Protocol of the Session on March 12, 2020

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Begreifen wir endlich, meine Damen und Herren: Unsere Demokratie wird derzeit nicht von links bedroht, sie wird von Neonazis und Faschisten angegriffen. Auch das gehört zur Wahrheit dazu, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deswegen brauchen wir einen Masterplan gegen Rechtsextremismus, den meine Fraktion Ihnen heute hier zur Diskussion und zur weiteren Beratung vorlegt. Er beinhaltet 55 Maßnahmen. Viele dienen der Prävention, der Deradikalisierung, der demokratischen Erziehung und der politischen Bildung. Lassen Sie mich einige wenige Beispiele daraus nennen.

Die personellen und finanziellen Mittel der Antisemitismusbeauftragten müssen dringend aufgestockt werden.

Anstatt in diesen Tagen darüber zu sinnieren, wie gut das Schulfach Wirtschaft in den Schulen ist – nichts gegen wirtschaftliche Kompetenz bei unseren Schülerinnen und Schülern –, sollten wir aber doch vermehrt unser Augenmerk im Schulunterricht auf eine Demokratieerziehung legen. Das ist ein Punkt, den wir für ausgesprochen wichtig halten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir brauchen mehr und bessere Aussteigerprogramme für Rechtsextreme und mehr Meldestellen für antisemitische, antiziganistische und antimuslimische Vorfälle, um ein flächendeckendes Frühwarnsystem für rechtsextreme Bedrohungen zu installieren, gerade auch im Internet und in den sozialen Medien.

All das ist für einen langfristigen Erfolg unverzichtbar. Aber oft reicht leider nicht die Prävention, sondern es bedarf auch der Repression. Rechtsextremistische

Gewalttäter sind zu verfolgen, zu stellen und vor Gericht zu bringen. Ihre Organisationen sind zu observieren, zu verbieten und zu zerschlagen. Es gibt Hunderte Haftbefehle gegen Rechtsextreme, die bisher nicht vollstreckt wurden. Das passt nicht zu einer Nulltoleranzpolitik. Vollstrecken Sie bitte endlich diese Haftbefehle.

(Beifall von der SPD und Verena Schäffer [GRÜNE])

Es ist, glaube ich, jetzt an der Zeit, die Identitäre Bewegung mit Sitz in Paderborn zu verbieten. Sie gehört zu den verfassungsfeindlichen Organisationen, die den Rechtsextremisten die ideologische Rechtfertigung für ihren Terror liefern. Das kann und darf eine wehrhafte Demokratie nicht länger akzeptieren, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Dr. Günther Bergmann [CDU])

Das Waffenrecht muss genauso verschärft werden wie das Versammlungsrecht. Rechtsextreme Gefährder dürfen keine Waffen mehr besitzen. An Holocaust-Gedenktagen soll niemand mehr Naziaufmärsche ertragen müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und Dr. Günther Berg- mann [CDU])

Wenn wir den Rechtsextremismus erfolgreich bekämpfen wollen, dann braucht es zuallererst eine Sprache, die ausdrückt, was wirklich passiert, die nichts beschönigt und nichts verschleiert. Wenn Islamisten Anschläge verüben, reden wir zu Recht von Terror. Aber wenn Rassisten Menschen töten oder töten wollen, lesen wir von Amokläufern, von psychisch gestörten Einzeltätern, von fremdenfeindlichen Verbrechen, weil sie sich im Stillen radikalisiert hätten. Meine Damen und Herren, an diesen Umschreibungen ist so ziemlich alles falsch.

Zuallererst: Die Morde von Hanau oder München 2016 waren keine fremdenfeindlichen Verbrechen. Denn die Opfer waren keine Fremden. Sie waren Freunde, Kollegen, Nachbarn, sie waren Brüder und Schwestern, Kinder und Enkel, sie waren unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, und ihre Mörder waren keine Fremdenfeinde, ihre Mörder waren Rassisten, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Zweitens. Wer von psychisch gestörten Amokläufern spricht, der unterschlägt die politische Dimension dieses Verbrechens. Es gibt keine Krankheit, die einen Menschen dazu bringt, Muslime, Sinti und Roma oder Juden zu töten. Eine solche Krankheit gibt es nicht.

Wir müssen uns davor hüten, Menschen mit psychischen Erkrankungen unter Generalverdacht zu

stellen, nur weil es dann einfacher ist, das Politische der Gewalt zu verdrängen.

Drittens. Meine Damen und Herren, niemand radikalisiert sich im Stillen, niemand. Täter werden radikalisiert. Dort, wo es geschieht, im Netz oder in Hinterzimmern, ist es niemals einsam. Da ist es niemals still. Diese Orte sind überlaufen von Rassisten und Nationalisten, die Hass, Wut und Angst verbreiten. Hass ist niemals still. Er ist laut, er ist ohrenbetäubend laut. Wir hören das rassistische Gebrüll im Netz. Wir hören es auf den Straßen jeden Tag, in Wahlkämpfen, ja, meine Damen und Herren, und mittlerweile auch in Parlamenten, auch im nordrheinwestfälischen Landtag.

Ich spreche auch von den AfD-Abgeordneten in diesem Landtag. Wes Geistes Kind Sie sind, hat das rassistische Malbuch bewiesen, das Ihre Fraktion als Mittel der Propaganda, der Manipulation und der Verhetzung verbreiten wollte. Es zeigt widerliche rassistische Klischees, die an die vulgären und antisemitischen Karikaturen des Nazis Rupprecht im NS-Blatt „Der Stürmer“ erinnern und ganz offensichtlich auch erinnern sollten.

