Protocol of the Session on April 29, 2020

Ich werde mich hier nicht in einen Gutachterstreit einmischen. Aber eines muss klar sein: An den Neubau einer Brücke, die heute als Symbol für eine vernachlässigte Infrastruktur steht, stellen wir klare Anforderungen. Es darf keinerlei Zweifel an der Sicherheit und an der Langlebigkeit der verbauten und verwendeten Bauteile geben.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Porr und Straßen.NRW hätten von Anfang an einen gemeinsamen Weg beschreiten müssen, um eine solche Entwicklung auszuschließen. Rechtliche Auseinandersetzungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, können nur die Ultima Ratio sein. Deshalb muss man sich fragen, wie es überhaupt zu einem augenscheinlich nicht revidierbaren Schaden kommen konnte.

Aber jetzt ist es Zeit, in die Zukunft zu blicken und die augenblickliche Lage so schnell wie möglich zu überwinden.

Es braucht einen letzten Versuch, doch noch eine nachträgliche Einigung zu erzielen – beispielsweise über ein formales Schlichtungsverfahren.

Alternativ braucht es eine schnellstmögliche Verständigung auf die Feststellung des Baufortschritts. Der Landesbetrieb muss in die Lage versetzt werden, eine professionelle Projektsteuerung und Fertigungsüberwachung vorzunehmen. Bei der Neuausschreibung müssen alle Möglichkeiten des Vergaberechts ausgeschöpft werden, um auch qualitative Kriterien wie etwa die Leistungsfähigkeit, die Geschwindigkeit und die Planungsgenauigkeit anzuwenden.

Meine Damen und Herren, es müssen jetzt alle Anstrengungen unternommen und alle Optionen geprüft und ausgeschöpft werden, um eine weitere Verzögerung bei einem so dringend benötigten Bauwerk zu vermeiden. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Wüst das Wort.

Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Neubau der Leverkusener Brücke ist zweifelsfrei eines der wichtigsten Infrastrukturprojekte unseres Landes. Straßen.NRW hat den Vertrag über wesentliche Bauleistungen zum Neubau der Brücke am letzten Freitag gekündigt. Ich will gerne die Gründe detailliert transparent machen.

Gründe sind gravierende Mängel bei der Verarbeitung der Stahlbauteile. Diese entsprechen nicht der Norm und nicht dem Vertrag. Deshalb stehe ich hinter der Entscheidung, diese Kündigung auszusprechen. Es kann niemand erwarten, dass wir beim Neubau einer Brücke, noch dazu einer Brücke mit dieser Bedeutung, gravierende Mängel akzeptieren.

Natürlich will auch ich, dass diese Brücke so schnell wie möglich fertig wird. Die Gründe sind alle – bis in die Historie des Bauwerks in den letzten Jahren hinein – genannt worden. Es ist überhaupt keine Frage: Die Brücke muss so schnell wie möglich fertig werden.

Aber ich will vor allem auch, dass sie mit höchster Qualität und Langlebigkeit fertiggestellt wird. 80 Jahre beträgt die geplante Lebensdauer. Nichts wäre schlimmer als der Fall, dass wir nach ein paar Jahren wieder dastehen und sagen würden: Verflixt und zugenäht; jetzt müssen wir wieder aufwendig sanieren, ablasten oder einschränken.

Über die neue Brücke fahren künftig knapp 140.000 Fahrzeuge am Tag. 18.500 davon sind Lkw. Diese Brücke muss also nicht nur lange halten, sondern auch viel aushalten. Deshalb setzen wir uns nicht über das hinweg, was Prüfingenieure uns sagen, nur weil wir gerne einen schnellen Erfolg hätten. Schnelligkeit darf nicht auf Kosten von Qualität und Sicherheit gehen, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das Vertragsverhältnis lief von Anfang an nicht rund. Man könnte auch sagen: Es war schwierig. – Nun will es das deutsche Zivilrecht aber so: Wenn man einmal einen Vertrag geschlossen hat, muss man ihn auch leben. Dann muss man zusehen, dass man miteinander klarkommt, auch wenn es mal schwierig wird.

Ich kann Ihnen versichern: Das haben die Kolleginnen und Kollegen des Landesbetriebs Straßen.NRW auch sehr lange probiert.

Kündigen will man nicht. Aber es kann sein, dass man kündigen muss. Dieser Punkt war jetzt erreicht. Formal gesprochen: Man hat dem Vertragspartner eine letzte Frist gesetzt. Diese Frist ist erfolglos verstrichen. Deshalb musste jetzt die Kündigung erfolgen.

Über so eine Kündigung entscheidet man nicht mal eben im Schnelldurchlauf, wie das hier teilweise insinuiert worden ist – insbesondere dann nicht, wenn es um ein Bauwerk von solcher Bedeutung geht.

Es ist richtig: Schon im Februar 2019 wurden zwischen BMVI, Landesbetrieb und Verkehrsministerium verschiedene Szenarien diskutiert – auch das Szenario einer Kündigung.

Vom Unternehmen wurde zugesagt, alle gerügten Mängel abzustellen – übrigens bis vor kurzer Zeit.

Weil es Zweifel an diesen Zusagen gab, fanden im März, im Mai und im Juli 2019 Spitzengespräche des Landesbetriebs mit dem Vorstand der Auftragnehmerin statt – im Oktober 2019 als zusätzliche Eskalation auf unserer Seite mit Staatssekretär

Dr. Schulte.

