Protocol of the Session on October 12, 2005

In diesem Sinn bedanke ich mich auch sehr, sehr herzlich beim Parlament für seine Unterstützung.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich begrüße Gäste im rheinland-pfälzischen Landtag, und zwar Mitglieder des Mandolinen-Clubs Mendig und Bürgermeister der Verbandsgemeinden Rhaunen und Herrstein. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im Hause)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben gerade die zweite Regierungserklärung zum Thema „Pflege“ gehört. Die erste wurde im Dezember 2002 abgegeben. Die Landesregierung dokumentiert damit meiner Meinung nach, dass bei diesem Thema ein Nachholbedarf besteht.

(Unruhe bei der SPD)

Auf Seite 8 der Broschüre des Ministeriums „Menschen pflegen“ heißt es: „Es besteht jedoch weiterer Handlungsbedarf, auch wenn in Rheinland-Pfalz neben einer flächendeckenden und bedarfsgerechten Grundversorgung mit ambulanten Hilfen heute ein ausreichendes

Angebot an stationärer Pflege bereitgestellt wird.“ Es ist in der Tat richtig, dass da Handlungsbedarf besteht; denn die eigentlichen Probleme liegen in der Zukunft. Deshalb begrüßt die CDU-Fraktion, dass die Landesregierung ihren Aufgaben in diesem Bereich nachkommt; denn die Folgen für die Gesundheitsversorgung sind aufgrund der Demografie in Rheinland-Pfalz besonders offensichtlich.

Ich darf in diesem Zusammenhang an unsere Initiative zum Thema „Demenz“ im Jahr 2000 erinnern. Das wurde damals zum Landtagsthema gemacht. Ich darf auch an einen damals abgelehnten Antrag der CDU-Fraktion zum Thema „Zukunft der Pflege“ und an zwei Große Anfragen zu den Themen „Personalsituation“ und „Ausbildung in der Altenpflege“ erinnern.

Wir haben vor einem Jahr eine Große Anfrage zum Thema „Folgen für die Gesundheitsversorgung aufgrund der demografischen Entwicklung“ gestellt. Da war das Thema „Pflege“ auch mit einbezogen. In der Antwort auf die Frage 2 heißt es – ich darf zitieren –: „Die Bereiche der Pflege, Rehabilitation und Prävention werden in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen und in Zukunft besser miteinander verzahnt werden müssen. Aufgrund der zu erwartenden Zunahme hochbetagter und multimorbider Menschen müssen Versorgungsstrukturen flexibel organisiert sein und nahtlos ineinander greifen. Dabei kommt ambulanten Angeboten eine wachsende Bedeutung zu.“

In der Tat werden in Rheinland-Pfalz 70 % aller Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt. Der Bedarf an professioneller Pflege wird zunehmen, und er wird Ergänzung brauchen mit weiteren Angeboten im Sinn dieses Hilfemixes, sei es ehrenamtlich oder durch Familienangehörige. Die Unterstützung des familiären und ehrenamtlichen Pflegepotenzials ist sehr wichtig.

Bereits jetzt ermöglicht die Pflegeversicherung die Wertschätzung des Beitrags pflegender Familienmitglieder; denn pflegende Angehörige sind eine wichtige Säule bei der Versorgung und Betreuung Pflegebedürftiger, und sie beweisen bei der Erbringung ihrer Aufgaben hohe Flexibilität und auch Belastbarkeit.

(Beifall der CDU)

All diejenigen, die das zu Hause erleben, können das sicherlich bestätigen.

Trotzdem muss man feststellen, dass viele irgendwann vor einer Zerreißprobe stehen und an die Grenzen ihrer Belastungsfähigkeit kommen.

Im Gesamtkontext Pflege sind drei Punkte von mir herauszustellen.

Das Erste ist die Qualität. Da sind wir uns einig. Diese Qualität darf nicht dem Zufall überlassen werden. Qualität ist aber auch – das sage ich als Arzt – optisch erkennbar. Wenn ich in ein Patienten- oder Pflegezimmer hineinkomme, sieht man oder riecht man auch unter Umständen, ob in diesem Fall gut oder nicht so gut gepflegt wird.

Das Problem für das Pflegepersonal ist aber, dass es ein hohes Maß an Arbeitsverdichtung hat und die Pflegedokumentation überbürokratisiert ist, um irgendwelchen Überprüfungen des MDK gewachsen zu sein. Da besteht großer Handlungsbedarf. Es ist dringend empfehlenswert, das Dokumentationsverhalten zu verbessern. Frau Dreyer, da stimme ich Ihnen zu. Wir müssen dazu kommen, dass bessere Systeme zur Anwendung kommen, die das ermöglichen.

Zusammenfassend kann man sagen, bei der Qualität und der Dokumentation müssen wir entbürokratisieren. Die Zeit, die die Mitarbeiter benötigen, um zu dokumentieren, fehlt bei der Versorgung der Menschen.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist die bedarfsgerechte Zahl der Pflegekräfte. Das ist sowohl für die zu Pflegenden als auch für die Pfleger selbst wichtig.

