Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Gleichgültigkeit und fehlende Sensibilität gegenüber behinderten Menschen nehmen scheinbar in der Gesellschaft ab. Dennoch, eine Normalität, die Behinderten immer noch nicht zubilligt, was jeder von uns selbstverständlich für sich beansprucht, ist keine Normalität.
Mehr als 697.000 Behinderte in unserem Land, davon 430.000 anerkannte Schwerbehinderte, aber auch die ca. 30.000 behinderten Menschen, die Eingliederungsbeihilfe nach dem BSHG erhalten, machen deutlich, Behindertenpolitik darf kein Randbereich politischen Handelns sein.
Modernes und fortschrittliches Engagement für Behinderte steht daher für uns und diese Landesregierung im Zentrum der Politik.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang die Koalitionsvereinbarung zitieren. Dort steht: Die Landesregierung wird dem Landtag den Entwurf eines Gleichstellungsgesetzes vorlegen. – Meine Damen und Herren, Wort gehalten, kann ich da nur sagen. Dieser Entwurf liegt nunmehr vor.
Wir behandeln heute in erster Lesung das Landesgesetz zur Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderung. Frau Thelen, damit gehört Rheinland-Pfalz übrigens zu den ersten Bundesländern, die einen eigenen Regierungsentwurf für ein Landesgesetz vorlegen. Verehrte Frau Ministerin Dreyer, dafür darf ich Ihnen namens meiner Fraktion auch an dieser Stelle sehr herzlich danken.
Dieser Dank gilt in gleicher Weise unserem Behindertenbeauftragten, Staatssekretär Dr. Auernheimer, der am Zustandekommen des Bundesgesetzes maßgeblich beteiligt war.
In mehr als 70 Artikeln wurden Grundlagen geschaffen, Benachteiligungen von Behinderten zu beseitigen. Kernstück dieses Gesetzes ist die Herstellung barrierefrei gestalteter Lebensbereiche. Meine Damen und Herren, was heißt das konkret? Wir wollen, dass behinderte Menschen zu allen Lebensbereichen einen umfassenden Zugang haben und diesen Zugang auch uneingeschränkt nutzen können. Mit Barrierefreiheit ist einerseits die Beseitigung räumlicher Barrieren in öffentlichen Gebäuden, Wohnungen, Straßen oder Gehwegen gemeint. Daher sind künftig Land und Kommunen gehalten, Neubauten barrierefrei zu gestalten. Dies gilt auch für Um- und Erweiterungsbauten.
Dieser Schritt in die richtige Richtung war für Behinderte längst überfällig und notwendig. Im Übrigen kommt diese Barrierefreiheit auch älteren Menschen oder Eltern mit kleinen Kindern zugute.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, barrierefrei meint aber noch sehr viel mehr. So sind Behörden künftig verpflichtet, Bescheide und Vordrucke behindertengerecht zu gestalten. Auch die Internetseite der Behörden muss für Sehbehinderte lesbar gestaltet werden. Davon werden insbesondere sehbehinderte Menschen profitieren, ein Ziel, für das ich mich im Übrigen immer wieder persönlich eingesetzt habe.
Erfreulich und, wie ich finde, längst überfällig ist die Regelung im Gesetzentwurf für hörbehinderte Menschen. Sie können künftig zum Beispiel im Verwaltungsverfahren mit allen Bundesbehörden in der Gebärdensprache kommunizieren. Die deutsche Gebärdenspra
che gilt übrigens nunmehr als eigenständige Sprache, die künftig als eine ebenbürtige Form der Verständigung zu respektieren ist.
Meine Damen und Herren, bereits im Sozialgesetzbuch IX war geregelt, dass ein Verband für behinderte Menschen deren Ansprüche gerichtlich geltend machen konnte. Nunmehr sind wir einen Schritt weiter. Anerkannte Verbände können direkt als Verband unabhängig von einem Einzelfall klagen. Dieses so genannte Verbandsklagerecht ist ein weiterer Fortschritt für die behinderten Menschen in uns erem Land.
