Protocol of the Session on January 24, 2008

Wir wünschen ihm, dass er trotzdem aus allem rauskommt, und meinen, dass wir insbesondere im Jugendstrafvollzug die Möglichkeiten, die das neue Gesetz bietet, nutzen müssen. Dazu gehört insbesondere der Vollzug in freier Trägerschaft. Das ist das Thema, von dem wir meinen, dass die Landesregierung gefordert ist, mit geeigneten Trägern in Verbindung und in eine Diskussion einzutreten, damit wir à la Seehaus in BadenWürttemberg, das hier auf allseitige Zustimmung stieß, als die Gruppe es besichtigt hat, so etwas in RheinlandPfalz realisieren können.

Dann brauchen wir in Rheinland-Pfalz auch kein Kannenberg-Camp wie in Hessen. Wir können unser eigenes Konzept erarbeiten.

(Beifall der CDU)

Massive Defizite sehen wir bei dem Thema „Arrestvollzug“. Die ganze Wahrheit kommt erst nach und nach ans Licht. Herr Minister, heute Morgen haben Sie zugegeben, dass wir bei einer minimalen Anzahl von Plätzen eine Verdoppelung der Anzahl von Arrestanordnungen durch die Jugendgerichte haben. Es gibt im Land Rheinland-Pfalz – man höre und staune – eine einzige Jugendarrestanstalt, und die befindet sich in Worms. Man muss sich vorstellen, was das für einen Jugendrichter in der Eifel, im Westerwald oder an der Grenze zum Saarland heißt, der darüber entscheiden muss, ob er einen Jugendlichen für einen Arrest von höchstens vier Wochen nach Worms verbringen lässt.

Es ist für den Betreffenden schwer, darüber zu entscheiden. Er muss es verantworten. Wir brauchen also dringend eine zweite Arrestanstalt in diesem Land. Das ist nach allem, was wir inzwischen wissen, eigentlich überfällig. Wir hören, dass Sie sich jetzt darum kümmern. Das ist ein bisschen spät, aber besser spät als überhaupt nicht. Sie haben dabei unsere Unterstützung.

Wenn wir das Maßnahmenbündel, das ich gerade beschrieben habe, anpacken, sehe ich eine gute Chance, dass wir Jugendgewalt und Jugendkriminalität eindämmen. Wir werden sie – da machen wir uns gar keine Illusionen – nie völlig beseitigen können. Jugendkriminalität, wie Kriminalität überhaupt, wird zu jeder Gesellschaft zu jeder Zeit dazugehören. Aber es geht darum, sie auf ein vernünftiges und erträgliches Maß zurückzuführen. Das sind wir der Gesellschaft und den jungen Menschen schuldig. Gelingen wird uns dies nur in Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden, mit dem Strafvollzug, mit den Einrichtungen der Jugendhilfe, mit denen der Bewährungshilfe und – Herr Kollege Pörksen,

ich bin Ihnen für den Hinweis dankbar, den Sie mir heute Morgen gegeben haben – auch mit der Polizei. Das ist etwas, was in dem Antrag noch gedanklich nachgetragen werden muss. Ich bin herzlich dankbar dafür. Ich bin auch lernfähig.

(Pörksen, SPD: Das müssen Sie in Ihren Antrag schreiben! – Abg. Baldauf, CDU: Wenn wir das reinschreiben, stimmen Sie dann zu?)

Dann können wir in einer sachlichen Diskussion die Punkte umsetzen, die uns in Rheinland-Pfalz voranbringen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der CDU)

Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Hoch das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Heute Morgen in der Aktuellen Stunde, in der Sie der Aussprache über unsere Mündliche Anfrage zuvorkommen wollten, hat der Herr Minister deutlich gemacht, dass es um Perspektiven geht. Bei der Jugendkriminalität geht es ausschließlich um Perspektiven – oder eben fehlende Perspektiven – für junge Menschen.

