Protocol of the Session on May 22, 2001

Ich weiß, dass wir diese Auseinandersetzung in der Vergangenheit geführt haben, und sie wird Ihnen auch in Zukunft nicht erspart bleiben.

Ich will Ihnen einmal von ganz berufenem Munde eine Prognose darstellen. Herr Professor Klaus Klemm - -

(Pörksen, SPD: Wer ist das?)

Herr Pörksen, sagt Ihnen das etwas? Die Landesregierung kennt diesen Professor sehr gut. Professor Klemm hat bei dem letzten Gewerkschaftstag der GEW eine Studie vorgelegt mit dem Ergebnis, dass bei gleich bleibenden Abiturientenquoten und bei einer unveränderten Studierneigung Deutschland ein drastischer Mangel an Akademikern und Akademikerinnen droht. Er prognostiziert, dass bis zum Jahr 2010 Deutschland eine Viertelmillion Hochschulabsolventen fehlen wird.

Klemm sagt – ich teile seine Auffassung –, wenn wir von Modernisierung reden, muss es eine zentrale Aufgabe des Bildungssystems sein, vom Kindergarten bis zur Weiterbildung Ungleichheiten, die sich aus ethnischer Herkunft, aus sozialen oder aus geschlechtsspezifischen Gründen ergeben, abzubauen und Voraussetzungen dafür zu schaffen, um Bildungsmöglichkeiten und -chancen besser wahrnehmen zu können.

Diese Prognosen finden Sie nicht nur bei Herrn Klemm, sondern Sie finden sie auch bei der OECD, und Sie finden Sie in der TIMS-Studie, die sehr deutlich gesagt hat – in der „ZEIT“ war es zitiert –, Elite braucht Masse. Das heißt, die Leistungsspitze – so hieß es in der „ZEIT“ – eines Altersjahrgangs ist in denjenigen Ländern besser, die vielen Schülern den Weg zum Abitur öffnen.

(Frau Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hört, hört!)

Offenbar führt eine zu starke Vorauswahl dazu, dass Talente übersehen werden und keine Chance haben, die Leistungselite zu verstärken. Dies war in der „ZEIT“ im letzten Jahr zu lesen.

Aber ich bin der Meinung, diesen Entwicklungen wird die Landesregierung in ihrer Bildungspolitik nicht gerecht. Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob Sie die Problemlage überhaupt kennen. Ich finde jedenfalls keine Maßnahmen, die Sie ergreifen, um die Quote von Abiturientinnen und Abiturienten zu steigern, oder eine Aufforderung an Abiturientinnen und Abiturienten, wieder vermehrt ein Studium zu beginnen. Ich suche dies vergeblich in Ihrem Koalitionsvertrag. Das ist aber eine zentrale Aufgabe von uns in diesem Land, wenn wir nach vorn schauen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie tun jedoch das Gegenteil. Was tut die SPD? – Der kleine Koalitionspartner setzt sich offensichtlich durch, und dabei schaffen Sie mehr Durchgangsbarrieren im Bildungssystem als dass Sie es durchlässiger machen. Sie sorgen dafür, eine frühzeitige Auswahl zu treffen, anstatt tatsächlich eine breite Talentförderung zu betreiben.

Meine Damen und Herren, nicht nur mit diesem Ansatz, sondern auch mit Ihren Finanzmitteln, die Sie für das Bildungssystem zur Verfügung stellen, gehen Sie meiner Meinung nach den falschen Weg. Zwar haben Sie Millionen für die Ganztagsschule angekündigt, aber wo bleiben eigentlich die Millionen, die notwendig wären,

um die Unterrichtsversorgung zu verbessern? Wo bleiben die Millionen, die erforderlich wären, um die Bedingungen an den Hochschulen zu verbessern?

Ich finde kein Wort von Ihnen zu der Frage der Qualität der Lehrer an rheinland-pfälzischen Hochschulen.

(Zuruf von der SPD)

Aber das können Sie doch nicht sagen, weil die Qualität der Lehre so hervorragend ist. Unterhalten Sie sich doch einmal mit Studierenden an den Hochschulen. Unterhalten Sie sich doch einmal mit ihnen darüber, weshalb sie im Durchschnitt 14 Semester für bestimmte Studiengänge brauchen. Es gibt eben nicht die erforderliche Qualität der Lehre und die Breite des Angebotes, weil Sie in den vergangenen Jahren, Herr Kuhn, – –

(Kuhn, FDP: Ich?)

