Protocol of the Session on April 1, 2020

Vielmehr besteht das einzige Ziel darin, dass wir dann, wenn es zu diesem Tag X kommt, also zu dem absoluten Katastrophenfall, in dem nichts mehr funktioniert, weil wir an den Grenzen des Systems angelangt sind, Handlungsmöglichkeiten haben, auf die wir in normalen Zeiten nicht zurückgreifen müssen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das ist die ganze Idee. Wenn wir nachbessern müssen, werden wir das machen. Wir werden dazu auch gerne noch Experten anhören. Aber wir müssen noch vor Ostern Klarheit haben – in der Hoffnung, dass nie der Fall eintritt, dass man dieses Gesetz braucht. Das ist unsere große Hoffnung, dass es nie gebraucht wird.

(Beifall von der CDU und der FDP – Christian Dahm [SPD]: Beteiligung sieht aber anders aus, oder?)

Dieser Gesetzentwurf sieht vor, dass öffentliche Stellen einen schnellen Zugriff auf medizinisch erforderliches Material haben. Wenn das Material irgendwo liegt und wir uns in einer absoluten Katastrophensituation befinden, müssen wir darauf zugreifen können.

Wir müssen auch medizinisches und pflegerisches Personal einsetzen können, das im Moment vielleicht in irgendeiner Verwaltung arbeitet oder nicht mit der unmittelbaren Versorgung von Menschen beschäftigt ist.

Das sind die Grundgedanken dahinter. Wir werden das in der endgültigen Beratung hier ja noch intensiver diskutieren. Diese Vorbemerkungen mache ich jetzt nur, damit jeder versteht, was damit beabsichtigt ist.

Das vorliegende Artikelgesetz enthält Regeln, die die Arbeitsfähigkeit unserer Landesverwaltung und der Kommunen gewährleisten sollen.

Wir wollen Vorsorge dafür treffen, dass die Bildungslaufbahnen der jungen Menschen so wenig wie irgend möglich von dieser unverschuldeten Krise in Mitleidenschaft gezogen werden.

Die Anhörungen finden in der nächsten Woche statt. Ich denke, dass wir danach noch einmal zusammenkommen und das aufgreifen, was in den Anhörungen gesagt worden ist.

Ich habe am Anfang das Kurzarbeitergeld erwähnt und in Erinnerung gerufen, was das für den Einzelnen bedeutet. Ich habe auch mögliche Insolvenzen und die wirtschaftliche Lage angesprochen.

Wir müssen bei all dem, was wir jetzt machen, auch die notwendigen Rechtsmittel für den Krisennotfall im Hinterkopf haben und schon heute an die Zeit nach der Coronakrise denken. Die Politik muss immer abwägen und jeden Tag das, was sie selbst beschlossen hat, infrage stellen, weil es sich um Eingriffe in Grundrechte handelt, die immer nur für eine ganz kurze, begrenzte Zeit so wirken dürfen.

(Monika Düker [GRÜNE]: Steht aber nicht im Gesetz!)

Mit dem, was wir entschieden haben, verhindern wir derzeit, dass Menschen ihr Leben selbstbestimmt gestalten. Wir schaffen Unsicherheit und vernichten auch Wohlstand, Werte und Existenzen. Das muss uns immer bewusst sein. Wir sagen letztendlich: Ja, das ist jetzt in der Abwägung erforderlich. – Aber wir müssen trotzdem immer auch darüber nachdenken, wie wir aus dieser Situation wieder herauskommen.

Das ifo Institut prognostiziert, dass jede zusätzliche Woche Shutdown 1 % des Bruttoinlandsprodukts kosten würde, also rund 35 Milliarden Euro. Im schlimmsten Fall sinkt die Wirtschaftsleistung um 20 %. Eine solche tiefe Wirtschaftskrise hat Deutschland noch nie erlebt.

Das muss man wissen und Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren und um ihre Existenz bangen, im Blick haben, genauso wie Kinder aus benachteiligten Elternhäusern, die gerade nicht so gestärkt und gefördert werden können wie sonst, sowie Frauen und andere Menschen, die gerade jetzt häusliche Gewalt erleben. Andere Menschen wiederum geraten aufgrund dieser großen Herausforderungen, die vor uns liegen, in Depression.

Das alles abzuwägen, ist unsere Aufgabe, und deshalb bin ich der Meinung, dass wir jetzt auch an Maßstäben arbeiten müssen, wie wir aus der Krise wieder herauskommen. Politik kann nicht irgendwann Ende April erklären: Jetzt ändern wir den Kurs und öffnen dieses und jenes wieder. – Man muss nachvollziehen können, warum man etwas macht und was da abgewogen wird.

Damit dies optimal gelingt, braucht man mehr als Virologen. Das ist auch nicht allein eine Frage der Betten, die man in Krankhäusern zählt, sondern da braucht man Menschen aus der Sozialen Arbeit, da braucht man Soziologen, da braucht man Ethiker, da braucht man Juristen. Man braucht da viel mehr.

Deshalb habe ich einen Expertenrat berufen, der vor allem uns selbst dieses Abwägungspotenzial klarer macht und die Diskussion, die öffentlich längst stattfindet, auch in den politischen Diskurs hineinbringt. Das wollen wir noch in dieser Woche starten, um jetzt schon über den Tag danach nachzudenken.

Ich danke allen, die in der letzten Woche hier zu der großen Gemeinsamkeit beigetragen haben. Ich denke, dass wir das auch mit den Gesetzen, die wir heute beraten, wieder hinbekommen. Dann werden wir gemeinsam diese bisher schwerste Bewährungsprobe für unser Land, für Nordrhein-Westfalen, meistern. Das wünsche ich uns allen in den heutigen Beratungen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Ich eröffne nun die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD Herrn Abgeordneten Kutschaty das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Land befindet sich wahrscheinlich in der schwersten Krise seiner Geschichte. Umso wichtiger sollte es sein, dass Regierung und Opposition bei diesen jetzt zu entscheidenden Fragen sehr eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten.

