Es ist nicht mein Job, Frau Zypries zuloben. Frau Zypries rät zur Besonnenheit und erklärt wohl auch mit Blick auf den Mainzer Innenminister Bruch, dass die Unschuldsvermutung bei der Gefahrenabwehr oder Vorbeugung nicht gelten kann, sondern immer nur dann, wenn jemand vor Gericht steht und der Staat die Schuld nachweisen muss, damit der Täter verurteilt werden kann.
Vielleicht hätte man sich das auch in Mainz einmal erklären lassen sollen, dann wäre das eben zitierte Guantánamo und die Sicherung des Rechtsstaates durch den Innenminister eben nicht ausgesprochen worden. Man hätte sich nicht zu der Behauptung versteifen müssen, hier solle die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs sturmreif geschossen werden.
Wie hat Frau Zypries doch richtig beobachtet, dass die, die sich aufregen – wörtliches Zitat – „es offensichtlich nicht verstehen.“
Lassen Sie mich zum Thema der Unschuldsvermutung noch einen weiteren Satz sagen. Die Unschuldsvermutung heißt im Kern, dass wir lieber zehn Schuldige nicht bestrafen als einen Unschuldigen zu bestrafen.
So frage ich Sie, Herr Minister Bruch: Wollen Sie wirklich sagen, dass Sie lieber zehn Anschläge zulassen, als dass Sie versuchen, jemanden, der vielleicht keinen Anschlag begehen will, daran zu hindern?
Ich darf noch auf einige Punkte eingehen, weil sie im Einzelnen angesprochen worden sind. Das macht in der einen oder anderen Frage Schwierigkeiten. Dabei muss man davon ausgehen, dass der Bundesgesetzgeber
aufgrund der Änderung des Grundgesetzes in Artikel 73 Abs.1 Nr. 10 a gezwungen ist, eine Änderung des Bundeskriminalamtsgesetzes vorzunehmen, da der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das BKA in den Fällen hat, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht.
Zur Wahrnehmung dieser Aufgabe stehen dem BKA in Zukunft weitgehend die Befugnisse, die der Bundespolizei und den Ländern zur Gefahrenabwehr zur Verfügung stehen, auch zu. Dies gehört zu den präventiven Befugnissen des BKA. Dazu gehört auch das Thema der Online-Durchsuchungen. Lassen Sie mich dazu einen Satz sehr deutlich sagen. Das Thema der OnlineDurchsuchungen im Rahmen der Gefahrenabwehr ist unverzichtbar.
Sie haben aus den dpa-Meldungen von heute Morgen zitiert. Ich zitiere auch daraus. Ich darf Herrn Wiefelspütz zitieren, der sich klar für die umstrittenen OnlineDurchsuchungen ausgesprochen hat und der sich massiv gegen die Kritik des Datenschutzbeauftragten gewehrt hat. Ich zitiere: „Für mich ist klar, dass wir diese Ermittlungsmaßnahme brauchen.“ – Dies war die Aussage des Innenexperten der SPD zu diesem Thema.
Herr Präsident, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Über die Lernfähigkeit haben wir in unserem Parlament häufig im Rahmen der Ergebnisse von PISAStudien und anderer Bildungsstudien gesprochen. Heute besteht Anlass, über die Lernfähigkeit im Zusammenhang mit der Inneren Sicherheit zu sprechen.
Herr Baldauf, Sie lächeln. Wir hatten einen Großen Lauschangriff. Das war ein Herzenswunsch des Innenministers Kanter. Das war angeblich das Nonplusultra, um Verbrechen zu verhindern. Wir haben das Luftsicherheitsgesetz. Wir haben die Probleme mit der OnlineDurchsuchung. Vieles mehr haben wir gesetzgeberisch umgesetzt. Wir alle waren bei den von mir genannten Beispielen in irgendeiner Weise beteiligt. Wir haben alle von den obersten Gerichten dieses Landes ins Stammbuch geschrieben bekommen: So, wie ihr es gemacht habt, geht es nicht.
Wir befinden uns in einem Rechtsstaat. Wenn uns das Bundesverfassungsgericht in einer Vielzahl von Fällen in den vergangenen Jahren ins Stammbuch geschrieben hat, was jeder gerne nachlesen kann, dass der Rechtsstaat sehr wohl verteidigt werden muss, dass es eine Aufgabe des Staates ist, ihn zu verteidigen, dass er es aber nicht so machen darf, dass er ihn aufgibt, wenn er ihn verteidigt, dann sollten wir das beherzigen. Das hat das Bundesverfassungsgericht uns allen ins Stammbuch geschrieben. Wir alle sind irgendwie beteiligt. Wir alle waren bei irgendeinem Gesetz, das in den letzten Jahren die obersten Gerichte im Rahmen der Inneren Sicherheit und der Frage beschäftigt hat, ob es verfassungskonform ist oder nicht, beteiligt.
Herr Kollege Baldauf, ich habe das alles gelesen. Ich will mich auch gleich wieder beruhigen, damit wir bald zur Sache kommen.
