Protocol of the Session on March 17, 2005

Einen solchen Einzelfall hatten wir in Rheinland-Pfalz noch nicht. Da gab es bestenfalls ein Gespräch mit einer Referendarin, die daraufhin ein Kopftuch nicht angezogen hat. Dies ist eigentlich ein Beleg dafür, dass sich solche Probleme mit dem bisherigen Instrumentarium einfach regeln lassen.

(Beifall der SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Altherr, CDU)

Sie sind aber auch unempfänglich für die Feststellungen der Empirie. In dem von Ihnen zitierten Bundesverfassungsgerichtsurteil steht ausdrücklich, dass es keine empirisch festgestellten Erkenntnisse darüber gibt, dass das Kopftuch bei den Kindern, um die es in der Schule und bei der Erziehung geht, negative Folgen zeitigen würde. Aber Sie kümmert die Empirie nicht, weil Sie Ihre Ideologie brauchen, um die Diskussion zu führen.

(Zuruf der Abg. Frau Kohnle-Gros, CDU)

Lesen Sie es einmal im Urteil nach. Das hilft weiter.

(Beifall der SPD und der FDP)

Weil wir uns nicht leichtfertig über die Verfassung hinwegsetzen und der Auffassung sind, dass wir in einem föderalen System für das Land Rheinland-Pfalz einen sinnvollen Weg gefunden haben, der nicht die Aufgeregtheiten der Tagesdiskussion aufnimmt, sind wir der Meinung, dass wir keine gesetzliche Regelung im Schulgesetz brauchen, die ein Verbot beinhaltet, weil für die Freiheit, für die wir auch bei islamischen Frauen kämpfen, auch im Hinblick auf das Kopftuch, dies nicht durch Verbote erreichen, sondern wir erreichen, wenn wir uns Religionsgeschichtliches betrachten, durch solche Verbote auch Gegenteile in der eigenen Bewegung eines Säkularisierungsprozesses im Islam. Auch das ist ein zutreffender Gedanke.

Lassen Sie mich mit Martin Kriele enden. Die Diskussion werden wir sicherlich im Ausschuss und im Plenum noch

einmal vertiefen. Martin Kriele sagt: „Die Grundrechte bedürfen weder einer einschränkenden Interpretation noch – wie es das Minderheitenvotum des Bundesverfassungsgerichts vorschlug – der Aushebelung durch das Beamtenrecht. Dieses Missverständnis entsteht immer wieder angesichts von fundamentalistischen primitiven Erscheinungsformen der Religionen, zunächst in einigen Sekten, jetzt vor allem im Islam. Man lässt sich dazu provozieren, die eigenen aufgeklärten Grundsätze in einem Maß zurückzudrängen, das über das zu unserer Selbstverteidigung Erforderliche hinausgeht. Man beantwortet Trotz mit Trotz, unaufgeklärtes Denken mit unaufgeklärtem Verhalten. Damit wird man nicht überzeugend, sondern rutscht in die wechselseitige Eskalation von Zorn und Verachtung hinein.“

Ich denke, diesen Weg brauchen wir nicht zu beschreiten. Wir werden wachsamen Auges unsere Demokratie auch im Schulwesen vor Beeinflussungen zu schützen wissen. Im Sinn von Erziehung und Toleranz werden wir für unsere Kinder das Beste machen, die sich auch mit dem auseinander setzen müssen, was in der Welt vorgeht und unter welchen Einflüssen unser Abendland steht. Auf der Basis unserer Tradition und Verfassung wehrhaft, aber menschlich, machen wir, was zu tun ist.

Vielen Dank.

