Protocol of the Session on April 29, 2004

(Beifall der CDU)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Hartloff das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In der Nacht vom 20. auf den 21. November 2003 ist Anne Christina Knoll einem schrecklichen Verbrechen zum Opfer gefallen. Ich nenne bewusst den Namen der jungen 26-jährigen Frau, die bei Ausübung ihres Dienstes umgebracht worden ist, weil Menschen Namen haben und damit das Schicksal der jungen Frau verbinden.

Diese junge Frau wurde von Freundinnen in „DER SPIEGEL“ wie folgt beschrieben: Sie sei eine dieser seltenen Menschen gewesen, die alle auf Anhieb gemocht hätten. – Sie habe, so „DER SPIEGEL“ in ihr Tagebuch geschrieben, „dass jeder Tag wie das Balancieren auf einem Baumstamm ist“. Sie ist sich sehr wohl der Schwierigkeit ihrer Arbeit bewusst gewesen.

Das Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen, den Eltern und Freunden. Ich verstehe sehr wohl, dass diese Hinterbliebenen Zorn auf die Täter haben und nicht verstehen können, wie es zu einer solchen Tat kam.

Am 13. Mai wird bei dem Landgericht Zweibrücken der Prozess gegen die mutmaßlichen jugendlichen Täter beginnen. Dort wird über diejenigen ein Urteil gesprochen, die die Tat begangen haben.

„Heimerziehung statt Untersuchungshaft“ – warum machen wir das? Warum bringen wir Jugendliche, die eine kriminelle Karriere schon in Ansätzen hinter sich haben, in Heime und nicht in Untersuchungshaft? Ein vernünftiger Umgang mit kriminellen Jugendlichen lässt es nicht raten, sie in Untersuchungshaft zu schicken. Das sieht das Gesetz auch so vor, und zwar nicht, weil wir als Staat lieb mit ihnen umgehen wollen oder Angst hätten, nicht strafen zu können, sondern Maßnahmen ergreifen müssen, die zielführend sind und den Versuch machen, solche Jugendliche wieder in die Gesellschaft zu bekommen oder sie – wie hier – auf eine entsprechende Verhandlung vorzubereiten.

Hier ist es so gewesen, dass am 28. Oktober 2003 der erste Jugendliche und einen Tag vor der Tat der dritte Jugendliche in diese geschlossene Einrichtung gekommen ist. Für dieses Projekt war schon weit vorher ein entsprechendes Konzept erstellt worden, das zwischen dem Justizministerium und dem Sozialministerium abgesprochen und mit den erfahrenen Trägern im Bereich der Jugendhilfe auch vorbereitet worden ist. Man hatte auch Erfahrungen in anderen Bundesländern eingeholt.

Es trifft nicht zu, dass dort kein Sicherheitskonzept bestanden hat, was Sie frank und frei behauptet haben. Es trifft zu, dass das Gesamtkonzept aus der Erfahrung dieser schrecklichen Tat Mängel und Schwachstellen hatte. Das wissen wir aus dem Abschlussbericht, der direkt, nachdem der Vorfall geschehen ist, von dem zuständigen Ministerium veranlasst worden ist. Dieser liegt dem Parlament vor und wurde in den Ausschusssitzungen beraten. Die Kardinalpunkte der Schwachstellen sind darin genannt. Es besteht die Konzeption, Verbesserungen vorzunehmen.

Herr Kollege Rosenbauer, Sie haben vorhin die Selbs tgewissheit geäußert, dass man so etwas immer vorher

weiß. Sie haben auch Herrn Professor Pfeiffer zitiert, der sich in der Zeitung dazu mit einem Schluss geäußert hat. Wohl dem, der so viel Selbstgewissheit mit sich bringt. (Staatsminister Zuber: So ist es!)

Da die Kernpunkte dessen, was dort geschehen ist und was man an dem Konzept weiterentwickeln muss, bekannt und in dem Untersuchungsbericht auch dargelegt worden sind, vertreten wir die Auffassung, dass ein Untersuchungsausschuss von der Sache her nicht notwendig ist, um politische Schlussfolgerungen zu ziehen.

