Protocol of the Session on July 10, 2003

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nachdem nun dreimal die Positition des VCI, des Verbands der Chemischen Industrie, und der IG BCE, aber nicht die Vereinbarung der gemeinsamen Position, die die Bundesregierung mit der IG BCE und dem VCI geschlossen hat, vorgetragen wurde, weil dies inzwischen weitgehend umgesetzt ist, will ich noch einmal dazu Stellung nehmen, was in der Zwischenzeit erreicht wurde.

(Zurufe von der SPD und von der FDP)

Meine Damen und Herren, wir haben schon zweimal über das EU-Chemikalienrecht diskutiert. Ich halte es für sinnvoll, wenn wir darüber diskutieren, dass wir auch die Zwischenstufen resümieren, was erreicht worden ist. Erreicht ist, dass Tonnagen unter einer Jahrestonne überhaupt nicht mehr in diese Verpflichtungen fallen. Das war einer der Hauptkritikpunkte, wenn man Stoffe zur Innovation herstellt, dass man gehemmt ist, wenn alle Stoffe untersucht werden müssen.

Wir haben einen großen – ich sage dies einmal so – Befreiungsschlag für die Industrie gesehen, wobei ich erwähnen will, dass diese Tonnagen unter einer Tonne durchaus verbraucherschutzrelevant sein können.

Wir haben zwischen einer Tonne und zehn Jahrestonnen ein Standardverfahren – Herr Hohn, Sie haben es erwähnt –, das in Deutschland sowieso schon angewendet wird und uns keine zusätzlichen Mühen macht. Wir wollten ursprünglich mit dem gemeinsamen Positionspapier, dass sich das auf europäischer Ebene durchsetzt. Nun hat die europäische Ebene sogar nur noch einen Standard, der unterhalb des deutschen Standards liegt.

Natürlich kann man darüber reden, wie man Bürokratieabbau noch weiter vorantreibt und man nicht alles verkompliziert. Meine Damen und Herren, aber Sie müssen sich schon entscheiden.

Herr Ramsauer, Sie haben eine fulminante Rede für den Verbraucherschutz, die gemeinsame Position, die die Bundesregierung, der VCI und die IG BCE erreicht haben, gehalten, aber Sie haben nicht gesagt, dass der VCI schon viel weiter ist in der nächsten Schlacht und nicht mehr diese gemeinsame Position umsetzen will, sondern sich von der gemeinsamen Position entfernt hat.

Ich glaube, es täte uns gut, wenn wir im Parlament gemeinsam sagen würden, es gibt einen Punkt, der ist erreicht, wenn die gemeinsame Position umgesetzt ist, und wir wollen uns diese EU-Richtlinie, die wir alle befürwortet haben – Herr Ramsauer, Sie haben das auch gesagt –, weil wir für den Gesundheits- und Verbraucherschutz eine solche gemeinsame Richtlinie brauchen, nicht durch die Lobbyarbeit vom VCI kaputtschießen lassen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich glaube, das müssen wir festhalten; denn inzwischen geht die Diskussion so weit, wie können wir überhaupt verhindern – so die Lobbygruppen –, dass in dieser Legislaturperiode des Europäischen Parlaments noch abgestimmt wird. Darauf geht im Moment die Zielrichtung, nämlich dass durch die verlängerte Anhörung im Internet diese Richtlinie überhaupt nicht mehr in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird, sondern angezielt wird, in die nächste Legislaturperiode zu kommen, in der zehn Mitgliedstaaten mehr aus Osteuropa dabei sind und das ganze Verfahren von vorn aufgerollt wird.

Ich möchte für unsere Fraktion noch einmal deutlich sagen, wir stehen dazu, dass wir einen gemeinsamen europäischen Standard auch bei den Chemikalien durchsetzen, wir stehen dazu, dass wir Verbraucherschutz betreiben wollen und müssen und wir nicht nur die eine Seite betrachten, sondern beide Seiten im Auge behalten müssen. Deswegen unterstützen wir weiterhin einen Kompromiss so, wie er in der gemeinsamen Pos ition festgehalten ist.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Hohn, die Diskussion wird auch dann nicht ehrlicher, wenn Sie und Herr Dr. Gölter sagen, es handele sich um 1.200 Seiten. Mein Gott, Gesetze umfassen nun einmal 1.200 Seiten. Außerdem wissen Sie ganz genau, dass in den 1.200 Seiten sehr viele Anhänge enthalten sind, deren Inhalt ohnehin schon Gültigkeit besitzt. Indem Sie den Umfang dieser Richtlinie zitieren, wollen Sie nur beweisen, wie bürokratisch das System sei.

