Protocol of the Session on April 3, 2003

(Beifall der CDU)

Wer das ändern will, der muss an diesem Punkt ansetzen. Es liegt nicht nur an der Weltwirtschaft. Jahrelang haben wir gehört, dass die Wiedervereinigung ein Grund dafür sei. Natürlich ist die Wiedervereinigung ein Faktor bei all diesen Dingen. In den nächsten Monaten werden wir wahrscheinlich hören, dass der Krieg eine Ursache hierfür sei. Natürlich sind das alles Faktoren, aber nicht die Faktoren, die es allein oder gar zum größten Teil erklären. Meine Damen und Herren, in Ihrer Zuständigkeit ist die finanzwirtschaftliche Lage in diesem Land aus dem Ruder gelaufen.

(Beifall der CDU)

Jetzt stehen wir vor dem Scherbenhaufen. Ich wiederhole, dass ich das nicht aus Rechthaberei sage; denn das nutzt uns überhaupt nichts, weil es passiert ist. Der politische Gewinn, den wir daraus erzielen könnten, ist so minimal, dass es überhaupt nicht lohnt, darüber nachzudenken. Meine Damen und Herren, ich sage das, weil man aus Fehlern lernen kann und weil wir heute den Nachtragshaushaltsgesetzentwurf verabschieden

und morgen die Aufstellung des nächsten Doppelhaushalts beginnt. Es wird noch eine spannende Debatte, die auf uns wartet. Im Vergleich zu dem, was auf uns zukommt, ist das ein relativ bescheidener Betrag, den wir mit diesem Nachtragshaushalt bewegen.

Die Steuereinnahmen werden weiter einbrechen. Heute Morgen sind – was uns alle freut – die neuen Zahlen auf den Tisch gekommen. Im März ist es besser, als es im Januar oder Februar war.

Meine Damen und Herren, aber zu glauben, nun sei der Zeitpunkt gekommen, Entwarnung geben zu können, ist ein Irrglaube. Wir werden in diesem Jahr weiter unser Problem haben, nicht mit den Steuerschätzungen, sondern mit den Steuereinnahmen. Ich behaupte, dass es in den nächsten Monaten noch sehr viel enger werden wird, als es heute schon ist.

Es ist im Übrigen falsch zu glauben, es sei sozusagen eine Besserung unserer konjunkturellen und wirtschaftlichen Lage in Sicht. Ich kann kein Aufklaren am Konjunkturhimmel erkennen. Außerdem unternimmt die Politik in Berlin nichts dafür, dass es zu einem Aufklaren am Himmel kommt. Wie soll das denn gehen? Das fällt doch nicht vom Himmel.

(Beifall bei der CDU)

Das liegt aber nicht nur an der Politik in Berlin. Solange in den Köpfen führender Sozialdemokraten die Theorie vom Niedrigsteuerland Bundesrepublik Deutschland herumgeistert, solange wird diese Politik einem falschen Ansatz folgen, und solange wird es eine konjunkturelle Besserung in diesem Land nicht geben können,

(Beifall der CDU)

weil auf die Weichenstellungen verzichtet wird, die notwendig sind, damit es zu einer konjunkturellen Besserung kommt.

Ich sage das nicht im Sinn eines Kassandrarufes, sondern ich sage das als Hinweis darauf, dass wir haushaltspolitisch keinen Spielraum mehr haben. Wir stehen haushaltspolitisch mit dem Rücken zur Wand. Die Möglichkeit, Haushaltsrisiken, die sich nach meiner Überzeugung im Laufe der nächsten Monate dieses Jahres zeigen werden, abzufangen und abzufedern, haben wir mit unserem Landeshaushalt mitnichten. Was ist denn, wenn wir noch einmal eine Steuermindereinnahme von 200 Millionen Euro verkraften müssen? Wie soll das denn gehen? Es gibt nicht den Hauch eines Spielraums, um so etwas abzufangen.

Im Übrigen beschäftigt mich die Frage – nicht erst seit gestern, sondern schon seit langer Zeit – sehr, und andere beschäftigt diese Frage genauso.

