Protocol of the Session on June 3, 2005

Wir kommen zu Punkt 17 der Tagesordnung:

Ärztliche Versorgung in Rheinland-Pfalz Besprechung der Großen Anfrage der Abgeordneten Ernst-Günter Brinkmann, Peter Wilhelm Dröscher, Friederike Ebli, Marianne Grosse, Heribert Heinrich, Jochen Hartloff, Ruth Leppla, Renate Pepper, Joachim Mertes, Hans Jürgen Noss und Günter Rösch (SPD) und der Antwort der Landesregierung auf Antrag der Fraktion der SPD – Drucksachen 14/3864/4024/4135 –

Die Fraktionen haben eine Redezeit von zehn Minuten vereinbart. Das Wort hat Frau Kollegin Ebli.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf mich zuerst sehr herzlich bei Frau Ministerin Malu Dreyer und ihrem Haus für die umfassende Beantwortung unserer 41 Fragen bedanken.

Die Antwort ist eine gute Grundlage für die gesundheitspolitische Arbeit in unserem Land. Sie bietet eine Übersicht über die Entwicklung der medizinischen Versorgung und zeigt auf der anderen Seite durchaus auch Handlungsbedarf auf.

Die vorgegebene Redezeit lässt es leider nicht zu, dass ich auf jede Frage eingehen kann, aber als wichtiges Fazit ist festzuhalten: Die flächendeckende medizinische Versorgung unserer Bevölkerung im ambulanten und stationären Bereich ist generell auch für die Zukunft sichergestellt.

Die Abschaffung des Arztes im Praktikum zeigt Wirkung. Das macht den Einstieg in die praktische Ausübung des Arztberufes auf alle Fälle wieder attraktiver.

Ca. 120 in absehbarer Zeit ausscheidenden Ärztinnen und Ärzten stehen ca. 300 medizinische Absolventinnen und Absolventen gegenüber. Natürlich wissen wir, dass nicht alle in Kliniken oder Praxen gehen.

Es wird immer Absolventinnen und Absolventen geben, die von vornherein andere Berufsziele haben. Wir wollen das nicht beklagen; denn wir brauchen Nachwuchs auch in Forschung und Lehre.

Meine Damen und Herren, das Verhältnis Ärztedichte und Wohnbevölkerung ist günstig wie nie zuvor, also aktuell nach den vorliegenden Zahlen und erkennbaren Entwicklungen kein Anlass zur Sorge.

Man muss dennoch perspektivisch planen; denn die demografische Entwicklung wird auch vor dem ärztlichen Berufsstand nicht halt machen. Nach heutigen Erkenntnissen kann festgestellt werden, dass in den nächsten zehn Jahren wesentlich weniger Ärzte aus dem Beruf ausscheiden, als in den Arztberuf einsteigen werden.

Klar ist, es muss Vorsorge getroffen werden, dass ein zunehmender Anteil älterer Bevölkerung ebenso auf eine gute flächendeckende medizinische Versorgung vertrauen kann wie wir heute auch.

Eine Maßnahme könnte beispielsweise sein, das Verhältnis von Fachpraxis zur Allgemeinpraxis etwas zugunsten der Allgemeinpraxen zu verändern.

(Beifall der SPD und der FDP)

Die Krankenkassen sprechen heute nach ihren Grundsätzen von einer Überversorgung. Aber wir verkennen nicht, dass es wohl in einigen Bereichen und Regionen Probleme mit der Besetzung bzw. Wiederbesetzung von Praxen gibt.

Aber da muss man auch einmal genauer hinsehen. In solchen Fällen grundsätzlich von Ärztemangel zu reden,

ist schlichtweg falsch. In diesem Punkt sind in erster Linie die Kassenärztlichen Vereinigungen gefordert, deren Aufgabe es ist, für eine flächendeckende medizinische Versorgung zu sorgen;

(Beifall der SPD)

denn nicht alle Arztpraxen, die sich als Kassenpraxen abmelden, gehen gänzlich vom Markt. Einige praktizieren als Privatpraxen weiter. Dies macht es natürlich einem jungen Arzt oder einer jungen Ärztin besonders schwer, sich daneben völlig neu niederzulassen und zu etablieren.

