Protocol of the Session on May 16, 2002

Ein wichtiges Projekt war die Entwicklung des „Betreuten Wohnens“, das Ende der 80er-Jahre in Rheinland-Pfalz begann und dann kontinuierlich ausgebaut wurde. Heute leben etwa 1.520 Menschen mit seelischer Behinderung in dieser Wohnform.

Zur Normalisierung des Alltags der Betroffenen gibt es mittlerweile Tagesstätten mit Kontaktstellenfunktion als Ergänzung zu den Werkstätten für behinderte Menschen ebenso wie die Integrationsfirmen.

Bei all diesen Einrichtungen lassen sich die prinzipiellen Änderungen durch die neuen Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes, das zum 1. Januar 1999 in Kraft trat, aufweisen. Die geplanten Maßnahmen für die Betroffenen werden nicht mehr pauschal organisiert und finan

ziert, sondern es ist für jeden kranken Menschen eine individuelle Hilfeplanung erforderlich, damit er seine sozialen Schwierigkeiten und damit seine Eingliederung in unsere Gesellschaft bewältigen kann.

(Beifall bei SPD und FDP)

Diese Vorgabe, den einzelnen Menschen in den Vordergrund der Hilfe zu stellen, ist das, was hier im Lande mit der gemeindenahen Psychiatrie angegangen wurde. Aus den Angeboten heraus hat sich auch das Projekt „Selbst bestimmen, Hilfe nach Maß für Behinderte“ entwickelt, dessen Abschlussbericht uns im Oktober 2001 vorgelegt wurde und das auch jetzt flächendeckend eingeführt werden soll.

Zu dieser Grundhaltung „ambulant vor stationär und wohnortnah“ gehört auch die Förderung und die Erprobung der Entwicklung der gemeindepsychiatrischen Verbünde. Gemeinsames Ziel des Landes, der Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege und der privaten Dienste und Einrichtungen der Psychiatrie ist es, innerhalb von fünf Jahren ein einheitliches Hilfeplanungsinstrument zu entwickeln, das auch Grundlage für die Kalkulation einer angemessenen Maßnahmenpauschale ist.

(Beifall bei SPD und FDP)

Parallel zu der Erwachsenenpsychiatrie läuft die Entwicklung im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Auch hier wird die seit Dezember 1994 vorliegende Planungskonzeption verfolgt. Gab es 1994 insgesamt 78 voll- und 24 teilstationäre Plätze, so sind es Ende 2001 insgesamt 170 voll- und 40 teilstationäre Plätze. Auch hier wurde im Mai 2001 empfohlen, mindestens ein weiteres kinder- und jugendpsychiatrisches Angebot in der Pfalz und ein Angebot im Raum Westerwald zu installieren.

(Beifall bei SPD und FDP – Schweitzer, SPD: Sehr gut!)

An der Mainzer Universität ist die Einrichtung einer Kinder- und Jugendpsychiatrie vorgesehen. Auch hier und insbesondere bei unseren jungen Patienten ist für den Erfolg der Behandlung die Vernetzung von medizinischer Behandlung und pädagogischen Hilfen ebenso erforderlich wie die Einbindung des sozialen Umfelds der Patientinnen und Patienten. Ich setze es als selbstverständlich voraus, dass dabei das Schulangebot nicht vernachlässigt wird.

Meine Damen und Herren, an den drei großen Fachkliniken des Landes gibt es auch forensische Abteilungen. Alle drei Einrichtungen verfügen über differenzierte Behandlungskonzepte für die untergebrachten straffällig gewordenen Personen, wobei nur in der Pfalzklinik jugendliche Maßregelvollzugspatienten behandelt werden.

Die Qualität des Maßregelvollzugs hat sich deutlich verbessert, weil sich in den Häusern seit Anfang der 90er-Jahre eigene forensische Abteilungen mit eigener ärztlicher Leistung und Pflegediensten entwickelt haben. Neben der Erhöhung der Anzahl der Beschäftigten in den drei forensischen Kliniken finden auch viele interne

und externe Fort- und Weiterbildungsangebote im therapeutischen, pflegerischen und rechtlichen Bereich statt.

