Protocol of the Session on January 22, 2004

Mich und sicher auch die Kollegen in den Regierungsfraktionen erreichen häufig Klagen über zumindest aus Sicht der Betroffenen völlig unsinnige arbeitsmarktpolitische Maßnahmen,

(Beifall bei der CDU)

wie zum Beispiel Seminare nur für ältere Arbeitslose mit wenig berufsbezogenem Inhalt, aber viel Werbung für eine vorzeitige Rente – die Arbeitslosenstatistikbereinigung lässt grüßen – oder der dritte EDV-Kurs für die 54jährige Sekretärin, den sie vielleicht sogar besser selbst hielte. Der in Verruf geratene Chef der Bundesagentur leidet, wie man hört, unter Indiskretionen, die von der Weiterbildungsindustrie lanciert worden sein sollen. Diesen will er nämlich durch erfolgsabhängige Leistungen das Leben etwas schwerer machen.

Frau Ministerin Dreyer, folgen Sie diesem Beispiel, haben Sie uns an Ihrer Seite.

In der Sozialpolitik gilt für alle Hilfemaßnahmen die Prämisse, in erster Linie Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Der Würde des Menschen entspricht es nicht, auf Dauer von staatlichen Hilfen abhängig zu sein.

Frau Ministerin, für die Landesregierung sollte als weitere Prämisse gelten, den Kommunen nur so weit und so lange Hilfe zu leisten, bis sie aus eigener Kraft hierzu in der Lage sind.

Die ausreichende Finanzausstattung der Kommunen ist Aufgabe des Landes. Es entspricht auch der Würde der Kommunen nicht, auf Dauer und in dem bisherigen Umfang von Fördertöpfen des Landes abhängig zu sein. Starke Kommunen können ihren in Not geratenen Bürgerinnen und Bürgern am besten helfen. Dies setzt neben einem angemessenen Finanzausgleich und einem grundsätzlichen Wechsel in der sozialpolitischen Praxis dieses Landes auch ein Überdenken sozialpolitischer Entwicklungen voraus. Hier gibt es in Einzelbereichen Fehlentwicklungen. Ich erinnere an unsere Diskussion zu § 35 a KJHG, die es einzudämmen gilt. Ich bin dankbar, dass dies auch von der Landesregierung so gesehen wird. Unser Ziel muss es sein, die immer weniger werdenden öffentlichen Mittel möglichst zielgenau und wirksam für wirklich Not leidende Menschen einzusetzen, damit diese sich wieder selbst helfen können.

Wenn wir uns in diesem Ziel einig sind, sollte es uns auch gelingen, uns in der Bewertung der Leistungen zumindest anzunähern.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Grosse das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Thelen, um Ihnen zu verdeutlichen, wie sehr Sie sich irren, wenn Sie von unzureichender Wirkung sprechen, was die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen angeht, möchte ich noch einmal aus der Publikation der Bertelsmann-Stiftung zitieren, die unter der Überschrift „Die Bundesländer im Standortwettbewerb“ erschienen ist. Dort heißt es: „Ursächlich dafür“ – also für den Erfolg von Rheinland-Pfalz – „sind die zahlreichen Initiativen der Landesregierung, die zum Teil als Vorbild für andere Länder dienen können, wie etwa die durchgreifende Verwaltungsreform und“ – das ist jetzt für uns ganz wichtig – „Maßnahmen der Integration Arbeitsloser in den Arbeitsmarkt.“

Meine Damen und Herren, Sie sehen, die Luft ist nicht raus – im Gegenteil. Wir pumpen Ideenluft in andere Länder, und diese sind uns dankbar dafür.

(Beifall bei SPD und FDP)

Die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen in RheinlandPfalz werden in der Publikation der Bertelsmann-Stiftung ausdrücklich hervorgehoben und zeigen, dass wir in Rheinland-Pfalz auf Landesebene eine überaus erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik betreiben. Das freut uns.

Meine Damen und Herren, wir haben nach BadenWürttemberg und Bayern den dritten Platz gefestigt, was die Zahl der Arbeitslosen angeht. Die Besonderheit besteht darin, dass wir Bayern in dem Unterschied immer näher rücken.

