Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Friede, Freiheit und Wohlstand haben wir Europa zu verdanken. Seit mehr als 60 Jahren ist die Zusammenarbeit der Staaten Europas – zunächst als Gemeinschaft von sechs Gründungsstaaten – auch für die erfolgreiche Entwicklung Nordrhein-Westfalens prägend. Unser Land ist beispielhaft dafür, wie die Idee des gemeinsamen Europas Grenzen und Feindschaften überwunden, Ängste beseitigt und neue Freundschaften geschaffen und gefestigt hat.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts galt die Schwerindustrie aus Kohle und Stahl an der Ruhr als Kriegsindustrie. Der Rhein war das Symbol für den ewigen Streit zwischen den Nachbarn Frankreich und Deutschland um politische Grenzen und die Vormachtstellung in Europa.
All das wollten die Politikerinnen und Politiker überwinden, die vor 70 Jahren die Verfassung unseres Landes Nordrhein-Westfalen schufen. Als unsere
Verfassung am 18. Juni 1950 in einer Volksabstimmung angenommen wurde, war die von Robert Schuman kurz davor vorgeschlagene Montanunion noch Zukunftsmusik; ganz zu schweigen von einer Europäischen Union, wie sie meine Generation als Wirklichkeit seit vielen Jahren kennt, erkennt und lebt.
Die Landesverfassung von 1950 beschreibt in ihrer Präambel eindrucksvoll die insgesamt schwierige Ausgangslage der Nachkriegszeit und die Herausforderungen gemeinsamer europäischer Nachbarschaftspolitik. Dort heißt es wörtlich:
„In Verantwortung vor Gott und den Menschen, verbunden mit allen Deutschen, erfüllt von dem Willen, die Not der Gegenwart in gemeinschaftlicher Arbeit zu überwinden, dem inneren und äußeren Frieden zu dienen, Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand für alle zu schaffen, haben sich die Männer und Frauen des Landes NordrheinWestfalen diese Verfassung gegeben.“
70 Jahre später haben wir diese damals selbst gestellte Aufgabe in Nordrhein-Westfalen in einer Weise bewältigt, wie sich das 1950 nach den Erfahrungen zweier Weltkriege niemand vorstellen konnte. Mit den Nachbarn in den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und Frankreich, aber auch unserem Gründungspaten Großbritannien ist nach der Versöhnung eine tiefe Freundschaft entstanden. Nordrhein-Westfalen ist inzwischen sogar kooptiertes Mitglied der Benelux-Union. 1950 wäre das unvorstellbar gewesen.
Auch die wirtschaftliche Verflechtung ist immer enger geworden. Das zeigen die intensive Zusammenarbeit der Häfen von Rotterdam über Duisburg bis Antwerpen, die enge Verflechtung der Chemieindustrie unserer Regionen und nicht zuletzt der Tourismus vom „niederländischen Sauerland“ bis zum „rheinischen Zeeland“. Ausgrenzung und Identitätsverlust der Kriegszeit sind einer gemeinsamen europäischen DNA gewichen.
Wir haben allerdings in den letzten Monaten erlebt, dass es neue Herausforderungen gibt, auf die wir bisher noch keine gemeinsamen Antworten hatten. Ein Virus, der sich innerhalb kürzester Zeit über den ganzen Globus verbreitet, macht auch an den Grenzen innerhalb Europas nicht halt.
Die Coronapandemie zeigt: Kein Staat ist in der Lage, eine solche Situation alleine zu bewältigen. Die gemeinsame Entwicklung eines Impfstoffes zum Beispiel hat absolute Priorität, wenn wir die Pandemie dauerhaft überwinden wollen. Wie unter einem Brennglas ist deutlich geworden: Nur gemeinsam können wir in Europa solche Gefahren bewältigen. Wir können uns auch nicht auf andere – weder die USA noch China – verlassen.
Krisen sind auch für Europa immer eine Chance, grundlegend Neues zu gestalten. So ist auch die Coronakrise eine Chance für Europa zu einer Vertiefung von Gemeinsamkeit und Zusammenhalt. Ehrlich gesagt gibt es aber natürlich in solchen Situationen immer auch das Risiko des Scheiterns.
Daher ist jetzt der richtige Zeitpunkt für ein klares Bekenntnis unseres Landes und seines Parlamentes zu Europa. Nordrhein-Westfalen ist nicht nur ein Teil der Bundesrepublik Deutschland, sondern ist eine wichtige Kraft, die gemeinsame Zukunft Europas zu gestalten.
Wir sehen uns in der Verpflichtung, in diesem gemeinsamen Europa gerade auch die Eigenständigkeit der Regionen zu wahren. Wir verstehen uns als ein Land, das mit anderen europäischen Regionen gemeinsam – ob in der Benelux-Union, im Regionalen Weimarer Dreieck mit Hauts-de-France und Schlesien, aber auch mit Großbritannien und anderen europäischen Staaten – Europa gestaltet und lebt. Wir fördern bewusst die kommunale grenzüberschreitende Zusammenarbeit und geben Raum für Entwicklungen auf zivilgesellschaftlicher, wissenschaftlicher und kultureller Ebene.
