Protocol of the Session on September 26, 2002

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich sehe die Gestaltung der zukünftigen Europäischen Union als ein gemeinsames Projekt unterschiedlicher Regionen, Länder und Kulturen mit dem Ziel, ein demokratisches, bürgernahes, solidarisches, multikulturelles, nachhaltig wirtschaftendes, föderales und friedliches Europa für alle Bürgerinnen und Bürger zu schaffen.

Lassen Sie mich am Ende meiner Rede auch noch einmal an Jürgen Habermas erinnern, der als eines der wichtigsten und grundlegendsten Merkmale einer Demokratie den freien und öffentlichen Diskurs über politische Themen anführt.

Gehen wir also mit gutem Beispiel voran und führen eine breite öffentliche Debatte über die Zukunft der Europäischen Union. Lassen Sie uns diesen eingeschlagenen Weg weitergehen und versuchen, den Bürgerinnen und Bürgern das Ziel eines gemeinsamen Europas näher zu bringen.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Hartloff, SPD)

Für die Landesregierung hat der für Europa zuständige Staatssekretär Dr. Klär das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu den drei Tagesordnungspunkten Stellung nehmen, und zwar zuerst zu dem Ausschuss der Regionen.

Der Ausschuss der Regionen existiert seit 1994. Er ist jetzt acht Jahre alt, also im neunten Jahr. In ihm tritt nach wie vor ein breites Spektrum politischer Auffassungen und Verhaltensweisen zutage. Ich erwähne das, weil der Ausschuss der Regionen in gewissem Sinn ein Spiegelbild der Europäischen Union ist, und zwar ziemlich präzise. Im Ausschuss sitzen 222 Vertreter aus allen Teilen der Union. Diese Vertreter sind nicht in Berlin, London, Paris oder Brüssel sozialisiert. Verstehen Sie? – Die sind nicht zuerst national zugerichtet, dann nach Brüssel geschickt und dann noch einmal in Brüssel zugerichtet, sondern die kommen so nach Brüssel, wie sie es zu Hause gelernt haben und wie sie gestrickt sind: Dieter Schiffmann, Nicole Morsblech und ich auch.

Da tritt Europa – wie nennt man es noch? – oftmals als inkommensurable Größe, als etwas, was nicht unmittelbar zusammenpasst, zutage. So ist es auch wirklich. Wir sind zwar alle – in diesem Landtag auch, die Landesregierung sowieso und wenn man Umfragen macht, das ganze Volk – eigentlich für Europa. Aber der Witz liegt in dem Wort „eigentlich“.

Wenn wir wirklich alle so für Europa wären, dann stünde es wahrscheinlich um Europa und die Europäische Union ein bisschen besser, als das heute der Fall ist.

Aber zum Ausschuss der Regionen: Da kann man viel lernen. Man kann lernen, dass es 15 verschiedene Kulturen, nationale politische Kulturen mit je eigenen Verfassungen, Rechtssystemen, Traditionen und Usancen in der Europäischen Union gibt. Da sind Vertreter regionaler Gebietskörperschaften, und die setzen andere Schwerpunkte als die Vertreter kommunaler Gebietskörperschaften. Das sind Vertreter von Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen, die ein anderes Selbstverständnis, das sie auch an den Tag legen, als Vertreter von Regionen ohne solche Gesetzgebungsbefugnisse haben. Auch sehen sich Mitglieder aus armen oder abgeschiedenen Gegenden der Europäischen Union mit anderen Problemen konfrontiert als Mitglieder aus den reichen Zentren der Gemeinschaft.

Meine Damen und Herren, all diese Unterschiede haben selbstverständlich Folgen für das durchschnittliche politische Weltbild, für das Handeln.

Ich will dies einmal so sagen, und so habe ich das auch in diesem Bericht geschrieben: Bevor das Bewusstsein das Sein bestimmen kann, bestimmt das Sein das Bewusstsein. (Zurufe aus dem Hause)

Das ist eine leichte Variation eines bekannten Satzes. Aber er ist richtig.

