Protocol of the Session on October 7, 2004

Ich glaube, das ist in der Tat das alles überragende Ziel. Von der Erreichung dieses Ziels hängt alles andere ab. Es ist gestern von Gernot Mittler gesagt worden, mehr Beschäftigung entlastet nicht nur die Sozialsysteme, sondern leistet zugleich auch einen Beitrag zum Wachstum des Steueraufkommens und damit zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Ja, das ist der Weg: über mehr Wachstum zu einem Mehr bei der Beschäftigung zu kommen und über ein Mehr bei der Beschäftigung zu höheren Einnahmen nicht nur des Fiskus, sondern auch der Sozialkassen zu gelangen. Das ist der Weg.

Das steht im Übrigen auch im Finanzplan der Landesregierung fast wörtlich genauso drin: Nur durch das Erreichen eines höheren Wachstumspfades werden die Defizite signifikant abgesenkt werden können. Für einen erfolgreichen Weg aus der Verschuldung der öffentlichen Haushalte wird entscheidend sein, ob es schnell gelingt, über eine höhere Wachstumsdynamik die Arbeitslosigkeit drastisch zu reduzieren und die Beschäftigung spürbar zu erhöhen. – Ende des Zitats.

Wir werden die Arbeitslosigkeit nur reduzieren können, wenn wir zu einem Zuwachs bei der Beschäftigung kommen. Ich glaube, es gibt überhaupt kein Ziel deutscher Politik, das sich in seiner Bedeutung einigermaßen mit diesem einen großen Ziel, Menschen wieder in Arbeit und Brot zu bringen, messen lassen kann. Jeder öffentliche Haushalt muss sich daran messen lassen, ob er einen Beitrag leistet, dieses Ziel zu erreichen. Das ist der Weg. Der Schlüssel liegt beim Zuwachs bei der Beschäftigung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies umso mehr, als wir mit Blick auf die Entwicklung der Beschäftigung in Rheinland-Pfalz eine Talfahrt hinter uns haben. Wir haben 428,6 Erwerbstätige je 1.000 Einwohner. Das ist der 13. Platz in Deutschland. Wir liegen bei der Beschäftigungsquote sozusagen abgeschlagen auf dem drittletzten Platz. Auch in Rheinland-Pfalz nimmt die Zahl der Beschäftigten ab: 18.400 im Zeitrahmen der Jahre 2000 bis 2003 auf dem sowieso schon niedrigen Niveau, das wir haben. Wir müssen in Rheinland-Pfalz auch mit Blick auf die Erfordernisse, Bedürfnisse und Notwendigkeiten unseres Bundeslands an diesem Punkt ansetzen. Das ist der entscheidende Dreh- und Angelpunkt.

Soweit sind wir einig. Aber an dem Punkt endet die Einigkeit schlagartig; denn wenn wir dann mit der Debatte beginnen, wie das geht, welche Schritte wir jetzt einleiten müssen, was wir jetzt tun müssen, welche

Weichen wir jetzt stellen müssen, beginnt ab diesem Punkt der Streit zwischen Opposition, jedenfalls der großen Oppositionspartei, und der Landesregierung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, neben vielem, was zu tun ist, geht es ohne eines eben nicht, nämlich ohne eine große Steuerreform. An dem Punkt unterscheiden sich die Geister zwischen Landesregierung und Regierungschef auf der einen Seite und Opposition auf der anderen Seite wie Feuer und Wasser.

Die Landesregierung reibt sich im Kampf gegen eine solche Vorstellung einer großen Steuerreform auf. Ich zitiere die Formulierung „gegen die Bierdeckelstrategen“.

(Ministerpräsident Beck: Sehr gut!)

Herr Ministerpräsident, wissen Sie – – –

(Ministerpräsident Beck: Sie haben mich richtig zitiert!)

Ja. Ich habe es extra noch einmal nachgelesen.

Ich stimme da nicht dem Ministerpräsidenten zu, sondern dem Weltwirtschaftsforum Davos. Das Weltwirtschaftsforum Davos hat regelmäßig Untersuchungen über die Standortqualität von Ländern veranstaltet. Unter anderem hat es neben der Reglementierung des Arbeitsmarkts, den Steuersätzen, der Bürokratie die Komplexität von Steuersystemen untersucht.

