Protocol of the Session on January 24, 2002

(Rösch, SPD: Warum diskutieren wir?)

Wir sehen daher das „Mainzer Modell“ neben dem JobAQTIV-Gesetz, der Arbeit statt Sozialhilfe, als einen weiteren Mosaikstein zur Schaffung von Beschäftigungsverhältnissen.

(Rösch, SPD: Sehr gut! Da sind wir uns einig!)

Allerdings tragen die unterschiedlichen Erwartungen und Auffassungen zum „Mainzer Modell“ nicht zur Klarheit bei. 30.000 neue Stellen sagt die Bundesregierung. 10.000 sagen Arbeitgeber und DIW. 100.000 Stellen sagt Minister Gerster aus Rheinland-Pfalz. Es gibt Zitate. Zum Beispiel sagt Herr Brüderle „Ablenkungsmanöver zur Vertuschung Ihrer destaströsen Arbeitsmarktpolitik“, obwohl er in der Koaltitonsvereinbarung dieses Modell mit unterschrieben hat.

Herr Rürup vom Sachverständigenrat sagte: „Aktionismus pur, kleine kosmetische Operation, von der man nicht viel erhoffen kann.“

Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund ist das „Mainzer Modell“ aus der Sicht von Herrn Gerster

eine Chance für Zehntausende, wenn man es mit großflächiger Reklame überall verständlich proklamiere. Für die Werbetrommel – so seine Aussage – muss man Geld in die Hand nehmen; denn das Stottern seines Kombilohnmodells und -motors erklärt er mit Informationsdefiziten.

Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund ist ein Gesamtkonzept unbedingt erforderlich; denn man muss wissen, dass das „Mainzer Modell“ Grenzen hat. Es löst Flexibilitäts- und Mobilisierungsprobleme als Ursache für fehlende Einstellungen nicht, gibt den Arbeitgebern keine Anreize, erreicht wirklich zuvor Arbeitslose nur zu begrenzten Teilen und kann so auch keine Dauerlösung sein, die ohne entsprechende Strukturreformen an Ursachen und Fehlanzeigen auf dem Beschäftigungssektor herangeht.

Meine Damen und Herren, wir von der CDU wollen nicht die Arbeitslosen, sondern die Arbeitslosigkeit bekäm pfen. Daher brauchen wir Brücken in den Arbeitsmarkt. Der rasante Wandel unserer Arbeitswelt erfordert eine Politik, die die Menschen zum Wandel befähigt und ermutigt, eine Politik, die sie mitnimmt. Andere Länder zeigen uns, es gibt kein Naturgesetz, wonach Arbeitslosigkeit dauerhaft hoch sein muss.

Meine Damen und Herren, nur mit einem Mix an Maßnahmen können wir die unterschiedlichen Ursachen von Arbeitslosigkeit wirksam bekämpfen. Wir werden dazu unseren Beitrag leisten.

Ich bedanke mich.

(Beifall der CDU)

Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Abgeordneter Günter Rösch.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Niemand kann, will und darf darüber hinwegreden, dass wir insbesondere aufgrund des deutlich gesunkenen Wirtschaftswachstums bundesweit Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben.

(Lelle, CDU: Andere haben das auch!)

Herr Kollege, niemand wird und kann auch bestreiten, dass wegen fehlender Arbeitsplätze die Auswahlprozesse auf dem Arbeitsmarkt zulasten der Schwächeren stattfinden. Anders ausgedrückt: Gerade für gering qualifizierte, aber auch für ältere und gesundheitlich eingeschränkte Menschen sind seit zwanzig Jahren die Beschäftigungsmöglichkeiten zunehmend weggebrochen.

Kurz: Es mangelt an bezahlbarer Arbeit. – Vor diesem Hintergrund wurde nicht nur im Bündnis für Arbeit nach neuen Ansätzen gesucht, sondern selbstverständlich hat sich auch unsere Landesregierung intensiv mit diesem Problem beschäftigt. Dabei standen zum Beispiel fol

gende Fragen im Vordergrund: Wie können wir Arbeitsmöglichkeiten für gering Qualifizierte schaffen? Wie können wir zusätzliche Arbeitslosenhilfeempfänger und Sozialhilfeempfänger in Arbeit bringen? Was kann getan werden, damit sich Arbeit wieder lohnt?

Mit dem „Mainzer Modell“ wollen wir, dass Arbeitnehmer mit niedrig bezahlten Jobs ein höheres Nettoeinkommen erzielen, ohne dass der Staat in die Tarifautonomie eingreift.