Herr Kollege Hörter, ich gebe Ihnen recht, in einer bestimmten Phase kann jemand polizeirechtlich präventiv in Anspruch genommen werden, ohne dass wir ihm ein Verschulden nachweisen können. Dann hat sich aber die Gefahr in einer Art und Weise bereits verdichtet oder konkretisiert, die auf Terrorismus übertragen bedeutet, dass da längst ein Anfangsverdacht einer Straftat bejaht werden kann. Dann kann man das ganz normale strafprozessuale Verfahren durchziehen. Für diese Fälle brauchen Sie das Polizeirecht in keiner Weise. Dazu brauchen Sie das Polizeirecht auch nicht bemühen, dass unter bestimmten Fällen jemand in Anspruch genommen werden kann, ohne dass ihm die Schuld nachgewiesen ist. In diesen Konstellationen können Sie bereits schon strafrechtlich vorgehen, ohne in Konflikt mit der Unschuldsvermutung zu geraten. Das Instrumentarium haben wir.
Aber im Interesse der Zeit will ich mich jetzt nur zu dem Problemkreis der Online-Durchsuchungen äußern. Ich habe mit Interesse gelesen, dass es wichtig sei, dass wir die Online-Durchsuchung bei uns gesetzgeberisch regeln, damit wir bei einem Computer, der anderswo in der Welt steht, eine Durchsuchung vornehmen können. Über dieses Argument brauchen wir meines Erachtens in der Bundesrepublik Deutschland nicht eine Sekunde zu reden. Es steht uns nicht zu, in Deutschland gesetzlich zu regeln, dass anderswo auf dieser Welt ein Computer durchsucht werden kann. Das können die USA für sich selbst regeln, aber die USA können auch nicht umgekehrt regeln, dass bei uns ein Computer durchsucht werden kann. Darum kann es also nicht gehen.
Ich habe das nur in den Medien verfolgt. Ich bin kein Computerfachmann. Ich habe mit Interesse in „SPIEGEL ONLINE“ nachgelesen, welche Möglichkeiten es denn
geben soll. So gibt es technisch wohl derzeit zwei Möglichkeiten, die Online-Durchsuchung durchzuführen. Zum Ersten verschicken Sie eine E-Mail, an die ein entsprechendes Programm angehängt ist, das sich dann einloggt und dann alles ausspioniert. Wenn ich mich nicht irre, gibt unser Verfassungsschutz den Unternehmen Hinweise, wie man sich gegen solche E-Mails wehrt. Glauben Sie, diejenigen, die das betreiben, wüssten nicht, wie man das macht?
Zum Zweiten gibt es eine andere Möglichkeit, über Lücken im System, die man vorher definiert hat, dann hineinzudrängen. Aber diese Lücken, die Sie da geschaffen haben, bergen doch Risiken. Über diese Lücken könnten zum Beispiel Spionagetätigkeiten ausgeübt werden. Das ist geradezu ein Einfallstor, um zum Beispiel bei der BASF oder Boehringer Ingelheim oder bei irgendeiner Universität die Forschung zu durchsuchen.
Herr Kollege Hörter, ich meine, da müsste auch im Bereich der Inneren Sicherheit das gelten, was bei Pharmaunternehmen gilt. Wer ein neues medizinisches Produkt auf den Markt bringt, muss dazuschreiben, wo die Risiken und Nebenwirkungen sind. Wer einen Vorschlag bei der Inneren Sicherheit macht, sollte auch dazusagen, wo die Risiken und Nebenwirkungen für einen Rechtsstaat sind, wo vielleicht die Interessen von anderen betroffen sein könnten, wenn wir das einfach so einführen. Ich meine, das gehört zu einer ordnungsgemäßen Debatte, wenn man über ein solches Thema spricht.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter Hörter hat gesagt, die Menschen zu schützen, sei Aufgabe des Staates. Das ist so. Diese Landesregierung und die Landesregierungen bisher haben sich dieser Aufgabe nicht nur gestellt, sondern sie haben sie gut erfüllt. Sie werden sie auch weiterhin gut erfüllen.
Um was geht es? Der Bundesinnenminister hat in der letzten Zeit über verschiedene Medien den Eindruck erweckt, wir hätten im Bereich der Inneren Sicherheit bei der Bekämpfung des Terrorismus noch mehr zu tun und es gebe eine abstrakte Gefahr bzw. eine abstrakte Gefährdung. Ich lehne schon dieses Wort ab, weil wir in einem Gefährdungsraum leben. Dieser ist da. Wir haben zurzeit etwa 250 Verfahren in der Bundesrepublik im Bereich des Terrorismus anhängig. Von daher gesehen ist meines Erachtens dieses Wort von einer abstrakten Gefahr eigentlich falsch. Wir haben einen Gefährdungsraum, und wir stellen uns diesem.
