Protocol of the Session on January 22, 2020

Herr Wolf, als Sie eben über Kamp-Lintfort sprachen, haben Sie genau das gemacht, was mich bei diesem Fall ärgert – und das ist nicht, dass sich jemand bedroht fühlt. Sie haben aber auch bei dieser Sache wieder so getan, als ob der Rechtsstaat diesen Bürgermeister im Stich gelassen hätte.

(Sven Wolf [SPD]: Er hatte das Gefühl! Darum geht es doch!)

Das ist eine Unverschämtheit.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Sie haben unseren Ministerpräsidenten zitiert, der gesagt hat, dass wir das nicht als Bagatelle stehen lassen.

(Sven Wolf [SPD]: Genau!)

Dann zitieren Sie aus dem Rechtsausschuss, es sei doch eine Bagatelle.

(Sven Wolf [SPD]: Ja!)

Anschließend kamen Sie auf das Best-Practice-Beispiel Niedersachsen zu sprechen – mit dem Zitat: Nicht ohne Weiteres lassen wir so etwas fallen.

(Sven Wolf [SPD]: Die haben einen Runder- lass gemacht!)

„Nicht ohne Weiteres“ – das heißt: Es kommt vor, dass wir so etwas einstellen. – In Niedersachsen gilt der Rechtsstaat genauso wie in Nordrhein-Westfalen. Es gibt gute Gründe, so etwas fallen zu lassen.

(Sven Wolf [SPD]: Es gibt dort aber eine grundsätzlich andere Anweisung, Herr Kol- lege!)

Herr Boss hat es eben ausgeführt und ich bin davon überzeugt, dass – weil Sie Lösungen forderten, die Sie außer im Rahmen einer Bundesratsinitiative von 2016 selber gar nicht angeboten haben – durch mehr Polizei … Wir haben bei der Polizei mehr eingestellt, und wir haben auch in den Diensträumen ein Problembewusstsein geschaffen, dass so etwas überhaupt erst zur Anzeige gebracht wird und nicht vorher schon totgeschwiegen wird. Dass man öffentlich

darüber spricht, dass es diese Hassmails gibt, ist das Positive.

Ich weiß noch, als meine Frau zum ersten Mal solch eine Mail oder einen Brief gelesen hat. Sie hat gefragt: Was ist denn das? – Ich habe gesagt: Das ist Quatsch; das hefte ich in den Ordner ab. – Sie hat nachgefragt: Welcher Ordner? Zeig ihn mir mal. – Ich habe entgegnet: Das willst du gar nicht wissen. Ich will dich nicht verunsichern.

Das hat auch ein Bundesinnenminister schon einmal gemacht und zur Verunsicherung beigetragen. Das habe ich damit auch erreicht. Sie wollte den Ordner sehen. Dann hat sie gefragt: Was ist das? Was bedeutet das für uns? – Deswegen müssen wir diese Sache ernst nehmen.

Ich teile die Solidarität, zu der Sie im Antrag aufrufen, und die im CDU-Antrag festgehaltene Notwendigkeit. Ich begrüße die Initiative von Bündnis 90/Die Grünen hier im Landtag und auch die Initiative von Klingbeil und Seehofer – von wem sie ausgeht, ist mir völlig wurscht, weil es in der Sache richtig ist, dass wir uns damit beschäftigen.

Lassen Sie uns aber auch über das Positive sprechen, und lassen wir es auch zu, dass wir miteinander streiten und hier Unterscheidbarkeiten darstellen. Ein Einheitsbrei wird uns nämlich nicht weiterbringen, entnervt die Menschen draußen und führt zu Verdrossenheit. Halten wir es hoch, dass in den Kommunalparlamenten bis zu 90 % der Entscheidungen gemeinsam getroffen werden und nicht im Streit.

Liebe SPD, eines muss ich aber auch – und ich habe Ihren Antrag gelesen – sagen. Das gehört auch zur Wahrheit dazu. Es ist in Ordnung und richtig, dass die Pressefreiheit ein hohes Gut unserer freiheitlichdemokratischen Grundordnung ist. Sie skizzieren das. Weil ich es vor Kurzem erleben musste, darf ich mal erwähnen: Umweltsau, Nazisau, Handballrassismusdebatte.

Die Redezeit.

Ich komme zum Schluss. – Wenn Journalisten selbst zur Anstachelung und zur Verrohung der Sprache beitragen, dann ist das nicht alles mit Satire-, Presse- und Meinungsfreiheit zu rechtfertigen.

(Beifall von der CDU und Iris Dworeck-Da- nielowski [AfD])

Manches ist einfach nur dummes Zeug, das nur Extremisten mehr Zulauf bringt.

Ob ich ein freier oder festangestellter Mitarbeiter beim WDR bin – wenn ich sage, meine Oma ist keine

Umweltsau, sondern eine Nazisau, dann ist das Maß überschritten und trägt auch nicht dazu bei, …

Die Redezeit.

… dass wir fairer und in einer ordentlichen Sprache miteinander diskutieren. – Vielen Dank dafür, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege Sieveke. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh.