Weil auch nach diesen Gesprächen weiter unterschiedliche Auffassungen über die Qualität der Stahlbauteile bestanden, wurde noch Ende November 2019 erstmals förmlich die Vertragskündigung angedroht.

Für die Untersuchung der Mängel haben wir schon im April 2019 einen weiteren, dritten Gutachter gesucht. Diesen Schritt hat die Auftragnehmerin noch im Juli 2019 begrüßt.

Dieser zusätzliche Gutachter hat schon in China erste eigene Prüfungen vorgenommen. Ebenso wie ein Prüfingenieur hat er festgestellt, dass die Stahlbauteile so gravierend mangelhaft sind, dass

aufgrund der Art und der Vielzahl der Mängel nur eine Neuherstellung in Betracht kommt. Eine norm- und vertragskonforme Sanierung ist demnach nicht möglich.

Das Gutachten zum ersten untersuchten Stahlteil nach den Untersuchungen in Rotterdam, die nach der Anlandung im Dezember 2019 möglich waren, ist vom 27. Februar 2020. Das Gutachten zum zweiten Bauteil stammt vom 10. März dieses Jahres.

Daraufhin wurde der Auftragnehmerin einen Tag später eine letztmalige Kündigungsandrohung zugeschickt. Darin wurde von der Auftragnehmerin wegen der Vielzahl der festgestellten systematischen Mängel und der unveränderten strukturellen Defizite beim Fertigungsprozess der Auftragnehmerin die Neuherstellung der Bauteile verlangt. Die unter anderem wegen Corona mehrfach verlängerte letzte Frist war der 20. April 2020.

Die geforderte Neuherstellung wurde unter Vorbehalt aller Rechte und Kosten für ganze zwei Stahlbauteile – in Summe werden es am Ende 80 sein – zugestanden, für alle anderen Teile jedoch abgelehnt.

Die vorliegenden Mängel sind von der Produktionsüberwachung beider Seiten bestätigt worden. Vereinzelte Mängel gibt es immer mal. Es bestreitet auch niemand, dass man sie einzeln sanieren kann – aber nicht in dieser Vielzahl.

Um welche Mängel handelt es sich? Zum Zusammenschweißen der Brückenhohlkörper muss man schwere Stahlteile in die richtige Position bekommen, um sie dann bündig zu verschweißen. Dazu werden Hilfsbleche angebracht. 10, maximal 30, sind pro Brückenbauteil normal; hier waren es 200 bis 650.

Warum ist das relevant? Diese Hilfsschweißungen werden nachher mit einem Trennschnitt abgetrennt oder, wie hier, abgeschlagen. Normalerweise ist das alles vorher abgestimmt, begutachtet und fachlich geplant – hier aber nicht. In der Summe, der Vielzahl, besteht das Risiko einer Sollbruchstelle, sodass am Ende kein Prüfer eine Freigabe erteilt.

Ich will einmal zitieren, was der hoheitlich tätige Prüfingenieur dazu schreibt – es ist zwar etwas technisch; er kommt aber schnell auf den Punkt –:

Letztlich ist dann nach prüfseitiger Auffassung über Tolerierungen von Absenkungen von Qualitätsstandards zu befinden und entsprechende Ausgleichsmaßnahmen am Bauwerk (engere Kontrollen, Moni- toring) zu definieren, um die Dauerhaftigkeit sicherzustellen.

Er beendet seinen Text mit einem ziemlich klaren Satz:

Einschätzung: Drift in den Zustand der alten Brücke.

Bei einer neuen Brücke am ersten Tag mit den gleichen Unsicherheiten zu starten – permanentes Monitoring, permanente Untersuchung, permanente Überwachung und unter Umständen verkürzte Lebenszeit –, kann keiner wollen. Wir wollen keine reparierte Brücke. Wir wollen eine neue Brücke. Die Menschen haben das auch verdient.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deshalb findet jetzt noch in dieser Woche die Neuausschreibung mit Bonus-Malus-Regelungen und einem fixen Fertigungstermin statt, weil wir schnell vorankommen wollen.

In den links- und rechtsrheinischen Abschnitten des Projekts – es ist schon gesagt worden – wird weitergearbeitet werden, weil da andere Firmen tätig sind. Man wird dort in den nächsten Monaten auch fortlaufend den Baufortschritt sehen können.

Neues Zieldatum für die Fertigstellung ist September 2023. Lieber einen Neustart mit einem konkreten, verbindlichen neuen Zeitplan als Unsicherheit und Streitereien auf der Baustelle! Wenn es sein muss, müssen sie in Gerichtssälen geführt werden. Bei Qualität und Sicherheit darf es keine Abstriche geben – nicht bei diesem Bauwerk und auch nicht bei anderen Bauwerken.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Mit Blick auf die Redezeit will ich gerne gleich in der zweiten Runde noch etwas zu Ausschreibung, Altlasten, Kosten und Zeitplan im Detail sagen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. – Für die SPD-Fraktion hat nun Frau dos Santos Hermann das Wort.

Ich darf noch darauf hinweisen, dass die nachfolgenden Rednerinnen und Redner aufgrund der Redezeitüberschreitung der Landesregierung eine Minute zusätzlich haben.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich gebe Ihnen recht: Bei Qualität und Sicherheit darf es keine Abstriche geben. Wer Qualität und Sicherheit will, muss aber auch Kontrolle und Transparenz haben; denn sonst wird er nicht prüfen können, ob diese Qualität und diese Sicherheit gewährleistet sind.

(Widerspruch von der CDU)

Genau daran hat es doch in den letzten anderthalb Jahren gemangelt.

(Beifall von der SPD)