Zwangsheirat und sog. „Ehren-Morde“ verhindern – Integration fördern und Hilfsangebote für Migrantinnen und Migranten ausbauen Antrag der Fraktion der SPD – Drucksache 15/58 –
Zwangsheirat und Ehrenmorde ächten und bekämpfen Für ein gleichberechtigtes Leben von Frauen und Mädchen aus Migrantenfamilien in Deutschland Antrag der Fraktion der CDU – Drucksache 15/59 –
dazu: Wirksame Maßnahmen gegen Zwangsheirat und „Ehrenmorde“ ergreifen – Gleichberechtigung durch Integration und Bildung fördern Antrag (Alternativantrag) der Fraktion der FDP – Drucksache 15/87 –
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zwei der heute zu behandelnden Anträge wurden bereits in der vergangenen Wahlperiode eingebracht. Für die SPD-Fraktion war es sehr wichtig, aufgrund der Brisanz und der Aktualität das Thema heute zu behandeln. Dass es heute drei Anträge zu dieser Thematik gibt, dokumentiert einen grundsätzlichen Konsens, dass die Situation der betroffenen Frauen für eine demokratische Gesellschaft inakzeptabel ist.
Sowohl die rotgrüne Koalition im Bund als auch die heutige große Koalition haben die in Migrantenfamilien häufig praktizierte Zwangsverheiratung und die so genannten Ehrenmorde in den Blickpunkt ihrer politischen Aktivitäten gestellt.
Ehrenmorde sind die Spitze eines Eisbergs mannigfaltiger Formen der Unterdrückung von Frauen. Die Weigerung junger Frauen zum Beispiel in der Türkei, in Indien und im Migrantenmilieu Deutschlands, eine von der Familie arrangierte Ehe einzugehen, mündet oftmals in einem Verbrechen im Namen der Ehre. Auch weniger schwerwiegende Verbrechen und vermeintliches Fehlverhalten junger Frauen provoziert den Familienrat zu oft
tödlichen Entscheidungen. Es handelt sich hierbei nicht um ein religiöses, sondern nach Expertenmeinung vielmehr um ein soziales Phänomen. Das Recht auf Selbstbestimmung und die freie Wahl des Lebenspartners ist für uns ein unmittelbares Menschenrecht, das es nicht nur in Deutschland zu achten gilt.
Den heute ebenfalls vorliegenden Antrag der CDUFraktion finden wir in vielen Sätzen fast wortgleich als Bundestagsdrucksache 15/5017 vom 8. März 2005 wieder. Unsere Bundestagsfraktion hat darauf schon geantwortet. Deshalb erspare ich mir an dieser Stelle wertvolle Redezeit.
Im Rückblick auf die vergangenen Jahre können wir für Rheinland-Pfalz eine positive Bilanz ziehen. Der Landesregierung ist es gelungen, ein umfassendes Netzwerk an Hilfesystemen für Migrantinnen und Migranten zu etablieren, beispielsweise die rheinland-pfälzische Initiative für Integration. In Rheinland-Pfalz gibt es vorbildliche Konzepte zur Integration von Kindern mit Migrationshintergrund, insbesondere zur Verbesserung ihrer Bildungschancen. Insbesondere das Landesprogramm „Zukunftschance Kinder – Bildung von Anfang an“ hat hierbei eine immense Bedeutung, zum Beispiel für die Sprachförderung und die Vorbereitung auf die Schule.
Nicht zu vergessen die Mama-Kurse für Mütter, das Projekt „Prävention im Team“ mit Materialen und Unterrichtseinheiten für die Schulen zum Thema „Gewalt und Fremdenfeindlichkeit“, das rheinland-pfälzische Interventionsprojekt gegen Gewalt in engen sozialen Beziehungen. Es gibt den Leitfaden für die rheinland-pfälzische Polizei. Das Polizei- und Ordnungsbehördengesetz erlaubt Platzverweise sowie Kontakt- und Näherungsverbote in Fällen häuslicher Gewalt. Das waren nur einige Beispiele dafür, dass die Landesregierung das Thema ernst nimmt und ministerienübergreifend bearbeitet.
Unser Antrag liegt Ihnen vor. Ich will in ein paar Worten zum Ausdruck bringen, was uns besonders wichtig ist. Die SPD-Fraktion unterstützt den bereits erfolgreich eingeschlagenen Weg der Landesregierung, der auf Prävention setzt. Trotz positiver Bilanz bleibt einiges zu tun. Den Opfern muss verstärkt Hilfe angeboten werden. Neben Präventionsarbeit ist weitere Aufklärung und Beratung für die Betroffenen von Zwangsverheiratung sinnvoll und zu intensivieren. Es ist unbedingt notwendig, den Opferschutz durch den weitern Ausbau von Betreuungseinrichtungen, die Sensibilisierung der Öffentlichkeit sowie die weitere Vernetzung von Hilfsangeboten zu verbessern.
