Protocol of the Session on June 1, 2005

Herr Kollege Hartloff, Ihre Ausführungen waren sehr interessant. Sie gehen leider an dem vorbei, wie es gewesen ist. Sie waren dabei. Das erstaunt mich am meisten.

Man kann die Fakten noch einmal im Einzelnen aufzählen. Ich möchte vor allem auf eines hinweisen: Ich weiß nicht, ob Sie die Stelle noch einmal nachgelesen haben. Diese kann betroffen machen. Es gab in der sechsten Sitzung am 5. November 2004 von Frau Krückels die Auskunft: „Es gab am 02.09. eine Begehung gemeinsam mit dem Leiter und dem Bereichsleiter dann in Stutensee.“

Dazu hat Herr Weiss, der Leiter in Stutensee, am 30. November 2004 auf die Frage von Herrn Kollegen Marz, wie der Mitarbeiterschutz gehandhabt wurde, ausgeführt: „Da konnte ich nur darüber berichten, dass wir aufgrund – was ich hier auch schon mitgeteilt habe – eines Vorfalls von einer Nachtbereitschaft zu einer ständigen Doppelbesetzung in der Nacht gewechselt haben. Ich habe sicherlich darüber berichtet, wie wir miteinander per Funk verbunden sind, wie sich das System aufbaut.“

Herr Hartloff, wenn man das weiß und wenn man auch weiß, was Sie so betonen, dass man sich so kundig gemacht hat im Vorfeld und das alles missachtet, dann muss ich mich ernsthaft fragen, warum man überhaupt dort hingefahren ist und wie man das dann auch gegenüber dem rechtfertigen kann, was jetzt passiert ist, dass man dann sagt, man lässt das einfach so laufen. Das kann ich nicht nachvollziehen.

Ich weise noch einmal darauf hin: Vielleicht sollten Sie einmal alte Drucksachen lesen. Einige Herren sitzen noch hier. Es gab auch 1985 einmal eine Rücktrittsforderung. Vielleicht lesen Sie einmal nach, was Kollege Dr. Weyrich damals zur Begründung gesagt hat, wann ein Rücktritt gerechtfertigt ist. Das waren weitaus geringere Voraussetzungen als hier.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Frau Staatsministerin Dreyer.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Herren und Damen! Die Tötung der jungen Pädagogin Frau Knoll im Heim Mühlkopf durch drei Jugendliche hat uns alle bestürzt. Diese grausame Tat macht uns heute nach wie vor auch fassungslos. Natürlich gilt auch mein tiefes Mitgefühl, dem ich auch in einem persönlichen Schreiben an die Eltern unmittelbar nach der Tat Ausdruck gegeben habe, nach wie vor.

Mit Recht wurden nach dem Tod der jungen Frau Fragen an mich und andere nach der Verantwortung oder Mitverantwortung für diese Tat gestellt. Damals wie heute gilt, dass ich zu meiner Verantwortung stehe, dort, wo ich politisch Verantwortung trage. Dazu gehört, dass ich die inhaltlichen Weichenstellungen für die Rahmenkonzeption vorgenommen habe. Dazu gehört, dass ich mit meinem Kollegen, Herrn Justizminister Mertin, die politischen und finanziellen Voraussetzungen für dieses Projekt geschaffen habe. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass das Projekt nach dem Tod unmittelbar gestoppt wurde und ich eine Arbeitsgruppe eingesetzt habe, die den Auftrag hatte, die schreckliche Tat aufzuarbeiten. Sie sollte klären, ob es bei der Vorbereitung oder Durchführung Punkte gab, die den Tod der jungen Frau begünstigt haben könnten.

Schließlich habe ich gemeinsam mit meinem Kollegen, Herrn Justizminister Mertin, die politischen und fachlichen Konsequenzen für den Fall der Fortführung des Projekts formuliert. Die Verantwortung am Tod der jungen Pädagogin tragen die drei Jugendlichen,

(Beifall der SPD und der FDP)

die die Frau in dieser Nacht zuerst niedergeschlagen und dann erstochen haben. Sie haben und hatten die Tat zu verantworten. Sie sind dementsprechend inzwischen auch verurteilt.

