Protocol of the Session on May 28, 2020

Deshalb gab es auch kein politisches Zerren mit anderen Fraktionen – SPD, CDU und FDP – darum, diese Verfassungswirklichkeit jetzt auch in Worte zu fassen und so in die Verfassung aufzunehmen. Dafür herzlichen Dank.

Ich freue und bedanke mich aber auch, dass die Initiative, die wir im Parlament aufgegriffen haben, aus der Zivilgesellschaft von Bürgerinnen und Bürgern kam, die sich für Europa einsetzen. Herzlichen Dank.

Gleichzeitig ist das natürlich Auftrag an uns alle – auch an die Bürgerinnen Bürger –, genau daran weiterzuarbeiten. Das ist auch der Grund, warum wir es in die Verfassung aufnehmen: Es ist ein Verfassungsauftrag zum konkreten politischen Handeln.

Die Geschichte macht mehr als deutlich, dass es gut und richtig ist, hier nachzuvollziehen, was die Gründungsväter und -mütter in die Präambel des Grundgesetzes geschrieben haben: „in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“.

Das Ergebnis, dass wir in Frieden und Freiheit in Europa in einem vereinten Deutschland leben können, ist der Ausgangspunkt gewesen. Es geht eben nicht nur darum, sich alleine zurückzunehmen und zu sagen, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen solle, sondern auch darum, es mit dem politischen Auftrag zu verbinden, dies in einem vereinten Europa möglich zu machen. Genau das ist Wirklichkeit geworden.

Allerdings ist es vielleicht notwendig, weil genau das, was gerade in schwierigen Zeiten gelebt wird, etwa dass Nordrhein-Westfalen die Grenzen zu seinen Nachbarn nicht geschlossen hat, vielfach infrage gestellt wird.

Auf populistische Weise wird versucht, Gift in Debatten zu mischen, um Menschen auseinanderzubringen, die zusammengewachsen sind. Die Herausforderungen, die vor uns liegen, sind nicht geringer als in der Vergangenheit. Gerade in dieser Ecke – Sie werden es gleich vortragen –

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Worauf Sie sich verlassen können!)

ist das Rezept eng darauf begrenzt, nationale Lösungen zu finden.

Aber keine der Herausforderungen, vor denen wir stehen – sei es der Klimaschutz, sei es die digitale Transformation, sei es die Frage, wie wir mit Migration umgehen, sei es die Frage, wie wir mit zukünftigen und aktuellen Krisen bzw. Pandemien umgehen –, werden national gelöst werden können.

Deshalb liegt es auch in unserem puren Eigeninteresse, europäisch zu denken und für Europa zu arbeiten.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Jo!)

Die Verfassung nimmt die Wirklichkeit auf und will zukünftige Wirklichkeiten und Herausforderungen bewältigen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Remmel. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Kollege Tritschler.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Remmel, bei so viel Pathos sind uns jetzt fast die Tränen gekommen. Es waren leider keine Freudentränen. – Aber jetzt will ich einmal mein Gift versprühen, wie Sie das gerade gesagt haben.

Es ist eine Eigenheit von ungeliebten, undemokratischen, sich auf Ideologie stützenden Systemen im Niedergang, dass sie mit ihrem immer deutlicher werdenden Scheitern ihre Anhänger und Profiteure, wie wir sie gerade gehört haben, immer fanatischer verteidigen. Das war beim Sozialismus in all seinen Formen so, und das ist offenbar jetzt auch bei der EU so.

So muss man diese Verfassungsänderung auch einordnen, die Sie ohne Anlass, ohne größere öffentliche Debatte und vor allem ohne Not durch das Parlament prügeln wollen und wahrscheinlich auch werden. Das ist schon bemerkenswert.

Wir haben in dieser Legislatur bereits Änderungsanträge zur Verfassung eingebracht, und zwar zu sehr wichtigen Themen wie zum Beispiel zur Stärkung der direkten Demokratie. Sie wurden natürlich, wie so oft, abgelehnt.