Meine Damen und Herren von der CDU, ausgerechnet bei diesen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wollen Sie dramatische Kürzungen vornehmen. Herr Böhr hat gestern ausführlich erläutert, dass eine Mittelerhöhung für Schulen und Universitäten nach Meinung der CDU zwingend notwendig sei und Qualifikationen an Schulen und Universitäten eine große Bedeutung eingeräumt würde. Zumindest dem letzten Teil können wir uneingeschränkt zustimmen. Aber bei den Qualifikationen für Menschen, die arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit bedroht sind, wollen Sie kategorisch streichen. Sind Ihnen diese Menschen weniger wert?

(Beifall bei der SPD)

15 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr wollen Sie bei den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen streichen. Der Ministerpräsident hat gestern in diesem Zusammenhang von unserer sozialen Verantwortung gesprochen. Das ist genau der Punkt: Unsere soziale Verantwortung denjenigen gegenüber, die in dieser Gesellschaft benachteiligt sind.

(Beifall bei SPD und FDP)

Wir jedenfalls wollen diese Menschen nicht allein lassen. Ich will Ihnen das an zwei Beispielen erläutern. Frau Thelen, das, was die Arbeitsmarktpolitik angeht, ist verhältnismäßig interessant. Die Landesregierung hat sehr flexibel und schnell auf die aktuelle Lage auf dem Ausbildungsmarkt reagiert, und zwar das Sonderprogramm der Bundesregierung „Jump plus“ mit einem eigenen Sonderprogramm flankiert. Bei diesem Sonderprogramm werden Jugendscouts eingesetzt, die kommunal vor Ort als Streetworker junge Menschen aufsuchen sollen, die wir sonst nicht erreichen können, um ihnen den Einstieg in das Berufsleben entweder zu ermöglichen oder zu erleichtern.

Frau Thelen und meine Damen und Herren von der CDU, das ist aktive Arbeitsmarktpolitik. Darauf wollen Sie verzichten?

Das zweite Beispiel ist die Integration ganz allgemein von arbeitslosen Frauen. Sie wissen, dass Frauen, wenn sie arbeitslos geworden sind, überaus große Schwierigkeiten haben, in den Arbeitsmarkt wieder einzutreten. Insgesamt mit einem Volumen von 14 Millionen Euro werden arbeitsmarktpolitische Projekte in diesem Haushalt gefördert, die diese Integration von Frauen forcieren sollen. Da habe ich ein sehr schönes Beispiel aus meinem Landkreis Mainz-Bingen, das heißt „FiT“, „Frauen in Teilzeit“. Das sind spezielle Maßnahmen für allein erzie

hende Frauen, die eine Ausbildung in Teilzeit absolvieren können.

Diese beiden Beispiele habe ich deshalb ausgesucht, weil wir in der Enquete-Kommission mit dem Schwerpunkt „Ausbildungsmarkt“ über jede einzelne Maßnahme dankbar waren, die entweder jungen Menschen einen Weg in die Ausbildung bringen oder jungen Frauen, die in Teilzeit eine Ausbildung machen wollen. Für jede Maßnahme waren wir dankbar. Wenn Sie sagen, Sie wollen um 15 Millionen Euro kürzen, dann muss Ihnen klar sein, dass Sie damit jede Maßnahme rasieren und nicht sagen können: Die gefällt uns, die lassen wir. – Sie lassen damit keinen Spielraum mehr übrig. Das halten wir von der SPD für außerordentlich bedenklich.

(Beifall bei SPD und FDP)

Im Übrigen erscheint es natürlich auch sinnvoll, die Hartz-Reform, deren Umstrukturierungen entweder schon eingetreten sind oder die noch eintreten werden, sehr intensiv zu begleiten.

