Protocol of the Session on December 11, 2003

Die große Herausforderung und ganz schwierige Frage ist natürlich, wie wir diese Frauen erreichen. Wir wollen niedrigschwellige Hilfskonzepte. Wir wollen die Vernetzung von verschiedenen Beratungsstellen. Ein wichtiger Punkt in unserem Antrag ist, wir wollen, dass in den Aufklärungskonzepten in den Schulen die Themen „Anonyme Geburt“ und „Babyfenster“ aufgenommen werden, weil wir verdeutlichen wollen, dass es auch im Fall einer ungewollten Schwangerschaft vielfältige Hilfsmöglichkeiten und Konzepte gibt und es immer auch Alternativen zu einer Abtreibung gibt. Das ist uns auch wichtig.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, bei der Diskussion haben wir zwei elementare Grundrechte zu beachten, auf die Frau Grosse schon eingegangen ist. Es ist das Recht auf Leben und das Recht auf Identität. Diese beiden Rechte ringen in diesem Punkt miteinander. Das ist eine sehr schwierige und ungewöhnliche Konstruktion. Diese Problematik muss sicherlich auch sehr vorsichtig gehandhabt werden.

Es gibt aber Ansätze, beispielsweise hier in Mainz. Es gibt Möglichkeiten, wie man das handhaben kann. Wir haben für uns festgelegt – ich denke, dass viele diese Meinung teilen können –, dass das Recht auf Leben in diesem Punkt dem Recht auf Identität klar vorgeht.

(Beifall bei CDU, SPD und FDP)

Wir wissen, dass bereits heute schon anonyme Geburten in vielen Kliniken durchgeführt werden. Die Ärzte, die Hebammen, die Schwestern und die Pfleger bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone. Sie haben einen Anspruch auf eine vernünftige Regelung. Sie haben uns in Gesprächen mehrfach darauf hingewiesen, dass wir in diesem Bereich endlich tätig werden müssen. Man kann nicht hingehen und sagen: Na ja, es läuft ganz gut, wir brauchen keine Regelung. – Damit werden wir den Menschen, die damit arbeiten, nicht gerecht.

Ich habe mir aus Ihrem Antrag ein paar Punkte herausgeschrieben, die ich wirklich nicht nachvollziehen kann. Ich denke, es ist zum Teil zynisch. Sie schreiben bei

spielsweise: „Die bloße Hoffnung, dass Leben gerettet wird, reicht zur Rechtfertigung eines Eingriffs in elementare Rechtspositionen nicht aus.“ Ich denke, wir haben sicherlich mehr als die bloße Hoffnung, Leben zu retten. Wo stellt sich denn die Frage der Identität bei einem toten Baby? Das Kind, das in Karlsruhe gefunden wurde, wird sich niemals die Frage nach seiner Identität stellen können. Darum geht es doch.

(Beifall bei CDU, SPD und FDP – Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ich werde Ihnen das nachher noch einmal erklären!)

Es gibt viele weitere Punkte, von denen ich einen nennen möchte. Sie schreiben, es gebe keinerlei Hinweise dafür, dass anonyme Angebote das Leben von Kindern retten könnten. Ich muss zugeben, ich kann das natürlich mit Zahlen nicht belegen. Genauso wenig können Sie es aber auch. Sie können es auch nicht beweisen. Wir wissen nicht, wie sich die Zahlen der Tötungen oder Aussetzungen entwickeln würden, wenn es all diese anonymen Angebote nicht gäbe. Ich bin überzeugt, dass vielen Kindern, die an einem Babyfenster abgelegt wurden, dadurch das Leben gerettet wurde. Wir müssen doch sehen, die Alternative dieser Kinder war doch nicht, in einer liebevollen Familie groß zu werden. Die Alternative ist doch, missbraucht, ausgesetzt oder getötet zu werden. Das ist doch die Alternative dieser Kinder.

(Beifall bei CDU, SPD und FDP – Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Alternative ist die reguläre Adoption!)

Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen, der mich wirklich auch umgetrieben hat. Ich habe mich wirklich über Ihr Frauenbild gewundert. Sie schreiben: „Es ist nicht sichergestellt, dass die Babyklappen tatsächlich von denjenigen Frauen benutzt werden, die sich in ausweglosen Lagen befinden.“ Ich frage mich: Von wem denn sonst? Keine Frau gibt doch leichtfertig ihr Kind irgendwo ab. Was unterstellen Sie denn den Frauen? Ich denke, es ist sehr anmaßend zu behaupten, sie befinden sich nicht in einer Notlage.