Da der Maßregelvollzug den gesetzlichen Auftrag hat, die untergebrachten Patienten zu bessern und zu sichern, sind neben vielen baulichen Maßnahmen, um einen landesweit einheitlichen Sicherheitsstandard zu gewährleisten, auch neue wissenschaftliche Wege der Prognosekriterien als Entscheidungshilfe für Vollzugslockerungen eingeschlagen worden.

In allen Maßregelvollzugseinrichtungen des Landes wird seit 1999 das von Prof. Dr. Dittmann von der Universität Basel entwickelte Prognoseinstrumentarium angewandt. Die systematische Anwendung dieses Instrumentariums trägt zur erhöhten Sicherheit bei, verbessert die Qualität der Behandlung und hilft auch mit, die Prozess- und Strukturqualität der Maßregelvollzugseinrichtung überprüfbar zu machen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Meine Damen und Herren, wenn wir heute über die gemeindenahe Psychiatrie in Rheinland-Pfalz und ihre Entwicklung sprechen, dürfen wir nicht das Engagement vieler Beteiligter unterschätzen. So arbeiten viele Selbsthilfegruppen an der Entwicklung der gemeindenahen Psychiatrie mit. Ich möchte besonders die Arbeit des Vereins zur Unterstützung der gemeindenahen Psychiatrie erwähnen, da es sich die Mitglieder dieses Vereins zur Aufgabe machen, die in der Bevölkerung bestehenden Vorurteile gegenüber psychisch kranken Menschen abzubauen. Ihr Engagement hat vielen Betroffenen und ihren Angehörigen Mut gemacht, sich selbst für ihre Interessen einzusetzen, aber auch zu ihrer Krankheit zu stehen.

Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, dass die Entwicklung der gemeindenahen Psychiatrie notwendig ist und die sichtbaren und vorbildlichen Integrationsfortschritte ein Beleg für den Erfolg der Reform sind.

Vielen Dank. (Beifall der SPD und der FDP)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Dr. Altherr das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Bewertung meiner Vorrednerin ist bei mir der Eindruck entstanden, als würde die Regierung sprechen.

Verehrte Frau Kollegin Leppla, es ist Aufgabe der Regierung, ihre Leistungen darzustellen. Aufgabe des Parlaments ist es, sie zu kontrollieren und kritisch zu hinterfragen. Das habe ich bei Ihnen etwas vermisst.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in keiner anderen Institution spiegeln sich Glanz und Elend uns erer sozialen Verhältnisse und auch unserer humanitären Einstellung zumindest in den letzten 200 Jahren so wider wie in den Nervenheilanstalten oder in den psychiatrischen Krankenanstalten. Sie wissen, dass sich mit Beginn des 19. Jahrhunderts die Psychiatrie als eigenständiges Fach etabliert hat und es damals neben den schon seit dem Mittelalter bestehenden Krankenhäusern und Hospizen zu Fachkliniken gekommen ist.

Sie wissen auch, dass man die psychisch Kranken lange Zeit stigmatisiert hat. Das heißt, man hat diese Fachkliniken weit in die Flur hinein gesetzt, und zwar weit weg von den bewohnten Siedlungen der Menschen, um den Abstand zu demonstrieren. In anderen Kulturkreisen hat man das mit Lepra-Kranken auch getan.

Allein schon an der Diktion des Namens konnte man erkennen, welchen Wert eine Gesellschaft solchen Anstalten zugemessen hat. Früher sprach man etwas abfällig von Irrenanstalten. Sie alle werden den Begriff „Irrenanstalten“ noch kennen. Dann wurde man etwas vornehmer. Man sprach dann von Nervenheilanstalten oder von Heilanstalten und Pflegeanstalten.

Meine Damen und Herren, wir dürfen uns nichts vormachen. Diese Kliniken waren über viele Jahrzehnte nur Verwahranstalten. Die damalige therapeutische Zielsetzung war, diese seelisch kranken Menschen zu verwahren und sie von der Bevölkerung fern zu halten. Das ist noch gar nicht so lange her.

Ich möchte auch im Fall der psychiatrischen Behandlung die USA als Beispiel anführen. So wurde im Jahr 1955 in den USA eine „joint commission“ eingesetzt, die damals das Ziel hatte, die dort bestehenden Großkliniken zu untersuchen. Man muss wissen, dass es in den USA damals psychiatrische Anstalten mit 12.000 bis 15.000 Insassen gab. Das ist eine Zahl, die für uns unvorstellbar ist.