Ich möchte noch einmal den Fraktionsvorsitzenden der CDU zitieren, der gestern knapp und kurz verkündet hatte: Hartz bringt nichts. – So einfach war das. Nun war ich zufälligerweise am Montag bei einem Arbeitsmarktgespräch des ehemaligen Arbeitsamts in Mainz, das jetzt „Agentur für Arbeit“ in Mainz, heißt. Dort wurde uns eine ganz neue Statistik vorgestellt, die besagte, dass beispielsweise in Rheinhessen die Arbeitslosenquote, würde es Hartz nicht geben, nicht bei 7,5 %, sondern vielmehr bei 8,7 % liegen würde. Ich denke, das ist doch ein sehr zufrieden stellendes Ergebnis, meine Damen und Herren.

(Beifall bei SPD und FDP)

Natürlich sieht der Regierungsentwurf für 2004 eine Kürzung der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen vor, weil wir einen Sparhaushalt haben und wir natürlich dem gerecht werden müssen – das ist klar. Nur, der beläuft sich auf 3 Millionen Euro. Das halten wir vonseiten der SPD-Fraktion für vertrauensvoll und für angemessen. Abgesehen davon möchte ich der Landesregierung ausdrücklich dafür danken, dass alle Kürzungen in enger Absprache mit den jeweiligen Trägern vorgenommen werden, sodass es hier keine Überraschungen gibt.

Um es ganz klar zu sagen, die CDU lässt Menschen in überaus schwierigen persönlichen Situationen mit einem Streichungskonzept von 15 Millionen Euro im Stich, abgesehen davon, dass uns die gesamte Trägerlandschaft, die über viele Jahre intensiv aufgebaut worden ist, zusammenbrechen würde und ich auch nicht davon spreche, wie viel Geld uns durch den ESF verloren ging. Das ist für uns nicht zu machen. Dieser Änderungsantrag der CDU ist für uns – was Sie vielleicht nicht überraschen wird – völlig indiskutabel.

Damit komme ich zum zweiten Änderungsantrag der CDU, zur Arbeitsmarktpolitik. Dies betrifft die Technologieberatungszentren. Ich glaube, dabei ist Ihnen ein Fehler unterlaufen. Das letzte Mal hatten Sie in Ihrem Antrag noch als Begründung geschrieben: Einstellung der Förderung angesichts erreichten Informationsstan

des. – Die Begründung, die Sie jetzt mündlich gegeben haben, ist ähnlich. Sie sagen: Eigentlich hat sich das erledigt. Jetzt brauchen wir die Beratungszentren nicht. – Das ist nach unserer Auffassung weit gefehlt. Wir wollen, dass weiterhin die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingebunden bleiben und an der innovativen Gestaltung der Arbeitsmarktpolitik beteiligt bleiben. Wenn Sie den Finanzhilfebericht auch da so intensiv gelesen haben wie bei den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, werden Sie festgestellt haben, wie weit die Bandbreite bei diesen Technologieberatungsstellen ist und dass wir auf keinen Fall darauf verzichten wollen, weil auch betriebliche Strukturen an eine globalisierte Arbeitswelt angepasst werden.

Wenn ich jetzt von Strukturen und Anpassung von Strukturen spreche, komme ich auf das Zitat von Herrn Böhr zurück, dass der Regierung bzw. dem gesamten Haushaltskonzept der Wille zur politischen Gestaltung fehle. Meine Damen und Herren, es geht darum, durch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen in den Haushalten politische Gestaltung zu fixieren. Das zeichnet sich aus in der Arbeitsmarktpolitik. Das zeichnet sich auch aus in der Familienpolitik, unter anderem dadurch, dass wir seit 1993 eine bundesweit vorbildliche Erziehungshilfeoffensive haben, dass wir dadurch beispielsweise die Heimunterbringung drastisch haben reduzieren können und wir auch auf kommunaler Ebene Jugend- und Erziehungshilfe durch diese Modelle forciert haben.

Was uns ebenfalls bei der Familienpolitik freut – da stimmen wir mit Ihnen überein, Frau Thelen –, ist, dass das Netz der Beratungsstellen unverändert bleiben kann und es keine Kürzung geben wird, weder bei der Suchtberatung noch bei anderen Beratungsstellen.