Die fehlenden Perspektiven können schon daher rühren, dass das Elternhaus verkorkst ist. Wir wissen alle, dass Jugendliche, die zu Tätern geworden sind, zu häufig in ihrem Leben auch einmal Opfer waren. Es geht auch um Perspektiven dafür, wie das weitere Leben vorangehen soll. Vielleicht mangelt es an der Sprachkompetenz, weil es einen Migrationshintergrund gibt. Vielleicht liegt es auch daran, dass die schulische Bildung nicht abgeschlossen werden konnte, es keinen Ausbildungsplatz – und keine Perspektive darauf –, kein Studium oder keinen Arbeitsplatz gibt.

All das sind Sachen, die wir angehen müssen. In der Analyse liegen wir gar nicht so weit auseinander. Jetzt ist Herr Kollege Baldauf leider gerade verschwunden.

(Zuruf von der CDU: Nein, er sitzt hier!)

Er hat sich nur umgesetzt. – Er hat gerade etwas dazwischengerufen. Er hat im Zusammenhang mit der Polizei gefragt: „Wenn wir das reinschreiben, stimmen Sie dann zu?“ Wir teilen einige Analysen in Ihrem Antrag. Vielleicht bekommt man das hin. Es sollte ein ambitioniertes Ziel sein, die Bekämpfung der Jugendkriminalität auf eine breite Basis zu stellen. Dann sollte man aber auch so fair sein, die Sachen, die die Landesregierung schon seit Jahren macht, in einen solchen Antrag aufzunehmen und nicht zu schreiben: „Vor diesem Hintergrund fordert der Landtag die Landesregierung auf …“.

Wir wollen Perspektiven geben, und wir machen das, nämlich mit dem Programm „Zukunftschance Kinder – Bildung von Anfang an“ – nur exemplarisch mit der Sprachförderung –, mit der Studiengebührenfreiheit, mit einer – – –

(Dr. Wilke, CDU: Was hat das mit der Jugendkriminalität zu tun?)

Herr Dr. Wilke, natürlich hat das etwas mit Jugendkriminalität zu tun. Leugnen Sie es doch nicht ab, dass Kinder aus armen Elternhäusern leider kaum eine Chance haben, ordentlich in ihr Leben zu starten. Dazu gehört, sich zu fragen, wie man das verhindert.

Aber ich biete Ihnen etwas an. Vielleicht überlegen Sie sich einmal, ob man das nicht auf gemeinsame Füße stellt. Ich habe bei Ihnen nämlich auch wesentlich moderatere Töne gehört als heute Morgen und begrüße ausdrücklich, dass Sie mit uns den Weg des Vollzugs in freien Formen wie in Seehaus Leonberg gehen wollen. Heute Morgen musste ich leider noch hören, dass Sie gesagt haben, diese Menschen könnten sich nicht ändern.

(Dr. Wilke, CDU: Stimmt nicht!)

Herr Wilke, das haben Sie gesagt. Sie werden es im Protokoll nachlesen können. Ich freue mich, dass Sie das heute Abend anders sehen; denn das Konzept Seehaus Leonberg zielt genau darauf ab, dass sich Menschen ändern und man ihnen eine Chance und eine Perspektive gibt.

(Dr. Wilke, CDU: Ich habe von Intensivtätern gesprochen!)

Auch Intensivtäter können sich ändern. Wenn Sie uns auf der Reise nach Leonberg und in den Arxhof begleitet hätten, hätten Sie auch mitbekommen, dass das dortige Konzept gerade darauf abzielt, Intensivtäter aufzunehmen. Das sind nämlich die, mit denen man am ehesten arbeiten kann. Wie uns der Leiter gesagt hat, können die Menschen, die eine negative kriminelle Karriere hinter sich und Führungsqualität im negativen Sinne gezeigt haben, mit der richtigen Anleitung auch Führungsqualität im positiven Sinne zeigen.