(Anhaltend starker Beifall der SPD und der FDP)

Es spricht Herr Abgeordneter Wiechmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir GRÜNEN lehnen es ab, Kopftuchträgerinnen in Rheinland-Pfalz pauschal zu verurteilen und per se ihre Lehrbefähigung infrage zu stellen. Was wir brauchen ist Toleranz, aber keine populistischen Argumente, durch die Trägerinnen bestimmter religiöser Symbole von vornherein als potenziell verfassungsfeindlich abgestellt werden.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Böhr, Sie haben es erwähnt: Für die Kopftuchträgerinnen selbst hat die Kopfbedeckung sehr unterschiedliche Bedeutungen. Das Spektrum reicht ohne Zweifel von unhinterfragtem Konventionalismus bis hin zu dem Ausdruck neoislamischer Weiblichkeit von muslimischen Studierenden. Gerade diese Vielfalt macht den Umgang mit dem Thema nicht so einfach, wie Sie es uns glauben machen wollen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Schlüsselwort in dieser Debatte heißt „Toleranz“. Diese Toleranz wird durch einen gemeinsamen Dialog sowie einen beidseitigen und gleichberechtigten Integrationsprozess erzeugt. Hier müssen wir ansetzen, meine Damen und Herren. Verehrte Kolleginnen und Kollegen

der CDU-Fraktion, Ihr Gesetzentwurf ist dazu der absolut falsche Weg.

Meine Damen und Herren, das Schüren einseitiger Vorurteile gegenüber einzelnen Religionen wird die Integration von Minderheiten in unserem Land nicht verbessern, sondern eher behindern. Es ist keine Frage, dass der Staat handeln muss, wenn unsere freiheitliche demokratische Grundordnung infrage gestellt wird. Fundamentalisten – egal welcher Religion – gehören nicht in den Schuldienst. Dazu reichen die bestehenden Instrumentarien vollkommen aus. Wenn eine Lehrerin gegen ihren Amtseid in Rheinland-Pfalz verstößt, dann kann die Schulbehörde bereits jetzt mithilfe des Disziplinarrechts dagegen vorgehen. Ein solches Gesetz, wie Sie es heute vorgestellt haben, ist überflüssig und verfassungsrechtlich bedenklich.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Außerdem kommen Sie in große Argumentationsschwierigkeiten. Zur Abwehr des muslimischen religiösen Symbols „Kopftuch“ müssen Sie die christlichen Symbole in ihrer Bedeutung über die Maßen hinaus überhöht darstellen. Herr Böhr, in Ihrer Pressemitteilung formulieren Sie: Traditionell christliche Symbole sind ein allgemeines Zeichen für die wertgebundene, offene und tolerante Kultur. Sie stehen für die Nächstenliebe, Freiheit, Menschlichkeit und Gleichheit, gerade auch im Blick auf die Beziehung zwischen Mann und Frau.

Als überzeugter Christ sage ich Ihnen, dass sich insbesondere die Geschichte der christlichen Religionen wahrlich nicht dazu eignet, sie derart überhöht darzustellen. Gerade hinsichtlich der Gleichheit von Mann und Frau hat insbesondere die katholische Kirche durchaus Nachholbedarfs, oder haben Sie schon einmal etwas von einer Priesterin oder einer Päpstin gehört?

(Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren, wir lehnen es ab, Kopftuch tragende Lehrerinnen pauschal zu verurteilen und damit einseitige Vorurteile gegenüber einzelnen Religionen zu schüren.

(Dr. Altherr, CDU: Pfarrersohn!)

Die dem Staat gebotene religiös-weltanschauliche Neutralität gilt allen religiösen Bekenntnissen gleicherm aßen.

Probleme mit muslimischen Lehrkräften sind in Rheinland-Pfalz öffentlich nicht bekannt geworden. Ihr Gesetzentwurf dient aus meiner Sicht nicht dem gesellschaftlichen Frieden, sondern kann vielmehr fundamentalistische Gruppen in ihrer Ablehnung gegenüber uns erer freiheitlich demokratischen Grundordnung bestärken. Es ist die Frage, ob wir das wollen.

Für uns GRÜNE ist die Gleichbehandlung aller Religionen und die gegenseitige Toleranz von zentraler Bedeutung. Keine Religion darf einseitig unter Verdacht gestellt werden. Das Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität wird an rheinland-pfälzischen Schulen durch Offenheit gegenüber den Inhalten und

Werten aller Religionsgemeinschaften und Glaubensbekenntnisse gewahrt.