Diese Landesregierung – damals war es die SPD/FDP – hat sich diesen Fragen seit dem 11. September 2001 mit Intensität gestellt. Wir haben erlebt, dass sich das, was Terroristen früher als Anschlagsziel hatten, völlig verändert hat. Damit zeigt sich auch eine andere Qualität in der Frage, wie ich damit umgehe. Heute sind sogenannte weiche Ziele das, was angegriffen wird, also dort, wo sich Menschen aufhalten, in Zügen, in Bahnhöfen, bei Weihnachtsmärkten oder wo auch immer. Sie wissen es, immerhin ist gegen zwei Personen aus Mainz noch ein Verfahren anhängig. Die rheinland-pfälzischen Sicherheitsbehörden haben dort meines Erachtens gut gearbeitet. Rheinland-Pfalz hat im Zuge der Veränderungen des Bundes das Polizei- und Ordnungsbehördengesetz geändert. Auch da waren es die beiden Fraktionen der SPD und FDP in diesem Hause, die Regelungen – wie ich finde, was jetzt auch vom Verfassungsgerichtshof bestätigt worden ist – mit Augenmaß getroffen haben.
Meine Damen und Herren, natürlich muss man im Zuge dieser allgemeinen Gefährdungssituation und dem, was immer wieder neu angeblich auf uns zukommt, kritisch fragen, ob wir alles getan haben, um unseren Rechtsstaat zu schützen, um unsere Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Haben wir alles getan, um diese Rechtseingriffe zu normieren, sie rechtsstaatlich zu unterlegen, und haben wir das getan, was hier im Mittelpunkt der Rede des Herrn Kollegen Hörter stand, nämlich die Frage, ob wir genügend machen? Ich denke erst einmal, dass wir unseren Sicherheitsbehörden konstatieren und ins Stammbuch schreiben können, dass sie sorgfältig mit den Möglichkeiten umgegangen sind. Wir haben mit Augenmaß gearbeitet. Wir haben kein Übermaß in Rheinland-Pfalz gehabt, wenn ich unsere Entwicklung sehe, weder bei der Polizei noch beim Verfassungsschutz noch bei der Justiz.
Meine Damen und Herren, deswegen und auch deswegen, weil die Diskussion in der Innenministerkonferenz, über die ich gleich berichten werde, schon weitergegangen ist, waren wir alle etwas erstaunt – um es einmal so zu sagen, man kann auch sagen erschrocken –, als auf einmal der Bundesinnenminister mit einer Fülle von vermeintlich neuen Überlegungen zur Inneren Sicherheit und zu Lücken, die es in der Inneren Sicherheit gibt, auf den Markt gegangen ist. Was ist wirklich neu? Neu ist das, was der Kollege Mertin gesagt hat, was auch der Abgeordnete Jochen Hartloff vorgetragen und auch Herr Kollege Hörter gesagt hat. Die verniedlichende Form der Online-Durchsuchung – allein schon das Wort gebietet, dass da nicht viel passiert – wirft Fragen auf. Tatsache ist, man dringt in einen fremden Rechner ein und spioniert diesen Rechner mit allen Daten aus.
Nun sagt der Herr Innenminister: Wenn es so etwas technisch gibt – auch der, das habe ich am Anfang gesagt, überlegt mit unseren Leuten –, warum sollen wir das denn, wenn es rechtsstaatlich normiert werden kann, nicht fordern. Ich habe mich intern schon ein bisschen über die Bundesministerin Zypries am Anfang gewundert, dass sie „einmal langsam“ gesagt hat. Ich bin dann sehr schnell zu dieser Meinung gekommen, einmal sehr langsam zu machen, weil mir dann meine Leute vom Landesdaten- und Informationszentrum gesagt haben, so einfach ist das nicht. Ich kann heute die Datenpakete irgendwo parken, wo auch immer in der
Welt. Ich kann heute durch Verschlüsselungsinstrumente überhaupt nicht hineinkommen oder muss diese so artikulieren oder so formieren, dass das weitestgehend ein hoher technischer Aufwand ist, der andere Rechner – andere Unbeteiligte wiederum – stört oder in Anspruch nimmt.
Da finde ich die Formulierung von Herbert Mertin gut, zu fragen, wie das mit den Nebenwirkungen aussieht. Das müssen wir uns schon gesondert ansehen, wo wir dann möglicherweise hingehen und sagen: Wenn es diese technischen Möglichkeiten gibt und wenn es Verschlüsselungsmechanismen gibt und wenn es Spionagemöglichkeiten gibt, dann müssen wir uns natürlich nicht nur schützen, sondern auch schauen, wie möglicherweise im Bereich schwerster Straftaten oder einer wirklich dringenden Gefahr – einer Gefahr für Leib und Leben und einer Gefahr für diesen Staat – in sehr begrenzten Gefahrensituationen so etwas möglich sein könnte.
Aber die gibt es nicht. Von daher gesehen waren wir der Meinung – zumal es hier um sehr private Daten geht –, uns sehr zurückhaltend zu bewegen. Da muss man an den Richtervorbehalt denken. Da muss man an viele technische Vorkehrungen denken und Ähnliches mehr. Der Kernbereich der privaten Lebensführung muss in jedem Fall gesichert sein. Da bin ich schon der Meinung, dass die Bundesministerin recht hat, wenn sie sagt, lasst uns das erst einmal in Ruhe überlegen, anstatt es im „Stern“ zu verkünden, dass man das jetzt unbedingt morgen früh benötigt.