Ich habe gesagt, es geht alles in allem um Perspektiven. Es geht um die Prävention. Ich habe das gerade deutlich gemacht. Heute Morgen hat der Herr Minister aufgezählt, was die Landesregierung macht. Die Polizei geht in die Schulen. Wir haben eine Leitstelle Kriminalprävention. Wir haben gemeinsame Präventionsprojekte. Wir haben das erfolgreiche Programm „Wer nichts tut, macht mit“.

Ich denke, wir müssen uns immer vor Augen halten – ich bedauere, dass ich Ihnen das sagen muss –, dass es den Artikel 6 des Grundgesetzes gibt. Zuerst haben die Familien das Recht und auch die Pflicht zur Erziehung der Kinder. Da, wo das nicht passiert, muss der Staat eingreifen. So machen wir es in dem Gesetz zur Sicherung des Kindeswohls, und so machen wir es auch in anderen Fällen, indem wir vor Ort mit einer gut aufgestellten Jugendhilfe in vielfältigen Situationen Hilfe zur

Erziehung geben. Die Jugendhilfe arbeitet in Kooperation mit den „Häusern des Jugendrechts“, wie in Ludwigshafen und demnächst hoffentlich an allen fünf Standorten der Polizeipräsidien.

Wir wissen auch – wir sehen das; ich bin ganz Ihrer Meinung –, dass wir beim Arrestvollzug etwas machen sollten. Das gilt gerade auch für den Norden des Landes bzw. – wie ich es eigentlich sagen müsste – für die Region Mittelrhein. Sonst gibt es von Herrn Greisler und vom Herrn Präsidenten Gassen Haue. Man soll nämlich nicht „Norden des Landes“ sagen. Auch dort muss der Arrest wohnortnah vollstreckt werden.

Aber ich erinnere auch daran – wenn ich den Herrn Minister heute Morgen richtig verstanden habe –, dass in den 80er-Jahren die zweite Arrestanstalt des Landes in Mayen aufgelöst wurde. Jetzt gebe ich zu, dass ich in den 80er-Jahren noch nicht besonders politisch gedacht habe und auch noch nicht besonders politisch engagiert war.

(Ministerpräsident Beck: Manche fangen früh an! – Dr. Wilke, CDU: Jetzt ist der Bedarf da!)

Aber meiner Kenntnis nach gab es damals eine andere Regierungskonstellation als heute. Man hätte die Jugendkriminalität nicht seit Jahren unterschätzen dürfen. Wir werden da hoffentlich etwas korrigieren können. Wenn man im Umfeld der JVA Koblenz etwas machen könnte, wäre das sicherlich mit Synergien verbunden. Wenn wir in Rheinland-Pfalz auch noch eine Einrichtung wie das Seehaus in Leonberg hinbekämen, hätten wir viel gegen die Jugendkriminalität getan.

Eines habe ich bei Ihnen nämlich auch herausgehört – darüber freue ich mich außerordentlich –, nämlich dass Sie verstanden haben, dass die Resozialisierung das oberste Vollzugsziel sein muss. Nur die Verhinderung weiterer Straftaten, insbesondere bei den von Ihnen angesprochenen Intensivtätern, führt dazu, dass die Menschen in Rheinland-Pfalz zukünftig in Sicherheit leben können.

Ich möchte Ihnen jetzt etwas zu dem Warnschussarrest sagen. Lesen Sie einmal in der Ausgabe des „Cicero“ von dieser Woche. Ich will das nicht ganz vorlesen, Sie können es selbst lesen.

(Dr. Rosenbauer, CDU: Da gab es eine sehr schöne Seite!)

