Protocol of the Session on November 11, 2010

(Baldauf, CDU: 21 Minuten!)

Herr Kollege Hartloff, nun können Sie natürlich einwenden, dass diese Entscheidung nur zum Notarrecht ergangen sei. Aber es geht um die gleiche Rechtsfigur, und diese Rechtsfigur gilt im Notarrecht, sie gilt im Beamtenrecht, und sie gilt im Richterrecht. Es geht immer um die gleiche Rechtsfigur: Darf ich nach dem einstweiligen Rechtsschutz die Urkunde übergeben, oder darf ich es nicht? – In diesem Fall hatte das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich entschieden, dass wir das nicht unmittelbar danach dürfen, und dies habe ich mit meinen Mitarbeitern ausführlich erörtert, und dabei sind wir auch auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gekommen, weil wir natürlich durchdacht haben, welche Konsequenzen es denn hätte, wenn wir es tun. – Dann war auch für uns klar erkennbar, dass wir unter Umständen mit der Konsequenz der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2003 zu kämpfen hätten.

Ich wiederhole das heute in dieser Ausführlichkeit, genauso wie Sie den Fall mit Ihrem Bruder geschildert haben, weil ich diesem Ministerium bis zum Mai 2006 vorgestanden habe und von den Mitarbeitern dort immer außerordentlich kompetent und loyal beraten worden bin. Ich lasse es nicht zu, dass der Eindruck entsteht, dieses Ministerium wäre nicht in der Lage gewesen, diesen Sachverhalt korrekt aufzuarbeiten und korrekt zu beraten.

(Beifall der FDP und der CDU)

Herr Kollege Hartloff, wenn ich festgestellt habe, dass es zu einem Verfassungsbruch gekommen ist, der vorhersehbar war, und dass in vorhersehbarer Weise rechtswidrig eine Personalentscheidung durchgedrückt werden sollte, dann stelle ich dies nicht aus Sicht der Opposition fest, sondern ich zitiere nur das Bundesverfassungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht. Diese beiden Gerichte haben das festgestellt. Insofern muss es doch wohl auch der Opposition erlaubt sein, das Gleiche festzustellen. Es ist das oberste Verfassungsgericht der

Bundesrepublik Deutschland, das einen Verfassungsbruch festgestellt hat, und es ist das oberste Verwaltungsgericht der Bundesrepublik Deutschland, das festgestellt hat, dass dieser Verfassungsbruch für den Minister erkennbar war und dass auch der Besetzungsvorschlag für ihn in erkennbarer Weise rechtswidrig war. Wenn die Opposition dies heute thematisiert, nachdem der Minister in keiner Weise erkennen lässt, dass er das verstanden hat, dann – so meine ich – tut die Opposition das, was ihre Pflicht ist, nämlich dieses Handeln zu kritisieren. Deshalb war es auch richtig, diese Sondersitzung zu beantragen.

(Beifall der FDP und der CDU)

Herr Kollege Hartloff, weshalb haben wir diesen Misstrauensantrag gestellt? – Der Minister der Justiz ist ein Minister und gehört damit der Regierung an. Er gehört nicht der dritten Gewalt, der Justiz, an, darin sind wir uns einig. Verfassungsrechtlich ist das so.

Aber in den Augen der Bürger ist der Justizminister der Vertreter der Justiz.

(Bracht, CDU: So ist es!)

Er ist sozusagen ihr Botschafter in die Gesellschaft hinein. Er muss sogar gegebenenfalls gerichtliche Entscheidungen, die bei den Bürgern Unverständnis hervorrufen, erklären und erläutern. All das setzt aber voraus, dass der Bürger das Vertrauen darin hat, dass dieser Minister für Verfassung und Rechtsordnung steht. Dies ist erforderlich für eine unbelastete Amtsführung.

Wie soll der Bürger, obwohl das Bundesverfassungsgericht und auch das Bundesverwaltungsgericht festgestellt haben, dass erkennbar war, dass in diesem Fall in rechtswidriger Weise der Rechtsschutz unterlaufen wurde, und dass erkennbar war, dass auch in rechtswidriger Weise die Besetzung der Richterposition durchgeführt wird, noch ein Vertrauen in diesen Minister haben?

(Beifall der FDP und der CDU – Baldauf, CDU: Das frage ich mich auch!)

Herr Kollege Hartloff, Sie haben auf die beiden ersten Instanzen verwiesen. Selbstverständlich, bei uns gilt die richterliche Unabhängigkeit. Das gilt für die erste Instanz, das gilt für die zweite Instanz, aber das gilt selbstverständlich auch für die dritte Instanz und auch für das Bundesverfassungsgericht. Wenn ich als Behördenleiter eine Entscheidung zu treffen habe, ist doch aber entscheidend bei der Beurteilung, dass mir klar sein muss, dass es einen Instanzenzug gibt. Für die Entscheidung, die ich treffe, muss doch prägend sein, wie zu erwarten ist, dass unter Umständen die letzte Instanz entscheiden wird.

