Die CDU beleuchtet vorwiegend die anderen 15 %. Das ist genauso falsch, so zu tun, als ob wir nur Probleme in der Integration hätten, Herr Baldauf.
Ich nenne Ihnen einmal in aller Ruhe und Gelassenheit eine Zusammenfassung, die man mir als Exzerpt her- ausgeschrieben hat und die ich dann noch einmal nachvollzogen habe. Es fehlt hier das versöhnende Element. Genau das ist der Punkt. Der Antrag bedient sich viel mehr einseitiger Rhetorik, Klammer auf: null Toleranz, Meldepflichten, Verbot der Einschulung bei mangelnden Sprachkenntnissen. Das finden wir eben nicht richtig. Wir erwarten von jedem, der hierher kommt, dass er
guten Tag sagt. Ich habe es in der Enquete-Kommission gesagt, ich bin so erzogen worden, dass ich, wenn ich in ein Zimmer gehe, als Erster guten Tag sage. Und das erwarte ich von zuwandernden Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Aber, meine Damen und Herren, diejenigen, die im Zimmer sind, haben diesen Gruß wohlwollend zu erwidern. Das, Herr Günther, bei Ihrer herben Kritik fehlt mir in Ihrem Antrag.
Das, was Hedi Thelen gesagt hat, ist in Ordnung, aber das ist nicht der Geist, den dieser Antrag hat.
Das ist das Problem. Das ist der Antrag für bestimmte Vereine vor Ort, die ich auch kenne. Ich will jetzt nicht grundsätzlich eine Sportgruppe diskreditieren. Wie soll ich es umschreiben? Ich umschreibe es am besten gar nicht. Also, es gibt Gruppen, die diesem Antrag applaudieren. Ich gehöre nicht dazu. Wenn Sie sagen, wir sind für eine deutsche Leitkultur, dann haben Sie den Beifall großer Kreise. Meinen Beifall haben Sie nicht, und den Beifall der FDP haben Sie auch nicht. Das ist uns, verehrter Herr Kollege, zu platt. Damit müssen Sie leben.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich zu dieser Debatte noch einmal zu Wort gemeldet, nicht, weil ich dem, was Frau Kollegin Dreyer gesagt hat, inhaltlich etwas hinzufügen möchte, aber weil ich doch die Hoffnung habe, dass wir miteinander einen Grundkonsens zustande bringen sollten.
In diesem Land leben rund 745.000 Menschen mit Migrationshintergrund. Das sind knapp 18 % der Gesamtbevölkerung. Diese Bürgerinnen und Bürger sind genauso unserer Obhut anvertraut wie die anderen gut 80 % der Bürger, die seit Generationen hier leben. Insoweit haben wir beides miteinander in eine verantwortliche Balance zu bringen.
Wir haben das große Glück, dass wir ein Grundgesetz in der Bundesrepublik Deutschland haben, das in der Bevölkerung, abgesehen von ein paar Radikalen ganz links oder ganz rechts außen, von allen Menschen akzeptiert wird. Diese Chance müssen wir nutzen, auch dort, wo es um solche Debatten geht.
Es macht eben meine Sorge aus, wenn wir versuchen, eine andere Leitkultur – oder wie immer wir das nennen, ich will keine Schärfe hineinbringen – zu definieren, dass wir automatisch dazu kommen, neue Definitionen für die Grundlage des Zusammenlebens von Menschen zu versuchen, die an der einen oder anderen Stelle eine
Lassen Sie mich ein Zweites sagen. Ich habe mir einmal angesehen, auch entlang der Geschichte dieses Landes Rheinland-Pfalz, wann wir gute Zeiten in Deutschland und auch in unserem heutigen Land Rheinland-Pfalz hatten. Es waren die Zeiten, in denen wir ein offenes Land gewesen sind.
Ich erinnere an die Definition, wie sie kaum treffender, was unsere Wurzeln angeht, anders beschreibbar wäre in dem Dialog in „Des Teufels General“ mit diesem jungen Fliegerhauptmann. Wie kommen wir dazu, als Volk, das von der Völkerwanderung geprägt ist und von allem, was sich in all den Jahrhunderten und Jahrtausenden bis heute getan hat, andere auszugrenzen oder sie von oben zu betrachten?
Wenn man in der Geschichte weitergeht und beispielsweise an ein Verhalten denkt, als Menschen woandershin wegen ihrer Religionszugehörigkeit fliehen mussten, die dann beispielsweise im rheinland-pfälzischen Neuwied einen Unterschlupf, eine Heimat gefunden haben, dann hat sich daraus etwas besonders Positives entwickelt. Das war sicher auch nicht in jedem Einzelfall problemfrei. Aber dieser Geist, der von den Fürsten zu Wied damals gegen mächtige Anfeindungen gehalten worden ist, hat dazu geführt, dass sich daraus neue Impulse ergeben haben und neue Denkformen auch mit in die Kultur, die dort gewachsen war, eingefügt werden konnten. Wir partizipieren noch heute von diesem freiheitlichen Denken.
Diese Entwicklung können Sie weitervollziehen. Eine der eindrucksvollsten Mischformen aus Dokumentation und Spielfilm war die Serie – ich glaube, sie ist in der ARD gelaufen – „Rote Erde“, eine Aufarbeitung der Zuwanderung von Menschen aus Polen in das damals aufblühende Ruhrgebiet mit der aufkommenden Montanindustrie.