Ihre Vorwürfe und Ihre Aufforderung, von meinem Amt zurückzutreten, meine sehr verehrten Herren und Damen der CDU-Fraktion, weise ich mit aller Entschiedenheit zurück. Sie zielen vor dem Hintergrund dieser ganz klaren rechtlich normierten Verantwortlichkeiten, die im Übrigen auch so im Untersuchungsausschuss bestätigt worden sind, klar ins Leere.

Ich trage die politische Verantwortung für die Rahmenkonzeption und für die Rahmenbedingungen dieses Projekts. Das Landesjugendamt ist verantwortlich für die Sicherstellung des Kindeswohls. Hier liegen seine gesetzlichen Kompetenzen und auch seine rechtlich begrenzten Eingriffsmöglichkeiten.

Der Träger des Heims ist in enger Abstimmung, aber natürlich nicht unter Kontrolle des Landesjugendamts verantwortlich für die fachliche Umsetzung der Rahmenkonzeption. Es wurde schon mehrfach gesagt: Dem Träger des Heims obliegt auch die Dienst- und Fachaufsicht. Er ist damit auch für die Sicherheit des Personals verantwortlich. Diese Verantwortlichkeiten, verehrter Herr Dr. Rosenbauer, sind glasklar gesetzlich normiert. Es gibt keine Verwirrung über diese Verantwortlichkeit. Ich bin natürlich nicht bereit, die freie Jugendhilfe aus der Verantwortung zu entlassen und stattdessen deren Verantwortung zu übernehmen. Sie tun das wider besseres Wissens. Wenngleich die Sach- und Rechtslage öffentlich schwierig zu vermitteln ist – zugegebenermaßen –, so wissen Sie doch ganz genau, dass Ihre Schlussfolgerungen falsch sind, weil sie den gesetzlichen Regelungen widersprechen und weil sie das gesetzlich verankerte Subsidiaritätsprinzip ignorieren.

(Beifall bei SPD und FDP)

Meine sehr geehrten Herren und Damen Abgeordneten, meine politische Verantwortung leitet sich aus dem rechtlich festgelegten Verhältnis zwischen Staat und freien Trägern ab. Ich muss zwei Sätze dazu verwenden. Sie sind wichtig.

Nach dem Prinzip der Subsidiarität tritt nämlich der Staat dann von seinen Aufgaben zurück, wenn diese auch von Dritten erfüllt werden können. Für die Jugendhilfe ist dies sehr konkret in § 4 des SGB VIII normiert, dass die freien Jugendhilfeträger Träger eigener sozialer Aufgaben sind und diese auch als eigene wahrnehmen. Eine wie auch immer geartete Ablaufverantwortung, um Ihren Sprachgebrauch, sehr geehrter Herr Marz, aufzugreifen, ist damit auch aus meiner Sicht weder rechtlich haltbar noch ist es indiziert. Ablaufverantwortung bedeutet nämlich nichts anderes als staatliche Detailkontrolle autonomer Jugendhilfeträger. Denken Sie wirklich, dass eine solche Detailkontrolle die Sicherheit tatsächlich erhöhen könnte? Denn wenn die Kontrolle wieder eingeführt wird – sie wurde vor zehn Jahren im Rahmen der Heimaufsicht abgeschafft, ganz bewusst, und wie ich finde, auch erfolgreich –, dann gelten auch wieder die alten Regeln: Es wird nur gemacht, was angeordnet wurde: Was nicht verboten ist, ist erlaubt.

Statt einer staatlichen Ablaufverantwortung müssen wir die Fähigkeit und die Bereitschaft der Jugendhilfeträger, Verantwortung zu übernehmen, weiter stärken.

In diesem Zusammenhang war ich auch sehr dankbar, dass der Paritätische Wohlfahrtsverband am 25. April 2005 eine Presseerklärung verlautbart hat, die ein Plädoyer für die klare Trägerverantwortung deutlich gemacht hat.

Meine sehr verehrten Herren und Damen Abgeordneten der CDU, Sie sprechen mit Blick auf die Trägerauswahl in Ihrem Bericht von einer Fehlentscheidung – auch heute tun Sie das wieder – und auch von einer fragwürdigen Standortwahl. Ich kann aufgrund der Zeit nicht auf alles eingehen, aber ich weise auch diese Kritik mit aller Entschiedenheit zurück.

Der Entscheidung gingen zahlreiche intensive Konzeptgespräche mit Spitzenverbänden und Einrichtungsleitungen voraus. Das Ergebnis dieser Beratungen ist das Rahmenkonzept. Dort sind wesentliche Kriterien zur Auswahl der Einrichtungen festgelegt.