Der Gesetzentwurf der CDU-Fraktion widerspricht dem vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Grundsatz. Es ist verfassungsrechtlich äußert bedenklich, Symbole oder Kleidung bestimmter Religionsgemeinschaften wie die des Islams per se für nicht vereinbar mit der Werteordnung der Bundesrepublik Deutschland zu erklären. So tun Sie aber, meine Damen und Herren von der CDU.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist auch nicht wahr, wie Sie suggerieren, dass das Bundesverfassungsgericht die Länder beauftragt habe, das Tragen des Kopftuchs im Schuldienst zu verbieten. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich festgestellt, dass diese Frage durch ein Landesgesetz zu regeln sei.

(Zurufe aus dem Hause)

Wir GRÜNE stehen für eine weltoffene und tolerante Gesellschaft und dafür, alle unsere Bemühungen um eine bessere Integration aller hier lebenden Menschen zu verstärken. Dazu gehört ohne Zweifel die Anerkennung der rechtsstaatlichen Demokratie. Diese Prinzipien der rechtsstaatlichen Demokratie schließen eine Ungleichbehandlung von religiösen Symbolen jedoch aus. Man kann nicht solange an den Grundrechten herumbiegen, bis sie einem dann irgendwie in den Kram und in die Argumentation passen, wie Sie es gemacht haben, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU.

Ich hätte mich auf eine Debatte gefreut, wenn Sie sich tatsächlich an den gesetzlichen Bestimmungen orientiert hätten, die seit neuestem in Berlin gelten. Auf diese Debatte und die damit verbundenen Argumentationen hätte ich mich sehr gefreut, weil dort – in Berlin – nämlich sämtliche religiösen Symbole aus den Schulen verbannt sind.

(Böhr, CDU: Wollen Sie das!)

Nein. Das will ich nicht. Das wäre aber die Grundlage für eine ehrliche und nachhaltige Diskussion in diesem Parlament gewesen, Herr Kollege.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Personen, die im öffentlichen Dienst arbeiten, insbesondere Lehrende, sind ohne Zweifel zur religiösen Neutralität verpflichtet. Alle Menschen haben aber auch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. In die Freiheit des Tragens religiöser Symbole soll der Staat nur dann eingreifen, wenn dadurch Konflikte an den einzelnen Schulen entstehen, die diese Schule selbst nicht lösen kann, und der Schulfrieden nachhaltig gestört wird.

Lehrerinnen dürfen also so lange ein Kopftuch tragen, solange die Schulgemeinschaft nicht dauerhaft Anstoß daran nimmt. Bei uns in Rheinland-Pfalz – auch das hat Herr Kollege Hartloff erwähnt – sind ausreichende Möglichkeiten vorhanden, um in solchen Konfliktfällen, sofern sie auftreten, angemessen reagieren zu können.

Meine Damen und Herren, es muss uns darum gehen, durch Aufklärung über alle Religionen gleichermaßen zu informieren. Eine kritische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Religionen und Weltanschauungen ist für alle Schülerinnen und Schüler eine wichtige Voraussetzung für ihre eigene weltanschauliche und religiöse Basis.

Der Gesetzentwurf der CDU-Fraktion jedoch diskriminiert Symbole einer Religion einseitig. Deshalb lehnen wir GRÜNE ihn ab.

Ich danke Ihnen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Böhr für eine Kurzintervention das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wiechmann, Sie haben einen Riesenanlauf genommen und sind dann mit viel Schwung durch die offene Tür gerannt. Anschließend hat man dann natürlich Schwierigkeiten beim Abbremsen.

Sie haben jetzt zehn Minuten über religiöse Symbole gesprochen. Wenn es um religiöse Symbole ginge, wäre diese Debatte völlig überflüssig.

(Beifall der CDU)

Man kann sich natürlich auch mit viel Kraft ein Potemkin‘sches Dorf aufbauen und anschließend voller Freude darüber sein, wenn es in sich zusammenfällt. Es geht nicht um religiöse Symbole, sondern es geht um Symbole – – – (Hartloff, SPD: Sie haben das Urteil gar nicht gelesen!)

Ach, Herr Kollege Hartloff, ich vermute mal, häufiger als Sie. Nur deshalb, weil Sie auch auf dieser falschen Fährte gewandelt sind, müssen Sie sich nicht in diesen Punkt verrennen.