Protocol of the Session on December 15, 2004

(Ministerpräsident Beck: Oh!)

In keinem anderen westlichen Bundesland ist die Unterrichtsversorgung an den berufsbildenden Schulen derart schlecht wie in Rheinland-Pfalz. Die Realität an den rheinland-pfälzischen berufsbildenden Schulen widerspricht allen Sonntagsreden gerade dieser Landesregierung zur Bedeutung der beruflichen Bildung.

Wir GRÜNE wollen – das haben wir auch in den Anträgen dokumentiert – die berufsbildenden Schulen zu Aus-, Fort- und Weiterbildungszentren ausbauen und für Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, an den berufsbildenden Schulen Möglichkeiten für eine anerkannte berufliche Ausbildung schaffen, damit wir nicht mehr immer mehr junge Menschen ohne Ausbildung ins Erwerbsleben entlassen müssen.

Meine Damen und Herren, Herr Kollege Lelle schaut ein bisschen kritisch. Ich will keine Zweifel entstehen lassen, für die berufliche Ausbildung im dualen System sind und bleiben die Unternehmen verantwortlich. Wenn aber in diesem Bereich nicht genug Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen, muss es nach dem Sozialstaatsgebot unserer Meinung nach zu einer Ausweitung des Angebots vonseiten der öffentlichen Hand kommen.

Meine Damen und Herren, ich habe am Montag schon einige grundsätzliche Ausführungen gemacht. Diese sind auch schon zitiert worden. Ich möchte aber noch etwas zum Bereich der Kinder- und Jugendpolitik s agen.

Wir GRÜNEN setzen uns für eine bedarfsgerechte, verlässliche und qualitativ hochwertige Betreuungsinfrastruktur für Kinder ein. Im Jahr 2010 sollen für 20 % der Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze vorhanden sein, die Kinder kindgerecht fördern, ihre Potenziale entwickeln und es ihren Eltern, ihren Vätern und ihren Müttern, ermöglichen, Beruf und Familie gut miteinander zu vereinbaren.

Eine solche zukunftsweisende Perspektive nützt allen. Sie nützt dem Standort Rheinland-Pfalz, aber auch den Kindern, den Eltern und der Wirtschaft.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben deshalb unser Sonderprogramm „Bedarfsgerechter Ausbau von Betreuungsplätzen für Kinder unter 3“ aufgelegt, über das am Montag schon länger gesprochen worden ist. Auch die Kindergartenplätze, die aufgrund sinkender Kinderzahlen frei werden, sollen in Plätze für unter Dreijährige umgewandelt werden können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, erstmals haben wir auch Geld bereitgestellt, um die Entstehung neuer Plätze in der Tagespflege zu fördern. Gefördert werden sollen vor allem Qualifizierungsangebote für Tagespflegepersonen, ihre fachliche Begleitung und ihre Alterssicherung. Das wird zwar immer überall gefordert, auch von der CDU, geschehen ist bislang nichts. Wir wollen das ändern. Wir haben dafür ein Programm aufgelegt. Damit legen wir ein Konzept vor, das deutlich über das, was die CDU immer fordert, und auch das, was SPD und FDP in ihrem Entschließungsantrag gefordert haben, hinaus weist.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz etwas zu den anderen Anträgen der anderen Fraktionen sagen. Vielleicht sage ich eher etwas zu den Anträgen, denen wir zustimmen. Das geht sehr viel schneller, weil das nicht so viele sind.

Wir GRÜNEN wollen dem Antrag der CDU zustimmen, die Anwärterbezüge für die Studienreferendare in den berufsbildenden Schulen anzuheben, weil das zum einen eine langjährige Forderung von uns ist und wir damit die Hoffnung verbinden, die Attraktivität des Lehrerberufs insbesondere an den berufsbildenden Schulen zu steigern.

Wir werden – mit Bauchgrimmen – dem Antrag der SPD und der FDP zu den Ganztagsschulen und zur Weiterentwicklung des Ganztagsangebots zustimmen, weil sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ohne Zweifel ein wichtiges Element für eine zukunftsorientierte Bildungspolitik in Rheinland-Pfalz darstellt. Diese hat in Rheinland-Pfalz – das ist von dem Kollegen Heinrich gesagt worden – nur zu einem Erfolg geführt, weil es die rotgrüne Bundesregierung mit der massiven Unterstützung gegeben hat.

Meine Damen und Herren, es ist offensichtlich, dass der Bedarf an Ganztagsschulen weit über die 300 angedachten Schulen hinausgeht. Deshalb stimmen wir Ihrem Antrag zur Fortsetzung des Ganztagsschulprogramms in der Hoffnung und unter der Bedingung zu, dass wir die Ganztagsschulen zu echten Ganztagsschulen weiterentwickeln, die über den Tag hinweg rhythmisiert Elemente aus Lernen, Sport, Arbeitswelt

und Kultur anbieten. Die Ganztagsschule muss mehr als eine Halbtagsschule plus Suppenküche und Nachmittagsbetreuung sein.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, weil wir eine Ausweitung des Angebots wollen, stimmen wir dem Antrag der regierungstragenden Fraktionen zu.

Meine Damen und Herren, gerade Investitionen in Betreuung, Bildung und Ausbildung sind die entscheidenden Investitionen für die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes.