Übrigens, zu Ihrer Behauptung, es wäre kein externer Sachverstand beigezogen worden: Es gab natürlich eine ganztägige Anhörung mit Expertinnen und Experten der Bundesrepublik im Februar 2002. Sie war wesentlicher Bestandteil des Beratungsprozesses. Von der Einigung auf die Rahmenkonzeption im Oktober 2002 bis zur Umsetzung des Projekts im Oktober 2003 verging genau ein Jahr, Zeit genug für die Trägerauswahl und die Umsetzung des Projekts.

Herr Baldauf, damals – erinnern Sie sich noch an die Kleinen Anfragen und Diskussionen im Rechtsausschuss – ging Ihnen das alles nicht schnell genug. Ständig monierten Sie, dass zu viel Zeit für die Umsetzung des Projekts benötigt worden ist. Heute erklären Sie, ich

hätte Zeitdruck ausgeübt – gerade, wie es politisch opportun ist.

Meine sehr verehrten Herren und Damen, das Jugendheim Mühlkopf in Rodalben war bundesweit nach Stutensee die zweite Einrichtung dieser Art. Die Erfahrungen der Jugendhilfeeinrichtung Schloss Stutensee waren von Anfang an Grundlage der Planung und Entwicklung der Umsetzung des Projekts. Sie versuchen in vielen widersprüchlichen Argumentationen, auch heute wieder, dies zu bestreiten. So versuchen sie zum Beispiel nachzuweisen, dass die Beteiligten bei der Umsetzung des Projekts aus Unwissenheit, Gedankenlosigkeit oder Bequemlichkeit keinen Nachteinschluss der Jugendlichen wollten. Sie ignorieren dabei vollkommen, dass es auch in Stutensee keinen Nachteinschluss gibt, sondern nur ein punktueller, genauso, wie es in Rodalben vorgesehen war. Die Zimmer sind auch in Stutensee offen, und zwar jede Nacht.

In Stutensee wird auch nicht, wie Sie behauptet haben, eine doppelte Nachtwache eingesetzt, sondern in Stutensee gibt es eine Nachtwache und eine Nachtbereitschaft. Ich habe es auch oft im Ausschuss versucht darzulegen: Auch in Rodalben gab es eine Nachtwache und eine Nachtbereitschaft. Sie waren einfach örtlich anders angelegt, als das in Stutensee der Fall war.

Das Zitieren einzelner Sätze aus stundenlangen Vernehmungen, sehr geehrter Herr Abgeordneter Baldauf, in völlig anderen Zusammenhängen ist in gewisser Weise auch nicht fair an dieser Stelle.

(Beifall der SPD und der FDP)

Lassen Sie mich sachorientiert festhalten: In den Anhörungen des Untersuchungsausschusses haben die verschiedenen Sachverständigen sehr deutlich gemacht, dass sich die Jugendlichen in dem Projekt „Heimerziehung statt Untersuchungshaft“ nicht wesentlich von den Jugendlichen unterscheiden, die ansonsten in Jugendhilfeeinrichtungen leben. Konkret bedeutet dies: Besondere Vorkommnisse und möglicherweise interne Strichlisten gibt es überall dort, wo Jugendhilfeeinrichtungen mit besonders schwierigen und gefährdeten Kindern und Jugendlichen arbeiten. Die Störungen und Verhaltensauffälligkeiten der Kinder und Jugendlichen hören auch nicht einfach mit dem Tag der Heimunterbringung auf, sondern hier beginnt erst die oftmals mühsame pädagogische Arbeit. Die Jugendhilfeeinrichtungen brauchen die Rückendeckung der Politik, gerade in schwierigen Zeiten.

Ihnen Unfähigkeit im Umgang mit schwierigen Jugendlichen vorzuwerfen oder eine Liste der von den Jugendlichen begangenen Delikte vorzuhalten, ist aber keine Rückenstärkung, sondern führt zu der Verunsicherung der Beschäftigten im pädagogischen Alltag.

Rückblickend wissen wir um die Schwachstellen bei der Umsetzung des Projekts im Jugendheim Mühlkopf, dies trotz der langjährigen guten Erfahrung des Trägers mit geschlossener Unterbringung, dem einzigen Träger in Rheinland-Pfalz, der überhaupt Übung im Thema „geschlossene Unterbringung“ hatte.

