EU-Verfassungsvertrag rasch ratifizieren – Mitwirkung der Parlamente sichern Antrag der Fraktionen der SPD, CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 14/3757 –
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! „Der gerade flügge werdende europäische Traum repräsentiert das beste menschliche Streben nach einem besseren Morgen. Die Hoffnungen der Welt gründen auf eine neue Generation von Europäern.“ Diese Worte des amerikanischen Publizisten Jeremy Rifkin könnten auch über dem Vertrag für eine Verfassung für Europa oder – noch besser – über einer Kampagne für seine Ratifizierung in allen 25 Mitgliedstaaten stehen. Gerade im Jahr des 60. Jahrestags des Endes des fürchterlichsten Krieges auf europäischem Boden haben wir die Chance, der europäischen Einigung, diesem beispiellosen und beispiellos erfolgreichen Projekt, das einst als rein ökonomisches Friedensprojekt von Staaten begonnen hat, einen festen und werthaltigen Verfassungsrahmen als einer Union von Staaten und Bürgern zu geben.
Wir haben im letzten Jahr bereits ganz ausführlich die Ergebnisse des Verfassungskonvents und der Regierungskonferenz beleuchtet und in einer Gesamtbetrachtung positiv bewertet, und zwar so, wie wir es auch jetzt im Antrag gemeinsam formuliert haben. Die Europäische Union wird mit dieser Verfassung demokratischer und bürgernäher, handlungsfähiger und transparenter.
Sie schafft einen Rahmen, der die Union der jetzt 25, künftig der 27 oder irgendwann auch der 29 oder 30 Staaten überhaupt erst nach innen und außen handlungsfähig und die Entscheidungsprozesse für die Bürger nachvollziehbarer und transparenter macht. Die Verfassung verankert mit der Charta der Grundrechte mehr Rechte für die Unionsbürger und konstituiert damit die Union als Union der Staaten und der Bürger. Die Rolle der Regionen und des Ausschusses der Regionen als Ausprägung des Subsidiaritätsprinzips werden deutlich gestärkt.
Auch wenn die Kompetenzabgrenzung zwischen der Union, den Nationalstaaten und den Regionen nicht so trennscharf erfolgt ist, wie wir es alle gewünscht hätten, bleibt festzuhalten: Mit dieser Verfassung konstituiert sich die Union nicht als europäischer Superstaat, im Gegenteil, sie bleibt weitgehend subsidiär und bindet die nationalen und regionalen Parlamente wesentlich stärker als bisher ein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in fast der Hälfte der Mitgliedstaaten werden zur Ratifizierung des Verfassungsvertrags Volksabstimmungen oder Referenden durchgeführt, auch in den beiden großen Staaten Frankreich und Großbritannien. Diese Staaten gehen von der grundlegenden verfassungstheoretischen Prämisse aus, dass Verfassungen und ihre Legitimation auf der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes beruhen sollten.
Auch in Deutschland gibt es eine noch nicht ganz abgeschlossene Debatte über ein Referendum über die EUVerfassung. Leider haben sich auf der Bundesebene vor allem die CDU und die CSU bisher einer Änderung des
Grundgesetzes widersetzt, die allgemein Referenden auf Beschluss des Bundestags ermöglichen soll. Stattdessen soll nach ihrem Willen isoliert nur über die EUVerfassung und am besten auch noch über die EUMitgliedschaft der Türkei abgestimmt werden dürfen. Das ist verfassungsrechtlich inkonsequent und birgt auch die Gefahr, aus einer Haltung des Euroskeptizismus heraus populistische Rosinenpickerei betreiben zu wollen. (Beifall bei SPD und FDP – Schreiner, CDU: Das stimmt doch alles überhaupt nicht!)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei allen Gefahren, die ein erstes Referendum mit Deutschland – dann ausgerechnet auch noch über die EUVerfassung – mit sich bringen könnte, finde ich es bedauerlich, dass es höchstwahrscheinlich in Deutschland bei dem normalen parlamentarischen Ratifizierungsverfahren bleiben wird. Ein Referendum würde nämlich die gesamte politische Klasse in Deutschland zum ersten Mal zwingen, unmittelbar bei den Bürgerinnen und Bürgern für das große Projekt der europäischen Einigung flächendeckend zu informieren und zu werben.