Wissen Sie, auf welchem Platz die Bundesrepublik Deutschland bei einer weltweiten Bewertung nach einem einfachen und klaren Steuersystem landet? Wir stehen auf dem Platz 102 hinter Kenia, Mosambik, Kamerun, Senegal, Vietnam, von den mitteleuropäischen Ländern ganz zu schweigen. Diese stehen ziemlich alle ziemlich weit oben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, da liegt unser Problem. Wenn ich dann in der „Berliner Zeitung“ – da habe ich auch das Zitat mit dem „Bierdeckelstrategen“ her – vom 1. Oktober 2004 lese: „Beck: Mehr Geld für den Staat“ – – – Ja, klar. Wer will dem widersprechen? Der Putz bröckelt von den Wänden unserer Schulklassen, und der Staat hat immer weniger Geld, um seine dringlichsten Aufgaben zu erfüllen. Alle Kommunalpolitiker wissen, wovon wir reden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, aber auf welchem Weg? Da kommt der Vorschlag des Ministerpräsidenten, auf dem Weg der Steuererhöhung.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Beck)

Da kommt mein Vorschlag: auf dem Weg eines einfachen, durchschaubaren und entlastenden Steuers ystems einer Steuerreform. Das ist der Unterschied.

(Beifall der CDU)

Es ist doch täglich zu erleben. Der Bundesfinanzminister hat festgestellt – ich weiß gar nicht, ob er wirklich überrascht war oder nur mit Blick auf seine Partei so tun musste, als wenn er überrascht wäre –, dass nach den drastischen und alljährlich wiederkehrenden Erhöhungen

bei Ökosteuer und Tabaksteuer die Erwartung, von Lieschen Müller weit mehr Geld in die Kasse zu bekommen, sich nicht bewahrheitet hat. Je mehr er die Steuern erhöht, umso weniger Geld bekommt er in die Kasse. Das ist doch der wahre Zusammenhang. Deswegen hilft uns eine Erhöhung der Steuern nicht weiter, sondern es hilft uns nur eine große Steuerreform weiter, die unser Steuersystem nicht nur durchschaubarer macht, sondern die auch mit einem Netto-Entlastungseffekt verbunden ist. Wir brauchen sie insbesondere um der Aktivierung im Lohnsteuereingangsbereich willen.

Wissen Sie, ich sprach eben davon – da sind wir uns in der Zielsetzung wieder einig –, wir müssen Wachstumskräfte wecken, damit wieder mehr Beschäftigung in Deutschland entsteht. Wie will ich mehr Beschäftigung in Deutschland entstehen lassen, wenn nicht auch im unteren Lohnsegment? Nicht durch immer komplizierter werdende Kombi-Lohnmodelle, sondern indem ich im unteren Lohnsegment den Leuten so viel in der Tasche belasse, wie sie brauchen, um auskömmlich leben zu können und nicht gezwungen sind, obwohl sie einen sozialversicherungspflichtigen Job haben, zum Sozialamt zu gehen und ergänzend Lohnhilfe zu beantragen. Lasst doch die Leute von dem leben, was sie verdienen, ohne dass der Fiskus zuschlägt. Das ist der Weg.

(Beifall der CDU)

Wenn wir diesen Weg nicht gehen, werden wir das Problem in Deutschland nicht lösen. Wissen Sie, wenn viele Hilfsempfänger zu Steuerzahlern werden, macht der Staat ein gutes Geschäft. Da kommt immer sofort die Frage der Finanzminister, wie wir das bezahlen wollen. Ich weiß auch, 17 deutsche Finanzminister sind gegen diesen Vorschlag. Das sind rote, das sind schwarze, 16 aus den Ländern, einer aus dem Bund. Alle frönen dieser statischen Betrachtung. Ich sage, jeder Hilfsempfänger, der zum Steuerzahler wird, jeder der aus der Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe herauskommt und schlimmstenfalls keine Steuern zahlt, aber auch keine Hilfsleistungen empfängt, bestenfalls sogar Steuern zahlt, also jeder Hilfsempfänger, der zum Steuerzahler wird, ist für den Staat das beste Geschäft, das er machen kann, auch für die Sozialkassen.

(Beifall der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer sich scheut, diesen Weg zu gehen, ist bald am Ende, er kommt aber nie zum Ziel. Wir sind in Rheinland-Pfalz am Ende: die Verfassungsgrenze im Nacken, den Kreditrahmen ausgeschöpft, jetzt kommen die Vermögensverkäufe. Das ist ein Thema, das uns in den nächsten Wochen beschäftigen wird. Ich bin auch fest davon überzeugt, dass die Rechnung der Landesregierung, diese öffentliche Diskussion über unseren Haushalt und die Verschuldungsproblematik sozusagen vor dem weihnachtlichen Frieden zu versenken, damit sie dann, am 6. Januar, wenn die drei Könige uns beglücken, bei allen Beteiligten vergessen ist, nicht aufgehen wird, sondern das, was uns zur Beschlussfassung vorgelegt wird, wird uns in den nächsten zwei Jahren beschäftigen.