Ich nenne noch den Punkt, in dem Sie die Praxis der anonymen Geburt beschreiben. Es wird so geschildert, die ganze Familie geht ins Krankenhaus, die Frau bekommt dort das Kind, lässt es dort und alle gehen wieder fröhlich nach Hause. So ist es doch nicht. Ich denke, es ist wirklich zynisch und anmaßend.

Ich denke, Ihr Punkt ist, Sie befürchten, dass man Druck auf die Frauen ausüben kann. Ich fürchte, in diesem Punkt haben Sie Recht, da bin ich bei Ihnen. Man kann wahrscheinlich Druck auf Frauen ausüben. Dann seien Sie bitte so konsequent und argumentieren Sie so künftig auch gegen Abtreibungen, denn am Beginn einer Schwangerschaft können Sie auf die Frauen noch viel mehr Druck ausüben.

(Beifall der CDU)

Meine Damen und Herren, in unserem gemeinsamen Antrag geht es darum, mit einem erweiterten Angebot die Gesundheit von Mutter und Kind zu verbessern und

Todesfälle zu vermeiden. Wir bitten Sie daher um Ihre Unterstützung.

Vielen Dank.

(Beifall bei CDU, SPD und FDP)

Ich erteile Frau Abgeordneter Morsblech das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute in dieser Debatte mit schwangeren Frauen, die in extremen Notsituation sind, und mit ihren Kindern, die in diesen Extremfällen ohne medizinische Hilfe zur Welt kommen und dann in einigen Fällen ausgesetzt oder getötet werden.

Von meinen Vorrednerinnen wurde schon gesagt, es geht hierbei um die Frauen, die wir mit den bestehenden Beratungsangeboten nicht erreichen und die ihre Lage offenbar als ausweglos ansehen. Es geht darum, Aussetzungen oder Tötungen von Neugeborenen zu verhindern. Es geht auch darum, diesen Frauen, die ihre Schwangerschaft verheimlichen und die Geburt anonymisieren wollen, medizinische Hilfe für sich, aber auch für ihr Kind bei der Geburt zu ermöglichen.

Die Statistik ist in der Tat sehr dürftig, was Frau Kollegin Grosse schon angesprochen hat. Bundesweit soll sich die Zahl dieser Fälle auf rund 40 bis 50 beziffern. Im Bundesdurchschnitt werden im Jahr zwischen 20 und 24 unmittelbar nach der Geburt getötete Kinder gefunden. Fachleute vermuten sogar, dass die Dunkelziffer bis zu 40-mal so hoch ist, weil es oft ein reiner Zufall ist, ob ein getötetes Neugeborenes gefunden wird oder nicht.

Ich glaube, diese Fälle und die damit verbundenen Zahlen, die wir versuchen zu verstehen, kann man kognitiv kaum erfassen. Man kann auch diese Situation kaum mit dem Geist erfassen. Da stimme ich mit Frau Kollegin Grosse überein. Für mich ist es schon ein politisch unübersehbares Signal dafür, dass in diesem Punkt in irgendeiner Form Handlungsbedarf besteht. Es kommt dabei nicht auf die exakten Zahlen an, sondern für uns sollte jedes getötete Kind ein totes Kind zu viel sein. Wir sollten uns dann ernsthaft auch damit auseinander setzen.

In Rheinland-Pfalz gibt es mittlerweile in Bad Kreuznach, Koblenz, Ludwigshafen, Mainz, Trier und Worms Babyklappen. Im Ausschuss haben wir uns ausführlich über diese Angebote informieren und austauschen können.

Anders als beim Aussetzen des Kindes hat die Frau hier die Möglichkeit, diese Entscheidung rückgängig zu machen. Ich denke, dieser Punkt ist gerade auch im Hinblick auf die anonyme Geburt wichtig. Wenn Sie argumentieren, dass die Frauen möglicherweise unter Druck stehen, wenn diese Angebote in Betracht gezogen werden, dann ist es gerade dann wichtig, dass zusätzlich eine Beratungsmöglichkeit da ist, was bei der Babyklap

pe und bei der anonymen Geburt der Fall ist. Es ist auch für diese Frauen eine Möglichkeit vorhanden, diesen Vorgang rückgängig zu machen.

Ich denke, dies ist etwas, was man vielleicht an dieser Stelle noch einmal überdenken sollte, wenn man Ihrer Argumentation folgt.