Ich weiß gar nicht mehr, wie wir das mit dem Sparen hinbekommen wollen. Das sind Größenordnungen, die nicht einfach durch ein paar kosmetische Operationen zu bewerkstelligen sind, sondern das sind Größenordnungen, die an das Eingemachte gehen. Das, was wir bisher unter Sparen verstanden haben, nämlich hier einmal einen Ansatz zu kürzen und da einmal einen

Ansatz zu kürzen, hier mal einen Titel ein wenig herunterzufahren und da mal einen Titel ein wenig herunterzufahren und jemanden zu vertrösten und zu sagen, im Moment können wir das nicht, aber im übernächsten Jahr kannst du das machen, wird nicht mehr ausreichen. Ich habe auch keine Antwort zur Hand und kann Ihnen heute sagen: Ihr müsst das so und so machen. – Das wird über weite Strecken hinweg ein gemeinsames Suchen sein müssen. In den letzten Wochen haben wir erlebt, dass wir mit den bisherigen Instrumentarien sozusagen am Ende angelangt sind. An dem Punkt müssen wir meiner Meinung nach weiterdenken und ansetzen.

Das, was in den vergangenen Jahren schiefgelaufen ist, ist die Tatsache, dass die staatlichen Ausgaben nach dem Bedarf bestimmt wurden. Das ist ehrenwert, weil ein Bedarf sozusagen nie aus der Welt zu schaffen ist und nie zu bestreiten ist. Natürlich kommen auch heute viele Leute, die sagen: Hier gibt es einen Bedarf. Ihr müsst uns helfen. – Es muss aber schiefgehen, Haushaltspolitik nach diesem Grundsatz zu gestalten. Haushaltspolitik muss sich nach der Maßgabe der Finanzkraft eines Landes gestalten. Wenn die Finanzkraft eines Landes nicht mehr hergibt, kann der noch so berechtigte und begründete Bedarf dieser oder jener Gruppe nicht gedeckt werden. Das ist der Punkt.

(Beifall der CDU)

Die Finanzkraft war eben kein Maßstab mehr. Das gilt übrigens nicht nur für die Haushaltspolitik dieses Landes. Ich finde es sehr interessant, dass jemand, der offenbar ein Saulus-Paulus-Erlebnis hinter sich hat und der lange Jahre Sozialminister in Rheinland-Pfalz war, in seiner neuen Funktion zu gewaltigen Einsichten gekommen ist. Ich kann mich nur wundern, wenn ich das jeden Tag in der Zeitung lese. Er ist ein Mann, der Freude daran hat, Interviews zu geben. Ich zitiere Florian Gerster wörtlich – ich freue mich, wenn jemand zu neuen Einsichten findet –: „Ein Grundfehler der Sozialpolitik ist es, dass sie erst die Versorgung definiert und dann über die Finanzierung nachdenkt.“ Das ist genau das Problem.

(Beifall der CDU)

Es wäre jetzt reizvoll zu überlegen, wo Herr Florian Gerster diesen Fehler sozusagen selber gemacht hat. Das will ich aber gar nicht tun.

(Zuruf des Abg. Dr. Schmitz, FDP)

Herr Kollege Schmitz, dass ist das Problem. Das ist wohl auch Ihre Meinung, wenn Sie in der Lage sind, diesen Sachverhalt zu bedenken. Das ist das Problem.

Solange wir dieses Problem nicht gelöst haben, wird das nichts. Eine Lehre könnte sein, dass wir in Zukunft gemeinsam darauf achten, dass sich Wohltaten des Staats nach der Maßgabe der Finanzkraft eines Landes bemessen lassen müssen.