Was wurde uns entgegengehalten? – Die Verfassungskommission von 2013 bis 2016, die eine umfassende Verfassungsreform eingeleitet habe. Es bestehe also überhaupt kein Handlungsbedarf, jetzt schon wieder an der Verfassung herumzudoktern.

Nun teile ich Ihren mehrfach bekundeten Glauben an die große Weisheit dieser Kommission nicht, aber es ist schon interessant, dass die Verfassungskommission einen EU-Bezug in der Verfassung noch vor ein paar Jahren nicht für nötig hielt, Sie ihn uns jetzt aber hopplahopp unterjubeln wollen.

Warum diese plötzliche Eile? Es ist ja nicht so, dass die EU sich in letzter Zeit sonderlich bewährt hätte – im Gegenteil: In der Coronakrise war sie ein Totalausfall; das können Sie sich noch so schönbeten.

Sinnbildlich dafür ist auch die Kommissionspräsidentin von der Leyen, die außer einer Anleitung zum Händewaschen mit „Ode an die Freude“ nichts beizutragen hatte. Sie, die schon in Deutschland in jeder ihrer Funktionen ein Rohrkrepierer war, darf nun an der Spitze der EU dilettieren. Damit weiß man eigentlich alles, was man über den Brüsseler Apparat wissen muss.

Nein, meine Damen und Herren, im Rahmen der Coronakrise haben wir alle – auch die, die es sonst vergessen haben – gelernt, dass wir uns in der Not auf uns selbst verlassen können, auf den Nationalstaat, das Land, die Kommune und die Familie, aber ganz bestimmt nicht auf ein supranationales Monstrum in Brüssel.

Wir haben erleben können, was die viel beschworene Solidarität in der EU wert ist, wenn es hart auf hart kommt. Da werden dann zum Beispiel wichtige medizinische Hilfsgüter an der tschechischen Grenze gestoppt, um sie dem dortigen Gesundheitswesen zuzuleiten, obwohl sie für Deutschland bestimmt waren.

Es war kein böser Rechtspopulist, sondern Gesundheitsminister Laumann, der in der Sendung „Hart aber fair“ am 16. März 2020 dazu sagte – ich zitiere –: „Also, ich glaube wirklich, dass auch alle Beteiligten in Europa sehen müssen, dass wir in dieser Frage eine Unabhängigkeit brauchen.“

Im weiteren Verlauf dieser Krise wurde dann Deutschland aus dem Süden beschimpft, und zwar aufs Übelste, weil es nicht schnell genug gehen konnte, dass es seine Taschen leerte, um die dortigen korrupten und reformunfähigen Staaten am Leben zu erhalten.

Inzwischen wissen wir, dass Merkel und Macron sich geeinigt haben, mal eben 750 Milliarden Euro – natürlich wieder zum größten Teil aus Deutschland – in der EU umzuverteilen.

Gleichzeitig – das haben wir gestern erfahren – verhindert die EU-Kommission Staatshilfen für deutsche Unternehmen, die von deutschen Steuerzahlern bezahlt werden. Hilfe ist also offenbar für alle in Ordnung, außer für die Deutschen selbst.

Meine Damen und Herren, Ihr Kartenhaus, all die Lobgesänge auf die tolle Solidarität in Europa, all das ist binnen weniger Wochen eigentlich in sich zusammengebrochen.

Mit irrwitzigen Summen aus dem deutschen Haushalt möchten Sie das jetzt noch einmal zukleistern; das wird Ihnen wahrscheinlich auch noch ein paar Jahre helfen. Aber wir werden schnell sehen, dass auch das nicht mehr hilft, denn das Problem der EU ist, dass auch den Deutschen irgendwann einmal das Geld ausgeht. Noch ein bisschen können sich diese Lebenslügen aber natürlich verlängern.