Ich möchte an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass mit dem Gesetz eine zweijährliche Berichtspflicht der Landesregierung gegenüber dem Landtag verbunden ist.
Meine Damen und Herren, wir sind überzeugt, dieses Landesgesetz wird für die behinderten Menschen ein wichtiger Markstein – Frau Ministerin sprach von einem wichtigen Meilenstein – sein, weil damit ein weiterer wichtiger Schritt zur Beseitigung von Diskriminierung eingeschlagen wurde. Vor diesem Hintergrund ist es völlig unverständlich und völlig daneben, wenn die CDU diesen Gesetzentwurf als schwere Geburt bezeichnet. Verehrte Frau Thelen, Ihre Presseerklärung geht völlig an der Realität vorbei.
Im Übrigen gab es auch kein Hickhack innerhalb der Landesregierung, wie Sie schreiben. Es gab allerdings ein zielstrebiges Handeln, damit die Grundlagen für behinderte Menschen in unserem Land qualitativ und schnellstmöglich verbessert werden konnten.
Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz wird ein grundlegender Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik eingeleitet. Selbstbestimmung statt Fürsorge ist der Grundsatz unserer Integrationspolitik. Deswegen haben wir dieses Gesetz nicht nur für behinderte Menschen, sondern vor allem auch gemeinsam mit behinderten Menschen und deren Organisationen entwickelt. Das scheint mir besonders wichtig zu sein.
Auch wenn im Regierungsentwurf noch einige Wünsche offen sind, was ich in aller Deutlichkeit sagen möchte, so gibt es doch große Zustimmung in der Öffentlichkeit.
Verehrte Frau Thelen, wir haben im Ausschuss gemeinsam eine Anhörung beantragt, die stattfinden wird. Sie haben eben an dieser Stelle beklagt, das alles habe zu lange gedauert. Gleichzeitig sagen Sie, Sie bräuchten mehr Zeit, es könnte alles noch herausgeschoben werden. Verehrte Frau Thelen, dieser Meinung sind wir nicht.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Ministerin Dreyer, herzlichen Glückwunsch zunächst nicht zu diesem Gesetzentwurf, sondern zu einem fast schon genialen rhetorischen Kunstgriff, den Sie zu Anfang Ihrer Rede gebraucht haben. Die Tatsache, dass diese Landesregierung so lange Zeit benötigt hat, um diesen Gesetzentwurf vorzulegen, nun fast genial in einen Sieg zu wenden, als Erster angekommen zu sein, ist schon fast wahlabendtauglich, was Sie abgeliefert haben. Dies geht natürlich etwas an der Realität vorbei; denn andere waren früher.
Mir hat sich in der Sache nie erschlossen, weshalb man auf der Landesebene erst dann ein Gleichstellungsgesetz beraten können soll, wenn auf Bundesebene der Gesetzgebungsprozess völlig abgeschlossen ist. Das ist in der Sache nie zu begründen gewesen.
Sie müssen natürlich davon ablenken, dass ihr Koalitionspartner tatsächlich verzögert hat. Das ist mehr als eine oppositionsbedingte Vermutung. Verzögern, blokkieren und Spaß dabei, dass ist wohl ihr Motto.
Nachdem wir vor einem Jahr bereits zum zweiten Mal einen Gesetzentwurf eingebracht hatten, mussten vor allen die behinderten Menschen in Rheinland-Pfalz so lange auf den Gesetzentwurf warten, weil Sie das verzögert haben.
Zunächst ist es gut, dass der Gesetzentwurf vorliegt, damit das Gesetzgebungsverfahren endlich weitergehen kann. Unser Augenmerk muss sich auf die Qualität dessen richten, was sie vorgelegt haben, und auf die Qualität dessen, was wir vorgelegt haben. Ich hoffe, dass wir am Ende des Gesetzgebungsverfahrens zu einem guten Ergebnis im Sinn der Betroffenen kommen.
Sie werden es mir nicht nur nachsehen, sondern Sie werden es verstehen, dass ich natürlich diesen Gesetzentwurf mit dem unsrigen vergleiche. Sie gehen beide in die weiteren Beratungen ein, sodass wir das natürlich auch da tun können. Wir wissen es schon lange, und hier kann ich es wieder feststellen, wir sind uns im Ziel einig, die verfassungsrechtlichen Vorgaben endlich in konkrete Gesetze umzusetzen.
