Protocol of the Session on January 22, 2004

Wir kennen die Nachteile der Überbelegung: Arbeitsund Ausbildungskapazitäten reichen nicht, Therapie-, Sport- und Freizeitangebote fehlen. Die Arbeitslosigkeit nimmt überhand, und nicht sinnvoll ausgefüllte Freizeit bestimmt den Alltag. Wir wissen von unseren Besuchen mit der Strafvollzugskommission in den Justizvollzugsanstalten, dass vor allem die subkulturellen Beziehungen verstärkt werden.

Meine Damen und Herren, wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN möchten Staatsminister Mertin ganz dringend auffordern, sich auch in Rheinland-Pfalz dafür einzusetzen, dass durchgehend und konsequent eine Justizpolitik der verantwortbaren Haftvermeidung und -verkürzung betrieben wird. Damit Sie mich nicht falsch verstehen und hinterher nicht wieder der Vorwurf der richterlichen Unabhängigkeit aufkommt, ich möchte mich natürlich nicht dafür einsetzen, dass ein Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit vorgenommen wird.

(Pörksen, SPD: Aber?)

Aber ein Justizminister oder eine Justizministerin, die die Ziele der verantwortbaren Haftvermeidung und -verkürzung in ihren kriminalpolitischen Äußerungen und Festlegungen deutlich machen würde, würde auch die Bereitschaft von Richterinnen und Richtern und Staatsanwältinnen stärken, Verurteilungen und Vollstreckungen der Freiheitsstrafe wirklich nur als Ultima Ratio anzuwenden.

Schleswig-Holstein zum Beispiel entwickelt sich schon seit 1988, also unter Justizministerinnen und -ministern ganz unterschiedlicher Couleur, in diese Richtung, ohne dass dies negative Auswirkungen auf die Kriminalitätsbelastung im Land hat.

Meine Damen und Herren, ein wichtiger Punkt zur Entlastung der Gefängnisse und zur Verstärkung der Sicherheit vor Rückfalltätern ist die Verzahnung von interner und externer Integrations- und Behandlungsleistung. Aber dafür muss die Gerichtshilfe, die Bewährungshilfe und die freiwillige Straffälligenhilfe verstärkt werden. Dies war und ist immer wieder meine wichtigste Forderung im Strafvollzugsbereich gewesen, seit ich 1996 als frischgebackene rechtspolitische Sprecherin von einem zu lebenslänglicher Haft Verurteilten angesprochen worden bin, der damals in zwei Jahren, also insgesamt nach 15 Jahren entlassen werden sollte und der mich dringend darum gebeten hat, mich dafür einzusetzen, dass er wenigstens in den letzten beiden Jahren, die er im Gefängnis verbringen musste, an einer Therapie teilnehmen dürfte. Da er aber als nicht resozialisierbar galt, bekam er keine und wurde – so nehme ich an – entlassen, aber hat auch draußen keinen Anspruch auf Therapie und Unterstützung.

Justizminister Caesar sagte damals, dies sei rechtlich richtig, aber das Land habe dafür keine Verantwortung mehr. Seine Verantwortung gehe bloß bis zu den Mauern. Das ist natürlich rechtlich richtig, aber gesellschaftspolitisch nicht zu akzeptieren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir brauchen bei den Straffälligen das Gleiche, was für uns auch woanders, beispielsweise im Gesundheitssystem, bei der Jugendhilfe oder bei der Arbeit mit Behinderten, schon selbstverständlich ist: Wir brauchen ein durchgehendes Handlungskonzept, eine Vernetzung von stationären Maßnahmen im Gefängnis mit ambulanten Maßnahmen in der Freiheit, sobald der Strafgefangene entlassen ist. Darin liegt noch ein enormes Potenzial, das nicht nur mehr Sicherheit gewährt und geringere Rückfallquoten

gewährleistet, sondern das, ganz nebenbei, in einer angespannten Finanzlage kräftig Geld spart, meine Damen und Herren.

Ein aktiver Justizminister, der sein Geschäft im Gestalten und nicht im reinen Verwalten sieht, hätte sich dieser Idee schon lange angenommen. Schade für RheinlandPfalz, dass inhaltliche Innovation – von der technischen Innovation möchte ich jetzt nicht reden – für den Justizminister dieses Landes ein Fremdwort ist.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es spricht nun Herr Abgeordneter Creutzmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich mir anhöre, was wiederholt von Herrn Kollegen Baldauf sowie von Frau Grützmacher verkündet wird, und gleichzeitig daran denke, dass ich in der letzten Woche unter anderem mit Frau Ebli und Frau Staatssekretärin Lejeune die Veranstaltung „50 Jahre Sozialgericht in Speyer“ besucht habe, wo sich der Präsident des Landessozialgerichts, Herr Barz, beim rheinland-pfälzischen Parlament und bei der Landesregierung für die Mittel bedankt, die bereitgestellt werden, und für das, was im Justizhaushalt getan wird, dann weiß ich nicht mehr, in welcher Welt ich lebe, meine Damen und Herren. Einerseits höre ich die Horrorszenarien der Oppositionsfraktionen, und andererseits bedankt sich der Präsident des Landessozialgerichts. Sie müssen auch einmal zu diesen Veranstaltungen gehen; das wäre nicht schlecht.