Den Multiplikatoren wie Polizei, Justiz und Schulen kommt hierbei eine besondere Rolle zu. Insbesondere ist es wichtig, dass verstärkt die männlichen Tätergruppen in die Präventionsarbeit einbezogen werden.
Unsere Position ist klar. Misshandlung, Verstümmelung und Mord zur Rettung der Familienehre dürfen nicht verharmlost werden. Sie sind ein Verbrechen. Menschenrechte gelten universell und sind nicht je nach kulturellem oder religiösem Hintergrund unterschiedlich zu interpretieren.
Die SPD tritt auf allen Ebenen dafür ein, dass im In- und Ausland ein solch archaisches Gebaren mit allen politischen Mitteln bekämpft wird. Opferschutz, Prävention und stärkere Vernetzung sind unsere Anliegen.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vorhin bin ich draußen von einem Passanten gefragt worden: Was hat Sie bewegt, im Landtag dieses Thema aufzurufen? – Frau Kollegin Steinruck, ich glaube, Sie haben zu Beginn einen richtigen Satz gesagt. Sie haben nämlich gesagt, eine Gesellschaft könne nur dann nach vorn kommen, wenn Frauen in ihren Rechten ordentlich und anständig und wie nach unserem Grundgesetz vorgesehen gleichberechtigt behandelt werden. Das ist das Hauptanliegen der Debatte am heutigen Nachmittag. Das entspricht auch der Hauptintention dieser drei Anträge.
Es geht darum, Frauen, die in Deutschland leben, einen Schutz zukommen zu lassen, der für uns Gott sei Dank inzwischen selbstverständlich ist. Das Neueste in der Entwicklung von Zwangsehen und so genannten Ehrenmorden ist der Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 4. Juli 2006 zu entnehmen. In der Überschrift heißt es sinngemäß, die Religionsbehörde in Istanbul bekenne, dass die Zwangsehe eine Sünde sei. Sie wolle energisch gegen diese archaische Form des Zustandekommens der Ehe vorgehen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, auch durch die Diskussion in Deutschland haben wir ein Umdenken und ein Sichbekennen zu Fehlverhalten erreicht. Ich halte es für wichtig, dass nicht nur Schriftstellerinnen, Journalistinnen und Frauenrechtlerinnen in den verschiedensten Organisationen kämpfen, sondern dass auch die Parlamente für die Rechte der Frauen, die in Deutschland und außerhalb Deutschlands leben, ausdrücklich eintreten.
Das Bundeskriminalamt hat sich nach dem schrecklichen Vorfall in Berlin mit Hatun Sürücü auch einmal mit den Zahlen in der Statistik auseinander gesetzt und
herausgefiltert, wie viele Fälle es in Deutschland gab. Es ist nicht nur festgestellt worden, dass es in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren 55 Ehrenmorde bzw. versuchte Morde gegeben hat, sondern es ist auch festgestellt worden, dass diese Entwicklung in Deutschland neu ist. Wir haben eine Entwicklung, die in den vergangenen Jahren sehr stark zugenommen hat. Sie wissen alle, das kommt zum Teil aus der Herausbildung von Parallelgesellschaften und aus der Zuwanderung von ganz jungen Frauen aus dem Ausland und auch aus diesen Zwangsehen, die gegen den Willen der jungen Eheleute geschmiedet worden sind.
Wir haben auf der Bundesebene inzwischen eine Diskussion – Frau Kollegin, da will ich Sie darauf hinweisen; denn Ihnen fehlt in Ihrem Antrag der letzte Mut, das zu verlangen –, dass eine strafrechtliche Regelung eingeführt wird. In der Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und SPD auf der Bundesebene, die am 11. November 2005 beschlossen wurde, steht auf Seite 119 der Satz, dass man nicht nur gegen Zwangsheiraten in aufklärerischer Weise mit Betreuung und Beratung, sondern auch mit der Einführung eines Straftatbestands vorgehen will. Sie hätten in Ihrem Antrag auch den Mut aufbringen können, das ausdrücklich zu nennen.
Insofern geht unser Antrag ein Stück darüber hinaus. Sie müssen bitte schön auch zur Kenntnis nehmen, dass Ihre Fachministerinnen und -minister in anderen Bundesländern, vor allem in Berlin – wen wundert es –, natürlich sehr energisch an gesetzlichen Regelungen arbeiten.