Wir kennen in Deutschland – ich habe das nach der Wiedervereinigung in den neuen Ländern erlebt – eine Großklinik in der Nähe von Leipzig, auch eine psychiatrische Anstalt, mit 1.500 Insassen.

Frau Leppla, was die Landesregierung macht, ist nichts Neues. Das gibt es schon seit langem.

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das macht sie, weil Sie es versäumt haben!)

Frau Thomas, ich komme später darauf zurück. Die Ergebnisse der „joint commission“ haben dazu geführt, dass der damalige Präsident Kennedy im Jahr 1963 quasi die wohnortnahe Psychiatrie in den USA eingeführt hat. Diese heißt dort etwas anders. Man nannte sie dort Community Mental Health Center. Diese Community Mental Health Center sind die Vorgänger unserer gemeindenahen Psychiatrie. In den USA kennt man das Modell schon seit 1963.

(Zuruf der Abg. Frau Leppla, SPD)

Damals waren Sie an der Regierung. Überlegen Sie einmal, wer damals an der Regierung war.

Frau Thomas, jetzt zu Ihnen. Wir haben in Deutschland, wie in anderen europäischen Ländern auch, die Psychiatrie-Enquete-Kommissionen eingesetzt. Das Ergebnis lag 1975 vor. Wir hatten damals bekanntlich keine CDUgeführte Bundesregierung.

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aber eine Landesregierung, die in Rheinland-Pfalz nichts gemacht hat!)

Frau Thomas, langsam, langsam.

Frau Thomas, zuerst muss einmal ein Bundesgesetz vorliegen. So einfach ist das nicht. Sie kennen diese Verhältnisse.

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das war bei den anderen Bundesländern nicht so!)

Frau Thomas, doch, dort war es auch so. Machen Sie doch einmal langsam, nicht so ungeduldig. Sie sind noch jung und ungeduldig. Sie sind anscheinend noch in der Sturm- und Drangzeit.

1975 lagen die Ergebnisse der Psychiatrie-EnqueteKommission vor. Erst 1985 hat die CDU-geführte Bundesregierung diese Ergebnisse in Gesetzesvorhaben umgesetzt.

Meine Damen und Herren, es hat doch noch lange gedauert, bis das Land Rheinland-Pfalz im November 1995 das entsprechende Landesgesetz erlassen hat.

Frau Leppla, Sie sehen, auch die neue Landesregierung hat eine lange Zeit gebraucht, um die Bundesvorgabe umzusetzen. Rheinland-Pfalz war nicht das erste Land. Es gibt andere Bundesländer – Frau Thomas hat Recht –, die bei der Umsetzung schneller waren, weil es dort andere Voraussetzungen gegeben hat.

Wir sind auf gutem Wege. Ich will die Erfolge nicht bestreiten.

Frau Leppla, Sie haben zwar alle Erfolge aufgezählt, aber die Defizite, die unbestreitbar und für die Kenner der Materie offenkundig sind, haben Sie nicht genannt. Es wäre auch eine Aufgabe des Parlaments – diese ergibt sich aus der Stellungnahme einer Großen Anfrage –, die Landesregierung auf die Mängel und Defizite hinzuweisen.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben mit einem selbstverständlichen Blick zur Frau Ministerin vorgetragen, dass Sie das schulische Angebot als selbstverständlich voraussetzen. In Ihrer Großen Anfrage stellen Sie die Frage, ob die Landesregierung das schulische Angebot für ausreichend hält. Nun sieht man, wie ernst Sie ihre eigenen Fragestellungen nehmen; denn die Landesregierung hat diese dezidierte Frage nicht beantwortet. Sie gibt zwar die Wochenstunden an, aber zu Ihrer dezidierten Frage, ob die Landes

regierung das schulische Angebot für ausreichend hält, gibt sie keine Antwort.

(Jullien, CDU: Sie streikt!)

Ihre Aufgabe wäre gewesen, wenn nicht auf dem kleinen Dienstweg, dann heute nachzufragen. Sie hätten die Gelegenheit gehabt. Aus diesem Grund muss ich es tun. Ich muss die Landesregierung fragen, ob sie, wie in Ihrer Fragestellung vorgegeben, das schulische Angebot für ausreichend hält.