Jetzt kommen die Vermögensverkäufe mit dem Nachteil – – – Wissen Sie, das ist auch so ein Punkt. Natür

lich kann man Vermögen verkaufen. Aber wenn man Vermögen verkauft und dann den Nachteil in Kauf nimmt, dass in Zukunft jährlich Einnahmen in einer Größenordnung von 133 Millionen Euro wegbrechen, dass es diese Einnahmen nicht mehr gibt, dann ist es schon eine schwierige Sache mit diesen Vermögensverkäufen.

Das alles zeigt, dass wir von der Substanz leben. Wachsende Zinslasten, Pensionsverpflichtungen, Einnahmenverluste nach Vermögensverbrauch usw. sind Vorbelastungen, die zur politischen Bewegungslosigkeit führen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dennoch ist Geld vorhanden, wenn es um die politischen Hobbys des einen oder anderen geht. Viele haben mir in den vergangenen Tagen davon abgeraten, das vorzutragen, was ich dennoch vortrage. Sie haben gesagt: Wenn du das ansprichst, bringst du viele gegen dich auf. – Es mag vielleicht sein, dass ich viele gegen mich aufbringe. Dennoch sage ich es: Das, was sich die Landesregierung die Vorbereitung der Weltmeisterschaft kosten lässt, passt nicht in den Finanzrahmen der heutigen Zeit.

(Beifall der CDU)

Es ist überhaupt nicht die Frage, ob man selbst Fußballfan ist oder nicht. Für die Jahre 2004, 2005 und 2006 sind allein für die Staatskanzlei Mittel in einer Größenordnung von 441.400 Euro vorgesehen. Ich weiß, was jetzt gesagt wird. Jetzt wird gesagt, dass es doch nur 441.400 Euro seien. Im Einzelplan des Ministeriums des Innern und für Sport sind hierfür Personalkosten in Höhe von 530.000 Euro vorgesehen. Auch in diesem Fall kann man sagen: Es sind doch nur 530.000 Euro. Was sollen wir über Kleinvieh reden, das wenig Mist macht, während wir die großen Brocken nicht beeinflussen können.

Ich denke da anders. Gerade dann, wenn man die großen Brocken nicht beeinflussen kann, muss man über Kleinvieh reden; denn das ist das Einzige, was man beeinflussen kann. Mit diesem „nur“ können Sie natürlich diese Kritik ein ums andere Mal aushebeln.

Es sind nur 300.000 Euro, die für die Weltmeisterschaft im Haushaltsentwurf für das Ministerium für Umwelt und Forsten unter dem Titel „Green Goal – Klimaschutzkampagne Rheinland-Pfalz“ vorgesehen sind. Vielleicht kann mir jemand erklären, was das mit der Weltmeisterschaft zu tun hat. Für den Titel „Weltmeisterschaft und lokale Agenda 21“ sind „nur“ 100.000 Euro vorgesehen. Darüber hinaus gibt es den Titel „Regionalevents, Biosphärenreservat der Weltmeisterschaft, Außenstandorte Fischbach und Johanniskreuz“ für die Weltmeisterschaftsgäste. Das sind diese Bäume, die auf Höhenwegen über Seilstricke miteinander verbunden sind. Man tritt sicherlich keinem Fußballfan zu nahe, wenn man sagt, dass einem nach einem guten Fußballspiel der Sinn nach anderem steht als danach, über diese Fallstricke über diese Bäume zu wandeln.

(Beifall der CDU)

Meine Damen und Herren, man kann natürlich sagen, dass es nur 10.000 Euro seien. Die Frage ist aber nicht, ob es nur 10.000 Euro sind, sondern ob wir uns angesichts der wirklich dramatischen Verschuldungslage

unseres Landes diese 300.000 Euro, diese 10.000 Euro und diese 600.000 Euro wirklich leisten können. Ich sage: Nein, wir können sie uns nicht leisten.

(Beifall der CDU)

Die Frage, ob das alles unverzichtbar ist, ist eine ganz andere Frage. Ich bin der Meinung, es sind mehr Gefälligkeiten gegenüber einer Gruppe, die man nicht enttäuschen möchte.