Herr Kollege Hartloff, wir beide hätten als Anwalt einen riesigen Fehler begangen und hätten uns schadenersatzpflichtig gemacht, wenn wir den Minister nicht darauf hingewiesen hätten, dass es zum einen die neue Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt und diese Entscheidung im Zusammenwirken mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom Jahr 2003 das Dilemma verursacht hätte, in dem wir jetzt

stecken. Wir hätten uns als Anwälte schadenersatzpflichtig gemacht, wenn wir nicht entsprechend beraten hätten, weil es offenbar und in der Welt war, dass es zu so einer Entscheidung kommen kann. Deshalb ist es richtig, diese Sitzung zu beantragen und durchzuführen, weil nicht hinzunehmen ist, dass eine Legendenbildung stattfindet, so, als ob es nicht vorhersehbar gewesen wäre. Es war in allen seinen Einzelheiten vorhersehbar, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall der FDP und der CDU)

Der Minister der Justiz muss in die Bevölkerung hinein, aber auch in die Justiz selbst hinein Vertrauen genießen. Er muss das Vertrauen dahin gehend genießen, dass seine Entscheidungen, die die Justiz betreffen, nach Recht und Gesetz erfolgen und nicht nach anderen Gesichtspunkten. Ich finde schon, dass nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts, wie sie am Donnerstag letzter Woche getroffen worden sind, und nach den Reaktionen, die hierauf erfolgt sind, ein solches Vertrauen nicht mehr gegeben ist. Ich als Vertreter der FDP-Fraktion hätte es vorgezogen, einen solchen Misstrauensantrag nicht zu stellen. Dies wäre nämlich nicht notwendig gewesen, wenn zumindest in irgendeinem Fitzelchen erkennbar gewesen wäre, dass man anerkennt, dass etwas falsch gemacht worden ist, dass man vielleicht darüber nachdenkt, dass man einen Fehler gemacht hat, ihn einräumt und sich bei den Betroffenen entschuldigt. All das ist aber nicht geschehen, und somit kann auch das Vertrauen nicht zurückgewonnen werden. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt.

(Beifall der FDP und der CDU)

Die Verfassung gibt uns zwei Möglichkeiten: Wir hätten eine Ministeranklage beantragen oder ein Misstrauensvotum stellen können. Wir haben uns für das Misstrauensvotum entschieden, weil der Sachverhalt, um den es geht, sehr ernst ist. Wenn zwei obere Bundesgerichte feststellen, dass die Verfassung verletzt worden ist und Ähnliches mehr, hätte man sicherlich auch über eine Ministeranklage nachdenken können. Aber es lässt sich theoretisch ein Fehlverhalten noch viel schwerwiegenderer Art vorstellen, und deswegen wäre eine Ministeranklage viel zu hoch gegriffen gewesen. Aus unserer Sicht reicht es aus, einen Misstrauensantrag zu stellen; er ist allerdings auch geboten, damit die Bevölkerung in Rheinland-Pfalz sieht, dass der Landtag sich um diesen Vorgang kümmert und über diesen Sachverhalt abgestimmt wird, damit der Bürger weiß, wie im Einzelfall zu argumentieren ist.

Herr Kollege Hartloff, aus unserer Sicht begehen Sie einen Fehler, wenn Sie unseren Antrag ablehnen. Nach den Feststellungen, die das Gericht getroffen hat, gibt es keine andere Möglichkeit, um das Vertrauen der Justiz wiederherzustellen, als dieses Misstrauen auszusprechen.

(Beifall der FDP und der CDU)

Ich erteile das Wort Herrn Justizminister Dr. Bamberger.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gehört zu Besetzungsverfahren für öffentliche Ämter, dass um sie Bewerberinnen und Bewerber konkurrieren, die nach ihrer Leistung und Eignung in einer Kopf-an-Kopf-Situation stehen. Das macht Auswahlentscheidungen zu einem sehr schwierigen Geschäft. Das wissen die Damen und Herren, die Mitglieder des Richterwahlausschusses sind.

Wir bearbeiten – das wissen auch diese Damen und Herren im Richterwahlausschuss – diese Dinge mit der allergrößten Sorgfalt. Meine Damen und Herren, trotzdem kann ich natürlich, auch weil es um komplexe Dinge geht, nicht ausschließen, dass es hier Fehler geben kann und Fehler vorkommen. Das ist doch ganz klar.

Das Bundesverwaltungsgericht hat hier Fehler festgestellt, die wir akzeptieren. Ich habe das von Anfang an gesagt. Wir respektieren natürlich das Ergebnis und die Gründe dieser Entscheidung, und wir werden diese Fehler natürlich auch korrigieren.

(Licht, CDU: Es bleibt Ihnen auch nichts anderes übrig!)

Dennoch, meine Damen und Herren, lassen Sie mich das auch hier sagen, die allermeisten Besetzungen in der Justiz unseres Landes verlaufen, ohne dass es überhaupt zu einem Streit um die begehrte Stelle kommt.