Zumindest sollten wir uns gegenseitig besser informieren und auch konsultieren. Dann wäre vielleicht zu verhindern gewesen, dass die Landesregierung mit ihrem Epidemiegesetz in eine verfassungsrechtliche Sackgasse gerät.

In den kommenden Wochen sind noch viele wichtige und weitreichende Entscheidungen zu treffen. Die Regierung darf sich aber nicht dazu verleiten lassen, am Landtag vorbei und ohne die Abgeordneten regieren zu wollen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Karl- Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesund- heit und Soziales: Das will ja keiner!)

Der Landtag muss und wird beweisen, dass er handlungsfähig ist. Die SPD-Fraktion weiß um ihre staatspolitische Verantwortung, und sie wird ihr auch nachkommen.

Wenn die Landesregierung neue gesetzliche Vollmachten braucht, um die Versorgung mit ausreichend Schutzkleidung, Schutzmasken, Beatmungsgeräten sicherzustellen, dann wird das Parlament diese Vollmachten auch erteilen. Daran besteht überhaupt kein Zweifel.

Es werden sich auch jederzeit große Mehrheiten in diesem Landtag finden lassen, wenn es darum geht, den Schülerinnen und Schülern in den Klassen 10 bis 13 ordentliche Abschlüsse zu ermöglichen. Auch da wirken wir gerne mit, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Sollte die Landesregierung den Landtag um neue Kreditermächtigungen bitten, um endlich auch unsere Städte und Gemeinden unter den finanziellen Rettungsschirm des Landes zu stellen, was dringend notwendig ist, dann wäre Ihnen eine überwältigende Mehrheit in diesem Hause sicherlich gewiss.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Denn ein Schutzschirm für unsere Kommunen ist ein Schutzschirm für die Daseinsvorsorge und damit ein Schutzschirm für die Lebensqualität, aber auch für die Sicherheit der Menschen in unserem Land. Deshalb müssen die Kommunen unter den Schutzschirm des Landes. Wir fordern das bereits seit Anbeginn der Krise.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn Sie jetzt etwas tun wollen, wie Sie es eben angekündigt haben, dann ist das gut und richtig. Dabei unterstützen wir Sie auch. Aber es darf nicht darauf begrenzt sein, dass Kommunen längere Fristen zur Haushaltskonsolidierung bekommen oder einfach nur weitere Spielräume ermöglicht werden. Nein, die Kommunen brauchen frisches Geld. Das ist dringend notwendig, um atmen zu können.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Christian Dahm [SPD]: So ist das!)

Liebe Frau Scharrenbach, wenn Sie solche Maßnahmen planen, dann können wir Sie unterstützen. Aber es wäre gut und richtig und kollegial auch fair, wenn Sie nicht nur die Abgeordneten von CDU und FDP mit einem Brief darüber informieren würden, sondern auch die Opposition.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die SPD-Fraktion wird die Landesregierung bei allen Maßnahmen unterstützen, die erforderlich sind, um

das Leben von Menschen zu retten, ihre Gesundheit zu schützen, ihre wirtschaftliche Existenz zu sichern.

Nur eines werden wir nicht tun – heute nicht und zu keinem anderen Zeitpunkt –: Die SPD unterstützt keine verfassungswidrigen Gesetze und Ermächtigungen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Die Coronapandemie ist eine schwere Gesundheitskrise, aber sie ist keine Krise der Demokratie und keine Krise des Parlamentarismus. Und niemand darf sie dazu machen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Dies ist nun die Zeit für mutiges und entschlossenes Handeln, aber es ist nicht die Zeit für Notstandsgesetze oder für Freibriefe für die Exekutive.

(Beifall von der SPD und Arndt Klocke [GRÜNE])

Dieser Landtag hat einen Verfassungsauftrag, und die SPD-Fraktion wird darauf bestehen, dass er ihn auch erfüllt.

Deshalb können wir Ihrem Entwurf zu dem Epidemiegesetz in seiner gegenwärtigen Form nicht zustimmen, schon gar nicht in einem übereilten Verfahren.

Aus diesem Grund begrüßen wir es ausdrücklich, dass Regierung und Mehrheitsfraktionen eingelenkt haben und nun ein zumindest annähernd geordnetes Beratungsverfahren mit Sachverständigenanhörungen und ein vernünftiges Entscheidungsverfahren möglich sein werden.

Vor gut einer Woche haben wir genau an dieser Stelle gestanden – ich denke, wir alle können uns noch daran erinnern – und haben den Ärztinnen und Ärzten, Krankenschwestern und Pflegerinnen und Pflegern applaudiert; gemeinsam und solidarisch – ja, das war bewegend, darf ich sagen. Denn viele Menschen arbeiten derzeit weit über ihre Kräfte hinaus. In den Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Altenheimen und Arztpraxen schuften die Betroffenen, damit diese Gesundheitskrise bestmöglich bewältigt wird. Diese Menschen haben unseren Respekt verdient.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ver- einzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Ganz viele Menschen, wie zum Beispiel Medizinstudierende – der Ministerpräsident sprach von 400 Studierenden in Düsseldorf; ich habe noch höhere Zahlen von der Fakultät in Münster gehört –, sind bereit, sich ehrenamtlich zu engagieren und einzubringen. Es gibt viele pensionierte Pflegekräfte und Ärztinnen und Ärzte, die sagen: Ja, wir sind bereit, in dieser schwierigen Situation zu helfen.