Wie gerade gehört, lösen die Babyklappen das Problem nur zu einem Teil; denn durch anonyme Abgabe des Neugeborenen nach der Geburt kann zwar das Leben des Kindes möglicherweise erhalten werden, allerdings gibt es immer noch keine medizinische Versorgung und Betreuung des Kindes und der Mutter vor, während und nach der Geburt.

Der Verein „SterniPark“ ist genannt worden. Der Sozialdienst katholischer Frauen in Amberg macht eine ähnliche Initiative. Wenn man sich mit dem Personal in rheinland-pfälzischen Krankenhäusern unterhält, gibt es die Rückmeldung, dass tatsächlich anonyme Geburten durchgeführt werden. Dies bewegt sich alles in einer rechtlichen Grauzone für die handelnden Ärzte und Ärztinnen, Hebammen, Pflegerinnen und Pfleger. Das ist nicht ganz einfach, weil die Beteiligten wie das Personal und die Betroffenen nach dem Personenstandsgesetz verpflichtet sind, eine Geburt dem Personenstandsregister zu nennen und die notwendigen Angaben über die Identität der Mutter zu machen.

Auf Bundesebene ist der Gesetzgebungsvorgang, der versucht wurde anzustoßen, zu einer unendlichen Geschichte geworden. Initiativen des Bundestages und des Bundesrates liegen nunmehr zum Teil seit zwei Jahren in den Ausschüssen. In der Zwischenzeit hat sich einiges getan. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einem Urteil eine Regelung des französischen Rechts zur anonymen Geburt für vereinbar mit den europäischen Rechtsnormen erklärt. Frau Thomas, Sie haben auch so argumentiert. Wie im Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN formuliert, ist nach französischem Recht der Name der Mutter den Behörden bekannt. Aber auch in Frankreich hat das Kind hinterher keinen Anspruch auf die Herausgabe dieser Daten. Wenn man so argumentiert, muss man das berücksichtigen.

Es gibt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Januar 1989, das das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sieht, aber diese Ansprüche eines Kindes auf das Recht der Kenntnis der eigenen Herkunft sind mit dem Recht des Kindes auf Leben mit Sicherheit abzuwägen. Nach meiner Ansicht muss eine rechtliche Regelung überdacht werden, die dazu führt, dass ein neugeborenes Kind sein Recht auf Leben wegen rechtlicher Rahmenbedingungen nicht durchsetzen kann. Der Anspruch auf Leben und Gesundheit von Mutter und Kind muss vor dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung stehen.

Wenn man diese Abwägung trifft, dann ist mir Ihre umfangreiche Argumentation in keiner Weise schlüssig und nicht wirklich fassbar. Das sehe ich genauso wie meine Kollegin von der CDU. Gleichzeitig legen Sie wieder ein ähnliches Frauenbild zugrunde, wie wir das in der De

batte um die Präimplantationsdiagnostik schon gesehen haben. Schwangerschaft und Geburt, in diesem Fall das Annehmen oder komplette Abweisen des eigenen Kindes, sind mit Sicherheit keine persönlichen Belange, mit denen Frauen leichtfertig umgehen können.

(Beifall der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Mit nicht gesicherten Zahlen, die Sie heranziehen, unterstellen Sie, dass durch die Möglichkeit der anonymen Geburt Frauen dazu verleitet würden, ihre Kinder nicht nur leichtfertig abzugeben, sondern ihnen ihre Identität und Herkunft zu verweigern. Für mich ist diese Argumentation mit meinem Menschenbild nicht vereinbar und nicht nachvollziehbar. Im Übrigen können Sie zahlenmäßig nur Prognosen abgeben, die dann nicht unbedingt schlüssig sind.

In Ihrem Antrag legen Sie einen besonderen Schwerpunkt auf die Beratung. Das ist gut so. Das tun wir in unserem Antrag auch. Gerade in den Fällen, in denen die Notlage so drückend ist, dass die Geburt anonym stattfindet, ist es nur möglich, Frauen mit einem Beratungsangebot zu erreichen, wenn man ihnen die Chance zur medizinischen Hilfe bei gleichzeitiger Wahrung der Anonymität bietet, nämlich wenn sie Stellen aufsuchen können, bei denen sie medizinische Hilfe und entsprechende Beratung bekommen. Diese Chance wollen wir zusätzlich eröffnen. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass Beratungsgespräche vor und nach der Geburt, wenn sie anonym in einem so geschützten Rahmen stattfinden können, dazu beitragen, schwangere Frauen psychisch zu entlasten. Das soll die Möglichkeit enthalten, ohne Druck darüber nachzudenken, ob sie ihr Kind annehmen oder nicht. Dabei nehmen rund 50 % der Betroffenen nach Erfahrungen in anderen Ländern ihr Kind im Nachhinein an und verzichten auf eine anonyme Geburt.