Auf Seite 20 des Finanzplans des Landes RheinlandPfalz für die Jahre 2004 bis 2008 steht: „Einsparungen stoßen dort an Grenzen, wo durch einzelne Maßnahmen die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Infrastruktur gefährdet würde. Kleinteilige und kurzfristige Eingriffe können erhebliche und dauerhafte Schäden hervorrufen und ehrenamtliche oder subsidiär arbeitende Strukturen handlungsunfähig machen. Eine solche Entwicklung soll in Rheinland-Pfalz verhindert werden.“

Da sind wir uns wieder einig. Eine solche Entwicklung soll in Rheinland-Pfalz verhindert werden. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht jede Einsparung im Eventhaushalt der Weltmeisterschaft 2006 führt zum Zusammenbruch der subsidiären Strukturen in unserem Land Rheinland-Pfalz. Dabei gibt es durchaus Unterschiede.

(Beifall der CDU)

Das ist deshalb wichtig, weil der Verzicht auf Einsparungen einen hohen Preis hat. Die Schulden des Landes sind in den Jahren von 1991 bis 2003 um rund 12,45 Milliarden Euro gestiegen. Das entspricht einer Steigerung von etwa 118 %. Im Vergleich dazu stieg das Bruttoinlandsprodukt im gleichen Zeitraum nominal um ca. 21 Milliarden Euro. Das entspricht einer Steigerung um etwa 29,5 %.

Vergleichen Sie einmal, wie wir unsere Schulden gesteigert haben, mit der Steigerung unseres Bruttoinlandsprodukts. Im Jahr 1991 betrugen die Schulden des Landes etwa 14,7 % des nominalen Bruttoinlandsprodukts. Im Jahr 2003 sind es ca. 24,76 %. Das ist Politik auf Kosten der Substanz.

Wir beginnen nicht erst jetzt damit, die Substanz aufzuzehren, sondern wir haben bereits vor vielen Jahren damit begonnen, die Substanz aufzuzehren. RheinlandPfalz hat von 1995 bis 2003 doppelt so viele Schulden pro Kopf gemacht wie Baden-Württemberg. Das ist Politik auf Kosten der Substanz. Das ist ein Preis, den andere später zahlen müssen.

Wir werden im Jahr 2004 einschließlich der Nebenhaushalte neue Kredite im Wert von etwa 1,18 Milliarden Euro aufnehmen. Das ist fast genauso viel, wie wir an Zinsen für unsere Schulden zahlen müssen. Das ist Politik auf Kosten der Substanz.

Alle Investitionen können nur noch über Schulden bezahlt werden. Dieser Doppelhaushalt ist der letzte vor dem Jahr 2006. Das heißt, es ist ein Haushalt, in dem Bilanz gezogen wird über die Politik, die Haushaltspolitik

und die Finanzpolitik dieser Landesregierung nach 15 Jahren.

In diesen 15 Jahren sind 15 Milliarden Euro neue Schulden gemacht worden. Das entspricht einem Zuwachs von 136 %. Am Ende dieses Doppelhaushalts, wenn alles nach Plan läuft, was aber niemand weiß, haben wir eine Gesamtverschuldung von etwa 26,5 Milliarden Euro. In der gleichen Zeit hat die Landesregierung ein Vermögen von etwa 2,16 Milliarden Euro verbraucht durch dauerhaft belastende Eingriffe in den kommunalen Finanzausgleich und hat damit den Städten, Kreisen und Gemeinden etwa 1,2 Milliarden Euro aus der Tasche gezogen. Summa summarum sind das über 18 Milliarden Euro. Das ist weit mehr als das Eineinhalbfache eines Jahreshaushalts dieses Landes. Das sind über 18 Milliarden Euro Schulden zulasten Dritter.

Auslöffeln müssen das andere, künftige Regierungen und Parlamente sowie vor allem die Bürgerinnen und Bürger.

Deshalb sage ich noch einmal: Wenn heute nichts verändert wird, weil man es politisch nicht will, dann wird nichts mehr bewegt werden können, weil man der Not gehorchen muss. Das wird das Schicksal der nächsten Jahre sein.

Um es im Bild zu sagen: Damit es gemütlich warm bleibt im Zimmer, werden im Kamin die Türen und Fenster des Hauses verfeuert. Das ist ein ganz kurzfristiger Einmaleffekt. Wenn das Kaminfeuer verloschen ist und die Fenster und Türen verbrannt sind, zieht der kalte Wind ein. Das werden wir in den nächsten Jahren erleben.