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Manchmal muss man sich noch mal vergewissern, um was es eigentlich in der Debatte geht. Ich dachte, heute geht es in der Debatte darum – und da fand ich den Beitrag von Herrn Dahm ausgezeichnet –, dass sich Menschen im Kommunalwahljahr 2020 Gedanken darüber machen, ob sie für ein Kommunalparlament kandidieren wollen oder ob sie es sich und ihrer Familie nicht mehr zumuten können. Ich dachte, das wäre die Ausgangslage dieser Debatte.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Dass diese Frage nicht an den Haaren herbeigezogen ist, ist mir – man selbst ist ja als sogenannter Profi manchmal ein bisschen abgehärteter – sehr intensiv am Montag bei einem Treffen von Kolleginnen und Kollegen in Köln bewusst geworden, die überlegen, für das Bürgermeisterinnen- oder Bürgermeisteramt in ihren Kommunen zu kandidieren. Da sind nämlich genau solche Fragen aufgekommen: Kann ich das meiner Familie zumuten? Kann ich es ihr zumuten, dass die Nachbarn dann anders über sie reden? Wie ist der Schulweg meiner Kinder?

Da geht es gar nicht darum, ob die Kinder unmittelbar bedroht werden, sondern schon das Durchleuchten, das Gucken bei den Hausaufgaben und bei vielen anderen Geschichten spielt eine Rolle.

Ich will das jetzt auch nicht überhöhen, aber Herr Lürbke, dann allein darauf zu kommen, dass man den Antrag der SPD – und liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, ich will Ihnen ganz klar sagen, dass ich das Verteidigen der Strategie, sich selbst zu bewaffnen, auch für falsch halte –, dass man das zum Anlass nimmt, sich ertappt zu fühlen und gar nicht über die Sache reden zu wollen, finde ich der Debatte schlichtweg unangemessen. Das muss ich Ihnen sehr klar sagen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es hat tatsächlich – nicht nur, weil es meine Kollegin ist – bis zu Frau Schäffer gedauert, bis die ersten ganz konkreten Vorschläge genannt wurden.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Was können wir denn tun? Und wir müssen auch ganz ehrlich zugeben: Frau Ministerin Scharrenbach, ich glaube, es ist zwei Kommunalausschusssitzungen her – ohne dass es einen Vorfall gegeben hat –, dass offen darüber nachgedacht wurde, was wir denn tun können. Wie können wir auch symbolisch dafür stehen, dass diese Landesregierung dafür ist – daran habe ich auch gar keinen Zweifel –, dass wir diese Auseinandersetzungen führen und dass den Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern beigestanden wird?

Und nicht nur denen. In den Verbänden stellt sich die gleiche Frage, etwa wenn Umweltschutzverbände oder auch Kirchen unter Druck gesetzt werden, dass sie bestimmte Positionen nicht einnehmen sollen. Auch dann müssen wir uns vor sie stellen. Das ist das, was unser Haus diesem Land signalisieren muss. Wir stehen für eine wehrhafte Demokratie, die die Menschen schützt, die sich dafür einsetzen. Das muss auch sehr klar gesagt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Dr. Ralf Nolten [CDU])

Mein Appell ist deswegen an alle – das habe ich zufällig in dieser Woche noch gesagt –: Werbt in euren Institutionen dafür, dass die Menschen zur Wahl antreten. Werbt dafür, dass sie sich der parlamentarischen und politischen Auseinandersetzung stellen. Werbt dafür, dass sie die Zukunft dieses Landes mitgestalten wollen. Und macht es nicht anderen zum Vorwurf, dass sie das tun, sondern unterstützt sie dabei. Und sorgt auch in der Auseinandersetzung mit dafür, dass sie es tun wollen! – Das ist unser Job.

Herr Minister Reul, deswegen müssen wir sehr genau überlegen, wo wir die Auseinandersetzung führen. Ich finde es falsch, was Sie gemacht haben, dass Sie jede Nulltoleranzstrategie miteinander verknüpfen wollen. Machen Sie das nicht.

(Zuruf von Herbert Reul, Minister des Innern)

Wir haben hier heute über das Thema „Kommunalparlamente“ gesprochen. Deswegen jetzt ein Punkt, der am Wochenende eine Rolle gespielt hat: Die AfD hatte einen Parteitag und meinte, an die CDU adressieren zu müssen, dass sie im Zweifel für die CDUKandidaten stimmen wird. Da hat der Generalsekretär der CDU sehr klar gesagt, dass sie diese Unterstützung nicht braucht.

Diese Klarheit, die auch Herr Minister Laumann gestern in seinem Grußwort bei der TK gezeigt hat, dass wir sehr klar in der Mitte der Gesellschaft stehen, dass wir Rechtsradikalismus und andere Formen

rechter Gewalt und rechter Sprache ablehnen, dass wir da sehr klar sind, das müssen wir meiner Meinung nach als Fairnessabkommen mit in die Kommunalwahlkämpfe tragen.

(Beifall von Johannes Remmel [GRÜNE])

Dann sorgen wir dafür, dass der Ton so ist, wie er sein muss: klar in der Sprache, klar in der Auseinandersetzung, aber auch sehr klar, was rechte Gewalt betrifft, was Gewalt gegen Menschen betrifft, die diesen Staat stützen wollen. Denn nichts anderes tun sie.

Wer sich im Kommunalparlament engagiert – das hat Herr Dahm sehr ausführlich dargestellt –, möchte dieses Land besser machen, anders gestalten und sich für die Institutionen einsetzen. Es gibt Leute, die genau das unterlaufen wollen. Und das – das soll meine letzte Bemerkung sein – ist genau das, Herr Kollege Sieveke, was mit dieser Umweltsau-Debatte völlig falsch läuft: Ein Randthema wird ins Zentrum gesetzt.

(Christian Dahm [SPD]: Genau!)

Man geht den rechten Demagogen, die eine gewisse Rhetorik an den Tag legen wollen, auf den Leim, wenn man diese Debatte mit führt.