Ich bin der Meinung, dass es bei den rund 30.000 Stoffen, die zurzeit unbekannt sind, aber mit denen wir fast täglich in Kontakt kommen können, die im Umlauf sind und Krankheiten hervorrufen, die Folgekosten für die Volkswirtschaft bedeuten – ich denke dabei an die Sanierungen im PCB-Bereich –, nur richtig und verpflichtend ist, dass wir eine Vorsorgepolitik betreiben und einen gemeinsamen Standard für einen gemeinsamen europäischen Markt einfordern. Das wollen wir erreichen. Deswegen wollen wir in dieser Legislaturperiode des Europäischen Parlaments die EU-Chemikalienrichtlinie umsetzen. Ich erwarte von Ihnen, von der Landesregierung, dass Sie nicht auf Zeitverzögerung und Verwässerung setzen, sondern gesagt wird: Wir haben jetzt viel erreicht. Einige bürokratische Hemmnisse sollen noch abgebaut werden. Dann wollen wir darange

hen, gemeinsame Standards in einem gemeinsamen Markt durchzusetzen.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kuhn, FDP: Im Kern an der Sache vorbei!)

Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Conrad.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die EUChemikalienpolitik setzt industriepolitische Signale in Europa. Deshalb ist es von besonderer Bedeutung, welche Botschaften von einer neuen EU-Chemikalienverordnung ausgehen.

Die Landesregierung unterstützt die Grundsätze, die im Weißbuch bereits formuliert worden sind. Sie begrüßt insbesondere, dass die Lücke bei den Altstoffen – auch hierbei besteht gar kein Dissens hinsichtlich der Bewertung und der Transparenz, Herr Dr. Braun – geschlossen werden soll. Sie weiß sich hierbei im Übrigen im Einvernehmen mit der Wirtschaft sowie mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Es geht also nicht mehr um die Frage des Ob, so wie Sie es dargestellt haben, sondern es geht um die Frage des Wie.

(Beifall bei SPD und FDP)

Die Europäische Kommission hat selbst die Ziele definiert, denen die neue Chemiepolitik dienen soll. Zum einen geht es natürlich um mehr Chemikaliensicherheit für Mensch und Umwelt, aber auch um die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und den Erhalt und die Förderung der Innovationskraft.

Mit dem Entwurf einer Verordnung zum Registrierungs-, Bewertungs- und Zulassungsverfahren, nach der englischen Abkürzung „REACH“ genannt, sehen wir diese Ziele zumindest infrage gestellt.

Dies will ich an einigen Punkten darstellen. Natürlich ist es aus meiner Sicht und aus der Sicht der Chemikaliensicherheit wichtig und richtig und von großem Interesse, möglichst schnell möglichst viel mit einem vertretbaren Aufwand in Erfahrung zu bringen. Gerade das Beispiel der Altstoffe zeigt sehr anschaulich, dass vor allem vor dem Hintergrund des Umfangs und des Aufwands für das Registrierungsverfahren der Zeitplan, den sich die Europäische Union bis zum Jahr 2020 selbst gesetzt hat, erheblich gefährdet ist. Ich will das an ein paar Beispielen darstellen, weil im Text mehr steht als das, was von Ihnen zurzeit diskutiert wird, Herr Dr. Braun.

Bei der Beantwortung der Mündlichen Anfrage habe ich bereits deutlich gemacht, dass wir nach wie vor an vielen Stellen das Kleben an den alten Verordnungen feststellen müssen. Gerade die Altstoffe machen das deutlich. Obwohl – es ist richtig, was Sie gesagt haben – im Wesentlichen dieses Verfahren erst ab einer Tonne

ausgenommen die gefährlichen Stoffe – greifen soll, werden mindestens 30.000 Stoffe – jetzt kommen die Polymere hinzu, die erheblich mehr sind – in ein solches Verfahren müssen. Die EU-Altstoffverordnung, die es seit dem Jahr 1993 gibt, hat dazu geführt, dass sage und schreibe acht Stoffe bis heute registriert sind und das Verfahren durchlaufen haben. Bei weiteren 56 Stoffen liegen Datenblätter vor.