Es ist richtig, dass die rotgrüne Koalition auf Bundesebene ihre Hausaufgaben gemacht hat. Nun sind wir im Land dran.
Es ist interessant, was im Vergleich zu dem, was wir vorgelegt haben, der Entwurf der Regierung an Neuem bietet. Es ist interessant, was er anders, vielleicht sogar besser löst. Das müssen wir sehen. Es ist natürlich die Frage zu stellen: Wo bleibt der Regierungsentwurf hinter dem zurück, was wir entworfen haben?
Ja, es geht immer wieder, immer weiter, im weiter nach vorn. Natürlich, das ist unsere Aufgabe, Treiber treiben und Blockierer wegtreiben.
Es ist eine begrüßenswerte Fleißarbeit, die insbesondere in dem Sozialministerium geleistet worden ist. Es wird mit dem diskriminierenden Sprachgebrauch aufgeräumt. Das ist auch wichtig zur Weiterentwicklung der Thematik. Es gibt begrüßenswerte Ergänzungen, die wir nicht hatten, zum Beispiel im Denkmalpflegebereich. Das ist in diesem Gesetzentwurf sehr schön gelöst. Vieles ist ähnlich. Ich will darauf aufmerksam machen, dass wir in der Gliederung bis in einzelne Formulierungen hinein sehr viel Bekanntes in dem Gesetzentwurf der Landesregierung im Vergleich zu unserem Entwurf gelesen haben. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass das Benachteiligungsverbot enthalten ist. Das Thema „Gleichstellung von Frauen“, der Gedanke der doppelten Benachteiligung, ist enthalten. Deshalb sollte der Gesetzentwurf im Übrigen in den Ausschuss für Gleichstellung und Frauenförderung überwiesen werden. Die Anerkennung der Gebärdensprache ist im ursprünglichen Entwurf enthalten. Das ist bei der Landesregierung auch enthalten. Die Änderung der Wahlgesetze, behindertengerechte Formulare, der Verkehrsbereich, das Klagerecht der Verbände sind auch zu nennen.
Ich kann die Formulierungen wie „schrittweiser Ausbau der Internetangebote“ nicht verstehen. Wie das gehen soll, muss mir jemand einmal erklären. Entweder ist eine Internetseite behindertengerecht oder nicht. Es ist weder technisch noch logisch noch sonst wie zu erklären, weshalb man das schrittweise machen muss. Das tut man. Die Homepages werden heute in sehr kurzen Zeitabständen neu gestaltet, sodass man nicht von schrittweiser Neugestaltung reden muss. Das macht man einfach. Es geht ganz schnell. Da kann man etwas mehr zugreifen.
Einige der folgenden Punkte sind enttäuschend im Entwurf der Landesregierung. Der Behindertenbeirat bleibt beim Status quo. Das trägt der Arbeit des Behindertenbeirats in seiner bisherigen Form nicht Rechnung. Nach zehn Jahren engagierter Arbeit hätte er es verdient und hätte man es ihm zutrauen können, dass er mehr Eigenständigkeit und mehr Kompetenzen bekommt. Die Aufgaben des Behindertenbeirats dürfen sich nicht auf die Beratung des Behindertenbeauftragten beschränken, sondern er muss eigenständig agieren und Behörden,
Regierung, Kommunen öffentlich kritisieren können und Stellung nehmen dürfen. Das ist im Sinne einer emanzipatorischen Politik wichtig. Deshalb muss man das tun.
Es ist nicht nur enttäuschend, sondern es ist nicht sachgerecht, dass Sie gänzlich auf Regelungen für die kommunale Ebene bezüglich der Behindertenbeauftragten und Behindertenbeiräte verzichtet haben. Gerade auf kommunaler Ebene direkt vor Ort ist es am einfachsten und direktesten, Probleme anzusprechen, Beratungen zu suchen und sachgerechte Lösungen vorzubereiten.