Es ist – das will ich auch noch sagen – in allen drei Anträgen die Aufforderung an die Landesregierung enthalten, noch einmal an der Statistik zu arbeiten, nämlich Zahlenmaterial zusammenzustellen, wie es in anderen Bundesländern ganz offensichtlich vorhanden ist. Wir wissen aus Baden-Württemberg und Berlin, wie viele Anfragen es an Beratungsstellen von von Zwangsheirat betroffenen Frauen gegeben hat. Die gehen in die Hunderte. Das ist also keine kleine Minderheit, die man vernachlässigen könnte, wenn man das überhaupt wollte, sondern es sind wirklich bemerkenswerte Zahlen allein von denen, die sich trauen, damit zu einer fremden Stelle zu gehen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir da einer Meinung sind. Ich bitte ausdrücklich darum, dass wir an diesem Zahlenmaterial auch in Rheinland-Pfalz arbeiten.
In den Anfragen kommt auch der ausdrückliche Wunsch zum Ausdruck, die Beratung und natürlich auch das Outen von jungen Frauen, die davon betroffen sind, zu ermöglichen und zu verbessern.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Meine Vorrednerinnen haben schon einiges gesagt. Ich halte es für besonders erfreulich, dass auch in der Türkei jetzt erkannt wird, wie grausam mit jungen Frauen umgegangen wird, die de facto als Ware und nicht als Mensch betrachtet werden und denen das Recht auf eigenverantwortliche Lebensgestaltung genommen wird. Ihnen wird nicht nur dieses Recht vorenthalten, sondern sie werden auch einer ständigen Vergewaltigung unterworfen. Wenn sie sich dagegen auflehnen, glaubt ihre eigene Familie dann noch das Recht zu haben, sie zu ermorden.
Frau Steinruck, Frau Kohnle-Gros, im Wesentlichen sind alle Anwesenden sich einig. Wir alle können nicht akzeptieren, dass die weltweit gültigen Menschenrechte und unser Grundgesetz im eigenen Land nicht eingehalten werden und aus patriarchalisch-archaischen Vorstellungen heraus Vergewaltigungen und Morde stattfinden.
Wir alle wollen es nicht zu Zwangsheirat und Morden kommen lassen. Dafür brauchen wir Aufklärung von und Dialog mit möglichst vielen potenziell Beteiligten. Dabei müssen wir auch eine höhere Bereitschaft der Betroffenen erreichen, sich gegenüber den Strafverfolgungsbehörden zu offenbaren, um eine bessere Strafverfolgung überhaupt zu ermöglichen. Es ist nicht so, dass wir keinen Straftatbestand hätten, aber bei der Beweisführung liegt das Problem.
Wir alle wollen bestmögliche Hilfe für die betroffenen Frauen und auch für eventuell davon betroffene junge Männer. Deshalb wollen auch wir Information und Unterstützung aller, die mit potenziell betroffenen Frauen und Männern und mit der Problematik Kontakt haben.
Unsere drei Anträge haben vieles gemeinsam. Die beiden von CDU und SPD stammen aus der vergangenen Legislaturperiode und sind schon etwas älter. Vor allem den von der CDU halten wir für wenig konkret. Der Antrag der SPD war ursprünglich sogar ein gemeinsamer Antrag von SPD und FDP. Er beschreibt sehr ausführlich und rückschauend, was das damals gemeinsam regierte Land getan hat. Wir sind der Meinung, dass das am Ende einer Legislaturperiode legitim war. Jetzt stehen wir aber am Anfang einer neuen Legislaturperiode und sind mehr als ein halbes Jahr weiter. Da ist es angebracht, nach vorn zu schauen, konkreter zu werden und Gewicht auf das zu legen, was noch getan werden muss. Das wollen wir mit unserem neuen Antrag tun.
Die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen sind meiner Meinung nach durchaus kompatibel mit den Vorstellungen, die Sie in den beiden anderen Parteien haben. Wie gesagt, unser gemeinsames Ziel ist es, klarzustellen, dass beim Morden im Namen der Ehre und bei Zwangsehen wie bei jeder anderen Art von Vergewalti
gung nur eine Seite ihre Ehre verliert, nämlich die des Mörders und Vergewaltigers und derer, die ihn unterstützen.
Es muss auch klargemacht werden, dass Morde und Zwang zur Ehe ein Zeichen von Schwäche von denen sind, die sie begehen oder gut heißen. Die sind nämlich geistig und charakterlich zu schwach, um andere Lebenseinstellungen und Machtkonstellationen in ihrer Umgebung respektieren zu können und sich darauf einstellen zu können. Gewalt ist immer ein Zeichen von charakterlicher und geistiger Schwäche derer, die sie ausüben.
Vor allem unser Grundgesetz und die Menschenrechte sind einzuhalten. Dies nicht deshalb, weil sie Selbstzweck wären, sondern weil Gewalt und Intoleranz in der Geschichte der Menschheit nie Gutes bewirkt haben, aber immer viel Not und Leid über die Menschheit gebracht haben.