Wir sind aktiver Teil Europas, und wir sind auch verantwortlich für die Bewältigung dieser gemeinsamen Herausforderungen. Europa gehört zur DNA unseres Landes und ist unsere Zukunft. – Herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir feiern in diesen Tagen das siebzigjährige Jubiläum unserer Landesverfassung. Als unsere Vorgängerinnen und Vorgänger am 18. Juni 1950 die Verfassung im Landtag annahmen und diese dann am 11. Juli in Kraft trat, lag eine Menge Arbeit bester demokratischer Art hinter ihnen.
Diese Arbeit hat sich ohne jeden Zweifel gelohnt. Wir haben eine Verfassung, die stabil und solide ist, und weil das so ist, ändert man die Verfassung auch nicht nach Belieben, und erst recht ändert man sie nicht leichtfertig.
Aber was für eine großartige Geschichte der europäische Einigungsprozess werden würde, konnten die Väter und Mütter sowohl des Grundgesetzes als auch unserer Landesverfassung vermutlich nicht einmal in ihren kühnsten Träumen erahnen. Wenn dann aber Träume wahr werden oder – prosaischer gesagt – die Realität eine andere geworden ist, dann muss man auch den Mut und das Selbstbewusstsein haben, etwas wirklich Gutes noch besser zu machen.
60 % der Exporte unserer Unternehmen und Betriebe fließen in die EU-Staaten. Das macht deutlich, wie viele nordrhein-westfälische Existenzen an einem vereinten Europa hängen. Viele, vor allem kleine landwirtschaftliche Betriebe in NRW, könnten ohne die gemeinsame Agrarpolitik überhaupt nicht überleben. Menschen an der niederländischen oder der belgischen Grenze erfahren im Zuge der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit eine enorme Aufwertung ihrer Lebensumstände.
Was ein geeintes Europa für die nordrhein-westfälischen Kommunen, die nordrhein-westfälische Zivilgesellschaft mit ihren Tausenden kleinen und mittleren Unternehmen bedeutet, das muss ich an dieser Stelle wohl niemandem erklären, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
Allein in den letzten sieben Jahren hat NRW – und mit ihm seine Kommunen, seine Zivilgesellschaft und viele Betriebe – insgesamt etwa 2,4 Milliarden Euro EU-Strukturfördermittel erhalten. Das ist etwa 1 Million Euro pro Tag. Seit ich angefangen habe zu reden, hat Nordrhein-Westfalen also fast 3.500 Euro Strukturfördermittel erhalten – für den kommunalen Umweltschutz, für soziale Streetwork-Initiativen oder für ein digitales Start-up.
Aber natürlich geht es hier im Kern nicht nur um finanzielle Vorteile. Das Projekt Europa ist immer schon bedeutender und größer gewesen als Rechenspiele. Es geht heute darum, die untrennbare Verknüpfung zwischen einem erfolgreichen, einem zukunftsorientierten und einem sozial gerechten Nordrhein-Westfalen und dem europäischen Integrationsprozess in unserer Landesverfassung zu verankern.
Dieser Antrag heute ist ein wichtiger Baustein auf diesem Weg. Ein Europabekenntnis in unserer Landesverfassung hilft dabei, den europäischen Einigungsprozess positiv zu begleiten. Die demokratischen Kräfte in diesem Haus unterstreichen mit diesem Gesetzentwurf hier und heute: NRW bleibt bunt, NRW bleibt offen, und NRW bleibt frei.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich den engagierten Bürgerinnen und Bürgern Nordrhein-Westfalens für ihre Mitwirkung an einem Europabekenntnis in der Landesverfassung danken. Allen voran haben die Jungen Europäischen Föderalisten und die Europa-Union mit ihren guten Kampagnen einen wertvollen Beitrag zum Zustandekommen dieses Gesetzentwurfes geleistet.
Die vorgeschlagene Verfassungsänderung ist nicht nur ein starkes Zeichen für Europa, sie ist auch ein starkes Zeichen an die nordrhein-westfälische Zivilgesellschaft: Ihr Engagement ist wichtig für unser Land. Seien Sie weiter mutig, und stehen Sie weiter
so beharrlich für ein offenes und zukunftsorientiertes Nordrhein-Westfalen ein. Ihr Engagement trägt heute hier Früchte.