Da gibt es eine sehr schöne Seite. Oben befindet sich auch noch die Karikatur zu den Nichtrauchern und den Rauchern. Unten heißt es von Hans Zippert: „Warnschussarrest, der, hierbei handelt es sich keineswegs um einen Arrest für fehlgegangene oder nicht ausgelöste Warnschüsse, sondern um einen Schnuppergefängnisaufenthalt für Jugendliche. Wie funktioniert der Warnschussarrest? Mit Erreichen des 14. Lebensjahrs wird jeder Jugendliche für mindestens eine Woche in ein staatliches Verlies geworfen, denn jeder Jugendliche ist ein potenzieller jugendlicher Gewalttäter und muss möglichst früh über die Konsequenzen seiner Jugendlichkeit aufgeklärt werden“. –

Das ist genau das, was Sie meinen, wenn Sie hier Menschen wie einen Jugendlichen zitieren, der bereit ist, sich zu ändern – und sich auch schon geändert hat –, und dann behaupten, wenn man früher härter bestrafen würde, wäre alles besser. Dann wird überhaupt nicht alles besser. „Warnschussarrest“ ist ein Wort, das es so eigentlich überhaupt nicht gibt, weil sich Arrest und Jugendstrafe ausschließen.

Erst geht es um die Erziehung. Dann geht es um die Zuchtmittel. Dazu gehört der Arrest. Als Letztes geht es um die Strafe, und das aus gutem Grund. Wir wollen nämlich die Jugendlichen mit den Defiziten erziehen, die sie nicht selbst verschuldet, sondern, wie Sie ausgeführt, häufig von dieser Gesellschaft mitbekommen haben, weil sie sich nicht ordentlich um sie gekümmert hat. Deshalb wollen wir so weiter verfahren.

Ich begrüße, dass Sie sich an dieser Stelle bewegen und hoffe, dass wir noch etwas Gemeinsames hinbekommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall der SPD)

Für die FDP-Fraktion erteile ich der Abgeordneten Frau Dr. Lejeune das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe bereits heute Morgen auf zwei wesentliche Ursachen für die erhöhte Gewaltbereitschaft bei Kindern und Jugendlichen und damit auch auf ihre erhöhte Neigung zur Kriminalität hingewiesen.

Meine beiden Vorredner haben es auch schon angesprochen, und zwar zum einen das soziale Umfeld, in dem keine Werte vermittelt werden, und die umfangreichen Gewalterfahrungen in eigenen Familien, zum anderen die fehlende Integration junger Menschen mit Migrationshintergrund in unserer Gesellschaft aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse und dadurch bedingte Misserfolge in der Schul- und Berufsausbildung. Auch hier spielt die familiäre Gewalterfahrung eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Diese Klarheit der Problembenennung ist der erste und wichtigste Schritt zur Problemlösung. Auch darauf habe ich heute Morgen hingewiesen. Dadurch wird deutlich, dass es eines wohlüberlegten Vorgehens bedarf und an verschiedenen Stellen vor allem vernetzt angesetzt werden muss.

Zunächst bedarf es eines Vorgehens mit Augenmaß und Weitsicht. Heute sogenannte Wutcamps, wie man sie aus den USA kennt, zu fordern und morgen zu überlegen, ob man nicht auch auf unter 14-Jährige, die massiv strafrechtlich in Erscheinung getreten sind, das Jugend

strafrecht anwendet, facht vielleicht die Diskussion an den Stammtischen an, nutzt aber in der Sache wenig.

(Beifall der FDP und des Abg. Hoch, SPD)

Wir alle sollten uns darüber im Klaren sein, dass die erhöhte Gewaltbereitschaft unter Kindern und Jugendlichen und der Mangel an Respekt gegenüber den Rechten anderer – das muss man auch einmal sagen – nicht erst bei den tätlichen Übergriffen, sondern auch schon mit dem Beschmieren von Hauswänden und dem sehr lockeren Umgang gegenüber dem Eigentum anfangen.

(Beifall der FDP – Creutzmann, FDP: So ist es!)

Diese Probleme sind nicht innerhalb weniger Wochen und Monaten zu beseitigen. Wir wissen auch, dass Bemühungen seitens des Staates, wenn an mehreren Stellen angesetzt werden soll, nötig sind, die deutlich mehr finanzielle Mittel in Anspruch nehmen werden, als dies bisher der Fall war.