einem Halbjahr noch sehr früh. Was ist mit dem Vorwurf der Mehrbelastung? Was ist mit dem Vorwurf der Elternarbeit und dem Zeugnis? – Darüber werden wir reden. Aber ein Halbjahreszeugnis ist dafür zu wenig.
Ich wage auch die These, wenn die Einführungswehen abgeklungen sind, wird auch ein anderer Effekt einsetzen, den wir jetzt schon spüren können: Weniger Leistungsnachweise, also Klassenarbeiten, bedeutet auch eine Entlastung von Lehrerinnen und Lehrern. Es bedeutet auch eine Zeitersparnis; denn gerade die Zahl der Leistungsnachweise war in Rheinland-Pfalz ganz besonders hoch.
Ich wage auch die These, dass die verstärkte SchuleEltern-Lehrer-Kind-Beziehung, die wir durch die Dokumentation der Lernentwicklung sowie durch die differenzierte Rückmeldung der Noten- und Verbalzeugnisse bekommen, eine Zeitersparnis mit sich bringen wird, weil das Miteinander viel besser wird.
Worüber reden wir also heute? – Wir reden darüber, dass Frau Dickes Gespräche geführt hat. Sie haben einen Brief bekommen. Aber auch wir haben Briefe bekommen, und auch wir haben Gespräche geführt. Wir haben gute Gespräche geführt. Wir unterhalten uns über die Kritikpunkte, wir gehen sie sorgfältig miteinander an, und wir haben sehr viele positive Berichte gehört. Ich habe zitiert, was VBE und GEW gesagt haben.
Ich bitte darum, die Verbände nicht selektiv zu zitieren; das wird ihrer konstruktiven Arbeit nämlich nicht gerecht.
Meine Damen und Herren, die neue Grundschulordnung steht nun schon seit einigen Monaten in der Kritik. Dies hat sich in der Zwischenzeit, seitdem ich nicht da war, nicht geändert. Sie wurde schon vor ihrem offiziellen Inkrafttreten heftig diskutiert. Auch das war etwas ungewöhnlich. Wir haben auch im Bildungsausschuss mehrfach über diese Fragen gesprochen. Zuletzt – auch dies wurde von meiner Kollegin soeben gesagt – gab es eine umfangreiche Befragung des VBE zu diesen Fragen, und gestern fand eine Pressekonferenz der GEW statt, in der eine Liste von 4.000 Unterschriften präsentiert wurde.
Die Landesregierung hat im Ausschuss – so habe ich es das letzte Mal wahrgenommen – etwas erstaunt auf die Kritik der Verbände reagiert. Sie wirkte ein wenig empört. Pädagogisch sei diese Grundschulordnung doch in einem großen Konsens verabschiedet worden, hieß es. – Das ist in der Tat richtig. Auch ich hatte den Eindruck, dass es einen großen Konsens über die eigentlichen pädagogischen Neuerungen, die hinter der neuen Grundschulordnung stehen, gab. Aber wenn Sie eine Verordnung auf den Weg bringen, hinter der eigentlich inhaltlich die Akteure stehen, ist es umso erstaunlicher, dass Sie sie so dilettantisch einführen, dass sie mit einer derart negativen Dauerdiskussion begleitet wird, meine Damen und Herren.
Es ist mittlerweile ein Gesamtkunstwerk, und es wirkt wieder ein bisschen nach dem Motto: „Wir machen’s einfach“. Sie haben diese Verordnung in einer merkwürdigen Art und Weise, auf die ich noch eingehen werde, auf den Weg gebracht, und das ist meiner Ansicht nach wieder einmal gehörig schiefgegangen.
Zunächst handelt es sich bei der neuen Grundschulordnung nicht um eine einfache Verordnung, sondern um ein sehr umfassendes und bedeutsames Paket pädagogischer und schulorganisatorischer Neuerungen. Es gibt eine deutliche Reduzierung der Zahl der Klassenarbeiten. Das Halbjahreszeugnis im zweiten Schuljahr wird durch ein Lehrer-Eltern-Schüler-Gespräch ersetzt. Ziffernnotenzeugnisse werden grundsätzlich durch umfangreiche Verbalbeurteilungen ergänzt. Erhebliche Lerndokumentationspflichten werden neu eingeführt. Die Möglichkeit der Ausschulung im Verlauf der ersten Klasse wird abgeschafft. Dies ist alles sehr umfangreich und auch nicht ohne Bedeutung.
Eine solch gravierende Änderung der rheinlandpfälzischen Grundschullandschaft auf dem reinen Verordnungswege selbst zu entscheiden, ist etwas, das man machen kann. Angemessen wäre meiner Ansicht nach allerdings gewesen, auch das Parlament an diesem Entscheidungsprozess zu beteiligen.
Völlig undiskutabel ist allerdings, dass diese Grundschulordnung zum Schuljahresbeginn 2008 umgesetzt werden musste, die eigentliche Verordnung selbst aber