Nach der Neu-Chemikalienverordnung, die seit über 20 Jahren gilt, haben wir gerade einmal 2.700 neue Stoffe im Verfahren zugelassen. Wenn Sie das auf mindestens 30.000 plus X – wegen der Polymere – hochrechnen, dann werden Sie hunderte von Jahren benötigen. Deswegen ist es so wichtig, dass derjenige, der schnell möglichst viel im Interesse von Chemikaliensicherheit wissen will, entbürokratisieren und ein anderes Verfahren verfolgen muss.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, es ist richtig, dass sich nach wie vor fast jeder Stoff und fast jedes Zwischenprodukt auf nahezu jeder Anwendungsstufe in der Produktionskette im Wesentlichen und ungeachtet der anwendungsverbundenen Risiken diesem Registrierverfahren unterziehen muss. Wenn die Sicherheit aber nicht nur eine Frage der Datentiefe und der Datenbreite ist, sondern vor allen Dingen der Datenkommunikation und der Datenverwertung, dann führt ein solches Verfahren unter Umständen nicht zu mehr Sicherheit, sondern im Zweifelsfall zu weniger Sicherheit.

(Beifall bei SPD und FDP)

Damit wir uns richtig verstehen: Sicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz rechtfertigen tatsächlich einen erheblichen Aufwand des Staates, vor allem aber auch einen Aufwand bei den Unternehmen, die Produkte auf den Markt bringen. Überzogen sind Anforderungen aber dann, wenn ihnen kein wesentlicher zusätzlicher Nutzen für Umwelt und Menschen gegenübersteht. Dann sind sie in der Tat als Wettbewerbsnachteile zu bezeichnen, und sie gefährden tatsächlich Arbeitsplätze.

Genau in diesem Sinn fordern wir ein vereinfachtes Verfahren, das am Anfang der Produktionskette ansetzt, aber nicht jeden Downstream-User noch einmal belastet und vor allem bereits am Anfang der Produktion möglichst breit die möglichen Anwendungsgebiete in die Registrierung einbezieht, weil in diesem Bereich in der Regel das größte Know-how vorhanden ist.

Meine Damen und Herren, die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit kleinerer und mittlerer Unternehmen – das ist sehr wohl von Bedeutung, weil in Deutschland 80 % der Chemiebetriebe weniger als 250 Arbeitsplätze haben –

(Beifall des Abg. Creutzmann, FDP)

beruht auf einem Spezialwissen basierend auf einem enormen Anwendungs-Know-how. Nach den vorgesehenen Regelungen, so wie sie im Internet stehen, müssen wesentliche Teile dieser Kenntnisse veröffentlicht

werden. Das wäre ein geradezu kostenloser Know-howTransfer für Konkurrenten. Das kann so nicht bleiben.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Wir wissen doch, dass die Kopierwerkstätten in Asien stehen. Gerade derjenige, der ein großes Interesse an Umwelt- und Sicherheitsstandards darstellen will, muss doch ein Interesse daran haben, dass die Produktion der Stoffe und Produkte und die damit verbundenen Arbeitsplätze nicht in die Regionen der Erde verlagert werden, die zu Recht nicht selten wegen ihrer geringen Umweltund Gesundheitsstandards am Pranger stehen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Das sage ich Ihnen auch bezogen auf typische rheinland-pfälzische Produkte. Dann sehen Sie auch die Diskrepanz. Es ist zwar heute noch so, dass an dem Schuh-Standort Pirmasens im Wesentlichen das Design für unsere Sportschuhe hergestellt wird, die Produktion der Sportschuhe inklusive der dazugehörigen Produkte wird im Wesentlichen aber nicht mehr in Europa vollzogen. Was ist denn das Problem dabei?