Wenn wir Europa begreifen wollen, dann muss man begreifen, dass wir in dem Europa zuerst einmal unterschiedlich sind, dabei nicht nur Deutsche, Franzosen, Iren, sondern auch Rheinland-Pfälzer, Bayern, Walliser, Südfranzosen und Leute aus der Picardie sind. Man muss begreifen, dass all diese Unterschiede existieren. Es macht trotzdem einen guten Sinn, dass wir in der Europäischen Union zusammenspannen, nicht nur, weil wir gemeinsam stark sind, vor allem werden wir gemeinsam wohlhabend. Dieses Europa von heute, die Europäische Union, und auch das Europa, das wir morgen haben werden, wenn die ostdeutschen Staaten dazugekommen sind,

(Dr. Schiffmann, SPD: Osteuro- päische Staaten!)

unterscheidet sich doch so wohltuend von dem Europa, das wir zwischen den Kriegen hatten, wo jeder nur für sich war und auf das geschaut hat, was er zu Hause regelt. Im Zweifel haben sie noch Krieg miteinander geführt. Am Schluss war alles kaputt.

Man muss sich das immer vor Augen halten, wenn man diese etwas kleinkarierten Zwischenrufe hört: Was geht uns alles an Europa verloren! – Dieter Schiffmann hat das in seiner Rede wunderbar klargemacht. Einerseits wollen wir ein starkes Europa und andererseits aber auch ein möglichst schwaches Europa. Wann wollen wir ein möglichst schwaches Europa? – Wenn es um unsere Kompetenzen geht. Die sollen natürlich nicht abwandern. Also: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. – Das funktioniert nicht. Auch in Europa funktioniert es nicht.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man kann sich manchmal fragen – wir, die wir mit einem Mandat dieses Landtags im Ausschuss der Regionen sitzen, fragen uns das öfter –: Warum tun wir das? – Wir bewegen die Welt sowieso nicht, die europäische Welt auch nicht richtig, im Ausschuss der Regionen jedenfalls nicht, und diesen Landtag höchstens einmal im Jahr.

Warum tun wir das? – Da kann man sagen, es ist ein Bildungserlebnis; denn dieser Ausschuss der Regionen ist die Gemeinschaftsinstitution, die jünger und bunter zusammengesetzt ist als alle anderen. Es ist eine regelrechte Experimentierbühne der europäischen Integration, und zwar ganz so, wie ich es anfangs sagte, weil wir nicht gelernte Europäer, in Brüssel zugerichtete Europäer sind. Man sagt vielleicht besser „sozialisiert“. Aber zugerichtet ist auch nicht falsch. Wir sind ganz Normale von zu Hause aus diesen 222 Regionen. Da zeigt sich dann richtig, wie es in Europa zugeht. Da zeigt sich auch, was gelingt, wie weit wir sind und was noch lange nicht gelungen ist.

Die Parlamentarier im Europäischen Parlament sind eine Bruder- und Schwesterschaft so wie dieser Landtag auch. Dort weiß man, wie es geht. Im Ausschuss der Regionen kommen aber Leute zusammen, die haben zum ersten Mal eine Weltreise nach Brüssel gemacht. An Ihnen kann man sehen, wie weit wir in Europa sind.

Wir sind natürlich bei weitem nicht so weit, wie wir das in unseren Sonntagsreden immer ausdrücken. Das ist noch sehr unterschiedlich und wird auch unterschiedlich bleiben. Wir brauchen jetzt noch ein paar Klammern, die das Ganze zuverlässig zusammenhalten.

Damit komme ich zum zweiten Thema, das ich aber kurz abhandeln kann, nämlich zum Konvent. Natürlich wäre eine gemeinsame Verfassung eine solche Klammer. Es läuft darauf hinaus, dass in diesem Konvent eine große Mehrheit der Meinung sein wird, dass es sinnvoll ist, einen Text vorzulegen, der Grundlage für einen Verfassungsvertrag der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sein kann. Das ist bereits abzus ehen.