Lassen Sie mich in aller Deutlichkeit sagen, wir wollen mit dem „Mainzer Modell“ keineswegs einen zusätzlichen Niedriglohnsektor schaffen, sondern wir wollen die vorhandenen tariflichen Möglichkeiten für die Menschen nutzen, die auf einfache Arbeitsplätze angewiesen sind.

In der Tat – da stimme ich unserem Sozialminister Gerster zu –, es macht keinen Sinn, dass der Staat Kleinverdiener in voller Höhe mit Sozialabgaben belastet, wenn dann die gleichen Menschen wegen zu niedriger Nettoeinkommen ergänzende Sozialhilfe erhalten.

(Beifall der SPD und der FDP)

Die Frage, ob genügend Arbeitsplätze im Land vorhanden sind, ist durch eine repräsentative Betriebsumfrage der Universität Frankfurt belegt. Demnach gibt es für diesen Personenkreis ausreichend Arbeitsplätze.

Meine Damen und Herren, wie sieht nun das „Mainzer Modell“ konkret aus? – Damit diejenigen, die in gering bezahlten Jobs arbeiten, ein höheres Nettoeinkommen erzielen, erhalten diese vom Staat Zuschüsse zu den Sozialversicherungsbeiträgen, wenn das Einkommen mehr als 325 Euro – bisher 630 DM – beträgt. Mit steigendem Gehalt verringert sich der Zuschuss. Es beläuft sich bei Alleinstehenden auf 810 Euro und bei Verheirateten und Alleinerziehenden auf 1.620 Euro. Darüber hinaus wird ein maximaler Zuschuss von 77 Euro pro Kind zusätzlich zum Kindergeld gezahlt.

Sie sehen, die Zuschüsse gehen nicht an die Arbeitgeber, sondern stehen den Beschäftigten direkt zur Verfügung.

(Beifall bei SPD und FDP)

Meine Damen und Herren, dieses Modell für mehr Beschäftigung und Familienförderung wird seit dem 1. September 2000 als Bundesmodell in den Arbeitsamtsbezirken Koblenz, Mayen, Montabaur und Neuwied durchgeführt. In mehr als 800 Fällen konnten bisher Arbeitsplätze in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden. Nunmehr wird dieses Modell erfreulicherweise bundesweit ausgedehnt.

Verehrter Herr Kramer, an der Diskussion, wie viele Menschen in Deutschland mithilfe dieses Modells letztendlich vermittelt werden können, will ich mich an dieser Stelle nicht beteiligen.

Euphorie ist ebenso unangebracht wie Pessimismus. Wenn aber – davon gehen wir aus – die Mitarbeiter der Arbeitsämter und Sozialämter intensiv bei den Arbeitge

bern für entsprechende Arbeitsplätze werben, wenn unermüdlich Überzeugungsarbeit geleistet wird, auch von uns Politikern, von den Gewerkschaften und von den Arbeitgebern, aber auch von den Medien, dann wird dieses „Mainzer Modell“ mit Sicherheit ein großer Erfolg.

Lassen wir uns also nicht davon abbringen, den für gut befundenen Weg konsequent zu gehen, zumal dieses Modell auch Basis sein kann, eine grundsätzliche und dauerhafte Reform der sozialen Systeme zu erreichen.

Im Übrigen sollen und müssen auch andere Instrumente, wie zum Beispiel flexiblere Arbeits- und Teilzeitmodelle oder der Abbau von Überstunden, genutzt werden.

Meine Damen und Herren, noch einmal: Ich bin guter Dinge. Ich stimme dem Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit zu, der ebenfalls offensiv für das „Mainzer Modell“ wirbt. Er fordert Solidarität und Einsicht. Ich übernehme ein Zitat von ihm: „Der Mensch hat drei Möglichkeiten, klug zu handeln: durch Nachdenken – der edle Weg, durch Nachahmen – der leichte Weg, durch Erfahrung – der bittere Weg.“ Um möglichst allen Menschen die Chance auf Arbeit zu ermöglichen – so Herr Jagoda –, müssen wir alle drei Wege gehen. –

Lassen Sie mich abschließend sagen: Die Entscheidung der Berliner Koalition, mit dem Instrument des „Mainzer Modells“ bundesweit den Arbeitsmarkt zu beleben, bestätigt nicht nur den Vater dieses Modells, Minister Gerster, sondern wir alle, die wir für eine aktive Arbeitsmarktpolitik eintreten, freuen uns über diese zusätzliche Chance. Nutzen wir sie.

(Beifall der SPD und bei der FDP)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Marz das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Jedes Instrument zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit muss sich angesichts von vier Millionen Arbeitslosen daraufhin überprüfen lassen, inwiefern es wirksam ist, wie wirksam es ist, wie viel es kostet, welche Menschen es erreicht.

