„zum Problemfall entwickelt. Die Gründe dafür sind vielfältig und nicht nur auf einer Seite zu suchen. Allerdings liegt ein grundsätzliches Defizit deutscher Politik darin, den deutsch-französischen Zusammenhalt nicht als Wert an sich – unabhängig von unterschiedlichen oder gar gegensätzlichen Zielen – zu würdigen und zu festigen.“
In der Tat muss man konstatieren, dass es bis heute keine umfassende Antwort von deutscher Seite auf die Vorschläge des französischen Präsidenten zur Stärkung der Zusammenarbeit in Europa gibt. Präsident Macron hat einen Finanzminister, einen gemeinsamen Haushalt, mehr Solidarität, mehr Klimaschutz, eine vertiefte Währungsunion vorgeschlagen. Er hat eine Bankenunion, eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik, Steuer- und Finanztransaktionsanstrengungen, eine länderübergreifende Sozialversicherung usw. vorgeschlagen. Auf diese Vorschläge ist bis heute von deutscher Seite nicht oder wenn, dann nur unzureichend reagiert worden.
Ich will an einem Beispiel deutlich machen, wie wichtig es auch im Interesse des Landes ist, das, was im Aachener Vertrag steht, mit Leben zu füllen. Der Aachener Vertrag formuliert zu Recht, dass wir die Energiewende und den Klimaschutz voranbringen müssen, insbesondere in den Bereichen Infrastruktur, erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Gerade hier braucht es eine Abstimmung der Systeme. Wer will denn behaupten, dass das, was zurzeit in beiden Ländern national passiert, kompatibel ist? Wir merken das insbesondere in der Auseinandersetzung mit Belgien, wenn es um die Frage der zukünftigen Atompolitik geht.
Ein gemeinsames systemisches Verständnis von Energiepolitik, Förderung der erneuerbaren Energien, Marktgestaltung, Systemgestaltung gibt es derzeit nicht. Das ist ein großes Problem gemeinsamer Anstrengungen in Sachen „Klimaschutzpolitik“.
Deshalb können der Aachener Vertrag und auch der heutige Beschluss nur die Aufforderung aus Nordrhein-Westfalen sein, gerade im wohlverstandenen Eigeninteresse des Landes hier zu neuer Initiative und zu einer neuen Belebung dessen, was gut und richtig verabredet worden ist, zu kommen.
Vielen Dank, Herr Kollege Remmel. – Bevor ich den nächsten Redner, Herrn Kollegen Tritschler von der AfD-Fraktion, aufrufe, darf ich auf der Tribüne die französische Generalkonsulin ganz herzlich begrüßen. Herzlich willkommen! Vielen Dank, dass Sie der Debatte schon die ganze Zeit beiwohnen. Es ist uns leider gerade erst aufgefallen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass Deutsche und Franzosen einmal Freunde werden, das war für die Generation unserer Großeltern und Urgroßeltern noch unvorstellbar. Und doch bin ich, sind viele hier so aufgewachsen, ich selbst nur eine Handvoll Kilometer von der französischen Grenze entfernt, die übrigens damals bewacht wurde, was uns aber nicht weiter störte. Es herrschte nämlich trotzdem ein reger Grenzverkehr. Man fuhr wie selbstverständlich einkaufen, ins Grüne, Kaffee trinken oder ins Restaurant. So sind wir aufgewachsen.
Selbst für meine Generation war es aber in jüngeren Jahren noch völlig undenkbar, dass unser Verhältnis zu den Nachbarn im Osten einmal ähnlich werden könnte. Der Eiserne Vorhang war vor 30 Jahren noch bittere und tödliche Realität, und niemand konnte sich vorstellen, dass er einmal, quasi über Nacht, verschwinden würde.
Meine Damen und Herren, von Generalen sagt man ja, dass sie immer bestens auf den letzten Krieg vorbereitet sind. Das scheint aber auch für die Politik hier zu gelten, zumindest für die Europapolitik. Sie feiern einen Vertrag, der zur Lösung der Probleme Europas zwischen 1900 und 1945 wirklich viel hätte beitragen können, heute aber wie aus der Zeit gefallen wirkt.