Mit dem Antrag, den Sozialdemokraten, Freidemokraten und Christdemokraten hier gestellt haben, sowie mit den Erläuterungen dazu bin ich einverstanden: Das trifft die Haltung der Landesregierung. – Herr Wiechmann, viele Inhalte aus Ihrem Antrag sind auch unstrittig. Wenn Sie schon so genau sind, dann müsste man über ein paar Dinge aber noch reden, zum Beispiel über das Referendum. Wie wollen Sie das denn haben? Gesamteuropäisch oder national ausgezählt? Was ist, wenn man zum Beispiel bei einem national ausgerichteten Referendum wie in Irland wieder keine Mehrheit bekommt? Wird das Referendum dann insgesamt hinfällig? Das müsste man sich genauer überlegen. Von diesen Positionen gibt es noch einige in Ihrem Antrag. Ich füge jedoch ausdrücklich hinzu, das allermeiste aus Ihrem Antrag kann nicht nur ich persönlich, sondern kann auch die Landesregierung tragen.

Die europäische Verfassung allein wird die Europäische Union natürlich so wenig zusammenhalten wie das Grundgesetz die Bundesrepublik Deutschland. Das kann eine Verfassung nicht leisten. Wichtig ist, dass wir die Interessen, die uns zusammengebracht haben und uns

weiterhin zusammenhalten, bekräftigen. Wir müssen sie auch sprachlich immer wieder bekräftigen.

Ich war mit Herrn Altbundeskanzler Kohl immer einer Meinung, wenn er gesagt hat, dass Europa eine Sache von Krieg und Frieden sei. Auf den ersten Blick könnte das übertrieben sein, aber nur auf den ersten Blick. Die Erweiterung der Europäischen Union zeigt deutlich, dass es ein großes Friedenswerk ist, das die Europäische Union betreibt. Diejenigen, die jetzt nicht reinkommen, haben vor kurzem im ehemaligen Jugoslawien noch Krieg gemacht. Es ist nicht so, dass der letzte Krieg in Europa 50 oder 100 Jahre her ist. Die Europäische Union ist nach wie vor ein Friedenswerk.

Das Friedenswerk der Europäischen Union ist ein weltweites Beispiel. Das hat es in der Welt noch nie gegeben: ein Unternehmen, eine Union, die auf Erweiterung angelegt ist, aber nicht auf Expansion. – Es ist ein Unternehmen, das sagt: Ihr könnt dazukommen. Wir haben Regeln, denen ihr zustimmen müsst. Ihr könnt gern dazukommen.

Das Unternehmen sagt nicht: Da ist ein Land, das über diese oder jene Bodenschätze verfügt, und da ist ein Land, das hat dies und das, und das könnte man einmal zusammenraffen. – Die Europäische Union geht also nicht imperialistisch an Vergrößerungen heran, sondern im Nachkriegssinn als eine Vereinigung, die den gemeinsamen Nutzen ziehen will, die die Verfeindung abbauen will und abgebaut hat und sich den Wohlstand und die gute Nachbarschaft in ihren Grenzregionen als Ziele setzt. Das ist die Europäische Union.

(Beifall der Abg. Frau Grützmacher und des Abg. Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn das funktioniert, dann ist das ein Friedenswerk über den Raum der Europäischen Union hinaus, weil es ein Beispiel für diese Welt ist.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und FDP sowie der Abg. Frau Grützmacher und des Abg. Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein Beispiel, das zeigt, dass man die Logik einer imperialistischen Expansion verlassen kann. Sie hat sich im Übrigen überlebt. Zusammenschlüsse müssen künftig anders vorangehen und zustande kommen. Die Union gibt ein gutes Beispiel dafür, wie es funktionieren kann.

Wir bekommen hoffentlich eine Verfassung. Dann ist es aber noch lange nicht vorbei. Wir werden hoffentlich auch im nächsten Jahr und hoffentlich auch in der Art und Weise, wie das heute der Fall ist, zusammensein und diskutieren.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall im Hause)

Es spricht Herr Abgeordneter Schreiner.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Land Rheinland-Pfalz muss Flagge zeigen in Europa. Deshalb ist es gut, dass wir beim Verfassungskonvent und bei den Diskussionen darüber mitreden. Natürlich haben die deutschen Bundesländer mit Ministerpräsident Erwin Teufel einen guten Anwalt, der ihre Interessen im Konvent vertritt.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Aber auch jeder der 16 Landtage ist gefragt. Insofern freuen wir uns, dass die Presse heute zugegen ist. Das ist nicht immer bei europapolitischen Themen der Fall. Umso mehr freut es uns, dass Sie heute bei dieser Diskussion zugegen sind.