Ich möchte es einmal finanzpolitisch und der Haushaltsdebatte gemäß ausdrücken: Investitionen im Bereich Kinder-, Jugend- und Bildungspolitik sind für RheinlandPfalz die Kapitalanlage mit der größtmöglichen Rendite.

Mit unseren Anträgen,

die Bildung und Betreuung für unter Dreijährige auszubauen,

der Sprachförderung einen höheren Stellenwert zu geben, damit Kinder, wenn sie in die Schule kommen, tatsächlich auch dem Unterricht in deutscher Sprache folgen können,

wirkliche Konsequenzen aus den internationalen Vergleichsstudien zu ziehen,

den Weg für ein längeres gemeinsames Lernen, eine bessere individuelle Förderung und ein Mehr an Selbstständigkeit für die einzelne Schule freizumachen,

die berufsbildenden Schulen finanziell zu stärken, damit sie zu wirklichen Aus-, Fort- und Weiterbildungszentren werden können, und

einen Modellversuch Fort- und Weiterbildungsbudget für die Schulen aufzulegen

wird deutlich, dass wir GRÜNEN diese Forderung konsequent und nachhaltig umsetzen wollen.

Meine Damen und Herren, wir müssen Bildung neu denken und Strukturen und alte Systeme infrage stellen. Dazu brauchen wir Mut, Durchhaltevermögen, Fantasie und einen langen Atem. Ziel ist es, möglichst alle jungen Menschen individuell und bestmöglich zu fördern und unsere Kindertagesstätten und Schulen für die Zukunft fit zu machen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einer Kurzintervention erteile ich Herrn Abgeordneten Keller das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch der Kollege Wiechmann hat das Hohe Lied auf den so genannten muttersprachlichen Unterricht gesungen und die Bedeutung hervorgehoben.

(Frau Brede-Hoffmann, SPD: Zu Recht!)

Diesen muttersprachlichen Unterricht gibt es seit über 30 Jahren, und die PISA-Ergebnisse sprechen eine andere Sprache. Dieser muttersprachliche Unterricht ist so gut wie nutzlos.

Um was geht es? Der Sinn und Zweck des so genannten muttersprachlichen Unterrichts – früher hieß es Ergänzungsunterricht –

(Zuruf der Abg. Frau Brede-Hoffmann, SPD)

bestand früher in erster Linie darin, die Migrantenkinder auf die wahrscheinliche Rückkehr in ihre Heimat vorzubereiten.

Diese Geschäftsgrundlage ist doch praktisch weggefallen. Die meisten bleiben hier. Viele der Kinder haben sogar schon den deutschen Pass. Diese dann praktisch noch einmal zwingen zu wollen, erst ihre ursprüngliche Muttersprache zu lernen als Voraussetzung, dass sie dann, wie die GRÜNEN etwas respektlos sagen, Deutsch als Verkehrssprache lernen, diesen Luxus können wir uns nicht erlauben, einmal finanziell, aber auch im Hinblick auf diese Kinder. Diese sind zum Teil hoffnungslos unterfordert.

(Zuruf von der SPD: „Unterfordert“?)

Ich habe mich noch einmal kundig gemacht. Nach wie vor ist es so, dass Kinder in der Grundschule aus dem Unterricht in Deutsch herausgenommen werden und parallel beispielsweise Türkisch haben. Sind wir denn bekloppt?

(Beifall bei der CDU)

Diese haben Defizite, die sie ein Leben lang mit sich tragen, und sie finden nicht mehr den Anschluss. Sie können weder richtig Türkisch noch richtig Deutsch. Wenn sich dann ein türkischer Schüler mit dem Hauptschulabschluss um eine Lehrstelle bewirbt, dann fragt ihn der Ausbildungsbetrieb nicht, wie gut er Türkisch kann, sondern wie gut er Deutsch kann. Deswegen müssen wir alle Kraft darauf verwenden, dass Deutsch gelernt wird, und zwar möglichst früh. Dann kommt die soziale Disparität nicht so zum Zug.

Was Sie hier machen – da gibt es Untersuchungen –, ist reine Theorie. Das ist eine akademische Diskussion. Das setzt voraus – das ist praktisch bilingualer Unterricht –, dass das Elternhaus mitspielt, dass die für die eine Sprache Verantwortung tragen und die Schule für die andere. Was wir haben, das ist ein Mischmasch. Dies kostet uns 130 Vollzeitlehrerstellen, über 6 Millionen Euro. Deswegen haben wir den Antrag gestellt, 2 Millionen Euro für die Frühförderung und

4 Millionen Euro für die Hauptschule zur Verfügung zu stellen. Dort ist das Geld besser aufgehoben.

(Beifall bei der CDU)

Zur Erwiderung erteile ich Herrn Abgeordneten Wiechmann das Wort.

Herr Kollege Keller, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das noch einmal aufgenommen haben; denn mit dem, was Sie eben gerade noch einmal gesagt haben, wird sehr deutlich, wo wir grundsätzlich verschiedene Auffassungen haben. Das wird auch noch einmal deutlich für die Zuschauerinnen und Zuschauer.

Sie haben gesagt, muttersprachlicher Unterricht sei Luxus. Wenn nicht nur wir, sondern auch glücklicherweise alle anderen Fraktionen sagen, dass aus der Sprachforschung bekannt ist, dass Kinder, die ihre Erstsprache gut können, eine zweite Sprache sehr viel einfacher lernen, dann sagen Sie: Das ist großer Quatsch. Das ist alles Theorie.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)