Es ist eben nicht besonders fortschrittlich, wenn man die Erbfeindschaft von vorvorgestern ständig mit schwülstigen Worthülsen auszutreiben versucht. Ja, was ist das überhaupt für eine Freundschaft, der man sich gegenseitig ständig versichern muss?
Der Vertrag ist aber nicht nur unnötig, er ist auch grob fahrlässig; denn Europa besteht nicht nur aus Deutschland und Frankreich. In anderen Ländern ist man inzwischen im 21. Jahrhundert angekommen und betrachtet die wachsende deutsch-französische Hegemonie mit Argwohn. Der ehemalige tschechische Staatspräsident Václav Klaus bezeichnete die Beherrschung Europas als das unausgesprochene Ziel des Vertrages. Das ist um uns herum leider keine Einzelmeinung.
Gerade nach dem Abgang des Vereinigten Königsreichs – darüber werden wir in dieser Woche auch noch sprechen – wächst in vielen Staaten die Sorge vor dem deutsch-französischen Gleichschritt in einen EU-Superstaat. Genau das ist in Wahrheit die Schreckensvision hinter diesem Vertrag: ein Superreich unter der Führung der Achse Berlin–Paris. Das tarnen Sie derzeit noch, weil Sie wissen, dass das bei den Leuten nicht ankommt.
Deshalb nehmen Sie es auch in Ihrem Antrag mit der Wahrheit nicht so genau. Dort heißt es, Sie wünschen sich die EU als – ich zitiere – „föderativen Zusammenschluss souveräner Nationalstaaten“. Dabei haben drei von vier der antragstellenden Fraktionen, nämlich SPD, FDP und Grüne, doch längst den europäischen Bundesstaat in ihren Programmen stehen und wollen die einzelstaatliche Souveränität am liebsten komplett beerdigen. Die CDU, wenn wir mal ehrlich sind, spricht das weniger klar aus, meint es am Ende aber auch. Sie täuschen die Menschen über Ihre wahren Absichten, meine Damen und Herren. Damit werden wir Sie nicht davonkommen lassen.
Ihre schwülstigen Freundschaftsgesten nach Paris, ja Ihre ganze Europapolitik speist sich nämlich aus nichts anderem als dem tiefen Misstrauen gegen das eigene Volk, einem Misstrauen, das auch schnell mal in Missachtung umschlagen kann, etwa wenn der Ministerpräsident nach Brüssel fährt, um dort den Jahrestag des Versailler Vertrags zu feiern und damit die Abtrennung deutscher Gebiete und jahrzehntelange Entrechtung der dortigen Bevölkerung.
Meine Damen und Herren, wer aber seine eigene Heimat, seine eigene Nation nicht liebt, der kann auch Europa nicht lieben. Europas Stärke sind eben die vielen einzigartigen Nationen mit ihren vielen liebenswerten Eigenheiten. Deshalb braucht es keine neuen Zentralisierungsbestrebungen und auch keine neuen Verträge.
Um mit unserer Freundin Marine le Pen zu schließen: Wir lieben Frankreich, weil es französisch ist. Und wir lieben Deutschland, weil es deutsch ist. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Tritschler. – Für die Landesregierung spricht jetzt der Ministerpräsident.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aktivitäten rund um den Élysée-Vertrag, die Idee, die dahinterstand, haben alle Redner heute hier beschrieben: Rüdiger Weiß, Hendrik Schmitz, Johannes Remmel und der Thomas Nückel. Der Aachener Vertrag aus dem letzten Jahr beschreibt eigentlich einen Punkt, an dem sich all das noch einmal konkretisieren sollte. – Insofern, lieber Herr Kollege Remmel, ist er schon eine Antwort auf Macron.
Macron hat eine Rede an der Sorbonne gehalten und vieles vorgeschlagen. Dann ist es innerhalb von anderthalb Jahren gelungen – sogar noch weniger, wenn man die Vorbereitungen von solchen internationalen Verträgen kennt –, ein Dokument zu erstellen, nach dem Deutschland und Frankreich – die Beispiele sind in dem Antrag der Landtagsfraktionen erwähnt – noch enger zusammenarbeiten wollen.