Denn die AfD, meine Damen und Herren, sie ist nicht geschichtsvergessen. Sie betreibt Geschichtsklitterung, ja, aber sie ist nicht geschichtsvergessen; im Gegenteil, sie ist geradezu geschichtsversessen. Deshalb wussten die Verantwortlichen der AfD auch ganz genau, was sie taten und welche Assoziationen ihr rassistisches Malbuch hervorrufen würde. Es erfüllt alle Tatbestände der Volksverhetzung, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Dazu schweigen wir nicht, und schon gar nicht schweigen wir über das Abscheulichste dieser Tat, meine Damen und Herren. Erwachsene zu manipulieren und aufwiegeln zu wollen, ist schlimm genug. Aber Ihr rassistisches Malbuch richtete sich nicht an Erwachsene, es richtete sich an Kinder, die der Welt und ihren Bewohnern noch mit verletzlicher Offenheit und Neugier entgegentreten.

Wir müssen Kinder beschützen. Wir müssen ihnen gleichzeitig ein Vorbild für ein Grundvertrauen in unsere Mitmenschen sein.

Aber Sie wollen unsere Kinder nicht beschützen. Sie haben versucht, sie zu vergiften. Sie haben versucht, die Herzen kleiner Kinder mit Angst und Hass zu vergiften.

Meine Damen und Herren, ich bin jetzt 15 Jahre Abgeordneter dieses Landtags. Das ist in diesen 15 Jahren das Widerlichste, was mir untergekommen ist. Das muss ich an dieser Stelle sagen.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs müssen wir uns einmal mehr daran erinnern, wie den Nationalsozialisten die Machtergreifung gelungen ist: am Ende nicht aus eigener Kraft, sondern auch mithilfe konservativer Eliten und aufgrund des Versagens anderer Parteien.

Heute wissen wir, dass es falsch war, nach 1918 den Staatsapparat fast unverändert übernommen zu haben. Die Reaktionäre in Verwaltung und Justiz konnten bleiben, wo sie seit Bismarcks Zeiten gewesen waren: in den operativen Schaltstellen des Staats. Das war fatal.

Eine Ausnahme hat es damals jedoch gegeben, und zwar das demokratische Preußen, regiert von Sozialdemokraten, Liberalen und Zentrum. Preußen war das letzte Bollwerk gegen die NS-Diktatur; denn Preußen hatte auch eine demokratische Polizei. Das muss uns auch heute eine Lehre sein. Eine Demokratie braucht eine demokratische Polizei. Wir haben eine demokratische Polizei, und wir müssen alles dafür tun, dass es auch so bleibt. Deswegen sage ich ganz deutlich: Für Rechtsextremisten darf im Staatsdienst kein Platz sein.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Unsere Polizistinnen und Polizisten konnten schon viele Anschläge verhindern, sowohl von Islamisten als auch von Rechtsterroristen. Sie haben Leben gerettet, und dafür sind wir ihnen sehr, sehr dankbar. Ich weiß, was sie leisten, und ich weiß, was wir von ihnen verlangen: Sie sollen uns vor organisierter Kriminalität, vor Terror und vor rassistischen Verbrechen schützen.

Unser Masterplan gegen Rechtsextremismus verlangt neue Stellen, die aber auch besetzt werden müssen. Dessen bin ich mir sehr wohl bewusst. Deshalb sage ich den jungen Menschen in NordrheinWestfalen aus voller Überzeugung: Werden Sie Lehrerinnen und Staatsanwälte, Richterinnen und Polizisten. Ihr Land braucht Sie, die Demokratie braucht Sie. Wir können auf Sie nicht verzichten.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Ich bedanke mich schon jetzt bei den zahlreichen Vereinen, Organisationen, Verbänden und Einzelpersonen, die uns nach Bekanntwerden unseres Masterplans Informationen gegeben haben und auf uns zugekommen sind, die uns viel gelobt haben, uns aber auch noch viele weitere Ideen und Vorschläge mit auf den Weg gegeben haben. Dafür bedanke ich mich sehr, und ich freue mich auf die weitere Diskussion – auch in den Fachausschüssen. Ich lade alle demokratischen Fraktionen in diesem Parlament ein, unsere Vorschläge mit weiteren guten Ideen zu unterstützen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Kutschaty. Sie haben sicherlich schon bemerkt, dass eine Kurzintervention angemeldet worden ist, und zwar von Frau Walger-Demolsky. – Sie haben das Wort.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Unglaub- lich! – Sarah Philipp [SPD]: Da sind wir aber gespannt!)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Ich hatte schon in der Sondersitzung des Innenausschusses das Vergnügen, Herrn Wagner zu vertreten. Ich werde es an dieser Stelle noch einmal wiederholen: Wir haben ein Malbuch für Erwachsene außer Haus in Auftrag gegeben. Wir haben uns schuldig gemacht, dieses nicht, …

(Unruhe)

Lassen Sie mich bitte ausreden! – … den ganzen Vorgang nicht zu kontrollieren,...

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Wann wir dazwi- schenrufen, entscheiden wir selber! – Un- ruhe – Glocke)

… den Vorgang nicht zu kontrollieren, es ungeprüft an einen Bürgerdialog rauszugeben.

(Berivan Aymaz [GRÜNE]: Rausgerutscht!)

Wir haben es am nächsten Tag zurückgenommen, und wir haben den gesamten Fall aufgearbeitet.

(Sarah Philipp [SPD]: Das ist doch Unsinn! – Hans-Willi Körfges [SPD]: Widerliche Aus- rede!)

Wir sind schuldig als Vorstand, nicht als Fraktion, weil der Vorstand die Fehler gemacht hat und nicht die Fraktion.

Wichtig ist: Wir distanzieren uns aufs Schärfste von den Inhalten,