(Beifall der FDP und der SPD – Frau Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir reden auch mit den Leuten!)

Dann würden Sie vielleicht auch hören, was Betroffene zu all Ihren Horrorszenarien erklären.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Wir reden mit den Leuten und hören, wo es klemmt! Und was hätte der Präsident des Obersozialgerichts sonst sagen sollen?)

Der Präsident des Obersozialgerichts hat ein Grußwort gesprochen. Er hätte doch nichts sagen müssen. Vielleicht hätte er auch etwas kritisieren können, dann hätten wir es gewusst, aber wenn er sich ausdrücklich bei den anwesenden Abgeordneten sowie bei der Staatssekretärin bedankt, muss es doch irgendeinen Grund dafür geben, Frau Kollegin Kohnle-Gros. Manchmal weiß ich nicht, auf welchen Veranstaltungen Sie sind.

(Beifall der FDP und der SPD)

Der Justizminister, das Ministerium und wir Abgeordnete können nur den Betrag für Gutachten einstellen, der in den letzten Jahren im Mittel ausgegeben wurde. Herr Kollege Baldauf hat dies auch kritisiert. Die Richter sind in ihrer Unabhängigkeit frei. Noch ein Gutachten, noch einen Beweis zu veranlassen, führt natürlich zu den außerplanmäßigen Ausgaben. Herr Kollege Baldauf, man meint, Sie wüssten das nicht, wenn Sie es beklagen.

Wenn Sie sagen, die Richter würden verschoben, so liegt dieses Ermessen auch in der Unabhängigkeit der Justiz begründet. Wenn es einen Mangel gibt, hilft man aus. Das ist im Schuldienst und überall sonst der Fall. Aber wenn Sie gleich von „verschoben“ reden, nur weil ein Richter einmal 20 Kilometer fahren soll, um woanders auszuhelfen, wo ein Kollege längere Zeit erkrankt ist, dann weiß ich nicht, mit welchem Verständnis Sie an diese Probleme in unserem Land herangehen.

(Beifall der FDP und der SPD)

Frau Kollegin Grützmacher, haben Sie noch nicht gewusst, dass es in Rheinland-Pfalz einen Korruptionsbeauftragten gibt? Wissen Sie nicht, dass uns andere Bundesländer dies nachgemacht haben? – Wenn es Korruptionsfälle gibt, die bekannt werden, so werden sie in allerschnellster Zeit abgeurteilt.

(Frau Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, das ist mir bekannt!)

Ja gut, und für dieses gibt es diesen Korruptionsbeauftragten, was für das ganze Bundesgebiet vorbildlich ist. Andere Bundesländer haben es uns nachgemacht.

Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf für das Justizressort werden die Rahmenbedingungen dafür geschaffen, dass im Interesse von Rheinland-Pfalz und unseren Bürgerinnen und Bürgern auch über das laufende Haushaltsjahr 2004 hinaus insbesondere die Modernisierung der Justiz weiter vorangetrieben und die Sicherheit im Strafvollzug weiter verbessert werden kann.

Dass uns dies trotz der äußerst angespannten Lage der öffentlichen Haushalte und Finanzen gelungen ist, zeigt einmal mehr die Innovationsfähigkeit dieser Landesregierung, auch in Zeiten knapper Kassen politische Schwerpunkte setzen zu können. Die Handlungsfähigkeit und Effizienz der rheinland-pfälzischen Justiz wird auch vor dem Hintergrund des vorliegenden Haushaltsentwurfs weiterhin gewährleistet.

Herr Kollege Baldauf, Ihre kritischen Anmerkungen

(Schweitzer, SPD: Kann er sich sparen!)

entbehren doch jeder Grundlage.

(Beifall der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Herr Kollege Baldauf, natürlich würden die Kollegin Reich und wir – alle beiden Koalitionsfraktionen – noch mehr Richter, die Sie gefordert haben, einstellen, wenn

die Mittel vorhanden wären, damit es in dem einen oder anderen Fall Verbesserungen gäbe.

(Baldauf, CDU: Das schreibe ich mir jetzt auf!)

Aber auch das Justizministerium muss seinen Beitrag in der Finanzsituation bringen, in der wir uns befinden. Dazu stehen wir.