Wir haben durchaus den Verdacht – das will ich gar nicht verschweigen; es kamen Anklänge in die Richtung –, dass die Gefahr besteht, dass man aus einem solchen Untersuchungsausschuss, wie es nun einmal im politischen Geschäft der Untersuchungsausschüsse so ist, politisches Kapital ziehen möchte, indem man etwas aufwärmt, was sich zum Aufwärmen eigentlich nicht eignet.

Ich spreche hier von einem Verdacht.

Wir meinen aber, weil es in der Sache überhaupt keinen Grund gibt, irgendeinen Zusammenhang dessen, wie man das Projekt vorbereitet hat – ein sinnvolles Projekt –, wie ich es vorhin beschrieben habe, hinter der Tür zu halten – ein solcher Eindruck wird erweckt; da gibt es keinerlei Grund –, stimmen wir mit für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Ich erinnere in diesem Zusammenhang, dass wir selbst auch die entsprechenden Berichtsanträge für die Ausschüsse gestellt haben, weil wir natürlich als Parlament das Aufklärungsinteresse bei einer solchen Tat immer haben. Ich denke aber – da konnten Sie den zitierten Herrn Pfeiffer hören, und zwar im Radio bei einer Diskussionssendung zusammen mit dem Innenminister Schäuble aus BadenWürttemberg –, die sich beide und übereinstimmend kritisch darüber geäußert haben, welche Schlussfolgerungen, welche Hektik, welche Erwartungshaltung Politik fordert, wenn man über solch schlimme Taten spricht und damit den Eindruck verbindet, dass es absolute Sicherheit geben könnte und einfache Lösungen, Wegsperrlösungen, welche sind, die das Rechtssystem weiterentwickeln.

Die Herren waren sich einig, dass eine solche Diskussion weder dem Inhalt noch der Weiterentwicklung in der Sache dient. Dass wir natürlich ein größtes Interesse daran haben, dass Menschen nicht Gefährdungen unterliegen, die sich an einer solch schwierigen Nahtstelle bewegen, das gilt für die Ministerien, das gilt natürlich für den Träger, und das gilt für alle anderen Beteiligten an einem solchen Verfahren.

Ich hoffe, dass der Untersuchungsausschuss insoweit der weiteren sachlichen Aufklärung dient. Ich frage mich natürlich manchmal auch – das sei mir gestattet, bevor ich zum Schluss meiner Rede komme –, ich möchte nicht immer alles begreifen, aber, Herr Kollege Rosenbauer, ich war schon davon überrascht, dass Sie zu diesem Thema hier sprechen.

Ich danke Ihnen. (Beifall der SPD)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Marz das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es kommt nicht jeden Tag vor, dass ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt wird, aber es geschieht mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Deshalb haben wir auch schon einige im Verlauf der rheinland-pfälzischen Parlamentsgeschichte gehabt.

Ich möchte weniger als meine Vorredner darauf eingehen, was die möglichen Ergebnisse dieses Untersuchungsausschusses sein könnten; denn, wenn wir heute schon alles wissen, macht das ganze Verfahren keinen Sinn mehr. Lassen Sie mich deshalb einige grundsätzliche Ausführungen machen und über mögliche Kons equenzen nur am Rande reden.

Zunächst einmal – das sollte nicht vergessen werden –, ein Untersuchungsausschuss soll etwas aufklären. Wann ist er dieser Aufklärungspflicht nachgekommen? Man kann es flapsig ausdrücken und sagen: Wenn die Öffentlichkeit und das Parlament am Ende des Unters uchungsverfahrens klüger sind, als sie es vorher waren. – Das werden wir sehen. Es kommt auf jeden Beteiligten an, ob wir das hinbekommen.

Um das zu leisten, hat der Untersuchungsausschuss besondere Befugnisse. Die normalen Kontrollbefugnisse gegenüber der Regierung, die sich im Wesentlichen, was solche Dinge angehen, auf das Fragerecht, das Auskunftsrecht, das Informationsrecht beziehen, sind hier erweitert. Der Untersuchungsausschuss kann selbst ermitteln. Das muss man vorher wissen. Deshalb auch dieses Instrument. Er resultiert auch aus einem Minderheitenrecht, auch wenn wir es heute mit einem interfraktionellen Antrag aller Fraktionen zu tun haben.