Andere wiederum fordern von ihren Nachfolgerinnen oder Nachfolgern so hohe Konditionen, dass sie sie schlichtweg nicht erfüllen können. Manchmal liegt es aber auch an der Region selbst und dem Anspruch von jungen Medizinerinnen und Medizinern, die für sich und ihre Familien eine gewisse Infrastruktur und gewisse Rahmenbedingungen erwarten wie beispielsweise Schulen, Kultur- oder Freizeitangebote, die sie dort nicht vorfinden. In diesen Fällen ist es den Kassenärztlichen Vereinigungen nicht verboten, im Rahmen ihres Sicherstellungsauftrags finanzielle Anreize zu schaffen, beispielsweise Investitionshilfen zu geben. Dies wäre eine Möglichkeit und wird beispielsweise in Sachsen schon praktiziert.

Nicht unerwähnt lassen möchte ich die neue Möglichkeit nach dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz, nämlich die Einführung Medizinischer Versorgungszentren. Sie bieten jungen Ärztinnen und Ärzten die Chance, im ambulanten Bereich ohne eigene wirtschaftliche Risiken zu wirken. Diese Medizinischen Versorgungszentren haben den besonderen Charme, dass sie ganz persönliche Teilzeitmodelle zulassen, die gerade für junge Frauen attraktiv sind; denn mit Blick auf die demografische Entwicklung ist es gut, wenn auch Ärztinnen und Ärzte Beruf und Familie vereinbaren können.

Dies trifft im Übrigen auch auf den stationären Bereich zu, wo aufgrund der Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs zum Bereitschaftsdienst die Arbeitszeit künftig so gestaltet werden muss, dass Ärztinnen und Ärzte durch überlange Arbeitszeiten nicht mehr überfordert werden. Dass dies auch im Interesse der Patientinnen und Patienten liegt, liegt auf der Hand und ist keine Frage. Die Krankenhausträger müssen für ihre Beschäftigten einfach auch annehmbare Bedingungen durchsetzen, mit denen Familie, Beruf und Freizeit in Einklang gebracht werden können. Dies ermöglicht gerade jungen Ärztinnen die leichtere Rückkehr aus der Mutterschaft in den Beruf. Es ist eigentlich unvorstellbar, dass es Medizinerinnen gibt, die ihren Beruf aufgrund starrer Arbeitszeiten nicht ausüben können. Dies sind in der Tat vergeudete Ressourcen.

Ein Blick auf Seite 10 und 11 der Antwort auf unsere Große Anfrage zeigt die guten Voraussetzungen für die ärztliche Weiterbildung und damit auch die Sicherstellung einer hohen Qualität in der ärztlichen Versorgung auf. Für die Landesärztekammer ist gerade die Weiterbildung ein besonders wichtiges Thema, wie man feststellen kann. 2.622 Weiterbildungsbefugnisse sind in

unserem Land vergeben worden. Interessant ist der Blick auf den Anteil ausländischer Ärztinnen und Ärzte. Der hohe Anteil aus den EU-Staaten und dem übrigen Europa sowie aus Asien zeigt uns, dass Deutschland und vielleicht insbesondere Rheinland-Pfalz ein interessanter Markt ist. Wir meinen aber, dass gerade beim ärztlichen Berufsstand die fachliche Qualität vergleichbar und die Beherrschung der deutschen Sprache ein zwingendes Muss ist.