(Zuruf der Abg. Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nein, weil man sonst immer sagt, die Produktion ziehe dem Markt hinterher. In diesem Fall ist das aber umgekehrt. Der Markt befindet sich in Europa, während die Produktion ausgelagert worden ist. Deswegen müssen wir sehr wohl darauf aufpassen, dass wir in Zukunft nicht Produkte komplett aus anderen Ländern beziehen, weil das Fertigprodukt nicht mehr den Importbestimmungen unterliegt, wie Teile oder Zwischenprodukte nach der Chemikalienrichtline, und dadurch tatsächlich unterm Strich Standards für Umwelt und Gesundheit nach unten abgewertet beziehungsweise nicht gewahrt werden.

(Beifall bei SPD und FDP)

Meine Damen und Herren, ich will noch ein anderes Beispiel anführen. Auch die unklaren Zuständigkeiten, vor allem aber auch die Tatsache, dass erhebliche Kompetenzen bei der Einstufung von Chemikalien bei den nationalen Behörden bleiben sollen, wird zu Wettbewerbsverzerrungen in Europa führen.

Machen wir uns doch nichts vor. Es gibt nach wie vor die kulturell-politischen Unterschiede in der Behördenstruktur und im Behördenhandeln in Europa. Wir plädieren gerade deshalb für klare und einheitliche Zuständigkeiten bei einer europäischen Chemikalienbehörde, die im Vollzug nach klaren Spielregeln natürlich durch nationale Behörden – dies im Interesse eines fairen und europaweiten Wettbewerbs – unterstützt wird

Ich habe wegen der Zeit nur einige Punkte anführen können. Diese und andere finden sich auch in der Stellungnahme, die wir zur Internetkonsultation eines so genannten EU-Verordnungsentwurfs in Abstimmung mit dem Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau abgeben.

Meine Damen und Herren, die Chemiearbeitsplätze in Europa sind von großer Bedeutung. Ein Drittel aller Chemiearbeitsplätze in Europa sind Chemiearbeitsplätze in Deutschland. In Rheinland-Pfalz haben wir unmittelbar 61.000 Menschen, die in dieser Branche ihren Arbeitsplatz haben. Auf allein 30 % beläuft sich der Anteil an den Umsätzen, die in diesem Gewerbe erzielt werden. Das ist deutlich mehr als im Bundesdurchschnitt. Deshalb wissen wir, welche Verantwortung gerade uns im weiteren Verfahren zukommt. Wir haben uns deshalb quer über alle Ressorts hinweg zusammen mit Herrn Kollegen Bauckhage, auf der Ebene der Staatssekretäre und auf vielen anderen Ebenen in das bisherige Verfahren eingemischt. Ich will schon konstatieren, dass einiges erreicht worden ist. Die Situation ist aber nach wie vor nicht zufrieden stellend.

Der Ministerpräsident persönlich hat sich nicht nur bei der Bundesregierung und bei den europäischen Parlamentariern eingesetzt, sondern auch direkt und unmittelbar gegenüber Frau Wallström. Wir sind bei der Positionsbeschreibung der rheinland-pfälzischen Chemikalienpolitik und unserer Position gegenüber einer europäischen Chemikalienpolitik im Interesse der Arbeitsplätze und des Chemiestandorts Rheinland-Pfalz sehr deutlich geworden. Wir werden dies auch weiterhin tun und alle politischen Möglichkeiten nutzen, die uns zur Verfügung stehen, um zu einem europäischen Chemikalienrecht zu kommen, das hohe Sicherheits- und Umweltstandards gewährleistet, die Verbraucher schützt, aber auch die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationskraft stärkt.

Europa braucht gerade in der heutigen Zeit bezüglich seiner Industriepolitik solche Botschaften, damit es sein selbst gestecktes Ziel, wie es auf der Konferenz von Lissabon formuliert worden ist, tatsächlich auch erreichen kann, nämlich innerhalb einer Dekade zu dem leistungsfähigsten, wissensbasiertesten und wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu werden. In diesem Sinn haben wir meiner Meinung nach gemeinsam viel zu tun, um bezogen auf die Chemikalienpolitik dieses Ziel zu erreichen.

Vielen Dank. (Beifall der SPD und der FDP)