Ein Blick auf die Besetzungsverfahren in der rheinlandpfälzischen Justiz belegt das deutlich. Seit dem 18. Mai 2006, seitdem ich Justizminister bin, sind im Richterwahlausschuss insgesamt 233 Besetzungsverfahren behandelt worden, darunter die Besetzung von fünf sogenannten Chefpräsidentenposten der Gerichtsbarkeiten, nämlich der Präsidenten der Oberlandesgerichte in Koblenz und Zweibrücken, des Landessozialgerichts, des Landesarbeitsgerichts und des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz. Ebenfalls besetzt wurden die wichtigen Präsidentenstellen der Landgerichte Mainz, Frankenthal und Zweibrücken. Hinzu kommen 55 Versetzungsentscheidungen. Im Bereich der Staatsanwaltschaften unseres Landes wurden im gleichen Zeitraum bis heute 58 Besetzungsvorgänge abschließend bearbeitet. Dazu gehören auch die Chefstellen der beiden Generalstaatsanwälte in Koblenz und Zweibrücken.

(Frau Thelen, CDU: Ein Statistikseminar!)

Entschieden wurden auch die Leitungen der Staatsanwaltschaften in Mainz, Bad Kreuznach und Trier.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bis auf das den Gegenstand der heutigen Sitzung bildende Verfahren und zwei weitere

(Zurufe von der CDU: Aha!)

verliefen die insgesamt immerhin fast 350 Besetzungen reibungslos. Ich finde, auch das muss hier einmal betont werden.

(Beifall der SPD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich Folgendes hinzufügen: Dass es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen um die Vergabe von Ämtern in der Justiz kommt, ist keineswegs eine Besonderheit, schon gar nicht eine rheinland-pfälzische. Das ist in anderen Ländern – es ist schon angeführt worden – gang und gäbe. Ein Blick über den Rhein macht das mehr als deutlich. In Hessen waren allein in den Jahren 2006 bis 2008 insgesamt 60 Konkurrentenstreitverfahren aus der Justiz anhängig. Obwohl das Land größer ist, kann man sich kaum vorstellen, dass dort zugleich auch zwanzigmal mehr Besetzungen vorgenommen worden sind.

(Zurufe der Abg. Frau Thelen und des Abg. Schreiner, CDU)

Ich erinnere aber auch an die Besetzung des Präsidenten des Landesarbeitsgerichts in einem anderen Bundesland, ein Verfahren, das ebenfalls für Aufmerksamkeit gesorgt hat.

(Bracht, CDU: Sind die alle so verfahren wie Sie?)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in einem solchen Konkurrentenstreitverfahren ist jetzt die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig ergangen. Die Bundesrichter haben die Ernennung von Herrn Bartz zum Präsidenten des Oberlandesgerichts Koblenz mit Wirkung ab Zustellung des Urteils aufgehoben und das Justizministerium verpflichtet, das Amt des Präsidenten des Oberlandesgerichts aufgrund eines neuen Auswahlverfahrens zu vergeben.

Das Urteil ist uns noch nicht zugegangen. Wir kennen das Ergebnis. Wir kennen einige tragende Sätze aus dem Verkündungstermin und aus der Presseerklärung des Gerichts.

Meine Damen und Herren, diesem Urteil gingen mehrere Entscheidungen rheinland-pfälzischer Verwaltungsgerichte voraus. Ich möchte hier noch einmal betonen, keines dieser Gerichte hat einen Rechtsfehler im Verhalten des Justizministeriums festgestellt, und jede dieser Entscheidungen hat die Position des Justizministeriums bestätigt.

Im Eilverfahren haben sowohl das Verwaltungsgericht Koblenz als auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz alle Einwendungen, die der unterlegene Mitbewerber erhoben hatte, umfassend gewürdigt und beurteilt.

Weder das Verwaltungsgericht Koblenz noch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz haben einen Fehler gefunden. Sie haben deshalb den Eilantrag und die Beschwerde des unterlegenen Bewerbers zurückgewiesen.

Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts hat Herr Graefen damals zum Anlass genommen, sich mit einem

Antrag an das Bundesverfassungsgericht zu wenden. Er bat das Bundesverfassungsgericht zehn Tage vor dem Datum der Aushändigung der Urkunde an Herrn Bartz, kurzfristig eine Zwischenregelung zu treffen oder dem Justizministerium die Zusicherung abzuverlangen, die Urkunde nicht auszuhändigen, bis über den beabsichtigten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entschieden sei.

Das Bundesverfassungsgericht reagierte auf diese Bitte hin nicht. Vor diesem Hintergrund habe ich Herrn Bartz die Urkunde über seine Ernennung zum Präsidenten des Oberlandesgerichts Koblenz am 22. Juni 2007 ausgehändigt.

Die erst später erhobene Verfassungsbeschwerde von Herrn Graefen hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen. Es hat den unterlegenen Bewerber auf den Rechtsweg in der Hauptsache verwiesen.

Meine Damen und Herren, mir nach all dem, wie Sie es von der Opposition tun, Verfassungsbruch vorzuwerfen, ist haltlos und infam.

(Anhaltend Beifall der SPD – Baldauf, CDU: Wow! Spätestens jetzt! – Weitere Zurufe von der CDU)