Ja, Sie haben das mitverantwortet.

Ihre Investitionen im schulischen Bereich zum Teil zulasten der Hochschulen finanziert haben. Das kann so nicht sein.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Pörksen, SPD: Sagen Sie einmal, was wir besser ma- chen sollen! – Zuruf des Abg. Schweitzer, SPD)

Ich will jedenfalls nicht, dass diejenigen Schülerinnen und Schüler, die in den vergangenen Jahren schon zu der Verlierergeneration gehörten, weil sie in der Schule einen entsprechenden Unterrichtsausfall ertragen

mussten, das gleiche Schicksal erleben, wenn sie an die Hochschule kommen; denn genau diese Anzahl von Studierenden wird doch demnächst vor den Hochschulen stehen. Genau dort wird eine Zunahme stattfinden, und darauf sind die Hochschulen dieses Landes nicht vorbereitet. (Zuruf des Abg. Pörksen, SPD)

Daher sage ich, es müssen mehr finanzielle Mittel in den Hochschulbereich mit einem Schwerpunkt auf die Ausstattung und die Qualität der Lehre investiert werden. Sie wollten wissen, was Sie verbessern können. Das können Sie verbessern, Herr Pörksen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN)

Wir müssen vermehrt an den Hochschulen Frauenförderung betreiben. Dies müssen wir mit neuen Instrumenten sowie mit einem entsprechenden Nachdruck tun. Solange noch gilt, dass 50 % derjenigen, die das Abitur schaffen, Frauen sind, dass 40 % derjenigen, die studieren, Frauen sind, 20 % der Promovierenden Frauen sind und 10 % in der Professorenschaft Frauen sind, gibt es nur eins: Wir müssen in die Puschen kommen mit der Frauenförderung, und sei es durch verbesserte Rahmenbedingungen und konkrete Maßnahmen an den Universitäten. Dazu haben Sie aber in den letzten zehn Jahren nichts Wesentliches geleistet.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Schiffmann, SPD: Was heißt das?)

Herr Dr. Schiffmann, ich will Ihnen sagen, was das heißt. Es bedeutet zum Beispiel, bei dem Personalbemessungskonzept Frauenförderung tatsächlich mit einem finanziellen Anreiz zu versehen. Bei der Qualität der Lehre könnte man auch einen anderen Zusatz innerhalb dieser Personalbemessungskonzepte vorsehen. Nur so bekommen wir zum einen Entscheidungsfreiheit für die Hochschulen, zum anderen aber auch eine finanzielle Grundlage dafür, dass sie überhaupt das erbringen können, wofür sie eigentlich da sind, nämlich nicht nur Wissenschaft und Forschung zu betreiben, sondern tatsächlich auch Wissenschaftler und Forscherinnen auszubilden, also ein richtiges Lehrangebot zu machen.

Meine Damen und Herren, Herr Mertes hat vorhin über das Ganztagsschulangebot gesprochen und die Freiheiten genannt, die Sie den Schulen geben wollen. Da ist jetzt von den 30 Millionen DM die Rede, die jetzt für die Feuerwehrlehrerinnen und -lehrer freier von den Schulen eingesetzt werden können. Aber das kann doch nicht sein. Der Lehrerinnen- und Lehrerberuf wird auch nicht allein dadurch attraktiver, dass man die Vergütung für die Lehramtsanwärter erhöht. Vielmehr müssen Sie tatsächlich Bedingungen dafür schaffen, dass die selbs tständigere Schule in Rheinland-Pfalz auch Realität wird. Frau Brede-Hoffmann, Sie müssen nicht einmal hier und da an einem Knöpfchen drehen, sondern Sie sollten sich einmal anschauen, was Ihre Kollegen in NordrheinWestfalen machen. Dort gibt es jetzt an 300 Schulen ein Modellprojekt. Frau Brede-Hoffmann, diese Schulen haben tatsächlich breite Spielräume. Sie haben eine Jahresstundentafel. Sie haben den 45-Minuten-Takt aufgehoben. Sie haben Epochalunterricht. Sie haben variable Klassengrößen. Sie haben ein eigenes Personal- und ein eigenes Sachmittelbudget. Sie haben außerdem Möglichkeiten, das zu schaffen.