Was muss eine solche Verfassung leisten? Wer an Europa denkt, der denkt allzu oft immer nur an das Geld. Die Basis der Europäischen Union ist aber etwas ganz anderes. Die Basis sind die gemeinsame Geschichte, der gemeinsame Kulturraum und die gemeinsamen Werte, die im Grundwertekatalog Ausdruck finden, dem ersten Bestandteil der europäischen Verfassung, die wir nun angehen wollen.

Das, was wir jetzt erleben, ist – wenn wir ehrlich sind – nur ein Nachvollziehen dieser gemeinsamen Geschichte. Europa war schon längst eins. Durch den europäischen Einigungsprozess, durch die Europäische Union und durch die Verfassung vollzieht die Politik die Dinge endlich nach.

Das Zweite und Entscheidende, was eine Verfassung leisten muss, ist, Antworten zu geben auf Fragen nach den unterschiedlichen staatlichen Ebenen und Auskunft zu geben über die Rechte und Pflichten, die diesen Ebenen zugewiesen werden. Dazu haben wir als deutsche Bundesländer einen wichtigen Beitrag zu leisten. Wir wollen, dass man in Europa aus den Fehlern lernen kann, die wir mit unserem deutschen Föderalismus gemacht haben.

Es geht darum, dass wir eine transparente Union und eine klare Verantwortung zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen haben. Dadurch erhält der Bürger erstmals die Möglichkeit zu kontrollieren. Wenn nicht klar ist, wer für was verantwortlich ist, wenn keine Transparenz vorhanden ist, dann weiß der Wähler nicht, wen er wählen soll. Wen soll er denn letztlich verantwortlich machen? Aus den Erfahrungen auf Bundes-, Landesund Kommunalebene weiß man, dass es dann ein Schwarzer-Peter-Spiel gibt.

Wir benötigen also eine klare Kompetenzzuweisung. Es gibt einen richtungsweisenden Verfassungsentwurf der EVP-Fraktion des Europäischen Parlaments, in dem eindeutig formuliert wurde, dass Gesetzgebung und Verwaltung bei den Mitgliedsstaaten zu sein haben. Es werden nur die Zuständigkeiten der Europäischen Union

im Verfassungstext aufgeführt, die bei der Europäischen Union bleiben. Es ist also klar geregelt, wer für was verantwortlich ist.

Ferner ist es sehr wichtig, deutlich zu machen, was uns vor dem Hintergrund des Begriffs „Subsidiarität“ wichtig ist. Wir sollten in die Verfassung hineinschreiben, dass die Tätigkeiten der Union nur dann zulässig sind, wenn die Maßnahme auf nationaler Ebene nicht ausreichend vollzogen werden kann und wenn nachgewiesen ist, dass die Maßnahme wirksamer durch die Union umgesetzt werden kann.

Darüber hinaus muss im Rahmen dieses Subsidiaritätsprinzips klar sein, dass die politische Kontrolle insbesondere dessen, was die Kommission anstrebt, besser gewährleistet ist, indem die Kommission ihre Pläne, die sie sich für ein Jahr vornimmt, umgehend auch den nachgeordneten Gremien und den nationalen Parlamenten zuleitet, von denen sie den Landtagen zuzuleiten sind. Darüber hinaus muss eine intensivere rechtliche Kontrolle Teil eines funktionierenden Subsidiaritätsprinzips sein. Die Institutionen der Union, aber auch jede Regierung der Mitgliedstaaten, jedes nationale Parlament und letztlich auch wir als Landtage müssen die Möglichkeit haben, vor Erlass einer Maßnahme ein Gutachterverfahren beim Europäischen Gerichtshof einleiten zu können, um auf diese Art und Weise rechtzeitig Einfluss zu nehmen auf das, was in Europa passiert.

(Beifall der CDU)