Nun möchten Teile der CSU, deren Europaabgeordnete im Übrigen in Straßburg mit der überwältigenden Mehrheit des Europäischen Parlaments am 12. Januar für die Verfassung gestimmt haben, im Ratifizierungsverfahren den Verfassungsvertrag quasi als Geisel nehmen, um der Bundesregierung weitgehende Parlamentsvorbehalte und Parlamentsbeteiligungen bei Entscheidungen im Ministerrat abzupressen.
Das alles passt nicht zusammen, vor allem weil gleichzeitig auf allen Ebenen, vor allem in der vorerst gescheiterten Föderalismuskommission, aber auch in wichtigen meinungsbildenden Foren, wie jetzt jüngst den Bitburger Gesprächen, vor dem Hintergrund der Einführung von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen als der Norm im EU-Ministerrat die Europatauglichkeit der innerdeutschen Entscheidungsprozesse schwer ins Gerede gekommen ist.
Sollte es in kürzester Zeit in Berlin nicht zu einer Einigung über grundgesetzliche Voraussetzungen für ein Referendum kommen, muss nach unserer Auffassung der innerdeutsche Ratifizierungsprozess im Bundestag und Bundesrat zügig durchgeführt werden, und zwar allein schon, um ein Signal für die schwierigen und enorm risikobehafteten Referenden in Frankreich und Großbritannien zu setzen.
Ein solches parlamentarisches Ratifizierungsverfahren entbindet uns alle trotzdem nicht von einer umfassenden Kampagne für diese europäische Verfassung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ob es losgelöst von einer umfassenden Föderalismusreform bei der konkreten Ausgestaltung des so genannten Frühwarnsystems, nämlich der frühzeitigen Beteiligung in Deutschland von Bundestag und Bundesrat, an der Subsidiaritätsprüfung von EU-Gesetzen auch zu einer gewissen Anpassung und Flexibilisierung der Regelun
gen über die Ländermitwirkung in Artikel 23 Grundgesetz kommen wird, ist zu bezweifeln. Es muss dann aber in den Begleitgesetzen zur Ratifizierung des EUVerfassungsvertrags ein pragmatisches und praktikables Verfahren zur Vorabprüfung der von Brüssel kommenden Gesetzentwürfe gefunden werden, das dann auch innerhalb der engen Zeitvorgaben (4 Wochen) abgewickelt werden kann.
Ein solches Verfahren und Prüfkriterien dafür zu entwickeln, ist eine große Herausforderung, aber auch eine große Chance für die beteiligten Parlamente. Das gilt auch für die von der Landesregierung zugesagte Beteiligung des rheinland-pfälzischen Landtags. Dabei darf der Landtag natürlich nicht seine Möglichkeiten überstrapazieren. Es wird vielmehr darum gehen, mit der Landesregierung eine Vereinbarung auszuarbeiten, die eine Konzentration auf die wirklich relevanten Gesetzesvorhaben der Europäischen Union und eine substanzielle Prüfung auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips ermöglicht. Darin besteht eine Chance für den Landtag aber auch eine Herausforderung, neue Arbeitsformen in dieser Frage zu entwickeln.
Vor dem Hintergrund der bisher hervorragenden Zusammenarbeit von Landesregierung und Landtag in europapolitischen Fragen, habe ich keine Zweifel, dass uns das gelingen wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist meine letzte Rede als Abgeordneter in diesem Parlament. Ich freue mich, dass ich sie ausgerechnet zur Werbung für die erste Verfassung der Europäischen Union halten durfte. Sie wissen, dass Europa für mich nicht ein Thema unter vielen ist, sondern seit vielen Jahren das politische Herzensanliegen und das Zukunftsthema auch für uns RheinlandPfälzer.
Für dieses Anliegen, wie schon oft und so oft wie bei keinem anderen politischen Thema, in diesem Haus eine gemeinsame Plattform aller Fraktionen mit formuliert zu haben, erfüllt mich auch ein bisschen mit Stolz und Genugtuung.