Es wird doch niemand behaupten, dass das keine Probleme gegeben hätte. Natürlich gab es die. Aber am Ende waren wir stolz, als die Tilkowskis, die Sawitzkis
und wie sie alle geheißen haben, auch für Deutschland Fußball gespielt haben. Ist es heute anders? Wenn wir diejenigen, die nicht deutsch aufgewachsen sind oder deren Eltern nicht deutsche Wurzeln haben, aus der Nationalmannschaft nehmen,
dann sieht es dünn aus. Ich will es jetzt nicht als Schärfe sagen, aber wenn das gleiche markige Wort wie auf dem Parteitag dann dort in der Kabine der Nationalmannschaft gesagt worden wäre vor den halbnackten Männern von der Kanzlerin, dass multikulti gescheitert ist, dann hätte ich gesagt: Siehste, das passt! –
Ja, Entschuldigung. Nicht vor einem Parteitag, wo alle jubeln bei der CSU, so etwas ausrufen und noch unterstreichen und sich dann im Lichte einer solchen Multikulti-Truppe wiederum bescheinen lassen, das geht nicht zusammen.
Wir werden heute Abend bei den Bischöfen sein. Dort wird von Herrn Bischof Dr. Wiesemann eine Rede gehalten – ich durfte sie vorweg lesen und weiß deshalb, was gesagt wird –, in der er über Mut und ähnliche Tugenden reden wird. Darum geht es in dieser Frage auch. Es geht aber auch darum, wo Mut ist, und zu sagen, dass es sicherlich Fälle gibt, die niemand von uns, der vernünftig denkt, akzeptieren wird. Das sind Fälle von jungen Männern, die meinen, weil sie aus einem Elternhaus kommen, in dem es sehr patriarchalisch zugeht, müssten sie auf der Straße den „Showie“ spielen. Wir sind uns doch alle einig, dass das nicht zu akzeptieren ist und dass wir dem mit den Möglichkeiten der Erziehung und der Aufklärung und auch mit der Möglichkeit zu sagen „du musst dich an unsere Spielregeln halten“ begegnen. Das ist keine Frage. (Licht, CDU: Ja!)
Sie dürfen alles sagen. Das ist doch keine Frage. Wenn man so etwas sagt, muss man doch spüren, mit welchem Geist man herangeht.
Ich habe das öffentlich gesagt, und ich bleibe dabei: Natürlich durfte Herr Sarrazin in einem freien Land das schreiben, was er geschrieben hat. Natürlich hat er an vielen Stellen, an denen er analysiert, mit manchen Vorschlägen recht. Zwischenzeitlich habe ich mir das doch angetan. Ursprünglich hatte ich fest vorgehabt, das Buch nicht zu lesen. Natürlich durfte er das, und natürlich hat er auch an vielen Stellen recht.
Herr Baldauf, das ist ein Niveau, dass es einem wirklich weh tut. Das ist wirklich wahr. Vielleicht können wir über so etwas wirklich einmal miteinander debattieren.
Ich behaupte einmal, ich kenne ihn gut, sehr gut. Ich glaube – nach einem Brief, den er mir zu seinen Auslegungen geschrieben hat, glaube ich das noch mehr –, dass er die Wirkungen mit einkalkuliert hat, die er auf jeden Fall dank seiner hohen Intelligenz hätte einkalkulieren müssen. Es dann trotzdem geschrieben zu haben, muss man kritisieren. Das ist nicht in Ordnung bis hin zu den Ausfällen, die etwas mit Ethik, Vererbungslehre und Ähnlichem mehr zu tun haben.
Deshalb zieht es eben nicht zu sagen, man darf das doch sagen, sondern man muss auch fragen dürfen – ja, man muss es fragen –, mit welcher Motivation eine bestimmte Diktion verbunden ist. Da erlaube ich mir zu sagen: Ich halte es für beachtenswert – Frau SahlerFesel hat darauf hingewiesen –, dass während der Arbeit einer Enquete-Kommission dieses Hauses – ich habe mir eine Reihe von Protokollen angesehen, weil uns alle dieses Thema sicher interessiert –, die über ungefähr zwei Jahre hinweg gründlich gearbeitet hat, die gerade ihren Abschlussbericht fertigstellt, die CDU wortgleich einen Parteibeschluss in dieses Parlament zur Abstimmung einreicht.
(Frau Thelen, CDU: Keine Krokodilstränen! – Frau Kohnle-Gros, CDU: Frau Dreyer hat das Thema angesprochen!)
Weil Sie das Thema öffentlich aufgeworfen haben, meine Damen und Herren. Ihr Landesvorsitzender hat zuerst eine Pressekonferenz zu diesem Acht-PunktePapier abgehalten.
Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Wenn darüber eine ernste Debatte zu führen ist – die müssen wir führen –, warum hatten Sie nicht die Geduld, den Bericht der Enquete-Kommission abzuwarten und dazu Änderungsvorschläge oder was auch immer zu unterbreiten? Das ist Ihr gutes Recht.
Ich kann dahinter nur ein Motiv erkennen, das ich aber besser nicht ausspreche, weil Sie sich sonst nur wieder aufregen.