Herr Kollege Baldauf, gerade die Belastungssituation der Richterinnen und Richter stellt sich nicht so dar, wie Sie dies und auch die GRÜNEN immer wieder versuchen, der Bevölkerung von Rheinland-Pfalz einzureden. Bundesweit ist die durchschnittliche Belastung der Richterinnen und Richter häufig höher als bei uns in Rheinland-Pfalz.

(Frau Reich, SPD: Sehr richtig!)

Das muss man immer wieder auch zur Kenntnis nehmen. Zudem müsste auch der CDU-Fraktion und den GRÜNEN bekannt sein, dass mehr Personal in der Justiz nicht automatisch zu schnelleren Erledigungen und somit kürzeren Verfahren führt.

Meine Damen und Herren, Frau Kollegin Reich – deswegen will ich mir das versagen – hat in eindrucksvoller Weise hier aufgeführt, was in den letzten Jahren in die Justiz, in die Sicherheit unseres Landes, in die Ausbauten der Justizvollzugsanstalten, in die EDV-Ausstattung investiert wurde. Ich versage es mir, das alles aufzuzählen. Das kann man alles im Protokoll nachlesen. Deswegen ist es richtig, in die Technik und die Inform ationstechnologie weiterhin zu investieren.

Herr Kollege Baldauf, Sie müssen zur Kenntnis nehmen, bereits heute sind die Fachgerichte mit einem Kostenaufwand in Höhe von 3 Millionen Euro flächendeckend mit neuer Informationstechnologie ausgerüstet, die eine sachgerechte, effektive und vor allem beschleunigte Verfahrensbearbeitung umfassend unterstützt. Vieles wird schneller als früher, was sich deutlich darin zeigt, dass die Verfahrensdauern – ich habe es schon gesagt – in vielen Bereichen unterdurchschnittlich sind.

Beispielsweise – Herr Kollege Baldauf, das wissen Sie auch, Frau Kollegin Reich hat es schon gesagt – weist die rheinland-pfälzische Verwaltungsgerichtsbarkeit im bundesweiten Vergleich die mit Abstand kürzesten Verfahrensdauern auf.

(Baldauf, CDU: Wenn wir überall dahin kommen, ist es okay!)

Selbstverständlich trägt die engagierte und sehr gute Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der rheinland-pfälzischen Justiz hierzu wesentlich mit bei. Dies möchte ich an dieser Stelle erwähnen, und ich möchte mich ausdrücklich – auch das hat Frau Kollegin Reich für ihre Fraktion und für die Koalitionsfraktionen bereits getan; ich wiederhole es – im Namen der FDP-Landtagsfraktion bei der Justiz sehr herzlich bedanken und ihr die Anerkennung aussprechen für die engagierte

Arbeit, die sie leistet im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger in diesem Land.

(Beifall der FDP und der SPD)

Der Haushalt 2004 stellt sicher, dass die Modernisierungsmaßnahmen – wie schon angesprochen – weiter fortgeführt werden. Nachdem die Einführung des elektronischen Grundbuchs bis im März abgeschlossen sein dürfte, erwartet die FDP-Fraktion, dass in diesem Jahr mit der Neuausstattung der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Staatsanwaltschaften mit moderner Informationstechnologie begonnen wird, wenngleich selbst in den kleinsten Amtsgerichten sehr gute Arbeit geleistet wird. Frau Kollegin Reich, es war interessant, als Sie vorhin gesagt haben, unsere Gerichte seien gut ausgestattet, habe ich von oben gesehen, wie der Kollege Baldauf zustimmend genickt hat. Das haben Sie wahrscheinlich übersehen. Also reden wir nicht alles schlecht. Arbeiten wir daran, was noch verbesserungsfähig ist.

Herr Kollege Baldauf, da gibt es gar keinen Dissens. Aber wir müssen immer wieder zur Kenntnis nehmen, dass die Justiz auch einen Beitrag erbringen soll, um mit den knapper werdenden Finanzmitteln auszukommen. Da haben wir das Problem mit der Unabhängigkeit der Juristen. Da werfen Sie dem Justizminister vor – auch die Frau Kollegin Grützmacher –, er sollte mehr gestalten. Wo kann er denn mehr gestalten? Die Gesetzgebung wird im Bund gemacht. Denken Sie nur einmal an die Diskussion um die Zusammenlegung von Gerichten. Wenn das kommt, gibt es Gestaltungsmöglichkeiten, meine Damen und Herren. Dazu brauchen wir die Bundesgesetzgebung.

Zum Zweiten ist er natürlich auch an die Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter und an deren Organisationsgewalt gebunden. Hier kann er nicht eingreifen, meine Damen und Herren.

(Frau Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Brauchen wir den Justizminister dann überhaupt noch?)