Es kommt manchmal schon vor, dass man als Patientin oder als Patient sagt: Ich verstehe meinen Doktor überhaupt nicht. Aber es darf auf keinen Fall vorkommen, dass ein Arzt oder eine Ärztin sagt: Ich verstehe meine Patienten in sprachlicher Hinsicht nicht.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, abschließend können wir festhalten, dass die ärztliche Versorgung in Rheinland-Pfalz verlässlich und zumindest für die nächsten zehn Jahre sichergestellt ist. Der von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung prognostizierte Rückgang der Vertrags- und Facharztzahlen trifft zumindest für unser Land nicht zu. Im Gegenteil, bei uns ist sogar ein Zuwachs festzustellen. Trotzdem müssen wir einem eventuellen Nachwuchsmangel durch die demografische Entwicklung frühzeitig begegnen, auch wenn in Rheinland-Pfalz in absehbarer Zeit nicht mit Engpässen gerechnet werden muss.

Alles in allem sind wir gut versorgt, und das ist wichtig für die Zukunft. Wir sind gut aufgestellt.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der SPD und der FDP)

Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Dr. Altherr das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Noch ist die ärztliche Versorgung in Rheinland-Pfalz weitestgehend sichergestellt. Das ist richtig, und das kann man anders nicht sehen. Aber es gibt schon Versorgungsbereiche in der Pfalz, in der Eifel oder im Raum Trier, wo die Nachbesetzung von frei werdenden Vertragspraxen nach Aussage der Landesregierung nur noch schleppend erfolgt. Man muss das Problem perspektivisch sehen. Das heißt, mittelfristig wird sich die Entwicklung, die wir in anderen Teilen Deutschlands zu verzeichnen haben, in Rheinland-Pfalz gleichermaßen zeigen.

Natürlich sind von den 600 unbesetzten Kassenarztpraxen rund 500 in den neuen mitteldeutschen Ländern gelegen. Das hat vielfältige Gründe, auf die ich nicht näher eingehen muss. Aber auch in Rheinland-Pfalz gibt es bereits Versorgungsbereiche, die, wenn überhaupt,

nur noch schwer besetzt werden können. Es gilt, insbesondere auf diesen Bereich das Augenmerk zu richten.

Mir drängt sich fast der Verdacht auf, als sei die Große Anfrage vom Ministerium gestellt oder beauftragt worden.

(Dr. Schmitz, FDP: Nein, nein! – Zuruf von der SPD: Keine falschen Verdächtigungen!)

Wenn man die Fragen durchliest, kann man natürlich sagen, es ist alles gut und recht. Die Fragen und die Antworten passen immer zusammen.

Ich möchte jedoch auf einige Widersprüchlichkeiten in der Aussage des Ministeriums hinweisen. Es wird gesagt, die Zahl der Studierenden für das Fach Humanmedizin sei im Studienort Mainz gleich geblieben. Unbeschadet dessen stellt man aber beim näheren Durchsehen fest, dass im Wintersemester 2004/2005 nur noch 2.819 Humanmediziner eingeschrieben waren. Im Sommersemester 2003 waren es dagegen noch 2.880. Somit hat ein Rückgang der Studierendenzahlen stattgefunden.

Noch drastischer wird das Ergebnis bei der Zahl der Absolventinnen und Absolventen, das heißt der Mediziner, die das Staatsexamen abgelegt haben. Im Sommersemester 2002 waren es 164, im Wintersemester 2004/2005 nur noch 126. Somit hat ein Rückgang von über 20 % der Absolventen des Staatsexamens stattgefunden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich frage mich, wie Frau Ministerin Dreyer dazu kommt, zu sagen, die Zahlen seien gleich geblieben.

Als dritter verschärfender Faktor kommt hinzu, dass die Zahl derjenigen, die das Examen erfolgreich abgelegt haben und anschließend in artfremde Berufe wechseln, inzwischen fast 40 % beträgt. Das heißt, nur noch 62 % der mit einem Staatsexamen entlassenen Mediziner und Medizinerinnen werden auch kurativ in der Medizin tätig. Nun könnten Sie sagen: Sie sind auch einer davon. – Das ist richtig, aber ich habe 20 Jahre lang im Krankenhaus gearbeitet. Ich habe meine Schuldigkeit getan.