Ich rede jetzt ausdrücklich von Wohltaten. Ich sage das auch mit Blick auf eine öffentliche Wortmeldung von mir in den nächsten Tagen, in der es eine sehr differenzierte

Betrachtung der Verschuldung der öffentlichen Hand geben wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das will ich in dem Zusammenhang auch einmal sagen, damit mir das nicht um die Ohren gehauen wird – es wird mir ohnehin noch oft genug das um die Ohren gehauen werden, was ich da sagen werde, aber dennoch ist das richtig, was ich sage –: Es ist ein großer Unterschied, ob ich einen privaten Urlaub auf Mauritius plane und mir dafür das Geld von der Sparkasse hole oder ob ich einen Job als Handelsvertreter bekommen habe und mir einen Kredit bei der Sparkasse hole, weil ich mir ein Auto anschaffen muss, damit ich meinem Job nachgehen kann. – In beiden Fällen handelt es sich um eine Verschuldung. In dem einen Fall ist es aber eine Verschuldung für einen Konsum, und in dem anderen Fall ist es eine Verschuldung für eine Investition. Ich rate uns sehr dazu, in der Politik von dieser Differenzierung nicht abzurücken.

Herr Ministerpräsident, daraus ergibt sich manches beispielsweise mit Blick auf die Frage, ob wir uns Steuererleichterungen in Zeiten der Ebbe in unseren öffentlichen Kassen leisten können. Ein Kredit, der eine Zukunftsinvestition finanziert, kann auch in Zeiten einer hohen Verschuldung der öffentlichen Hand einen guten Sinn haben.

(Beifall der CDU)

Da ist es wenig angeraten, alles sozusagen über einen Leisten zu schlagen. Deshalb rede ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich von Wohltaten und nicht von Schulden, die wir im Sinn einer Zukunftsinvestition machen.

Nun beginnt die Landesregierung – ich will das ausdrücklich anerkennen –, sich, wenn auch zaghaft, mit diesen Gedanken auseinander zu setzen. Das ist nicht zu bestreiten. Am deutlichsten wird das überall dort, wo sie ihre eigenen Programme abräumt. Das ist schon bemerkenswert.

Vieles von dem, was in den vergangenen zehn Jahren bei Gelegenheiten, wie wir sie heute haben, wenn wir über Haushaltspolitik und den Haushalt gesprochen haben, als die Signatur eines Haushalts gefeiert wurde – das sind unsere großen politischen Ziele –, wird im Moment heimlich, still und leise abgeräumt.

Das gilt für die Beträge für den zweiten Arbeitsmarkt, von denen wir seit langer Zeit wissen, dass sie einfach verpuffen. Sie schaffen nicht einen einzigen Arbeitsplatz in Rheinland-Pfalz.

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was für ein Unfug!)

Jetzt werden sie langsam degressiv nach unten gefahren. Was war da im rheinland-pfälzischen Landtag los, als wir das vor einem Jahr – meines Wissens liegt es genau ein Jahr zurück – beantragt haben? Was wurde uns da alles an Herzlosigkeit gegenüber Arbeit suchenden Menschen vorgeworfen? Meine sehr geehrten Damen und Herren, nein, ein bisschen Effizienzkontrolle kann manchmal nicht schaden. Diese Mittel für den

zweiten Arbeitsmarkt sind zumindest in weiten Teilen Mittel, die jedenfalls nicht das Ziel erreichen, das sie zu erreichen versprechen, nämlich Arbeitsplätze zu schaffen.

Das gilt für viele Förderprogramme im Land RheinlandPfalz, die mehr oder weniger – es handelt sich zum Teil um ganz lustige Formulierungen – die Wirtschaft und Technologie fördern. Ich weiß nicht, wie viele Mittelstandsprogramme wir in Rheinland-Pfalz haben. Wenn ich das nach den Programmen bemesse, müsste in Rheinland-Pfalz der Mittelstand brummen ohne Ende. Wir haben nicht nur volles Verständnis dafür, sondern es entspricht unserer langjährigen Forderung, dass man da jetzt herangeht und das durchforstet und schaut, zu welchen Einsichten eine Effizienzkontrolle führt.