Wenn wir über den Kombilohn sprechen, dann kann man zunächst festhalten: Möglicherweise ist der Kombilohn ein Mosaiksteinchen in einem großen Programm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Es ist selbst angesichts der optimistischsten Erwartungen ein sehr kleines Mosaiksteinchen.

(Rösch, SPD: Das muss man abwarten!)

In Berlin sind die Entscheidungen gefallen. Sie wissen, wir haben dort weit mehr gefordert, als nun umgesetzt wird. Aber wir sagen auch, wir haben den Vorteil, dass wir bei Umsetzung des Kombilohns auf Bundesebene auf die Erfahrungen in Rheinland-Pfalz mit dem „Mainzer Modell“ zurückgreifen können. Das ist immerhin ein

Vorteil. Da kann man Schwachstellen analysieren, aus Fehlern lernen und möglicherweise einiges besser machen.

An dieser Stelle nutzt es nichts, ungebremst zu jubeln. Ich hoffe, dass wir beim Auftritt des Herrn Ministers nicht allzu viel in dieser Hinsicht erleben.

Es nutzt aber auch nichts, wie das der FDP-Vorsitzende Brüderle gemacht hat, nun kleinkrämerisch herumzunörgeln und die Sache kleiner zu reden, als sie ist.

Das rheinland-pfälzische „Mainzer Modell“ hat gezeigt, dass es entgegen der Erwartungen, die der Minister bei seiner Einführung geäußert hat, in den Erfolgen kleiner geblieben ist. Es hat zum anderen gezeigt, dass es für einzelne Segmente bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sehr wohl positive Effekte gibt, beispielsweise dabei, Alleinerziehende wieder in eine berufliche Tätigkeit einzugliedern. Da hat es zweifellos Erfolge gezeigt. Was auffällt – da sollten wir auch nicht drum herumreden –, ist, dass die Fallzahlen zunächst um die Abbrecher, die es gegeben hat, bereinigt werden müssen. Es ist von 700 bis 800 Fallzahlen die Rede. Aber fast ein Drittel dieser Menschen hat innerhalb sehr kurzer Zeit die Maßnahme abgebrochen.

(Rösch, SPD: Vorige Woche haben Sie von einem Viertel gesprochen!)

Was ein methodisches Problem in dieser Hinsicht ist, ist, dass wir nicht wissen, warum sie abgebrochen haben. Es ist sehr wichtig, dass wir wissen, warum sie abgebrochen haben. Haben sie abgebrochen, weil sie darüber nicht genug informiert waren? – Dann müsste man die Information verbessern. Haben etwa Alleinerziehende abgebrochen, weil sie nicht wussten, wohin sie mit ihren Kleinkindern sollten, weil sie keine Betreuungsmöglichkeiten haben? – Dann müssen Betreuungsmöglichkeiten geschaffen werden. Ansonsten stochert man etwas im Dunkeln herum, wenn man diese Frage nicht beantwortet. Diese Frage ist bis heute nicht beantwortet. Sie können sie nicht beantworten. Von daher muss man das, um seriös weitermachen zu können, um möglichst viel Erfolg erreichen zu können, tun.

Das Zweite ist die Frage: Inwiefern sind überhaupt arbeitsmarktpolitische Effekte und nicht nur individuelle Effekte erzielt worden? Gab es Mitnahmeeffekte? Gab es Verdrängungseffekte aus dem bestehenden Arbeitsmarkt in solche Maßnahmen hinein? – Auch diese Fragen wurden im Rahmen der Überprüfung des „Mainzer Modells“ bislang nicht beantwortet. Aber das ist wichtig, wenn man im Saldo 15.000, 30.000, 40.000 oder gar 100.000 – wie der Minister – neue Arbeitsplätze schaffen will. Wer will das nicht? – Da muss er auch die Frage beantworten, ob tatsächlich neue Arbeitsplätze geschaffen werden oder ob nur auf bestehende Arbeitsplätze andere Menschen subventioniert draufgesetzt werden. Das muss man doch wissen.

(Rösch, SPD: Genau das wollen wir nicht!)

Eben. Natürlich. Genau. Ich unterstelle Ihnen doch gar nicht, dass Sie das wollen.

Ich sage Ihnen, Sie müssen das herausfinden, um zu verhindern, dass es solche Fehlentwicklungen gibt. Wenn Sie sich aber weigern, das herauszufinden, nur um Ihre Schönrederei aufrechtzuerhalten, dann funktioniert das nicht.

(Rösch, SPD: Das ist alles bei den Arbeitsämtern belegt!)