Abschließend möchte ich mich noch bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, für die gute und harmonische Zusammenarbeit bei der Arbeit an diesem Antrag ausdrücklich bedanken. Ich freue mich, dass die Zusammenarbeit trotz aller parteipolitischen Unterschiede so gut gelungen ist. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir feiern den 70. Geburtstag unserer Landesverfassung. 1950, 50 Tage vor der Geburtsstunde unserer Landesverfassung, gab es eine Rede, die im Grunde genommen nur eine zweiseitige Erklärung war, die aber für unser Bundesland mit seiner Montanregion eine epochale Bedeutung hatte.
Diese insgesamt nur zweiseitige Erklärung des damaligen französischen Außenministers Robert Schuman war ein Glücksfall in der Geschichte, denn sie bildete die Wurzel der heutigen Europäischen Union und die Basis dafür, dass wir seit Jahrzehnten in Frieden und Wohlstand miteinander leben.
Dieser Tatsache war sich der französische Außenminister am 9. Mai 1950, als er in seiner Rede die Schaffung einer europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vorschlug bzw. forderte, wohl gewiss, denn er führte in seiner Erklärung wörtlich aus:
„Die Zusammenlegung der Kohle- und Stahlproduktion wird … die Bestimmung jener Gebiete ändern, die lange Zeit der Herstellung von Waffen gewidmet waren, deren sicherste Opfer sie gewesen sind.“
Im Jahr der europäischen Schuman-Erklärung kämpften sich die europäischen Nationen noch mühsam aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs hervor, aber sie gingen zu Recht davon aus, dass ein Zusammenschluss ihrer wirtschaftlichen Interessen eine Erhöhung des Lebensstandards zur Folge haben würde. Welches Bundesland konnte mehr Nutzen daraus ziehen als Nordrhein-Westfalen mit dem Ruhrgebiet – seiner Montanregion?
Heute ist unser Land durch das geeinte Europa geprägt und hat sich unabhängig von den jeweiligen Regierungsmehrheiten in den vergangenen sieben Jahrzehnten auch stets für eine Vertiefung der Integration eingesetzt.
So ist es auch nur folgerichtig, dass wir heute einen gemeinsamen Antrag von CDU, SPD, FDP und Grünen einbringen, unsere Verfassung weiterentwickeln und dem Lebensgefühl und der Lebenswirklichkeit der Bürgerinnen und Bürger folgen.
Unsere Partnerinnen und Partner kommen aus Frankreich, Griechenland oder Portugal. Besonders eng sind wir natürlich mit unseren Nachbarn verbunden: Belgien, die Niederlande und Nordrhein-Westfalen leben und arbeiten eng zusammen. Das ist eine europäische Erfolgsgeschichte.
Fast von Anfang an wurden wir von unseren Nachbarn friedlich und freundlich aufgenommen. Wir bekamen die Chance, Freunde zu werden. Nach all den Verbrechen, die Deutsche in den Niederlanden und in Belgien verübt hatten, war das eine unermessliche Großzügigkeit. Ich bin glücklich, dass wir heute sagen können, dass wir diesen Vertrauensvorschuss nicht verspielt haben.
Deshalb steht für mich fest, dass die Zukunft Nordrhein-Westfalens und ganz Deutschlands eine europäische sein wird. Wir sind in der Krise für unsere Freunde da. Wir haben Patienten aus den Niederlanden, aus Italien und aus Frankreich in unseren Krankenhäusern aufgenommen und versorgt – so, wie diese Länder es auch für uns getan hätten.
Die Bewältigung der Folgen der Pandemie, die Forschung, um sie zu überwinden, der wirtschaftliche Wiederaufbau, die Entwicklung von Zukunftstechnologien – all das geht nur Hand in Hand mit unseren europäischen Freunden. Deswegen stimme ich und stimmen die Liberalen frohgemut der Überweisung in den Ausschuss zu. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Remmel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es kommt selten vor – jedenfalls kam es in meinem bisherigen parlamentarischen Leben selten vor –, dass eine Debatte oder eine Rede einem das Herz förmlich zum Überlaufen bringt.
Ich will das hier auch zum Ausdruck bringen und aus meinem Herzen keine Mördergrube machen: Ich freue mich heute wirklich sehr. Ich freue mich, dass es 70 Jahre nach der Beschlussfassung über unsere Verfassung heute einen Auftrag dazu gibt, den Europabezug aufzunehmen und der „Ode an die Freude“ einen Platz in unserer Verfassung zu geben.
Das ist gelebte Verfassungswirklichkeit, die jetzt sozusagen in Schriftform in die Verfassung aufgenommen wird. Nordrhein-Westfalen ist aus meiner Sicht, ohne zu übertreiben, das europäischste Bundesland. Ohne in Konkurrenz mit anderen treten zu wollen: Wir leben Europa hier in unserem Land.
Deshalb gab es auch kein politisches Zerren mit anderen Fraktionen – SPD, CDU und FDP – darum, diese Verfassungswirklichkeit jetzt auch in Worte zu fassen und so in die Verfassung aufzunehmen. Dafür herzlichen Dank.