Für mich enden deshalb, weil es ein Minderheitenrecht ist, alle Diskussionen über die Sinnhaftigkeit eines solchen Ausschusses, in dem Moment, in dem der Antrag eingereicht ist. Es ist immer so, dass es Sinndiskussionen im politischen Raum gibt, gerade wenn Minderheiten etwas initiieren. Aber in dem Moment, in dem das sozusagen im Vollzug ist, müssen diese Diskussionen aufhören. Am Ende werden wir uns darüber auseinander zu setzen haben, inwiefern dieser Ausschuss Sinn hatte oder inwiefern er keinen Sinn hatte.

Ich habe gesagt: Zentrale Aufgabe eines solchen Ausschusses ist die Aufklärung, das heißt, die Wahrheit herauszufinden. Das ist natürlich ein hohes Ziel. Nicht alle Untersuchungsausschüsse in der deutschen Parlamentsgeschichte sind diesem Anspruch auch nur nahe gekommen, manche mehr und manche weniger. Aber die Notwendigkeit der Aufgabe, die Wahrheit herauszufinden, muss natürlich die Aufgabe bleiben.

Was ist denn die Wahrheit? Es wird manchmal suggeriert, als würde die Wahrheit immer darin bestehen, dass man etwas Neues herausfindet. Das sollte so sein, wenn

es etwas Neues herauszufinden gibt. Es ist vor allem vornehmste Aufgabe derjenigen, die einen Unters uchungsausschuss initiieren, im Wege von Beweisanträgen dazu beizutragen, dass etwas Neues herauskommt.

Die Wahrheit kann aber auch darin bestehen, dass bestätigt wird, dass man vorher schon alles gewusst hat. Das kann auch die Wahrheit sein. Wenn der Untersuchungsausschuss so etwas herausfindet, dann ist es auch die Wahrheit.

Ich warne deshalb alle davor, heute schon voreilige Schlüsse zu ziehen. Es gab in den vergangenen Tagen Presseerklärungen, öffentliche Erklärungen von verschiedenster Seite, die gesagt haben, es liegt schon alles auf dem Tisch, wir wissen schon alles. Es ist wiederholt die Rede davon gewesen, dass vieles im Nebel liege. Es ist von vielen Vermutungen die Rede gewesen. All das muss nun in das Untersuchungsverfahren einfließen.

Als Fraktion sind wir auch vor der Frage gestanden, ob das Ganze einen Sinn macht. Wir haben uns der Sache so genähert, wie ich es Ihnen beschrieben habe. Wir haben gesagt: Er ist da, und wir müssen damit umgehen. – Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, dass er in jedem Fall einen Sinn macht. Er besteht darin, dass wir gesagt haben: Wir nehmen die Möglichkeiten, hier Einfluss zu nehmen – diese sind aufgrund des Minderheitenrechtes sehr eng –, wahr, zusätzliche Fragen zu stellen. Die erste Frage, die wir gestellt haben, die nun auch in den Untersuchungsauftrag mit aufgenommen ist, bezieht sich auf Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse innerhalb der Landesregierung. Natürlich ist das für ein Parlament immer interessant, insbesondere für die Opposition, wie die Regierung zu Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen kommt. In diesem Falle ist es, denke ich, von besonderem Interesse.

Zum Zweiten wollen wir natürlich am Ende wissen, welche möglichen konzeptionellen Konsequenzen die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses für die Weiterführung eines Projekts „Heimerziehung statt Unters uchungshaft“ haben.

Ein Untersuchungsausschuss ist aber nicht nur ein parlamentarisches Mittel zur Wahrheitsfindung. Ein Untersuchungsausschuss ist auch ein politisches Kampfinstrument. Das ist völlig legitim so. Das hat Folgen. Es gibt Angreifer, es gibt Angegriffene, es gibt Verteidiger. Das hat man immer wieder gesehen. Auch das alles ist legitim.