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entschuldigung, wer tut das denn?)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Landesblindengeld ist ein sehr heikles Thema. Ich kann mich an diese Debatte sehr gut erinnern, weil Herr Kollege Kramer, ich und viele andere, die heute noch in der Fraktion sitzen, vor 1991 von Veranstaltung zu Veranstaltung in dieser Frage gehetzt wurden. Jetzt kommt die Landesregierung und sagt: Entschuldigung, wenn wir das gekürzt haben, liegt es immer noch auf dem Niveau von Baden-Württemberg. – Ich kann nur sagen: Herzlich willkommen im Club.

Das zeigt, dass man bei vielem von dem, was in den vergangenen Jahren ohne Not gemacht wurde, für das es natürlich einen Bedarf gab, überhaupt nicht danach gefragt hat, nach welcher Maßgabe man diesen Bedarf befriedigen kann. Vieles von dem wird jetzt abgeräumt. „rpl-inform“, das ist sozusagen eine leise Beerdigung dritter Klasse: rpl-inform.

Alle diese Programme, Etiketten und – wie das einmal anlässlich einer Haushaltsberatung gesagt wurde – Signaturen, vieles von dem, verabschiedet sich leise aus der Wirklichkeit.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das zeigt, dass Sie schon verstanden haben, dass uns das Wasser bis zum Hals steht. All das, was jetzt gemacht wird, ist aber nur ein erster kleiner Schritt. Ich rate uns allen – uns selbst, meiner Fraktion und allen anderen Fraktionen –, die Formulierung „ein erster kleiner Schritt“ sehr ernst zu nehmen. Es kommt noch dramatischer, weil weitere Schritte folgen werden. Weitere Schritte müssen folgen.

Ich sage noch einmal ausdrücklich an dieser Stelle: Dort, wo die Landesregierung auf dem Weg, der vor uns liegt, vernünftig argumentiert, wird sie bei uns offene Ohren finden. Das haben wir in den vergangenen Monaten meiner Meinung nach auch bewiesen. Wir haben uns doch wirklich nicht bei jedem der Kürzungsvorschläge, die Sie gemacht haben, an die Speerspitze der Kritik gestellt.

Es ist für eine Opposition ein hartes Geschäft, wenn Menschen zu Gesprächen in den Arbeitskreis kommen

und uns in den Wahlkreisen aufsuchen und versuchen, uns für die Kritik an irgendeinem Kürzungsvorschlag zu gewinnen, diesem Ansinnen zu widerstehen. Ich muss doch keinem in diesem Saal erzählen, wie das geht. Trotzdem haben wir dem widerstanden. Ich erwarte dafür keine Belobigung, aber ich will nur sagen, dass wir das ernst meinen. Dort, wo Sie vernünftig argumentieren, werden Sie bei uns in diesem Zusammenhang offene Ohren finden. Das wird so bleiben.

(Beifall der CDU)

Das war so in den letzten Wochen, und das wird so bleiben. Deshalb bin ich froh, dass in diesem Jahr auf unser Angebot, über das eine oder andere noch einmal zu reden, anders reagiert wurde als in den vergangenen Jahren. In den vergangenen Jahren haben wir gehört: Das packen wir allein. Wir brauchen euch nicht. – Natürlich braucht eine Mehrheit im Parlament keine Minderheit. Das ist uns auch bewusst. Es kann aber doch nicht schaden, noch einmal über das eine oder andere zu reden. Meiner Meinung nach hat es sich gelohnt, noch einmal über das eine oder andere zu reden, und es lohnt sich, diesen Weg fortzusetzen.

Der Ton der Auseinandersetzung hat sich verändert. Das haben wir alle in den vergangenen Wochen und Monaten feststellen können. Der Ertrag der Gespräche war allerdings ziemlich mager.

(Kuhn, FDP: Das ist schade!)

Vielleicht kann man auch da in den nächsten Runden noch etwas tun. Ich biete ausdrücklich an, dass wir solche Runden auch in der Zukunft stattfinden lassen. Es ist von der Frau Berichterstatterin schon auf das eine oder andere hingewiesen worden. Ich will das nicht alles noch einmal wiederholen.