Das halten wir für wichtig, um damit auch zu verdeutlichen, dass es nicht nur soziale Randgruppen sind, die solcher Beratungen bedürfen, sondern auch ganz normale Familien, die Kinder großziehen, die heranwachsen.

(Vizepräsident Creutzmann übernimmt den Vorsitz)

Meine Damen und Herren, des Weiteren wurde ein Familienbeirat gegründet. Das entspricht dem Anliegen unserer Fraktion. Frau Thelen, wir sehen die Probleme, die Sie vorhin angedeutet haben, überhaupt nicht. Es wird eine gute Verzahnung mit dem Ministerium für Bildung, Frauen und Jugend geben. Darum sehen wir dem sehr gelassen entgegen.

Lassen Sie mich noch auf zwei sehr wichtige Punkte und die damit verbundenen Strukturen eingehen, die sich in den letzten Jahren sehr klar gezeigt haben. Es geht um die Pflege und um die Politik für behinderte Menschen.

Wir begrüßen ausdrücklich die Qualitätsoffensive der Landesregierung „Menschen pflegen“. Dieser Offensive werden im neuen Jahr noch weitere Impulse hinzugefügt, wie regionale Modellprojekte und auch das persönliche Budget, mit dem wir schon sehr gute Erfahrungen bei der Politik für Menschen mit Behinderungen gemacht haben.

Wir haben dort bei dem Projekt „Hilfe nach Maß“ ein persönliches Budget für Menschen mit Behinderungen installiert, das heißt, dass das Modell darin besteht, dass sich die behinderten Menschen Leistungen einkaufen können, um selbstständig und selbstbestimmt leben zu können. Dadurch werden gleichzeitig Heimaufenthalte vermieden.

Ich möchte Ihnen gern ein Beispiel aus unserem Landkreis Mainz-Bingen nennen. Dort ist es so gewesen, dass das Modell „Hilfe nach Maß“ seit einem Jahr läuft und Einsparungen in Höhe von 130.000 Euro bereits im Jahr 2003 zu erkennen waren. Die Fachleute gehen davon aus, dass sich, wenn dieses Modell weiterhin und intensiver läuft, die Ersparnisse im Landkreis noch weiter erhöhen werden.

Damit will ich sagen, dieser Paradigmenwechsel von stationär zu ambulant ist von so tief greifender Bedeutung, dass es nicht nur den Menschen hilft, selbstbestimmt zu leben, sondern natürlich auch die Kassen sowohl auf Landesebene wie auch auf kommunaler Ebene erheblich entlastet.

Ein Letztes möchte ich Ihnen erzählen. Wir waren vor kurzen bei dem Jahresgespräch der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) „Selbsthilfe für behinderte Menschen“. Zwei Betroffene, die in dem Modellprojekt „Hilfe nach Maß“ leben, haben dargestellt, wir sie ihr neues Leben gestalten, eine Dame und ein Herr.

Ich muss dazu sagen, dass mich das überaus beeindruckt hat, dass sie sich überhaupt getraut haben, in einem doch verhältnismäßig großen Personenkreis ihr neues Leben darzustellen und wie sehr klar wurde, wie glücklich diese Menschen mit der neuen Form ihres Lebens sind.

Meine Damen und Herren, das ist in jedem Fall eine Politik, die wir weiterverfolgen wollen. Wenn man Zeuge einer solchen Berichterstattung wird, dann sind das die schönen Momente in der Politik. Ich denke, darauf können wir in Rheinland-Pfalz stolz sein.

(Beifall der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, um noch einmal auf die von mir zu Anfang erwähnte Publikation der Bertelsmannstiftung zurückzukommen, ich meine, dass wir in Rheinland-Pfalz bundesweit in sehr vielen Dingen, in sehr vielen Modellen und in sehr vielen strukturellen Veränderungen Vorbildfunktionen einnehmen können und eingenommen haben.

Sie können sich darauf verlassen, dass Sie mit der SPD weiterhin auch in schwierigen Zeiten und trotz eines Sparhaushalts eine verantwortungsvolle und zuverlässige Sozialpolitik in Rheinland-Pfalz erleben werden.

Ich danke Ihnen.

(Beifall der SPD und der FDP)