Da kann man feststellen, dass trotz des Arbeitsmarkts zwei Drittel aller Einrichtungen Probleme bei der Stellenbesetzung haben. Bei ambulanten Diensten sind es 74 %. Im stationären Altenpflegebereich sind es 70 %. Die größten Besetzungsprobleme gibt es offensichtlich bei Altenpflegerinnen und Altenpflegern.

Ambulant vor stationär funktioniert nur dann richtig, wenn dieses Besetzungsproblem behoben werden kann.

Woran liegt das? Was sind die Ursachen und Gründe dafür? Da kann man vier Punkte aufzählen, nämlich

die gesellschaftliche Anerkennung ist zu gering, – die Arbeitsbelastung ist zu hoch, – die Bezahlung ist im Vergleich zu dem, was geleistet werden muss, nicht angemessen, und – die Arbeit ist verdichtet.

Hinzu kommt, dass es neben mangelndem Nachwuchs in der Tat auch bei den Ausgebildeten – das ist ein großes Dilemma – eine geringe Verweildauer im Beruf gibt.

Deswegen müssen die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Werbekampagnen allein helfen nicht. Neben einer verstärkten Förderung der Pflegeausbildung ist es unerlässlich – das ist eine politische Aufgabe –, die gesellschaftliche Anerkennung der Pflegenden zu erhöhen und damit auch den Personalmangel zu beseitigen. Imagekampagnen können nur ein Baustein sein.

Es ist insbesondere erforderlich, den Pflegeberuf substanziell attraktiv zu machen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Dazu gehören auch – das funktioniert in Amerika gut – sichtbare Karrierechancen, akzeptable Arbeitszeiten, eine leistungsgerechte Bezahlung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Ein letzter Punkt, der mir wichtig ist – Herr Rüddel wird später zu anderen Dingen noch etwas sagen –, ist das Thema „Demenz“. Sie haben sehr viel dazu gesagt. Es ist gut, dass sich bei dieser häufigsten und folgenreichsten psychiatrischen Erkrankung des alten Menschen in den letzten Jahren etwas getan hat. Es haben Aufklä

rung und Informationen in allen Bereichen stattgefunden, wie zum Beispiel bei den Angehörigen, Therapeuten und Ärzten. Wir müssen sehen, dass sich in den nächsten 15 Jahren die Zahl von 900.000 auf fast 1,5 Millionen in Deutschland erhöhen wird. Das bringt Herausforderungen mit sich.

Auch wenn der Bund zuständig ist, ist es nötig – ich denke, die Länder können Druck machen –, dass wir bei der Pflegeversicherung wie schon vor Jahren gefordert dahin kommen, dass die Besonderheiten der Pflege und der Versorgung Demenzkranker Berücksichtigung finden. Das fehlt bisher und ist nicht gerecht.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Pflege eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und nicht nur ein Arbeitsmarkt ist. Ich darf auf einen Bericht der EnqueteKommission „Situation und Zukunft der Pflege“ in Nordrhein-Westfalen hinweisen. Dieser Bericht geht weit über diese Regierungserklärung hinaus. Ich empfehle Ihnen, diesen Bericht zu lesen. Ich denke, das letzte Wort zu diesem Thema ist noch nicht gesprochen.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank.

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dröscher.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere Zukunft ist eine Gesellschaft des langen Lebens. Das ist auch in Rheinland-Pfalz bereits Realität. Die niedrigen Geburtenraten, die anhalten, und die weiter steigende Lebenserwartung sind dafür die Ursachen. Dieser Wandel der Altersstruktur bei einem zahlenmäßigen Rückgang der Bevölkerung hat Folgen für alle Lebensbereiche, und zwar den Arbeitsmarkt, den Wohnungsmarkt und die Bildungs- und Sozialsysteme. Die erfolgreiche Gestaltung dieses Wandels wird immer mehr zum Maßstab einer solidarischen Gesellschaft.

Diese demografische Entwicklung ist aufgrund ihrer Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme allgemein auch mit Befürchtungen verbunden. Dabei werden die Chancen – Staatsministerin Frau Dreyer hat das bereits angedeutet – des Gewinns an Lebenszeit für die Gesellschaft und den Einzelnen sehr oft übersehen. Die Erfahrung und das Wissen der älteren Menschen sind unverzichtbar. Viele der Älteren sind bereit, ihre Kompetenzen einzubringen und an der Gestaltung der Gesellschaft, aber auch der Politik mitzuwirken.

Es ist eine gesellschaftliche Chance und Herausforderung. Für uns Sozialdemokraten und unsere Landes- und Kommunalpolitik in Rheinland-Pfalz ist das solidarische Zusammenleben der Generationen der Weg zur Bewältigung dieser Herausforderungen. Wir haben diesen Weg mit unserer Politik seit 1991 konsequent eingeschlagen.

Herr Dr. Enders, insofern sehe ich den Nachholbedarf nicht, wie Sie ihn sehen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Ich sehe die Regierungserklärung der Staatsministerin Malu Dreyer auch als eine Fortführung eines konsequenten Wegs als Kontinuität mit Perspektiven.