Bei den anderen genannten Punkten will man eben nicht zusammenarbeiten, ist man noch nicht so weit, hat man übrigens auch noch nicht alle anderen europäischen Partner überzeugt.
Ich habe viel Sympathie für die Idee eines europäischen Finanzministers, aber das wollen nicht alle 27 Mitgliedsstaaten. Deshalb kann man daraus nicht ableiten, Deutschland habe nicht auf Macron geantwortet, sondern die Frage ist etwas globaler, etwas größer, und der Vertrag ist ein Schritt hin zum gemeinsamen Handeln.
Wir erleben es gerade im Wettbewerb mit einem großen Land wie China, das versucht, eigene ethische Standards zu setzen. Wir nennen Social Scoring und andere Dinge nicht ethisch. Um Huawei gibt es große Diskussionen.
Jeder sagt: Wir brauchen eine Skalierbarkeit. – Dann müssen wir Europäer gemeinsam definieren, was will wollen, und uns in dem Systemwettbewerb sowohl mit China als zuweilen auch mit unserem Verbündeten Vereinigte Staaten durchsetzen. Es gibt eine eigene europäische Idee, und die müssen wir definieren.
Was machen wir? Durch den Brexit werden wir die sogenannte Skalierbarkeit – die Einheit wird größer – am Ende des Jahres eher noch verkleinern. Dann sind es noch mal 60 Millionen Menschen weniger in
Insofern ist der deutsch-französische Vertrag, der Aachener Vertrag, in diesem Punkt genau die Beschreibung dessen, was wir wollen.
In der Forschung zur Künstlichen Intelligenz wollen wir die Kräfte bündeln und gemeinsame Institute einrichten.
Einen Monat nach dem Vertrag von Aachen hat man im UN-Sicherheitsrat symbolisch eine gemeinsame Präsidentschaft eingerichtet. Normalerweise setzt jeder für einen Monat seine Themen. Deutschland und Frankreich haben gesagt: Wir definieren das zusammen und tragen unsere Ideen zwei Monate lang vor. – Das war die Symbolik nach dem Vertragsabschluss.
Deshalb würde ich diesem Teil der kritischen Bemerkungen von Herrn Remmel durchaus zustimmen. Wenn man die Außenpolitik betrachtet, ist dieses eine Jahr vom 22. Januar 2019 bis heute eher dadurch gekennzeichnet, dass sowohl die französische als auch die deutsche Regierung völlig unabgestimmt eigene Ideen in die Luft geworfen haben, die alle nichts geworden sind, aber über die man wieder die alleinige Macht hatte.
Insofern ist es richtig, dass wir heute sagen: Wir wollen, dass diese Gemeinsamkeit wirklich entsteht. Wir wollen, dass beim Klimaschutz Gemeinsamkeit entsteht.
Das setzt aber voraus, dass wir auch über die Nuklearenergie in Frankreich sprechen. Es kann ja keine Lösung sein, dass wir Philippsburg in Baden-Württemberg abschalten und der Strom jetzt von Fessenheim nach Baden-Württemberg geht, während man dauernd gegen Fessenheim demonstriert.
Ich will übrigens nicht alles beenden, was wir in Nordrhein-Westfalen machen – darüber werden wir ja morgen debattieren –, und irgendwann Strom aus Tihange bekommen. Wir müssen mit den Franzosen Klartext reden, dass wir auch hier gemeinsame Bedingungen haben. Aber in der Idee sollte auch so etwas gemeinsam gehen.
Wir wollen bei der Bildung den nichtakademischen Austausch stärken. Bei Studierenden haben wir zig Programme. Wir beginnen jetzt damit, das auch bei Auszubildenden hinzukriegen, damit sich die Menschen kennenlernen, damit es mehr und nicht weniger Begegnungen gibt.
Ich will zum Abschluss noch mal Folgendes würdigen: Es ist ein bemerkenswerter Akt, dass sich ein Landtag über vier Fraktionen hinweg in der Präzision
Nur eine Fraktion ist nicht dabei. Ich war in Brüssel. Dort wurde nicht der Versailler Vertrag gefeiert, sondern „100 Jahre Deutschsprachige Gemeinschaft Ostbelgien“. Das war der Anlass dieses Termins in Brüssel.