Ich werde nun nach über 17 ½ Jahren aus dem Landtag ausscheiden. In einer neuen Aufgabe, in der politischen Bildung, werde ich auch dem Landtag als Partner zur Seite stehen, um für seine herausgehobene verfassungsrechtliche Funktion zu werben und zumindest zu versuchen, für ihn Akzeptanz zu schaffen als das – Zitat – „oberste vom Volk gewählte Organ der politischen Willensbildung“, so wie wir es im Rahmen der großen Verfassungsreform erstmals in die Landesverfassung geschrieben haben.
Das gilt insbesondere auch für die Aufgaben und die Arbeit der Abgeordneten. Parlamente und Abgeordnete haben es in Deutschland seit Bismarcks Zeiten nie leicht gehabt. Der oft komplizierte Prozess demokratischer Mehrheitsfindungen, der Wettstreit der Parteien und die Repräsentativität der Abgeordneten steht in der Wertschätzung der Bürger und mancher Parteienkritiker, die vielfach unterschwellig von autoritativen Erwartungen geprägt sind, meist nicht hoch im Kurs.
In den Jahren seit 1987 habe ich vier Jahre Erfahrung auf den Bänken der Opposition und jetzt nahezu 14 Jahre auf den Bänken einer großen Regierungspartei sammeln dürfen. Regieren oder Mitregieren ist zweifellos schöner, als in der Opposition virtuelle Gegenentwürfe zur Regierungspolitik zu entwickeln. Aber verantwortungsvolles Regieren unter schwierigen Rahmenbedingungen und Sachzwängen, die man vielfach nicht selbst zu verantworten hat, gerade in einem föderalen System, und die man auch nur wenig beeinflussen kann, kann, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, manchmal auch sehr anstrengend sein.
Diese doppelte Erfahrung in diesem Haus hat mich immer dazu bewogen, für die unverzichtbare verfassungsrechtliche und verfassungspraktische Bedeutung beider großen Gruppen des Parlaments für die Funktionsfähigkeit unserer repräsentativen Demokratie einzutreten. Ich glaube, das ist uns auch bei der Reform der Landesverfassung ein Stück gelungen.
In den Jahren seit 1987 sind nach meiner Erfahrung die Erwartungen der Medien und der Bürger an die Abgeordneten nicht zuletzt infolge unseres seit 1991 praktizierten unmittelbaren Wahlrechts erheblich gestiegen, sowohl, was das Verhalten der Abgeordneten, die Geschwindigkeit politischer Entscheidungen und deren Ergebnisse als auch, was die Repräsentation und die Kommunikation von Politik und Landespolitik und ihrer Ergebnisse durch die Abgeordneten unmittelbar vor Ort in ihren Wahlkreisen betrifft.
Diese 17 ½ Jahre waren spannende Jahre, die ich nicht missen möchte wegen der vielen Bekanntschaften mit Menschen aus allen unterschiedlichen sozialen Schichten, kulturellen Herkünften, unterschiedlichen Organisationen und Institutionen und wegen der Freundschaften, die sich quer über alle Fraktionen hinweg in diesen Jahren gebildet haben.
Ich möchte sie auch nicht missen, weil sie eine ständige Herausforderung an mich waren, mich auf neue Fragen und Sachverhalte und Denkansätze einzulassen, also nie stillzustehen und mich dabei doch immer wieder aufs Neue auf die grundsätzlichen Werte zu besinnen, um deren Willen ich mich politisch engagiert habe.
Lassen Sie mich diese Werte mit den Worten zusammenfassen, mit denen Jeremy Rifkin seine europäische Vision von Staat und Gesellschaft beschrieben hat – ich zitiere –: „Der europäische Traum stellt Gemeinschaftsbeziehungen über individuelle Autonomie, kulturelle Vielfalt über Assimilation, Lebensqualität über die Anhäufung von Reichtum, nachhaltige Entwicklung über unbegrenztes materielles Wachstum, spielerische Entfaltung über ständige Plackerei, universelle Menschenrechte und die Rechte der Natur über die Eigentumsrechte und globale Zusammenarbeit über Machtausübung.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war und ist aller Mühen wert, an der Verwirklichung aller Facetten dieses Traums auch in der Landespolitik in vielen, oft mühseligen kleinen und auch in manchen größeren Schritten mitzuarbeiten, so wie es im Verfassungsvertrag der EU in Artikel I-2 heißt: „Gestützt auf die Achtung der Men
schenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenwürde in einer Gesellschaft, die sich durch Pluralismus, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und Nichtdiskriminierung auszeichnet.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke Ihnen für die gute Zusammenarbeit über alle Jahre hinweg und wünsche Ihnen für Ihre Arbeit alles Gute.