Meine Damen und Herren, ich denke aber, der politische Kampf hat auch seine Grenzen. Herr Kollege Hartloff und Herr Kollege Rosenbauer haben darauf hingewiesen. Ein Mensch ist durch Gewalt gestorben. Das ist der massivste Eingriff, den man sich nur vorstellen kann, nicht nur für diesen Menschen, sondern auch für das, was man das soziale Umfeld nennt, für Angehörige, für Freunde, für Arbeitskollegen und viele mehr. So wichtig und so richtig es ist, zu versuchen aufzuklären, genauso wie der Strafprozess, der parallel läuft, so wichtig ist es, dass wir diesen Umstand im Blick halten und unter allen Umständen verhindern, dass die Gefühle von irgendwelchen Menschen im Nachhinein noch verletzt werden.

Es geht auch um Persönlichkeitsrechte. Es geht auch um die Verantwortung für Stimmungen und Stimmen bei der Bevölkerung. Dafür haben wir auch, hat dieses Parlament und dieser Untersuchungsausschuss Verantwortung.

Wir müssen deshalb aufpassen, dass wir nichts schlimmer machen, als es schon ist. Das sind wir dem Ansehen des Parlaments und unserer Aufgabe schuldig.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, nach meinem Eindruck ist die Vorfelddebatte zu diesem Ausschuss nicht immer so gelaufen, dass sie diese Grenzen eingehalten hat. Ich wünsche mir nicht nur, und ich hoffe nicht nur, sondern ich sage Ihnen, wir sind alle in der Verantwortung.

Ich werde meinen Teil dazu beitragen, dass wir diese Grenzen im Untersuchungsverfahren in jedem Fall einhalten; denn dort endet auch das, was man im politischen Streit machen darf.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Kollege Dr. Schmitz hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich darf die Gelegenheit nutzen, um zu Beginn meines Vortrags zur Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses an das schreckliche Drama zu erinnern und für unsere Seite zuzusagen und an andere zu appellieren, dass das Gedenken an das Opfer und das Gedenken an die Verwandten und das Umfeld des Opfers diese Ausschussarbeit mit begleiten, so mit begleiten, dass bei allem politischen Streit die Seriosität nicht unter die Räder kommt und der Respekt vor dem, was dort geschehen ist, in jeder Situation zu spüren ist.

Meine Damen und Herren, wir haben mehrfach, im Ausschuss und auch im Plenum, über die Vorgänge in Rodalben gesprochen. Wir sind uns an sich inzwischen darüber im Klaren, dass es nicht nur um das geht, was sich am 21. November in diesem Heim zugetragen hat, sondern sehr wohl auch um die rechtlichen Rahmenbedingungen, auf denen all das fußt, was dort geschehen ist.

Die Einrichtung dieser Heimunterbringung, die schon seit 1988 versucht wurde – nicht nur von dieser Regierung – und die jetzt zum ersten Mal greifbare Ergebnisse hatte, bei einer Konzeption, die grundsätzlich von allen mitgetragen wurde und die – wenn ich das, was im Ausschuss gesagt wurde, zugrunde legen darf – auch weiterhin von allen Fraktionen nachdrücklich unterstützt wird, hat die grundsätzliche Konzeption: Heimunterbringung statt U-Haft.

Meine Damen und Herren, was dann nach der Tat geschehen ist, das war zum einen die wirklich schnelle und umfassende Aufklärung der Landesregierung, das sofortige Anordnen eines Abschlussberichts, der in seinem umfassenden Ergebnis nach meinem Dafürhalten keine Lücken hat und im Sozialausschuss auch entsprechend diskutiert wurde, allerdings mit dem Ergebnis, dass die CDU die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses gefordert hat.

Im Sozialausschuss – das lässt sich in den Protokollen nachlesen – wurde dieser Vorstoß der CDU durchaus so verstanden, dass die CDU den Versuch der Skandalierung dieser Vorgänge als gescheitert betrachtet hat und versucht, mit diesem Untersuchungsausschuss quasi parlamentarische Rückzugsgefechte zu betreiben.

(Jullien, CDU: Das ist doch Quatsch! – Zuruf des Abg. Dr. Böhr, CDU – Zuruf des Abg. Bischel, CDU)

Lesen Sie es nach, Herr Böhr.

Ich habe das Gefühl, Sie waren alle im Sozialausschuss dabei oder haben das Protokoll gelesen.

(Baldauf, CDU: Er war dabei!)