Meine Damen und Herren, mit der Übernahme der Regierungsverantwortung 1991 wurden in Rheinland-Pfalz auch die Leitstelle „Älter werden“ als fachlich kompetente Verbindungsstelle zwischen der Landesregierung und den Seniorenorganisationen im Land sowie der Landesseniorenrat eingerichtet. Er koordiniert die Arbeit der wachsenden Anzahl von kommunalen Seniorenvertretungen. Die Landesberatungsstelle „Barrierefrei bauen und wohnen“ hat gerade ihr 10-jähriges Jubiläum gefeiert. Das Erfahrungswissen der älteren Generation tragen Initiativen wie das Bundesprojekt „Seniorentrainerinnen und -trainer“, an dem wir beteiligt sind, weiter.

Warum sage ich das, wenn es um die Pflege geht? Mit zunehmendem Lebensalter leben wir in einem Spannungsfeld zwischen Selbstständigkeit und Hilfebedürftigkeit. Das, was wir vorher auch im Alter machen, ist dafür ganz wichtig. Etwa zwei Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig und damit in ganz unterschiedlichem Umfang von der Unterstützung durch Familien, Freunde und gesellschaftlich organisierte Hilfen abhängig.

Mit der Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes 1995 für den ambulanten und 1996 für den stationären Bereich begann eine neue Zeitrechnung in der Pflege. In diesen zehn Jahren wurde vieles erreicht, aber viele Erwartungen und Hoffnungen noch nicht eingelöst. Eine Reform – das hat auch mein Vorredner gesagt – des Pflegeversicherungsgesetzes steht an, und zwar insbesondere was den Pflegebegriff, die Frage der demenziell erkrankten Menschen, die Dynamisierung und auch die Finanzierung angeht. Wir Sozialdemokraten haben Vorstellungen, die heute nicht weiter ausgebreitet werden. Als Datenbasis kann uns heute das Pflegeversicherungsgesetz zu diesem Thema wertvolle Hinweise geben; denn die Bundesregierung ist alle drei Jahre verpflichtet, einen Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung vorzulegen. Ich will aus diesem Sonderbericht „Lebenslagen der Pflegebedürftigen“ einige ganz wenige Fakten nennen.

Etwa 1,9 Millionen Leistungsbezieher, davon über 80 % Senioren über 60 Jahre und die Hochbetagten, erhalten etwa 52 % aller Leistungen. Zwei Drittel der Leistungsempfänger werden nach wie vor ambulant und etwa ein Drittel in Heimen versorgt. Das Verhältnis ändert sich allerdings mit steigendem Alter. Ältere Pflegebedürftige, die in Privathaushalten leben, sind auf Hilfeleistungen besonders angewiesen. Diese kommen im Allgemeinen aus dem sozialen Umfeld. Das funktioniert in vielen Fällen sehr gut. Bei etwa einem Fünftel der Älteren, nämlich die allein leben und niemand in der Nähe haben, wird der zusätzliche Einsatz professioneller Pflegekräfte ganz besonders wichtig, wenn auch nach wie vor zu bemerken ist, dass der engere Familienkreis mit etwa

drei Viertel der Hauptpflegepersonen die Hauptlast der regelmäßig zu erbringenden Hilfeleistungen trägt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Hilfe- und Pflegebedarf bei Angehörigen bestimmt über einen langen Zeitraum das Leben der Pflegenden in den Familien. Im Durchschnitt muss – das ist mir auch nicht bekannt gewesen; ich habe das nachgelesen – etwa acht Jahre ab der ersten Hilfebedürftigkeit an gepflegt werden. Das ist mit erheblichen Belastungen der Pflegepersonen verbunden. Deshalb wird mittlerweile über das Thema „Gewalt in Pflegebeziehungen“ nachgedacht, und zwar insbesondere in Familien, die demenziell erkrankte Angehörige pflegen.

Ein weiterer Punkt, der ganz kurz angesprochen werden soll, ist, dass wir mittlerweile auch eine ganze Reihe von Migrantinnen und Migranten haben, nämlich etwa 600.000 in der Bundesrepublik, die 60 Jahre und älter sind. Auch hier müssen wir uns auf entsprechende Pflegesituationen einstellen.

Aus dieser Situation gibt es eine ganze Reihe von Folgerungen, die heute unbestritten ist, und zwar Handlungsansätze im Interesse der alten Menschen und Thesen – das fand ich ganz interessant –, die 1995 in einem Memorandum zur Altenhilfe sehr deutlich dargestellt wurden. Ich gebe den Text verkürzt wieder. Darin heißt es: „Das Altern in Deutschland wird bunt.“ – Damit ist die große Vielfalt der Lebenssituationen gemeint. Es heißt weiter: „Das Alter in der ergrauten Gesellschaft ist kein Sonderstatus mehr. Auch hohes Alter ist normal geworden, wird überwiegend autonom gestaltet und gelebt. Wir müssen uns auf eine nachberufliche Lebensphase einstellen, die zeitlich länger ist, als es unsere Jugend war.“