Was sind nun die Gründe dafür? – Frau Kollegin Ebli hat schon einen Teil der Gründe genannt. Eines der zentralen Themen des 108. Deutschen Ärztetages, der im Mai stattgefunden hat, lautete: „Nachwuchs braucht Perspektive“. – Das ist richtig, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wir müssen jungen Menschen Perspektiven auch im Beruf des Arztes bieten.

Die Gründe liegen zum einen im Krankenhausbereich. Die Belastung durch die Arbeitszeiten, die Unvereinbarkeit von Familie und Freizeitgestaltung und auch die inzwischen schlechte Bezahlung im Krankenhaus sind wichtige Faktoren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich weiß, wovon ich rede. Ich war in einer leitenden Funktion und erhielt damals Funktionszuschläge, die mittlerweile, also nach 15 Jahren, auf ein Drittel reduziert wurden. Das heißt, wir müssen neben der Festsetzung der Arbeitszeiten auch finanzielle Anreize schaffen.

Ein weiteres Problem besteht für uns darin, dass die Ärzte zunehmend nicht medizinischen Entscheidungszwängen unterworfen werden. Überbordende Bürokratie ist für einen Arzt etwas ganz Schreckliches.

Ich möchte das Augenmerk auf ein weiteres Problem richten. Wir haben in Europa in der Medizin eine lange Tradition. Es besteht die so genannte karitativ-humane Tradition der europäischen Medizin, die nun zusehends dem Primat der Ökonomie geopfert wird. Das heißt, auch in der Medizin ist nicht mehr entscheidend, was für den Patienten – auch unter Beachtung gewisser Kosten – jeweils am besten ist, sondern man achtet vielmehr darauf, dass man auch im Bereich der Medizin mehr und mehr ökonomische Grundsätze Raum greifen lässt. Man fordert immer mehr Wettbewerb.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muss ganz klar sagen, in der Medizin kann man nur einen begrenzten Wettbewerb zulassen; denn wir haben es dort mit kranken Menschen und nicht mit Fahrzeugen, mit Autos oder mit Fahrrädern zu tun, die repariert werden müssen.

Ein weiteres Problem betrifft die Perspektiven. Es ist vorhin schon erwähnt worden, dass in gewissen Regionen die Infrastruktur fehlt. Das ist richtig. Dies spiegelt sich natürlich auch in den Zulassungszahlen wider. In Ballungsgebieten besteht allenthalben Überversorgung von bis zu 200 % oder 250 %, während im ländlichen Raum mit einer schlechten Infrastruktur Probleme bestehen.

(Ebli, SPD: So ist das!)

Natürlich besteht die Möglichkeit, Anreize zu setzen. Aber, Frau Kollegin Ebli, die Kassenärztlichen Vereinigungen haben nicht mehr das Geld, um diese Anreize zu setzen. Früher gab es für diese Fälle eine Umsatzgarantie, die sich heute eine Kassenärztliche Vereinigung finanziell nicht mehr erlauben kann.

In der Antwort auf die Große Anfrage wurde darauf hingewiesen, dass finanzielle Anreize dergestalt gesetzt worden seien, dass der Arzt im Praktikum abgeschafft worden ist. Die Abschaffung der Funktion des Arztes im Praktikum ist ein kleiner Schritt. Man könnte auch den AiP belassen und anders bezahlen. AiP selbst ist gar nicht so schlecht, aber die Bezahlung ist das Problem.

Weiterhin wird darauf verwiesen, dass das Budget der Krankenhäuser um 0,2 Prozentpunkte erhöht wurde, die die Krankenhäuser wiederum für die Vergütung der Ärzte einsetzen könnten. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, 0,2 %, ich bitte Sie! – Was will man damit machen? Damit können Sie – pfälzisch gesprochen – keinen Hund hinter dem Ofen hervorlocken!