Herr Abgeordneter Baldauf, wenn Sie in einer Pressemeldung jedoch erklären, das Jugendheim Rodalben sei ein Saustall, so beleidigt diese Aussage nicht nur die Beschäftigten dieser Einrichtung, sondern diskreditiert darüber hinaus alle Einrichtungen der Jugendhilfe, die mit schwierigen Kindern und Jugendlichen arbeiten.

(Beifall der SPD und der FDP)

Noch eines haben diese im Ton häufig verletzenden Pressemitteilungen und öffentlichen Erklärungen erreicht: Einen ernst zu nehmenden und kompetenten Träger für das Projekt „Heimerziehung statt Untersuchungshaft“ in Rheinland-Pfalz zu finden, ist derzeit nicht möglich.

Zu den Perspektiven: Wir wollen eine kurzfristig realisierbare Lösung. Das Jugendheim Schloss Stutensee soll künftig für Rheinland-Pfalz ständig drei Plätze vorhalten, die dann von rheinland-pfälzischen Jugendgerichten, selbstverständlich in enger Abstimmung mit der Einrichtung, belegt werden können.

Weiter hat das Landesjugendamt auf meine Bitte hin nach Vorlage des Arbeitsgruppenberichts und unter Beteiligung von Expertinnen und Experten aus der Jugendhilfe die bisher schon bestehenden Standards für die Erteilung der Betriebserlaubnis bei geschlossenen Gruppen zusammengefasst und vor dem Hintergrund des tragischen Ereignisses weiterentwickelt.

Das Thema „Sicherheit“ ist bereits jetzt fester Bestandteil der einzelnen Beratungen von Träger und Einrichtung durch das Landesjugendamt. Träger und Leitung werden dabei nachdrücklich auf ihre gesetzlich normierte Organisationsverantwortung hingewiesen.

Auf der Grundlage der Abschlussberichte der von mir eingesetzten Arbeitsgruppe und des Untersuchungsausschusses werden darüber hinaus im Herbst Regionaltagungen mit den Jugendhilfeeinrichtungen sowie Fortbildungen zum Thema „Eigensicherung und Deeskalation“ durchgeführt.

All diese Maßnahmen werden nicht mit der Maßnahme einer Ablaufverantwortung durchgeführt, sondern wir setzen auf eine Stärkung von Träger und Einrichtungsleitung in ihrem gesetzlichen Auftrag.

Meine sehr verehrten Herren und Damen, ich denke, es ist deutlich geworden, dass alle Beteiligten, auch die Landesregierung, aus dem tragischen Tod von Frau Knoll gelernt und Konsequenzen gezogen haben. Dazu hat auch die Arbeit des Untersuchungsausschusses beigetragen, für die ich abschließend allen Mitgliedern des Ausschusses herzlich danke.

Ich bedanke mich auch bei meiner Fraktion für das Vertrauen.

Vielen Dank.

(Anhaltend Beifall der SPD und der FDP)

Es liegen mehrere Meldungen zu Kurzinterventionen vor, und zwar in der Reihenfolge von Herrn Abgeordneten Marz, Herrn Abgeordneten Dr. Rosenbauer, Herrn Abgeordneten Baldauf und Frau Abgeordneter Thelen.

Ich bitte zunächst Herrn Abgeordneten Marz um seine Kurzintervention.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Ministerin Dreyer, ich möchte Ihnen in einem Punkt widersprechen. Zu mehr reichen auch die drei Minuten nicht, aber es ist ein zentraler Punkt.

Sie haben das angesprochen, was ich zum Thema „Ablaufkontrolle“ gesagt habe. Wir können das nennen, wie wir wollen.

Wenn es Vereinbarungen zwischen dem Landesjugendamt und einem Träger gibt, dann kann ich als Landesjugendamt – das betrifft viele andere Behörden in vielen anderen Bereichen auch – nicht automatisch davon ausgehen, dass diese Vereinbarungen eingehalten werden, sondern ich muss auch nachschauen, ob sie eingehalten werden; ich muss die Instrumente dafür haben.

Ich nenne Ihnen ganz konkret ein Beispiel an diesem Fall. Das Landesjugendamt berät nicht nur, sondern es hat auch die Kompetenz, die Betriebserlaubnis zu erteilen und sie wieder zu entziehen.