Nur mit einer rechtlichen Regelung kann man es möglich machen, dass eine solche Entscheidung anders als beim einfachen Aussetzen des Kindes rückgängig gemacht werden kann und die Mutter zumindest die Möglichkeit hat, eine Nachricht für das Kind zu hinterlassen, die dieses Kind an seinem 16. Geburtstag ausgehändigt bekommen kann. So steht es in den bisherigen Gesetzesinitiativen drin. Ich denke, das ist ein wichtiger Aspekt.

Eine frühzeitige und umfassende Sexualaufklärung und niederschwellige, flächendeckende und bekannte anonyme Beratungsangebote stehen nach meiner Ansicht in keiner Weise im Gegensatz zur rechtlichen Absicherung der anonymen Geburt. Nein, Hilfsmöglichkeiten müssen im Interesse der betroffenen Frauen und Kinder ineinander greifen. Wenn wir das Recht auf Leben in den Vordergrund stellen, ist es nach wie vor geboten, im Bereich der anonymen Geburt zu einer rechtlichen Regelung zu finden, die Frauen und Kindern Sicherheit gibt.

Es wäre schön, wenn wir gerade als Landespolitikerinnen, die wir die Realität in Krankenhäusern und bei den Anbietern von Babyklappen kennen, mit einer Stimme hätten sprechen können. Leider hat das nicht geklappt.

Ich denke, es ist trotzdem schön, dass wir immerhin mit drei Fraktionen einig sind. Ich hoffe, dass wir mit unserem Antrag und unserem gemeinsamen Votum im Fortgang etwas bewegen können.

Vielen Dank. (Beifall der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Frau Abgeordnete Ise Thomas hat das Wort.

Meine Damen und Herren! Ich will mit einem Beispiel aus der Praxis beginnen. Am 1. Februar 2001 wurde in einem öffentlich-rechtlichen Sender im Fernsehen der Beitrag gesendet „Deutschlands erste anonyme Geburt“. Das war ein Filmbeitrag über eine anonyme Geburt in Hamburg, die durch den Verein „SterniPark“, von dem schon ein paarmal die Rede war, dokumentiert und dargestellt wurde. Im Anschluss an den Film gab es in vielen Krankenhäusern die Nachfrage, ob man in diesen Krankenhäusern anonym gebären könne, also das Kind anonym zur Welt bringen könne. Professorin Swientek hat versucht zu erfahren, was das für Paare und Kindsmütter waren, die nachgefragt haben bzw. ihr Kind anonym zur Welt gebracht haben. Die Krankenhäuser haben ohne den Namen viele Daten und die Problemsituationen der Frauen notiert, weil sie sich in ihrer rechtlichen Situation unsicher waren. Ich will Ihnen sechs Beispiele geben, die in vier Krankenhäusern recherchiert werden konnten.

Ein Ehepaar verlangte die anonyme Geburt. Der Kindsvater war anderweitig verheiratet. Man wohnte in einer Kleinstadt. Man wollte das Kind anonym zur Geburt bringen und zur Adoption freigeben.

Beim zweiten Fall war die Kindsmutter nicht krankenversichert. Sie wollte das Kind auch nicht behalten.

Beim dritten Fall war die Kindsmutter Prostituierte. Sie hatte schon mehrere Kinder, die alle versorgt wurden. Sie hatte diese in einem regulären Adoptionsverfahren freigegeben.

Beim vierten Fall erschien die Kindsmutter mit Freund, Mutter und Vater und verlangte die anonyme Geburt, weil sie vergewaltigt wurde.

Beim fünften Fall wollte die Kindsmutter die Schwangerschaft vor ihrem neuen Freund geheim halten, da er nicht der Kindsvater war. Sie wollte ihn wegen des Kindes nicht verlieren.

Beim sechsten Fall kam eine junge türkische Frau mit ihren Eltern. Diese verlangten von ihrer Tochter den Verzicht auf das Kind, die totale Anonymität und die sofortige Krankenhausentlassung nach der Entbindung.

Ich habe diese Situationen beschrieben, weil alle, vielleicht mit Ausnahme des letzten, „tägliches Brot“ der