Sie hatten in Rheinland-Pfalz die Möglichkeit, dies alles schon einmal umzusetzen. Genau das haben wir Ihnen mit unserem Schulgesetzentwurf vorgelegt.

(Schweitzer, SPD: Ja, ja! Mit tausend Paragraphen!)

Dazu gab es von Ihnen nur eine Linie: Das ist uns zu weitgehend, das ist uns zu detailliert, wir wollen nicht herangehen. Ich kann Ihnen nur sagen, damit haben Sie Chancen vertan.

(Dr. Schiffmann, SPD: Das war ein ziemliches Durcheinander!)

Sie hätten sich damit vorneweg stellen können.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Schweitzer, SPD: Tausend Paragraphen!)

Diese Diskussion um eine selbstständigere Schule, die eine Voraussetzung für ernsthafte Qualitätsentwicklung an der Schule ist, werden wir wahrscheinlich hier noch öfter führen, Frau Brede-Hoffmann.

(Frau Brede-Hoffmann, SPD: Das denke ich auch!)

Da werden wir auch nicht locker lassen. Wir werden unseren Finger darauf legen und Sie in diesem Punkt treiben.

(Schweitzer, SPD: Da werden Sie sich ganz schön verbrennen!)

Sie haben von der Ganztagsschulbetreuung gesprochen. Herr Mertes hat vorhin seine Vorstellungen dazu entwickelt. Sie wissen, im Prinzip unterstützen wir dieses Projekt. Nur, ich wäre etwas vorsichtig mit den Worten „wohnortnah“ und „elternnah“ und „flächendeckend“ bei 300 Schulen in Rheinland-Pfalz. Rechnen Sie das einmal für die Grundschulen und die weiterführenden Schulen auf die einzelnen Kreise um, und dann schauen Sie sich einmal den Zuschnitt von Kreisen an, dann sehen Sie einmal, wie wohnortnah tatsächlich diese Angebote sind. Aber das ist eine Detailkritik.

(Frau Brede-Hoffmann, SPD: Sie würden erst gar nicht anfangen! Das ist viel schlimmer!)

Das kann man ausbauen, das kann man weitermachen. Wir haben Ihnen doch Vorschläge gemacht, wie man anfangen kann.

(Schweitzer, SPD: Gar nichts haben Sie!)

Wir haben auch aufgezeigt, wo man Schwerpunkte setzen kann. Wenn es um die Ganztagsschule geht, möchte ich auch hier von Qualität sprechen. Eine Unterbringung bis 16:00 Uhr am Nachmittag bedeutet nicht, dass das der richtige Ort für Schülerinnen und Schüler und für Jugendliche ist. Wir müssen tatsächlich auch Qualität bekommen. Ich stelle Ihnen in diesem Zusammenhang eine Frage, auf die Sie Antworten finden müssen, wir auch. Enja Riegel, die Schulleiterin der HeleneLange-Schule in Wiesbaden, hat gefragt: Wie kann verhindert werden, dass das graue Einerlei der Vormittage sich nun auch am Nachmittag fortsetzt, ein wenig garniert mit Hausaufgabenüberwachung, mit Rechtschreibförderkursen oder von Vereinstrainern erteiltem Sportunterricht.

(Frau Spurzem, SPD: Mein Gott, wie kann man nur so negativ sein!)

Ich muss Ihnen sagen, das, was Herr Mertes vorhin beschrieben hat, hat mich ziemlich an diese Frage von Enja Riegel erinnert. Deshalb stelle ich sie hier auch.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Antwort kann ich Ihnen schon im Interesse der Schülerinnen und Schüler und der Eltern, die auf diese Ganztagsbetreuung angewiesen sind, geben. Qualität in der Ganztagsschule werden sie im Ehrenamtsformat so, wie sich die FDP das immer vorstellt, nicht hinbekommen. Das kann diesen Ansprüchen nicht genügen. Da

muss Qualität durch professionelle Angebote und Ausstattung mit Fachkräften, mit Lehrern und Lehrerinnen gesichert werden.

(Frau Brede-Hoffmann, SPD: Haben Sie unsere Presseerklärungen der letzten Monate irgendwann einmal zur Kenntnis genommen?)

Nur dann werden sie auch Qualität erbringen und Talentförderung im breitesten Sinn des Wortes machen können.