Sie können hohle Phrasen in die Verfassung schreiben, das Geld unserer Bürger verprassen und auch, ganz wie im Niedergang des Sozialismus, immer wieder den Frieden beschwören, wie wir das gerade auch hören durften, als seien Leute wie Frau von der Leyen irgendwie kausal dafür, dass es in Europa keinen Krieg gibt. Das muss doch sogar den EUBesoffenen absurd vorkommen.

Ihre Verfassungsänderung ist rechtlich folgenlos und überflüssig. Natürlich gelten internationale Verträge wie die EU-Verträge auch für NRW. Hier geht es um billige Symbolpolitik, und das auch noch zur Unzeit. Da gehen wir natürlich nicht mit.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Gott sei Dank!)

Einer Überweisung stimmen wir aber natürlich zu.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Tritschler. Sie sind jetzt schon geraume Zeit im Parlament und wissen: Wenn man Personen anspricht, muss man die Kritik so vorsichtig formulieren, dass nicht beim nächsten Mal eine Rüge erfolgt.

Mit anderen Worten: Sie können Kritik an der Politik äußern, und das können Sie auch – jedenfalls fast – so bezeichnen, wie Sie wollen. Aber wenn Sie gezielt Personen ansprechen, bitte ich darum, die Regeln, die wir hier im Haus haben, einzuhalten.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Okay!)

Für die Landesregierung hat Herr Minister HolthoffPförtner das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der erste Artikel einer Verfassung definiert die Identität eines Landes. Ihn zu ändern, ist ein historischer Schritt. Ein solcher Schritt darf nicht im Alltagsgeschäft untergehen.

Die Änderung von Art. 1 der Landesverfassung ist mehr als ein Tweet oder eine Pressemitteilung. Sie ist deutlich mehr als Symbolpolitik und auch mehr als eine normale Gesetzesinitiative. Hier geht es um die Identität unserer Verfassung.

Gerade deshalb bin ich zutiefst davon überzeugt, dass die von den vier Fraktionen vorgeschlagene Änderung richtig, notwendig und angebracht ist, denn Europa gehört zum Identitätskern des Landes Nordrhein-Westfalen.

Im Herzen ist unser Land eng mit unseren europäischen Nachbarn verbunden: Das gilt persönlich, das gilt politisch. Alle Landesregierungen der vergan

genen Jahrzehnte haben sich für die europäische Idee eingesetzt.

Heute begegnen uns die Errungenschaften der Europäischen Union praktisch jeden Tag – politisch, wirtschaftlich, sozial und vor allen Dingen in zwischenmenschlichen Beziehungen. Schüler, Studenten, Auszubildende, Arbeitnehmer, Unternehmen, Touristen – alle profitieren von den Chancen, die uns die Europäische Union gibt.

Gerade in diesen Tagen wird uns wieder bewusst, wie hart erkämpft und wie voraussetzungsvoll offene Grenzen sind; sie sind in den letzten Jahrzehnten zu sehr zur Selbstverständlichkeit geworden.

Vor 70 Jahren, als unsere Landesverfassung hier im Landtag verabschiedet wurde, lagen diese Selbstverständlichkeiten in weiter Ferne. Nur fünf Jahre waren seit dem Ende des menschenverachtenden Regimes des Nationalsozialismus vergangen. Es hatte den gesamten europäischen Kontinent zum Kriegsschauplatz gemacht und unsagbares Leid über die Menschen und über Europa gebracht.

Deutschland war 1950 weder Teil der NATO noch Mitglied der Vereinten Nationen. Der SchumannPlan war bei der Verabschiedung unserer Verfassung wenige Wochen alt. Es war ein erster Hoffnungsschimmer für ein neues, für ein anderes Europa.

Doch niemand konnte zu diesem Zeitpunkt vorhersehen, wie tief und wie weit die europäische Integration 70 Jahre später gehen würde:

Das Land Nordrhein-Westfalen ist Teil eines europäischen Mehrebenensystems. Landesbehörden wenden europäisches Recht unmittelbar und selbstverständlich an. Über den Bundesrat, über den Ausschuss der Regionen wirken wir an der europäischen Rechtsetzung mit.