Sehr geehrter lieber Dieter Schiffmann, ich glaube, ich spreche im Namen von allen, wenn ich sage, dass wir Sie, dass wir dich als einen sehr kompetenten, als einen sehr sachbezogenen und eigentlich auch dem parlamentarischen Stil sehr verbundenen Kollegen kennengelernt haben. Dass gerade Europa dein Hauptthema war, zeigt sehr deutlich, dass nicht das Populistische im Vordergrund stand; denn es ist ein Thema, das sehr schwierig bei den Menschen zu verankern ist.
Wir werden dich vermissen. Ich denke, ich spreche im Namen aller, wenn ich sage, dass wir dir für deine neue Aufgabe, die auch sehr spannend ist, alles Gute, viel Erfolg und das nötige Quäntchen Glück dazu wünschen.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Dieter Schiffmann Recht geben: Wir brauchen in der Öffentlichkeit, in diesem Parlament und in den Parlamenten in Deutschland eine breite Debatte, zum einen über den europäischen Verfassungsvertrag, aber auch eine Debatte insgesamt über die Zukunft der Europäischen Union, ob es stärker um eine Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen den bisherigen Mitgliedstaaten geht oder ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um über eine Erweiterung zu verhandeln. Insofern würde ich mich doch sehr freuen, wenn der politische Mitbewerber, die Opposition in diesem Haus, nicht dafür diskreditiert wird, dass wir uns darüber Gedanken machen, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist, über eine Erweiterung um die Türkei zu verhandeln.
Wir haben heute einen wichtigen gemeinsamen Antrag. In diesem Antrag stellen wir uns, alle vier Fraktionen des rheinland-pfälzischen Landtags, hinter den Prozess der europäischen Einigung, hinter den Prozess der Vertiefung der europäischen Einheit und hinter den Prozess dieses Verfassungsvertrags.
Wir betonen dabei vor allen Dingen die Bedeutung, die den Parlamenten in diesem Prozess zukommt. Für uns
ist der wichtigste Satz im Antrag, dass es durch den Frühwarnmechanismus, der geplant ist, auch möglich ist, dass die regionalen Parlamente gestärkt im Rahmen der Subsidiaritätskontrolle aus dem Prozess des Verfassungsvertrags hervorgehen.
Es ist das eine, ob wir uns darüber freuen und es auch erwarten, dass wir wirksam durch die Landesregierung beteiligt werden im Zusammenhang mit diesem Frühwarnverfahren, wie es im letzten Absatz unseres gemeinsamen Antrags formuliert ist, oder ob es nicht vielmehr so ist, dass es dem Selbstverständnis des Parlaments entspricht, dass wir in eigener Verantwortung den Rahmen abstecken, innerhalb dessen die Landesregierung den Landtag beteiligt.
Letztere, aus Sicht des Parlaments selbstbewusstere Formulierung war leider nicht durchzusetzen. Wir haben den Antrag trotzdem unterschrieben, weil es ein Weg in die richtige Richtung ist.
Wir werden aber genau beobachten, wie dieser Frühwarnmechanismus funktioniert, wie wir als Parlament beteiligt werden; denn damit Europa klappt, müssen wir daran denken, dass es vor allen Dingen ein Europa der Bürger werden muss.
Es muss näher zu den Menschen. Wir als Parlamente in den Regionen sind die gewählten Vertreter der Bürger.
Herr Dr. Schiffmann, es tut mir leid, dass ich das heute, wo Sie Ihre letzte Rede halten, erwähnen muss, aber ich mache es, weil wir nachher im Anschluss an diesen Tagesordnungspunkt noch über die Frage abzustimmen haben, wer das Land Rheinland-Pfalz als Vertretung des Vertreters im Ausschuss der Regionen vertritt.
Ich möchte das Wort von Herrn Marz von gestern aufgreifen, dass es schon ein ungewöhnlicher Vorgang ist, den wir erleben. Es geht im Kern darum – wenn man die Überschrift unseres Antrags liest –, dass wir wollen, dass die Mitwirkungsrechte der Parlamente in diesem europäischen Prozess gesichert werden.